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Die Schwimmerin Hedy Bienenfeld
Schmetterlingseffekt
Was war der Anlass für Ihre Recherchen zu Hedy Bienenfeld-Wertheimer?
Schon vor rund 25 Jahren interessierte ich mich für Sportgeschichte vor dem 1. Weltkrieg. In der Österreichischen Nationalbibliothek stieß ich auf die „Allgemeine Sport-Zeitung“. Meine Neugierde für die Zwischenkriegszeit in Österreich, Deutschland und Großbritannien war geweckt. Dann las ich von den Erfolgen der Wiener Schwimmerinnen Hedy Bienenfeld und Fritzi Löwy. Die beiden trainierten im jüdischen Sportverein SC Hakoah Wien und waren, neben Judith Deutsch, die erfolgreichsten Champions ihrer Zeit. Und sie waren Frauen! Frauen, mit einer riesigen Fangemeinschaft, die zu jener Zeit eigentlich nur Männer vorzuweisen hatten. Etwas Vergleichbares gab es damals nicht.
Wer war Hedy Bienenfeld?
Hedy Bienenfeld, die am 17. Oktober 1907 in Wien geboren wurde, war für siebzehn Saisonen – nämlich von 1921 bis 1937 – einer der größten Stars der österreichischen Schwimmszene und damit auch herausragend lange an der Spitze. Sie entdeckte ihr Talent für den Schwimmsport früh, im Alter von fünf Jahren. Professionelle Techniken erlernte sie bei Hakoah, wo sie mit Dreizehn beitrat. Dort trainierte sie zunächst mit ihrer Schwester Elsa, die den Verein aber nach geschwisterlichen Konflikten verließ. Hedy blieb. Hakoah sorgte dafür, dass seine Athletinnen und Athleten unter die Fittiche der besten Trainer gestellt wurden und von seinem internationalen Netzwerk profitierten. Hedy begann, einen Preis nach dem anderen zu gewinnen. Sie startete ihre Karriere 1921 und gewann im Brustschwimmen, später auch im Rückenschwimmen, Freistil und Tauchen.
Zusammen mit ihrer Freundin und Vereinsgenossin Fritzi Löwy gewann sie auf internationaler Ebene zahlreiche Medaillen, wie etwa bei den Europameisterschaften in Bologna 1927. 1928 nahm sie an den Olympischen Spielen in Amsterdam teil, allerdings ohne Erfolg. Im Jahr darauf wurde sie als eine der „besten zehn Schwimmer der Welt“ gelistet. Und sie holte mehrere Medaillen bei ihren zwei Teilnahmen an den Makkabiaden. Dabei handelt es sich um internationale jüdische Spiele in Israel, die den Olympischen Spielen ähneln.
Zu ihrem Geburts- und Todesjahr lassen sich online andere Jahreszahlen finden, haben Sie eine Erklärung dafür?
Auf Wikipedia und anderen Seiten findet man abweichende Jahreszahlen. Doch im Film „Watermarks“, der die damaligen Hakoah-Schwimmerinnen porträtiert, schwenkt die Kamera über den Grabstein und man erkennt die Gravur.
Was führte Hedy zum Erfolg?
Über eine Dekade lang stellte sich Hedy geschickt im Brustschwimmen, Freistil und Rückenschwimmen an. Mit ihrem unorthodoxen und revolutionärem Stil im Brustschwimmen konnte sie ihre außergewöhnliche Erfolgssträhne dann um einige Jahre verlängern: Denn der „Schmetterling“, ein kraftintensiver und anspruchsvoller Schwimmstil, ermöglicht höhere Geschwindigkeiten. Heute ist der „Butterfly“ eine übliche Technik, damals aber war Hedy Bienenfeld die erste österreichische Schwimmerin, die ihn anwandte. 1937 setzte sie damit einen neuen Rekord im 100 Meter Brust, der 19 Jahre ungebrochen blieb. Damit bekannt machte sie ihr Trainer Zsigo Wertheimer, der die Methode von einem US-Schwimmer erlernte.
Können Sie mehr über Zsigo Wertheimer erzählen?
Junge Talente der Hakoah wurden von Zsigo Wertheimer trainiert. Ein Austausch mit dem berühmten US-Trainer Bill Bachrach im Jahr 1924 verbesserte Zsigos Fähigkeiten gewaltig. Im selben Jahr begann Zsigo auch Fritzi Löwy und Hedy Bienenfeld zu trainieren. Über die Jahre wurde ihre Beziehung immer intimer. Die beiden heirateten schließlich 1930. Sie waren von gegensätzlichem Charakter. Hedy war sensibel und ein wenig schüchtern. Sie zweifelte manchmal an ihren Fähigkeiten. Zsigo motivierte sie, zeigte ihr ihre Stärke und ihre Möglichkeiten auf. Die Ehe brachte keine Kinder hervor, aber es war eine lange und glückliche, die von ihrem Umfeld wohlwollend aufgenommen wurde.
Um Hedy zu motivierten, stieg Zsigo schon mal selbst ins Boot. So etwa 1925, als sein Schützling am Wettkampf „Quer durch Wien“ im Donaukanal teilnahm. Hedy Bienenfeld wurde damals als Meisterin im Bruststil und Rekordhalterin über 50, 200 und 400 Meter gehandelt. Sie legte als Einzige die 7,5 Kilometer lange Strecke von Nußdorf bis zur Rotundenbrücke in Brustlage zurück, während ihre Konkurrentinnen im Freistil schwammen. Als Zsigo bei Hedy einen Leistungsabfall bemerkte, stieg er in ein Begleitboot und rief ihr Anweisungen zu. Mit neugeschöpfter Kraft konnte Hedy die Strommeisterschaft gewinnen. Zuerst war er im Boot – dann in den Nachrichten. Die Medien kritisierten den „sportlichen Schönheitsfehler“. Hedy drohte die Disqualifizierung, Zsigo musste sich vor einer Kommission des Verbands Österreichischer Schwimmvereine (VÖS) rechtfertigen. Er nahm die Schuld auf sich, womit Hedys Sieg anerkannt, Zsigo aber bis zum Jahresende disqualifiziert wurde.
Wie hat Bienenfelds jüdische Herkunft ihre Karriere beeinflusst?
Insgesamt brach Hedy Bienenfeld 36 nationale Rekorde, wovon fünf nicht akzeptiert oder ignoriert wurden. Eines dieser Ereignisse spielte sich 1929 ab. Sie brach mit genau neun Minuten den internationalen Rekord im 500 Meter Brust, doch eine offizielle Ankerkennung durch den internationalen Sportdachverband FINA blieb aus, auch im Jahr darauf. Die österreichische Delegation bemühte sich bei FINA nicht darum, Bienenfelds Leistung als Weltrekord aufzunehmen. War es fehlender Eifer oder fehlendes Selbstbewusstsein der Delegierten? Oder wollte man die Erfolge jüdischer Schwimmer:innen bewusst nicht hervorheben? Wir können es nicht mit Sicherheit sagen. Österreich verfügte zu jener Zeit kaum Macht in FINA. Das Land hatte gerade wegen finanzieller Gründe die Ausrichtung der Europäischen Meisterschaften für 1930 abgelehnt. Fest steht, dass die Athletin eher mit politischen als mit technischen Hürden im Schwimmbad zu kämpfen hatte.
Außerhalb des Wassers waren jüdische Schwimmerinnen antisemitischen Attacken ausgesetzt. In Krems griffen mit Hakenkreuz versehene Männer am 10. Juli 1932 Hakoah-Schwimmer:innen nach den Österreichischen Open Water Meisterschaften an. Sie schlugen auf den Schwimmer Fritz Lichtenstein ein und warfen ihn in die Donau. Hedy Bienenfeld befand sich zu der Zeit mit Lichtenstein im Auto, konnte aber in einem Taxi flüchten. Von da an haben sie ihre starken Ringermannschaften als Beschützer überallhin mitgenommen. Hedy war bei dem Event als Siegerin durchs Ziel geschwommen, doch angeblich in einem unerlaubten Bereich. Eine Disqualifizierung folgte. Diese Ereignisse brachten Hakoah auf die Barrikaden. Sie riefen einen Boykott aus und Hedy verzichtete im selben Jahr auf ihre Teilnahme am heimischen Wettbewerb.
Bienenfeld gewann nicht nur Sport-, sondern auch Schönheitswettbewerbe, wie etwa im Dianabad 1931. Wie kam es zu Hedys Titel als Schönheits-Ikone?
Sie war eine Ikone des SC Hakoah, erfuhr aber auch in anderen Milieus Bewunderung. Dafür gab es zwei Anlässe: Zum einen wurde die Schwimmerin in internationalen Medien als „Schönheit aus Wien“ gefeiert. Zum anderen wurde sie am Cover des Magazins „Der Raucher“ verewigt. Dabei posiert sie im Badeanzug mit einer Zigarette in der Hand. Dieses Bild war unglaublich wichtig für die Emanzipation österreichischer Frauen. Denn die Leser:innenschaft des „Raucher“ war männlich und eine rauchende Frau ein Skandal. Zudem war sie am Höhepunkt ihrer Karriere, ihrer Fitness und Gesundheit angekommen. Antisemiten arbeiteten damals mit dem Bild, Juden und Jüdinnen als hässliche, ungesunde und erfolglose Menschen darzustellen. Hedy verkörperte das genaue Gegenteil dieser Stereotype. Sie war gleichermaßen für Frauen und Männer eine Inspiration. Offenbar sogar für eine Figur im Roman „Der Schüler Gerber“ des berühmten Schriftstellers Friedrich Torberg. Er soll Hedy persönlich gekannt und ein Auge auf sie geworfen haben. Zu der Zeit war Hedy aber bereits mit Zsigo verlobt, also keine Chance für Torberg.
Ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 1930 erwähnt Umzugsplänen der Bienenfeld-Wertheimers. Demnach hätte Zsigo ein Jobangebot in Paris gehabt. Man bangte um seine Meisterschwimmerin. War das eine Zeitungsente?
Zsigo gab auch außerhalb des Hakoah-Vereins Schwimmunterricht, was Hakoah-Mitarbeitern nicht gefiel. Durch sein jüdisches Netzwerk hätte Zsigo die Möglichkeit gehabt, als Trainer nach Paris zu emigrieren. Diese Gerüchte wurden in Zeitschriften aufgegriffen, aber nach kurzer Zeit konnte der Konflikt zwischen Zsigo und Hakoah beseitigt werden und das Paar blieb Wien erhalten.
Wann endete Hedy Bienenfelds Karriere?
Nach dem Anschluss konnten die meisten Hakoah-Athlet:innen ins Ausland flüchten. Hedy und ihr Mann setzten sich zunächst nach Großbritannien und anschließend in die USA ab. Die Flucht bedeutete das Ende ihrer Karriere. In den USA arbeitete sie als Trainerin, während Zsigo sein Geld in der Immobilienbranche verdiente. Er war kein reicher Mann, aber er verdiente nicht schlecht. Ihre Kollegin Fritzi Löwy gelangte über Italien in die Schweiz und emigrierte nach Australien. Die beiden hielten über all die Jahre ihre Freundschaft aufrecht, wie auch eine Postkarte von dem Paar an Löwy veranschaulicht. Erst als Zsigo 1965 starb, kehrte Hedy zurück nach Wien. Hier unterstützte sie ihre krebskranke Freundin Fritzi, die Hedy schlussendlich überleben sollte. Am 24. September 1976 starb Hedy in Wien, wo sie zusammen mit den Überresten ihres Mannes Zsigo im jüdischen Teil des Zentralfriedhofs begraben wurde.
1. Juli 1925, Wiener Sportblatt. „Schwimmen. Quer durch Wien. Sportliche Fehler.“
30. Juni 1925, Sport-Tagblatt. „Das Schwimmen Quer durch Wien“
30. Juni 1925, Wiener Morgenzeitung. „Ein Triumph der Hakoah-Schwimmer“
1.Juli 1925, Der Abend. „Schwimmen. Das neunte „Quer durch Wien“.“
17. Oktober 1927, Der Montag. „Die schönsten Sportlerinnen von Wien“
9.8.1928, Die Stunde. „Von der Olympiade“
28.10.1928, Die Stunde. „Hedy Bienenfeld ist gekränkt“
11.12.1929, Wiener Sporttagblatt. „Schwimmen. Österreicher unter den zehn Besten der Welt.“
28.5.1931, Der Tag. „Schönheitskonkurrenz im Dianabad“
Friederike (Fritzi) Löwy: „Du bist eine feige Jüdin!“, DÖW Erzählte Geschichte
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