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Die Wiener Punkszene um 1980
„Wir hatten Punk im Herzen“
Wie bist Du Punk geworden? Wie alt warst Du damals?
Ich habe mich schon mit zehn, elf Jahren enorm für Musik interessiert und habe spät am Abend mit einem kleinen Taschenradio Radio Luxemburg gehört, weil dort immer die neuesten Hits als Pre-Releases zu hören waren. Im Lauf der Zeit bin ich zu meinen Bands aus Amerika gekommen wie Alice Cooper oder Suzi Quatro. 1975 hab ich begonnen, meine Jeans verkehrt zu tragen, sodass die Taschen nach außen gestülpt waren, als Zeichen des Protests. Und 1976 bin ich mit einem Freund zum Fotografieren nach London geflogen und dort haben wir erlebt, dass Punk beginnt. Schon auf dem Flug nach London haben wir in einer Ausgabe des New Musical Express, den wir uns immer beim Morawa gekauft haben, einen Artikel gelesen mit der Headline: What is Punk? Ich hab übrigens mit dem Roland Schöny in meiner Gymnasiumszeit eine Schülerzeitung mit dem Namen Spektrum gemacht, da waren meine ersten Fotos drinnen. Das war bereits so um 1974/75. Wir haben Kiss gehört, die hatten sehr radikale Texte, wir haben The Tubes und die Runaways gehört, das war eigentlich schon Punk. Ich möchte nicht sagen, dass ich der erste Punk in Wien war. Denn das spielt überhaupt keine Rolle. Aber ich möchte auch nicht sagen, dass ich der zweite war. Wir hatten Punk im Herzen.
Also musstet Ihr klarerweise nach London…
1977 wurde dort das Queen Jubilee gefeiert, das silberne Thronjubiläum. Der Müll lag auf der Straße, die Arbeitslosigkeit war hoch… Wir waren fast jedes Monat in London, um zu fotografieren, um Bands anzuschauen und ich vor allem auch, um Platten zu kaufen, die ich am Samstag am Flohmarkt in Wien dann weiter verkauft habe. Und zwar an die Punks, die damals grad entstanden sind.
„Entstanden“? Wie kann man sich das vorstellen?
Ich bin zum Beispiel im Stadionbad mit einem Sex Pistols-T-Shirt herumgelaufen. Da fragt mich ein Typ, woher ich das arge Leiberl habe... und ich hab ihm erzählt, woher, und hab ihn eingeladen, zu unserem Punk-Club ins La Boheme zu kommen. Und der Typ, das war der Joschi, der spätere Bassist von den Dead Nittels. Die Chuzpe haben damals eine Power auf die Bühne gebracht, die es vorher nicht gegeben hat – wobei, davor vielleicht doch schon auch bei Novak´s Kapelle oder bei Drahdiwaberl. Punk ist jedenfalls in unseren Herzen entstanden, und die Geschichte ist vorwärts gegangen.
Zugleich mit der Musik hat Dich auch die Fotografie interessiert.
Ich hatte schon sehr früh eine Kodak Instamatic und bin damit einmal zu einem Konzert in die Stadthalle gegangen. Die Bilder waren natürlich schlecht. Ich wollte aber unbedingt von einem Musiker ordentliche Bilder machen können. Also habe ich gespart und mir beim Foto Blitz auf der Praterstraße eine Canon EF um 6000 Schilling gekauft. Ab diesem Moment, da war ich 12 Jahre alt, hat’s funktioniert. Durch eine Annonce in der Zeitschrift ColorFoto bin ich dann später mit Glück zu einer deutschen Presseagentur gekommen, die mir einen Presseausweis ausgestellt hat, mit dem ich dann in jedes Konzert reingekommen bin. So bin ich auch in die Fotografie hineingewachsen. Dass ich dann die Punks fotografiert habe, war klar: Sie waren leiwand, ich war leiwand. Wir waren gute Freunde, es gab einen Zusammenhalt. Es war super!
Du hast vorher den Flohmarkt erwähnt. Warum habt Ihr Euch gerade dort getroffen? Welche Orte waren noch wichtig für die Punks?
Am Flohmarkt haben wir uns wohlgefühlt, weil es dort so ein Multi-Kulti-Treiben gab. Dort konnte man Kontakte knüpfen, man konnte sich zeigen, rundherum waren Beisln. In den ersten Monaten haben wir uns alle erst kennengelernt, es gab die ersten Chuzpe-Konzerte, da musste man sich mit Flyern oder Postern oder über Mundpropaganda informieren, um überhaupt zu wissen, was los ist. Ein Hotspot wurde später der Donnerbrunnen, wo sich auch schon die Mods getroffen haben. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass es in der Innenstadt war. So wie die Sex Pistols die Carnaby Street auf und ab gegangen sind, um zu pöbeln, wollten wir uns dort zeigen, um zu provozieren. Angerempelt haben wir aber niemanden. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Bei manchen konnten wir tatsächlich Schrecken auslösen, andere haben sich gefreut. Im Burggarten während der Besetzung haben wir mal von einer Oma 20 Schilling gekriegt, weil sie fand, wir machen das toll. Das war schon ein besonderes Erlebnis.
Du hast vorher auch das La Bohème erwähnt. Kannst Du darüber mehr erzählen?
Das war unser Club in einem Hinterzimmer von einem Beisl am Getreidemarkt. Dort haben wir uns getroffen, der Haupttreffpunkt war immer am Dienstag Abend. Es war ein Fiebern auf diese Treffen. Wir haben uns ausgetauscht, wir waren kindisch, pubertär, aber auch teilweise schon erwachsen, weil ja einige drei, vier Jahre älter waren. Das alles war sehr spontan, schon kurz nachdem es in London begonnen hatte. Wobei die Ursprünge ja eigentlich in Amerika waren, nur hat es Malcom McLaren von dort nach London importiert und auf die Sex Pistols draufgeklebt. Das war konstruiert, was aus heutiger Sicht einen seltsamen Nachgeschmack hat. Aber es konnte nur in dieser Zeit funktionieren. Der Müllsäcke lagen in den Straßen von London, und die Punks waren Müll. Punk ist mehr oder weniger Müll. Denn was heißt eigentlich das Wort Punk? In Amerika hieß es „Lowdown cheap little punk“ – ein abwertender Ausdruck für einen Strichjungen im Gefängnis. Die Punks haben sich das angeeignet, wobei in Wien kein einziger Punk wirklich wusste, was der Begriff bedeutet. Aber das macht auch gar nichts. Es ging uns, aus einer Misere herauskommen und zu verstehen, was man in der Welt machen kann. Und als Punks wollten wir aktiv sein, Musik machen, Fotos und Gewand machen, Badgets produzieren. Machen – das war unseres! Wir wollten kreativ etwas machen. Und zwar autonom. Das war meiner Meinung nach das Grundziel: kreativ sein.
Dein berühmtestes Bild zeigt einen Punk von hinten, auf dessen Lederjacke steht „Wien du tote Stadt“. War Wien damals tot? Oder nur halbtot?
Wien war definitiv morbid, trist, schwermütig. Erst in den 80er Jahren hat sich das geändert. Es gab zwar Konzerte von großen Bands in der Stadthalle: Aber man ist dort hingegangen, hat zugehört, und danach ist man wieder nach Hause gegangen. Das war uns zu wenig. Wir wollten mitleben. Wir wollten den Musikern zeigen, was wir von ihnen halten. Wenn sie in London schlecht gespielt haben, wurden sie angespuckt. Dann haben sie zurückgespuckt. Das ist wirklich exzessiv geworden. Aber das war Punk.
Nun gab es ja Punk in verschiedenen Ausprägungen, auch politisch. Meist waren sie links, aber es gab auch rechte Punks. Wie war das in Wien?
Am Anfang hat Politik keine große Rolle gespielt, zumindest aus meiner Sicht. Wir mochten die Musik, die ist wild, ich kann mich als Teenager mit den Ramones ausleben. Je tiefer man aber in die Materie und die Texte, etwa von den Clash, eingetaucht ist, desto mehr hat man sich auch mit Politik auseinandergesetzt. Wir haben uns als links verstanden. Das hat für uns vor allem eines bedeutet: mehr Freiheit. Aber wir waren nicht aktiv politisch oder womöglich terroristisch. Das schlimmste, was wir gemacht haben, war dass wir dem McDonalds die große Flagge über dem Eingang abmontiert haben. Oder das Schlüsselloch mit Superkleber verklebt haben, sodass die nicht aufsperren konnten. Aber es gab schon Punks, die waren politischer, zum Beispiel der Vali, der politisch mein Lehrer war, weil ich mich dafür nie wirklich interessiert habe. Wenn der gesagt hat, der und der ist ein Komischer, dann haben wir das akzeptiert. Wirklich politisch geworden ist die Wiener Punkszene erst mit der Haubesetzung in der Gassergasse, aber das war später, ab 1981. Jeder von den Punks war gleichberechtigt. Natürlich hat´s ein paar Leader-Typen gegeben. Das waren die, die reisen und Konzerte besuchen konnten oder die, die bei Bands gespielt haben. Ab 1981 haben sich die Wiener Punks stark mit den deutschen Punks vernetzt. Was auch bedeutet hat, dass z. B. rechte Punk-Bands eingeladen wurden oder Punks mit Springerstiefeln zu sehen waren. Und damit einhergegangen ist die Sauferei. Das hat mir beides nicht so getaugt und deswegen bin ich selber dann zum Reggae übergegangen. Ich war ja beim Punk immer auch wegen der Texte, und die Reggae-Texte waren genauso interessant.
Wo waren in Wien die besten Punk-Konzerte?
Die waren im Amerlingbeisl und im Metropol oder im U4, vereinzelt gab es auch Gigs in den Proberäumen mit 15 Fans. In der Arena noch nicht so, denk ich, da waren noch die Hippies. Denen waren wir zu dynamisch. In der Gassergasse [wo ein Haus besetzt wurde] gab es ja dann schon fixe Proberäume. Wir Punks hatten ja auch eigene Schallplatten, die heute z.T. Sammlerstücke sind. Die Pöbel-Platte von damals ist heute nicht unter 1000 Euro zu kaufen. In der Gassergasse habe ich auch die Aufnahme für eine Platte von Schund gemacht, die auch auf Tour gegangen sind. Meine damalige Frau war Sängerin bei Schund. Die Band gibt es nun als Revival-Band unter dem Namen Schünd. Die Texte leben weiter, das ist Punk. Mein guter alter Freund Panza hat damals sein Label Panza Platte gegründet, das er noch immer betreibt. Vor ein paar Jahren hat er ein Dreifach-Album über `de guade oide Zeit` herausgebracht mit vielen alten Bands und Fotos von mir am Innencover und im Booklet.
Immer wieder erwähnt wird ein Konzert von The Clash im Porr-Haus am Karlsplatz…
Da war ich dabei, das war super! Da sind alle Wiener Punks zusammengekommen. Wobei das ja am Anfang nicht so viele waren. Vielleicht im Kern dreißig und dann noch ein paar Sympathisanten dazu, alles in allem nicht mehr als 50, 60 Personen. Wer die Clash nach Wien geholt hat, weiß ich nicht. Aber das Konzert war fantastisch, weil die ja eine unglaubliche Power auf der Bühne haben. Unsere Punks sind komplett ausgezuckt, sind auf den Holzsitzen herumgehupft. Es war schon wild. Aber so schlimm, wie es später dargestellt wurde, dass nämlich die Punks die Sessel aus ihren Verankerungen gerissen und durch die Luft geworfen hätten, so war es nicht. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich das auf meinen Fotos drauf. Auch dass Punks gewaltsam sind, war übertrieben. Wir haben uns nie absichtlich mit jemandem geprügelt, haben auch keine Popper gehaut. Mit den Mods haben wir uns vertragen. Es gab Stänkereien und wir haben uns natürlich verteidigt, mehr aber nicht. Von uns ging eine gewisse Aggressivität aus, aber keine direkte Gewalt. Skins sind erst ab 1982 dagewesen und nie krass aufgefallen, soweit ich mich erinnere.
Neben dem Direktimport aus London: Wo konnte man Punk-Platten in Wien kaufen?
Es hat das Mojo Records in der Nevillegasse gegeben. Die waren wie Rough Trade in England: Sie haben die Sachen importiert, an die sie geglaubt haben. Die hatten schon vorher die Pre-Punk-Platten. Der Johnny Reggae hat dort gearbeitet, der Panza ist dorthin gegangen, der Ronnie Urini auch. Die Böslinge, eine der wichtigsten Punk-Bands in Wien, haben dort viel Geld für Platten ausgegeben.
Du warst von 1976 bis 1982 in der Punk-Szene. Wie blickst Du aus der Distanz von 40 Jahren darauf? Bist Du nostalgisch?
Ich würde mich immer noch als Punk bezeichnen. Weil ich immer noch versteckte Dinge mache, die mehr Punk sind als alles andere Punk sein kann. Dass Punk verkommerzialisiert wurde, gefällt mir natürlich nicht. Aber ich höre noch immer Punk-Musik und entdecke sogar jetzt auf YouTube Remixes und Bands, die ich so gar nicht gekannt habe. Heuer ist eine Live-LP von den Sex Pistols rausgekommen! Und dass 999 und UK Subs als Bands noch immer spielen: Also wenn das Nostalgie ist, dann gefällt mir das! Bald feiern wir 50 Jahre Punk. Dann kommt Punk ins Museum, weil Leute sich dafür interessieren! Ist doch super!
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