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Gerhard Milchram, 30.9.2020

Displaced Persons

Ein Kakao für Leib und Seele

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges befanden sich in Österreich rund 45.000 jüdische „Displaced Persons“. Viele davon wurden vor allem in der amerikanischen Besatzungszone mit dem Notwendigsten versorgt. 

Als im Mai 1945 in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, befanden sich auf österreichischen Boden 1.650.000 DPs (Displaced Persons), dies entsprach rund 27% der Bevölkerung. Als DPs wurden seit 1943 Personen bezeichnet, die als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus ihrem Herkunfsland verschleppt worden waren. Da auch nach 1945 die gesellschaftliche Atmosphäre weiterhin von offenem Antisemitismus geprägt war, der im Extremfall zu Pogromen führte, wie z. B. 1946 im polnischen Kielce, wo 42 jüdische Schoah-Überlebende ermordet wurden, weigerten sich insbesonders die jüdischen DPs in ihre weitgehend vernichteten Heimatländer zurück zu kehren.

Viele dieser DPs versuchten, unterstützt von der zionistischen Untergrundorganisation Bricha („Flucht"), Häfen am Mittelmeer zu erreichen, um von dort nach Palästina überzusetzen. Ein höchst schwieriges Unterfangen, da die Engländer nach Kräften versuchten, die Einwanderung in das Mandatsgebiet zu unterbinden. Hohen Symbolcharakter erreichte dabei die Irrfahrt der „Exodus“, die 1947 vollgestopft mit 4500 Flüchtlingen zwar Haifa erreichte, deren Passagiere aber von den britischen Behörden nach Hamburg gebracht und interniert wurden.

Österreich war auf Grund seiner geographischen Lage eine Drehscheibe für die jüdischen DPs. Ende 1946 wurde ihre Zahl in Europa auf 250.000 geschätzt, von denen sich 45.000 in Österreich befanden. Bis 1948 hatte sich ihre Zahl auf 12.000 verringert. Zwischen 1945 und 1954 war Österreich Durchgangsland für ungefähr 200.000 jüdische DPs, denen auch hier unvermindert Antisemitismus entgegenschlug. So hatte Innenminister Oskar Helmer von der SPÖ 1947 noch seiner Furcht Ausdruck verliehen, „dass ganz Österreich von den Juden überflutet“ würde, bedauerte aber aus Sorge vor der amerikanischen Presse, dass der Regierung nichts anderes übrig bliebe, als die Juden anständig zu behandeln. Vizekanzler Schärf (ebenfalls SPÖ) wiederum behauptete, „durch die Juden wurden ganze Gegenden Österreichs ruiniert“.

Dennoch entstanden in Österreich, vor allem in der amerikanischen Besatzungszone zahlreiche DP-Camps. In Wien wurde im Sommer 1945 das ehemalige Rothschild-Spital der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde am Währinger Gürtel von den amerikanischen Besatzungsbehörden als DP-Lager eingerichtet. Das Gebäude war im Krieg von Bomben getroffen worden und konnte nur notdürftig instandgesetzt werden, war aber dennoch für 1000 Menschen ausgelegt und wurde zu einem der wichtigsten Durchgangslager für jüdische DPs aus Osteuropa. Weitere kleinere Lager oder Wohneinheiten gab es im 17. Bezirk in der Arzbergergasse, am Rupertplatz und in der Pezzlgasse und im 9. Bezirk in der Alserbachstraße und in der Frankgasse. Alle lagen sie im Sektor der amerikanischen Besatzungsmacht.

Einrichtung und Betrieb der Lager lagen bei den Allierten und der „Nothilfe- und Wiederaufbauorganisationen der Vereinten Nationen“, der UNRRA und ihrer Nachfolgeorganisation der IRO (International Refugee Organisation). Die jüdischen DPs wurden zusätzlich von jüdischen Hilfsorganisationen wie dem „American Jewish Joint Distribution Committee“ unterstützt. Im Vordergrund standen die Unterbringung und materielle Versorgung der Überlebenden. Man versuchte aber auch eine Infrastruktur aufzubauen, die sich sowohl um die unmittelbaren materiellen Bedürfnisse wie Nahrung und Kleidung, aber auch um Erziehung und kulturelle, religiöse und organisatorische Angelegenheiten kümmerte. Im Rahmen des Hilfsprogramms für die DPs wurden Nahrung, Medizin, Kleidung, Werkzeug, Bücher und religiöse Materialien wie Thora-Rollen und Gebetsbücher in die Camps geliefert. Der Joint vertrat die Bewohner der Camps auch in rechtlichen Angelegenheiten gegenüber Militär- und Zivilbehörden.

Eine Konserve mit Frühstückskakao und ein Foto von den jüdischen Flüchtlingen im Rothschildspital sind die einzigen Artefakte aus der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Sammlung des Wien Museums, die den Alltag der DPs dokumentieren. Es handelt sich um absolute Raritäten, da beim Sammeln von Materialien der Nachkriegszeit meist Besatzung und Wiederaufbau im Vordergrund standen. Die Flüchtlinge wollte man schnellstens wieder loswerden, und sie hatten daher auch in den seltensten Fällen Platz in den Gedächtnisinstitutionen des Landes.

Literatur:

Thomas Albrich (Hg.); Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945, Innsbruck 1998.

Thomas Albrich; Fremd und jüdisch. Die osteuropäischen Überlebenden des Holocaust – erste Projektionsziele des Nachkriegsantisemitismus, in: Heinz P. Wassermann (Hg.); Antisemitismus in Österreich nach 1945. Ergebnisse, Positionen, Perspektiven der Forschung, Innsbruck 2002.

Felicitas Heimann-Jelinek (Hg.); Jetzt ist er bös, der Tennenbaum. Die Zweite Republik und ihre Juden. Wien 2005.

Hanno Loewy; Der Wald, der Berg, der Schnee und das Meer. Der „Exodus“ der DPs durch die Krimmler Tauern 1947, in Hanno Loewy, Gerhard Milchram (Hg.); Hast Du meine Alpen gesehen? Eine jüdische Beziehungsgeschichte, Hohenems 2009.

Christine Oertel; Wien: Tor zur Freiheit? Die Bricha und das Rothschildspital, in: Thomas Albrich (Hg.); Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945, Innsbruck 1998

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck, ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997 – 2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien. Seit 2011 Kurator im Wien Museum.

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Kommentare

Redaktion

Sehr geehrter Herr Uhlir,
vielen Dank für den Hinweis - da haben Sie natürlich recht! Wir haben das sofort korrigiert. Beste Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)

Peter Uhlir

Sehr geehrte Mitarbeiter vom Wien Museum/Magazin! (30.9.2020)
Beim Thema Displaced Persons/Ein Kakao für Leib und Seele Ist offensichtlich ein Fehler passiert!

Vizekanzler Schärf von der ÖVP wiederum behauptete, „durch die Juden wurden ganze Gegenden Österreichs ruiniert“.
Vizekanzler Schärf war von der Sozialistischen Partei SPÖ!

Mit freundlichen Grüßen
Peter Uhlir