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Elke Doppler, 17.4.2024

Ein lange verschollenes Meisterwerk von Carlo Maratta

Bathsebas Comeback

Bis vor wenigen Jahren galt Carlo Marattas Gemälde „Bathseba im Bade“ als verschollen. Dann tauchte das Meisterwerk des römischen Barockmalers anlässlich der Übersiedelung der Sammlung des Wien Museums ins neue Depot auf. Zur Geschichte eines Sensationsfundes, der noch bis 28. April in der Fischer von Erlach-Ausstellung zu sehen ist.

Kunstwerke nehmen oft verschlungene Wege. Sie werden gekauft oder beauftragt, wiederverkauft, vererbt oder verschenkt. Sie finden ein mehr oder weniger dauerhaftes Heim in privaten Haushalten oder Sammlungen oder eine – meist ständige – Unterkunft in Museen. Manchmal befinden sie sich – meist temporär – bei Kunsthändler:innen oder in Auktionshäusern. Sie werden öffentlich oder privat präsentiert oder in einer Depotsituation verwahrt. Sie sind Teil einer familiären oder öffentlichen Erinnerungskultur, werden publiziert und beschrieben, oder aber sie geraten in Vergessenheit. Die einem Kunstwerk zugemessene Bedeutung kann durch ein verändertes Umfeld völlig neu definiert werden, etwa wenn ein Museumsbild verkauft und vergessen wird oder ein verschollen geglaubtes Gemälde wiederentdeckt und ausgestellt. Ein solcher „Fall“ ist Carlo Marattas Gemälde „Bathseba im Bade“ in der Sammlung des Wien Museums, das derzeit in der Ausstellung zu Johann Bernhard Fischer von Erlach zu sehen ist.

Bei vorbereitenden Arbeiten für die 2013/14 erfolgte Übersiedlung der Gemäldesammlung in das neu errichtete Museumsdepot in Himberg fand sich in der Datenbank ein nicht näher beschriebenes Gemälde mit der – falschen – Inventarnummer 87.303. Diese Inventarnummer trägt eigentlich das Objekt „Eintrittskarte zum Gschnasball am 24. Februar 1868“ der damaligen „Genossenschaft der Bildenden Künstler Wiens“ im Künstlerhaus. Das bei dem Datensatz befindliche Foto eines in der Rahmenkartusche mit „C. Maratti“ beschrifteten, offensichtlich sehr qualitätsvollen, großformatigen Gemäldes einer „Bathseba im Bade“ machte neugierig. Zu sehen ist eine im Alten Testament (II Sam.11) überlieferte Begebenheit: König David beobachtete und begehrte die schöne Bathseba, Gattin des Uria, beim Bade.

Recherchen in den diversen Inventarverzeichnissen und Künstlerkarteien blieben zunächst erfolglos. Erst eine vom damals zuständigen Kurator Peter Pötschner in den 1960er Jahren angelegte Gemälde-Kartei offenbarte Erstaunliches: Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich um ein spätes Hauptwerk des in Rom tätigen Künstlers Carlo Maratta (1625-1713). Es hatte sich bis 1920 in der Sammlung der Fürsten Liechtenstein befunden und galt in der Fachliteratur bis vor wenigen Jahren als verschollen.

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Die Biografie des zuletzt jahrzehntelang unbeachtet im Depot unseres Museums gelagerten Gemäldes war also sehr bewegt: Es war kurz vor 1700 von dem damals einflussreichsten Maler Roms für Fürst Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein, einen der bedeutendsten Mäzene Wiens, als repräsentatives Auftragswerk hergestellt worden. 

Fürstliche Repräsentation und Sammellust

Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein (1657-1712) war in den 1690er Jahren mit ehrgeizigen Bauvorhaben beschäftigt: Auf einem großen Gartengrundstück in der Rossau ließ er einen „Stadtpalast im Grünen“ errichten, das heutige Gartenpalais Liechtenstein. 1694 unterzeichnete er zudem den Kaufvertrag für den gerade im Bau befindlichen Palast in der Bankgasse, das heutige Stadtpalais, in dessen Fertigstellung er ebenfalls Unsummen investierte. Zudem besaß er noch das – heute nicht mehr existierende – Majoratsgebäude in der Herrengasse. Johann Adams ehrgeiziges Ziel war, die besten Künstler für die Ausstattung seiner Palais und die Vermehrung der fürstlichen Sammlungen zu gewinnen. Er kaufte und beauftragte im großen Stil. Um 1690 plante der Fürst, einen Galerieraum mit Gemälden der „vornembsten mahlern in Wälschlandt“ auszustatten. Auch ein Bild Carlo Marattas sollte in dem Ensemble der aktuellsten und hochkarätigsten zeitgenössischen Kunst Italiens vertreten sein. Für welches Palais die auch in den Formaten aufeinander abgestimmte Bilder-Gruppe ursprünglich gedacht war, ist nicht überliefert.  Im ersten, allerdings erst 1767 erschienenen, Galeriekatalog von Vincenzo Fanti wird die Bathseba jedenfalls als Teil der Liechtensteinschen Bildergalerie im zweiten Stock des Palais in der Bankgasse beschrieben. 1810 übersiedelte es, wie alle anderen Bilder, in das Gartenpalais in der Rossau.

Für einen Fürsten war es eine Notwendigkeit, mittels kostspieliger Kunstankäufe oder – aufträge seine gesellschaftliche Vorrangstellung zu verdeutlichen. Sammeln und Beauftragen exklusiver Kunst war Alleinstellungsmerkmal des Adels und wichtiger Teil der fürstlichen Repräsentationsstrategie. Erlesener Kunstgeschmack diente zur sozialen Distinktion: Die im Liechtensteinischen Hausarchiv erhaltene Korrespondenz zum Auftrag über „Bathseba im Bade“ verdeutlicht diese damit verbundenen Interessen des Mäzens. Nach Vorlage einer Werkskizze durch Maratta verlangte der kunsterfahrene Fürst von diesem noch mehr Erfindungsgabe und Originalität des Entwurfs. Da dem vielbeschäftigten Künstler der Ruf vorauseilte, die Ausführung seiner Gemälde oft an Werkstattmitarbeiter zu delegieren, mahnte Johann Adam auch die Eigenhändigkeit der Ausführung ein – allenfalls dann würde er sich den hohen Honorarforderungen des Künstlers annähern. 

Maratta wiederum erreichte durch die bekannt stattlichen Preise, die er für seine Gemälde verlangte und auch erzielte, die Aufwertung seines Berufsstandes. Er wurde damit vorbildhaft für das künstlerische und unternehmerische Selbstverständnis der römischen Künstlerschaft. Als Verhandler und Vermittler in Rom fungierte Adam Andreas‘ Cousin Fürst Anton Florian von Liechtenstein. Im November 1691 einigte man sich schließlich vertraglich. Der Fürst hatte sein Angebot verbessert und der Künstler versprach die eigenhändige Fertigstellung des Gemäldes noch im selben Winter. Doch es kam zu Verzögerungen „wögen allzu iberlauffer angenumbener arbeith“. Maratta hatte schlichtweg zu viele Aufträge angenommen. Wann der Fürst das fertige Bild dann tatsächlich erhalten hat, ist quellenmäßig nicht erfasst. Abschließende Honorarzahlungen erfolgten jedenfalls im April 1695.

Verbreitung durch Bild und Wort

Das Gemälde wurde zum Auftraggeber nach Wien geschickt, doch der Maler kümmerte sich noch darum, es einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Kaum ein Künstler zuvor ließ so konsequent Stiche von seinen Werken drucken. Robert van Audenaerde, Marattas Malerschüler und darüber hinaus Kupferstecher seines Vertrauens, fertigte den Kupferstich an.

Generell fand das Gemälde eine große Nachfolge in Form von Stichen, auch dies Indikator für das große öffentliche Interesse daran. Der Kunstheoretiker Giovanni Pietro Bellori, Marattas erster Biograph und enger Freund des Künstlers beschrieb das Gemälde ausführlich in dessen Vita. Sie gilt als die zentrale Quelle für Marattas Leben und Werk bis 1695, wurde allerdings erst 1731 posthum gedruckt. Bathseba im Bade fand so Eingang in die prominenteste Kunstgeschichtsschreibung der Zeit. Bellori war es auch, der auf eine künstlerische Vorliebe des Malers hinwies, die bei unserem Gemälde sehr auffällig umgesetzt wurde: Maratta zufolge sei die kunstvolle Draperie als besonderer Ausweis künstlerischer Virtuosität anzusehen. Da er kein natürliches Vorbild habe, sei der Faltenwurf des Gewandes sogar schwieriger zu malen als der nackte Körper.
 

Verkauft für das hungernde Volk?

Nach dem Ersten Weltkrieg wendete sich das Schicksal des Gemäldes: im Juni 1920 wurde es gemeinsam mit 24 anderen Bildern der Antiquitätenhandlung J. Glückselig & Sohn, Wien I., Stallburggasse Nr. 2 zum Verkauf anvertraut. Die Nachricht von den Kunstverkäufen der Sammlung Liechtenstein verbreitete sich, selbst in der Presse spekulierte man über die Gründe. Vor allem von der Tilgung von Lebensmittelschulden und der Beschaffung von Nahrung für die Bevölkerung des Fürstentums Liechtenstein war die Rede. Heute wird hingegen eher die Prüderie und komplexe Persönlichkeit des damals regierenden Fürsten Johann II. von Liechtenstein als möglicher Grund für den konkreten Verkauf der Bathseba angeführt: bei seinen Bemühungen um eine Reorganisation der fürstlichen Sammlungen soll er vor allem viele Bilder mit nackten Frauen und seiner Meinung nach unschicklichen Inhalten entfernt haben. Ironie des Schicksals, dass das Gemälde der nur wenig verhüllten Bathseba im Bade letztlich genau in jenem Museum landete, dem ebendieser Fürst mit seiner Schenkung von Alt-Wiener Malerei vorbildhafte und lehrreiche Kunst für das bürgerliche Publikum vermacht hatte.

Vermächtnis an die Stadt Wien

Doch zunächst gelangte die Bathseba in den Besitz von Max Schmidt. Max Schmidt (1861–1935) Möbelfabrikant und Mäzen, war auch einer der wichtigsten Antiquitätenhändler Europas. Er kaufte Gemälde und Schlosseinrichtungen im großen Stil und stattete damit die Paläste von Aristokratie und Finanzadel aus. 1920 erwarb der „fashionable Innendekorateur der Hocharistokratie“ das Pötzleinsdorfer Schloss im 18. Bezirk, in dessen Innenräumen er dekorative Teile von anderen Palästen anbringen ließ, darunter „riesige altitalienische Gemälde, große Vasen und wuchtige echte Möbel verschiedener Epochen“, wie die Neue Freie Presse am 3. April 1935 berichtete.

Das Schloss diente Schmidt nie als Wohnsitz, sondern war wohl von ihm als eine Art Museum mit öffentlicher Schaustellung gedacht. Unsere Bathseba wurde jedenfalls nie weiterverkauft, sondern war nach Schmidts Tod am 1. April 1935 Teil seines Vermächtnisses an die Stadt Wien. Denn 1934 hatte Schmidt das Pötzleinsdorfer Schloss und das ebenfalls in seinem Besitz befindliche Hernalser Schlössl samt Inventar testamentarisch der Gemeinde Wien vermacht. Bedingung war, dass die Stadt den Schlosspark als öffentlich zugänglichen Park erhält, eine Nutzung der Immobilien als Wohltätigkeitsanstalten verbat er sich ausdrücklich.

Max Schmidts Legat war Stadtgespräch und zog auch einen unschönen Rechtsstreit mit Schmidts jüngerem Bruder Carl Leo nach sich, samt Vorwurf, das Testament wäre in geistiger Umnachtung verfasst worden. Der Streit wurde erst 1939 zugunsten der Gemeinde beigelegt, das Schloss blieb daher von April 1935 bis Januar 1940 versiegelt. Eine Fotoserie vom August 1937 zeigt die Säle noch unverändert. Erst vor der 1951 erfolgten Renovierung dürften die Objekte aus dem Schloss Pötzleinsdorf entfernt worden sein.  

Vergessen und wiedergefunden im Depot

Damit begann die Geschichte des Bildes in den Depots der städtischen Sammlungen. Wohl wurden die Bestände aus Pötzleinsdorf noch 1935 in situ katalogisiert und in Listen erfasst – allerdings auch nach Beilegung des Rechtsstreits zu einem großen Teil nicht inventarisiert. Wohl deshalb, weil die Sammlung internationaler Kunst mehrheitlich einfach nicht in das Sammlungsprofil des Wiener Stadtmuseums passte. Weil „auch wertvollere Gegenstände nicht das Geringste mit der Stadt Wien und ihrer Geschichte zu tun haben“ erwirkte die Direktion 1951 sogar einen Gemeinderatsbeschluss, der „Verkauf, Tausch, Abgabe oder Skartierung“ von Teilen der Sammlung erlaubte. Bathseba blieb im Depot, erhielt aber selbst als der zuständige Kurator 1964 seine Provenienz recherchierte, keine Inventarnummer. Ab 1974 befand sich das Gemälde im Museumsdepot in der Koberweingasse neben anderen völlig unzugänglich gelagerten, großformatigen Gemälden und geriet wieder in Vergessenheit. Erst die Übersiedlung ins neue Depot Himberg ermöglichte den sensationellen Fund. Der vorläufig letzte Akt in der wechselvollen Geschichte von Marattas Bathseba im Bade erfolgte durch eine 2023 erfolgte sorgfältige Restaurierung und die anschließende Präsentation des Gemäldes als Highlight in der aktuellen Ausstellung „Fischer von Erlach. Entwurf einer historischen Architektur“, die dem Kunstwerk endlich die verdiente und lange verwehrte öffentliche Aufmerksamkeit wiedergibt.  

Die Fischer von Erlach-Ausstellung mit dem Maratta-Gemälde ist noch bis 28. April 2024 zu sehen. Nähere Informationen hier.

 

Literatur:

Aktenarchiv Wien Museum, Pötzleinsdorf-Inventar von 1935

Bellori, Giovan Pietro: Le Vite de‘ pittori, scultori e architetti moderni, a cura die Evelina Borea, Turin 1976, S. 650.

Doppler, Elke: Das Depot schreibt mit. Eine angewandte Sammlungsgeschichte des Wien Museums, in: Gudrun Ratzinger (Hg.): Depot Neu. Die Sammlung des Wien Museums zieht um, Wien 2015, S. 143.

Fanti, Vincenzio:  Descrizzione completa di tutto ciò che ritrovasi nella Galleria di Pittura e Scultura die sua altezza Giuseppe Wenceslao del S. R. I. Principe Regnante della casa di Lichtenstein, Wien 1767, S. 82.

Haupt, Herbert: Johann Adam von Liechtenstein. „Ein liebhaber der gemähl und virtuosen…“. Fürst Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein (1657-1712). (= Quellen und Studien zur Geschichte des Fürstenhauses Liechtenstein Bd. 3/2), Wien-Köln-Weimar 2012, S. 219/220 (Nr. 2121), S. 520/521 (Nr. 2599), S. 527 (Nr. 2612), S. 533 (Nr. 2620), S. 534 (Nr. 2621), S. 605 (Nr. 2732), S. 661 (Nr. 2871).

Leps, Sabrina: „un virtuoso legame d‘ amicizia“. Eine Studie zum Verhältnis von Malerei und Kunstliteratur im römischen Seicento am Beispiel von Carlo Maratta und Giovan Pietro Bellori, Berlin, Freie Univ., Diss., 2010.

Leps, Sabrina: "Maratti, Carlo". Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank - Online, edited by Andreas Beyer, Bénédicte Savoy and Wolf Tegethoff. Berlin, New York: K. G. Saur, 2021. https://www.degruyter.com/database/AKL/entry/_00093315T/html. Accessed 2024-03-20.

Mayer, Gernot: Sammeln, um zu zeigen: Das Stadtpalais Liechtenstein als Galeriegebäude, in: Stephan Koja (Hg.): Herkules der Künste. Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700, Ausstellungskatalog München 2024, S. 103-119.

Prohaska, Wolfgang: A late Maratti painting refound, in: Sibylle Ebert-Schifferer und Simonetta Prosperi Valenti Rodinò (Hg.): Carlo Maratti e la sua fortuna, Rom 2016, S. 75-80.

Röttgen, Steffi: Guido Reni und die römische Malerei im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ebert-Schifferer, Sibylle, Emiliani, Andrea und Schleier, Erich (Hg.): Guido Reni und Europa. Ruhm und Nachruhm, Ausstellungskatalog Frankfurt/Main u.a. 1988, S. 119.

Rostás, Péter: Der Nachlass des Miksa Schmidt (Rezümé), in: Èva Horányi (Hg.): Egy közép-európai vállalkozó Budapesten. Schmidt Miksa bútorgyáros magyarországi tevékenysége és hagyatéka (Ausstellungskatalog Budapesti Történeti Múzeum Kiscelli), Budapest 2001, S. 243-248.

„Was ist in der Liechtenstein-Galerie vorgegangen?“, in: Illustriertes Wiener Extrablatt 26.- September 1920, S. 3; „Die Stadt Wien als Erbin“, in: Neue Freie Presse 3. April 1935, S. 5; „Das Testament Max Schmidts“, in: Neue Freie Presse vom 8. Mai 1935, S. 5. (alle ANNO/ÖNB)

Elke Doppler, Studium der Kunstgeschichte und Publizistik in Wien und Berlin. Seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin im Department Kunst des Wien Museums. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: österreichische Kunstgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Geschichte und Theorie der Porträtmalerei und des Künstlerporträts, Vedutenmalerei und Stadtbilder und Geschichte des Wien Museums und seiner Sammlungen.

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