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Thomas Keplinger, 12.11.2023

Einwölbung der Bäche und Flüsse von Wien

Die speziellen Alserbachforellen

Bis ins 19. Jahrhundert rauschten Bäche aus dem Wienerwald in offenen Betten durch die Stadt. Ihr Wasser trieb die Räder der Mühlen an, sie dienten der Reinigung, spülten Unrat hinweg und veranlassten Künstler zu romantischen Kompositionen. Aus hygienischen Gründen und um Überschwemmungen zu vermeiden, wölbte das Stadtbauamt die Bäche und Flüsse ein.

Die Geschichte der Wiener Bäche beschreibt ihren funktionalen Werdegang vom Segen zum Fluch. Jahrhundertelang prägten sie das Landschafts- und Stadtbild, dienten der Bewässerung der Felder, dem Antrieb der Mühlen und Maschinen oder dem Waschen der Wäsche. Mit der Zeit landete in den Bächen aber sämtlicher Unrat, Fäkalien und tote Tiere, deren Kadaver verrotteten. So wandelten sich diese Gewässer zu stinkenden Seuchenherden, vor allem bei niedrigen Pegelständen im Sommer.

Ausbrüche von Krankheiten wie etwa der Cholera, deren erste Wellen zwischen 1831 und 1836 die Wienerinnen und Wiener in Schrecken versetzten, mündeten in der Einsicht, das potenziell todbringende Nass zur Vermeidung weiterer Epidemien einwölben zu müssen. Als die Vororte wie etwa Währing, Hernals oder Lainz kanalisiert wurden, errichtete das Stadtbauamt keine Sammelkanäle, sondern verwendete für diese Funktion die unterirdisch fließenden Bäche, die die Fäkal- und Regenwässer in den Wienfluss oder den Donaukanal schwemmten.

Schon 1832 und 1833 entstanden die sogenannten Cholerakanäle entlang des linken und des rechten Wienflussufers. Sie hatten die Aufgabe, das Wasser der direkt in den Wienfluss mündenden Kanäle in sich zu bündeln und in den Donaukanal abzuleiten.

Kurz darauf begannen die Bauarbeiten zur Herstellung der Bachkanäle. Ab 1837 erfolgte die Einwölbung des Ottakringer Bachs innerhalb des Linienwalls (des heutigen Gürtels). 1840 waren die Arbeiten abgeschlossen. Nachdem auch der Alsbach schon 1830 so verschmutzt war, dass sämtliche Fische in ihm starben und die volkstümlich sogenannten Alserbachforellen (Ratten) sie ersetzten, erfolgte seine Einwölbung zwischen 1840 und 1846 ebenfalls innerhalb des Linienwalls. Bis 1850 dauerte die erste Welle dieses Bauprogramms, in dessen Zuge das Stadtbauamt neben den oben erwähnten Maßnahmen den Währingerbach, den Rossauer Schmidtgraben und den Döblinger Bach in kontrollierbare Wasserläufe umwandelte.
 

Die zweite Bauwelle

Die Probleme hygienischer Art wurden durch diese Baumaßnahmen zwar eingedämmt, Katastrophen geschahen dennoch. Ende Jänner 1862 verursachte plötzliches Tauwetter im Wienerwald massiv erhöhte Wasserführung in den Kanälen. Ein vorgeschädigter Bereich im Gewölbe des Ottakringer Bachs unterhalb der damaligen Rofranogasse (heute Lerchenfelder Straße) stürzte zwischen Strozzi- und Myrthengasse infolge der Überbelastung ein. Durch den blockierten Kanal unterschwemmte das Wasser die Straße und die Gehsteige in diesem Bereich, sodass diese großflächig in den Fluten versanken. Das Wasser stieg immer weiter aus dem Kanal empor, bis die Höfe der im siebten Bezirk angrenzenden Häuser völlig unter Wasser standen. In deren ebenerdigen Räumen reichte das Wasser bis zur Decke. Das Fremden-Blatt vom 2. Februar 1862 berichtete:

„Die Kommunikation im Innern der Häuser wurde durch Kähne unterhalten, auch sind theilweise Treppen gelegt worden. In den Hofräumen schwammen Handwägen, Thüren und verschiedene Hausgeräthe umher, und viele Habseligkeiten der Parteien wurden in Kähnen weggeführt.“

Nur durch rasche Sicherungsmaßnahmen konnte ein Einsturz dieser Häuser verhindert werden. Über 200 Bewohner wurden evakuiert und in Ersatzwohnungen untergebracht. Das Stadtbauamt zog die Konsequenzen und leitete den Kanal um:

Zur Beseitigung ähnlicher Katastrofen wie jene im Februar soll die alte Trace des Ottakringer Baches bei der Spindlergasse [heute Döblergasse], wo er durch die Häuser geht, aufgelassen und für die Zukunft längs der Rofranogasse geführt werden.“

Später stellte man bei drei der vier am schlimmsten betroffenen Häuser schwere Schäden fest, die zu ihrem Abriss führten.

1872 inspizierte eine Sanitätskommission der k.k. niederösterreichischen Statthalterei den Alsbach und den Währinger Bach. Ein grauenvolles Bild muss sich ihnen geboten haben:

In den Alsbach, welcher namentlich in Hernals ein Bild der Verwahrlosung und Unreinlichkeit bietet, münden die Kanäle der stark bevölkerten Orte Hernals, Währing und eines Theiles von Ottakring und wird derselbe, wenngleich unbefugt, auch zur Ablagerung der verschiedenartigsten Abfälle benützt, so daß er ein offener Unrathskanal genannt werden kann und für die Bewohner der angebauten Häuser und selbst auf weitere Entfernungen in sanitärer Beziehung schädlich erscheint.“

Die Kommission empfahl, den Bach möglichst rasch einzuwölben.

Der Währinger Bach war zwar geringfügig weniger verschmutzt, doch auch für ihn empfahl die Kommission die Einwölbung von Gersthof bis zum Gürtel. Als Sofortmaßnahme wurden unter anderem Dornbacher Teiche abgelassen, deren Wasser das verschmutzte Bachbett der Als durchspülte. Die Ufer wurden gereinigt und der Wasenmeister entfernte die Kadaver der in den Bach geworfenen toten Tiere.

1877 war es auch für den Nesselbach so weit. Die damals noch eigenständige Gemeinde Heiligenstadt überwölbte den Bach in ihrem Zuständigkeitsbereich:

Dieser Nesselbach, welcher noch weit ärgere und gefährlichere Düfte verbreitet als die Wien, schleicht schon durch Grinzing und beglückt die Nasen der zahlreichen Sommerfrischler mit seinen aromatischen Düften, die durch die Brauhausjauche noch vermehrt werden. Bemerkenswerth bleibt es, daß die Hausbesitzer auf einer kurzen Strecke in Grinzing dazu verhalten wurden, diesen Bach einzuwölben; nur das Pfarrhaus und das Brauhaus, vor welchen Gebäuden die Einwölbung am nothwendigsten wäre, blieben von diesem kategorischen Imperativ verschont.“

Nachdem 1890 die Vororte nach Wien eingemeindet wurden, kümmerte sich das Stadtbauamt auch außerhalb des Gürtels um die Einwölbungsarbeiten. Diese zweite Bauwelle dauerte etwa 13 Jahre, womit bis 1903 der wichtigste und größte Teil dieses Bauprogramms sein Ende fand. Elf Bachkanäle führen seither die Abwässer eines großen Teils des Wiener Stadtgebiets ab. In den rechten Hauptsammelkanal entlang des Donaukanals münden der Schreiberbach, der Nesselbach, der Erbsenbach (Arbesbach), der Krottenbach, der Währinger Bach und der Alsbach. Der linke Wienflusssammelkanal nimmt die Wässer des Ottakringer Bachs, des Ameis- und des Rosenbachs auf, der rechte Wienflusssammelkanal den Lainzer Bach und den Marienbach.

Die letzten Überwölbungen der Wiener Bäche fanden erst in der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre statt. Das betraf etwa den Erbsenbach, der 1954 und 1955 zwischen Sieveringer Straße 83 und 175 eingewölbt wurde, aber auch den Liesingbach, dessen Regulierung zwar schon 1939 begann, aber erst 1977 abgeschlossen war. Im Zuge der Bauarbeiten wurden Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre Teilabschnitte in Liesing und Atzgersdorf überwölbt.

Der Wienfluss

Etwa zeitgleich mit der zweiten Bauwelle der Bacheinwölbungen widmete sich das Stadtbauamt der Regulierung des Wienflusses zwischen 1894 und 1904. Die Gründe dafür bestanden ebenfalls in der Vermeidung von Überschwemmungskatastrophen und der Schaffung einer sanitär kontrollierbaren Umgebung. Mithilfe mehrerer Rückhaltebecken am Mauerbach und dessen Einmündung in den Wienfluss wurde dieses Ziel erreicht.

Im Frühling 1898 begann die Einwölbung mit dem Aufbau eines Probegerüstes im Bereich der einstigen Tegetthoffbrücke, die im Straßenverlauf der Johannesgasse eine Verbindung zum Heumarkt darstellte. Auf einer Strecke von 25 Metern bauten die Arbeiter aus Lärchen-, Kiefern- und Eichenholz ein Gerüst, dessen Bogen eine Weite von maximal 21 Metern überspannte und eine Höhe von 4,9 Meter aufwies. Nachdem die Maurer probeweise das Gewölbe gemauert hatten, betrugen die Hebungen und Senkungen des Gerüstes nur zwischen 9 und 24 Millimeter, womit es den Test bestanden hatte. Auf den ersten 30 Metern erfolgte die Ausführung des Gewölbes in einer Kombination aus Ziegelmauerwerk und Klinkern, während die restliche Überwölbung mit Portlandzementbeton gebaut wurde. Die Höhe der Überwölbung belief sich an seiner höchsten Stelle in der Mitte des Flusslaufs auf 8,60 Meter, die Weite auf 21 Meter.

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Zur Kühlung?

Die Sommer werden bekanntlich zunehmend heißer und trockener. Innovative Lösungen, den Folgen des Klimawandels in der Stadt zu begegnen, sind gefragt. Das betrifft auch die eingewölbten Bäche und den Wienfluss. Die Wiederöffnung der in den Untergrund verbannten Fließgewässer könnte in Kombination mit Schatten spendenden Bäumen für spürbar kühleres Empfinden der Lufttemperatur sorgen. Fließende Bäche durch die Stadt ließen Hitzeinseln, die sich alljährlich im Sommer an versiegelten baumlosen Orten bilden, gar nicht erst entstehen. Dank der Fähigkeit des Wassers, Wärme zu speichern, vermögen offene Bäche die extrem hohen Temperaturen, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind, in ihrer direkten Umgebung abzumildern.

So weit die Theorie. In der Praxis stehen diesen wunderbaren Gedanken Tatsachen entgegen, die nicht so einfach zu lösen sind, denn die meisten Flächen, unter denen die Bäche fließen, stehen oberirdisch in Verwendung. Einen überwölbten Bach in dicht besiedeltem Gebiet zu öffnen, ist schwierig, weil dadurch viel öffentlicher (Verkehrs-)Raum verloren geht. Eine weitere Erschwernis, die gegen die oberirdische Führung der Bäche spricht, ist die Tatsache, dass sie seit etwa 100 bis 150 Jahren integraler Bestandteil der Wiener Kanalisation sind. Flössen die Bäche wieder an der Oberfläche, so müssten sie dennoch weiterhin die Abwässer ableiten, weil ihre entwässernde Kraft im Kanalnetz ansonsten fehlen würde. Ob dies allerdings noch mit der idyllischen Vision der erfrischenden Fließgewässer in Einklang zu bringen ist, erscheint fraglich.

 

Literaturhinweis:

Christian Gantner, Vom Bach zum Bachkanal (Wien 2008)

 

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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