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Sonja Gruber, 21.9.2020

Eis in der zeitgenössischen Kunst

Kühle Vergänglichkeit

Ob im Becher oder im Stanitzel: Eis steht in der zeitgenössischen Kunst für Genuss und Konsum, aber auch für die Melancholie des Augenblicks. Ein Geschmackserlebnis zum Ende der Eissaison – mit Kostproben aus unserer Sammlung.

Ein banales Eisstanitzel im Museum und dann noch dazu im renommierten Museum of Modern Art in New York! 2004 war es in der Ausstellung „Humble Masterpieces“ zu sehen, denn für die Kuratorin Paola Antonelli gehört das Stanitzel ebenso zu jenen unbeachteten, aber sehenswerten Gegenständen des Alltags wie etwa der Teebeutel oder das Post-It.  Aber ist in dieser Reihe ein Eisstanitzel, datiert auf 1896 (in diesem Jahr erfand Italo Marchioni eine Maschine zur Herstellung von Eiswaffeln), nicht fehl am Platz? Einem Eis schenkt man seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Es ist Vorfreude und Belohnung, es ist kalt, kühlt,  pickt und rinnt, verführt, es schmeckt, es schmilzt — und: es ist vergänglich.

Eisbecher am Schwedenplatz

An heißen Sommertagen darf man in Wien keine Diskussion darüber anzetteln, wo es das beste Eis gibt – am Reumannplatz, auf der Mariahilfer Straße oder doch in den Tuchlauben? Für den Maler Jorg Hartig (1932-2019) hat sich die Frage nie gestellt, lagen doch Wohnung und Atelier direkt am Schwedenplatz. Hier saß er also an heißen Sommertagen und hat genüsslich sein Eis geschleckt. Noch mehr Freude hat es ihm allerdings bereitet, den Kindern dabei zuzusehen, wenn sie nach dem Genuss die leeren Eisbecher mit allergrößtem Vergnügen zertreten haben. 1975/1976 malte er diese deformierten, flachgepressten Gebilde auf nahezu zwei Meter breite Leinwände. Markant rot-weiß gestreift, nehmen sie die Fläche ein, Reste des bereits geschmolzenen Eises rinnen aus ihnen heraus, dynamisch mit breitem Pinsel gemalt. Der Genuss ist vorbei. Die leeren Becher werden zu „Eisbechermüll“ (1975), gar zu einem „Eisbechermüll Straßenmonument“ (1976).

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Bereits auf ein Bildmotiv fokussiert, aber weniger monumental, malte Jorg Hartig schon Mitte der 1960er Jahre Eisbecher. Als einer der ersten in Österreich entdeckte er Acryl als Malmaterial. Die schnell trocknenden Farben ermöglichen ihm ein fließenderes Übereinanderlegen der Farben und ein zügiges Arbeiten. Diese Geschwindigkeit überträgt Hartig in den „Eisbecher fallend“ (1966). Das Eis ist aufgeschleckt, was bleibt, ist der abstrakt reduzierte „Himbeereisbecher“ (1966), die bunten Farben sind ein Statement.

Aktuell zeigt die Albertina modern in ihrer Eröffnungsausstellung zwei dieser Bilder aus der Sammlung des Wien Museums, poppig präsentiert auf gelben Wänden. Der Fokus auf das Sujet Eisbecher bringt Hartig in die Nähe der Pop Art, wird sie doch unter anderem über die Wahl eines meist überdimensionierten Motivs aus dem Alltag, der Konsumwelt und über eine fotorealistische Abbildung definiert. Der amerikanische Künstler Claes Oldenburg, ein die Pop Art maßgeblich prägender Künstler, legte 1962 eine überdimensionierte Eiswaffel aus Stoff in eine New Yorker Galerie (heute im MoMa) und seit 2001 ziert sein riesiges umgekipptes Eis ein Hochhaus in Köln. Hartig und Oldenburg zeigen beide keine coole, distanzierte Sicht auf die Alltagskultur, sondern lassen den Eisbecher, das Stanitzel als „Füllhorn des Konsumismus“ und als Zeichen der Vergänglichkeit sprechen.

Im Kontext der Personale von Jorg Hartig im MUSA 2017 konnten einige seiner Gemälde genauer unter die Lupe genommen werden: Neben seiner Rolle als Pionier der österreichischen Acrylmalerei kam dank der Untersuchungen der Restauratorinnen Christa Haiml, Gerda Kaltenbrunner und Anke Schäning seine Lust am Experimentieren zum Vorschein. So wecken seine Eisbecher nicht nur die Illusion eines zerknitterten Materials, tatsächlich „arbeitete Hartig auf dünnem, weißen Zeichenkarton, den er auf eine grundierte Leinwand kaschierte. […] Durch lokales Knittern erzeugte er reliefartige Strukturen, die dann aus verschiedenen Positionen mit schwarzer Farbe besprüht wurden. Nach anschließender, vollständiger Glättung der Papierfläche vermitteln derartig bearbeitete Bereiche die Illusion von Reliefstrukturen, die zuweilen fotografische Anmutungen erzeugen.“ 

Aber waren wir nicht beim süßen, kühlen Genuss? Was wäre ein Rückblick in die Kindheit ohne die Erinnerung an die heißgeliebten Eissorten wie „Twinni“, „Jolly“ und „Paiper“? Letztgenanntes Schleckeis kehrte dank einer Nostalgiewelle, ausgelöst durch das Buch „Wickie, Slime und Paiper“, sogar wieder auf die Eskimo-Eiskarte zurück. 

Maja Vukoje hat sie 2016 porträtiert: In einer Serie von Gemälden malt sie „Dolomiti“ und andere vertraute „Eisklassiker“ auf einen ungewöhnlichen Bildträger: grobe Jute. Man erkennt augenblicklich die Sorte – trotz der flachen Darstellung und des Verzichts auf den obligatorischen Holzstiel. Vukoje rückt das Objekthafte zentral in den Vordergrund. Der Autor Chris Sharp attestiert in einem Text über die Serie den Bildelementen einen „Beigeschmack eines Déjà-vu bis hin zu dessen Fetischierung“ – ein typisches Prinzip der Pop Art. Maja Vukoje belässt es aber nicht bei dieser offensichtlichen Anleihe, sondern appliziert zusätzlich Zucker auf die Acrylschicht. Das süße Genussmittel bekommt eine kristalline Oberfläche und lädt so das Bild zusammen mit dem Malgrund (ein Sack für den Transport von Kaffeebohnen) metaphorisch auf. War bei Jorg Hartig die Kritik am Konsum und seinen Folgen offensichtlich durch Sujet und Titel gegeben, so verbinden sich bei Maja Vukoje durch die materielle Einbeziehung von Kaffee und Zucker – ikonische Waren des kolonialen Profithandels – Form und Inhalt in der Darstellung des kühlen Genussmittels.

Auf einer anderen metaphorischen Ebene bewegt sich Bernhard Tragut. Mit geröteten Wangen und offensichtlicher Vorfreude auf den Eisgenuss streckt uns ein junger Mann zwei gut gefüllte Eiswaffeln entgegen. „Das letzte Eis“ ist die 1991/92 in Lindenholz geschnitzte Arbeit betitelt. Anlass war eine Begegnung in Italien, wo ihm „so ein Bursche einmal entgegengekommen ist. Das Bild hat sich eingeprägt und ich habe es gemalt und später geschnitzt.“ Bernhard Tragut verrät aber noch mehr über das Objekt: „In den 80er Jahren betrieben wir eine Produzentengalerie in der Postgasse im ersten Bezirk. Nach einer Veranstaltung kaufte ich mir immer ein Eis am Hohen Markt und schob mein Radl, solange ich das Eis verzehrte. Im Sommer war ich bei der Peterskirche fertig, beim letzten Eis im Herbst kam ich bis zur Mariahilfer Straße. Das war für mich ein schönes Symbol einer Herbstmelancholie oder überhaupt für die Vergänglichkeit.“

Ein Meister im Einfangen der Endlichkeit war Franz Zadrazil (1942-2005). In unzähligen Gemälden porträtierte er die Fassaden der Stadt. Nicht jene des noblen 1. Bezirks, Zadrazil fand seine Motive in den dichtverbauten Bezirken um den Wiener Gürtel mit Zinshäusern und kleinen Geschäften. Für Stadtbilder ungewöhnlich, widmete er sich ganz der Fläche und verzichtete auf Perspektive und auf Tiefe. Ihn interessierten das Mauerwerk, die Wände und Schilder. Seine detailreiche gegenständliche Malerei hat ein Bild von Wien bewahrt, das heute so nicht mehr existiert. Seine Motive sind im Wandel der Zeit verloren gegangen. Das Geschäftsschild ist ausgebleicht, der Rollbalken des „Italienischen Eissalons“ (1978) bleibt geschlossen. Der Archivar Zadrazil bediente sich für seine Bilder an einer Graupalette, kräftige Farben setzte er nur spärlich ein. Welche ein ernüchternder Widerspruch zur assoziierten Farbfröhlichkeit eines „Eis am Stiel“ und dem quirligen sommerlichen Leben vor einem Eisgeschäft! 

Zadradils Wien strahlt eine kühle und stille Melancholie aus. Bewohner dieser Stadt sucht man vergeblich in seinen Gebäudeansichten. Ganz anders im fotografischen Wien-Porträt von Josef Polleross: In seinen Schwarz-Weiß-Bildern spielen die Wienerinnen und Wiener die Hauptrolle. Seine Serie „Wien Leopoldstadt“ erzählt vom Leben und Alltag im zweiten Gemeindebezirk. Hier wird der Eiskarte keine Beachtung geschenkt, hier wird gewartet. Der Herbst, ist er schon da? Der Mantel ist fest zugeknöpft, der dicke Pullover wird über dem Sommerkleid getragen. Am Bufett herrscht kein Andrang.

Auch vor den Eissalons bilden sich nun keine Warteschlangen mehr. Mit Ausnahme jenes Tages, an dem das „letzte Eis“ ausgerufen wird. Noch einmal die Lieblingssorte bestellen, bevor die großen Glasfronten der Eisdielen mit Papier zugeklebt werden oder Verkäufer von Ledertaschen oder Lebkuchen mit ihrer saisonalen Ware einziehen und das „Eis Salon“-Neonlicht für einige Monate wieder erlischt. 

Eis ist vergänglich, der Sommer ist es leider auch. Oder mit Thomas Mann gesprochen: „Der Sommer hat angefangen und schon neigt er sich dem Ende zu.“

Die Eröffnungsausstellung der Albertina Modern „The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980“ (mit Gemälden von Jorg Hartig) ist bis 8. November zu sehen. Das Belvedere 21 zeigt von 12. November 2020 bis 25. April 2021 eine umfassende Personale von Maja Vukoje.

Sonja Gruber hat Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Erziehungswissenschaften in Heidelberg studiert. Sie betreut seit 2018 die Publikationen des Wien Museums, zuvor war sie u.a. als kuratorische Assistenz bei der Kunsthalle Wien, für basis wien, im MUSA und im Verlag für moderne Kunst tätig.

 

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