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Thomas Keplinger, 10.5.2023

Erdbeben in Wien

„Als wolte der jungste tag kommen“

Seit über 1000 Jahren lag in Wien kein Epizentrum eines Erdbebens. Dennoch schwingt hie und da ein Luster im Zimmer oder klirrt Geschirr in der Kredenz. Allein im Zeitraum zwischen 1900 und 2012 ereigneten sich über 400 in Wien fühlbare Beben und 17 sogenannte Schadensbeben. Schwere Erschütterungen wie jene von 1590 blieben glücklicherweise die Ausnahme.

Im Oktober 1927 verfasste Adolf Hoffmann den Artikel „Die Wiener Erdbeben der Vergangenheit“ und stützte sich dabei auf Peter Fuhrmanns Chronik des alten und neuen Wien von 1738. An erster Stelle der überlieferten Beben stand dabei jenes vom 4. Mai 1201. Gemäß den Forschungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ereignete es sich über 300 Kilometer entfernt in der Katschberg-Region und verursachte dort schwere Schäden, viele Todesopfer waren zu beklagen. Das Beben war bis Wien spürbar, genauere Aufzeichnungen fehlen aber.

Am 25. Jänner 1348 geschah „bey hellem Sonnenschein in ganz Oesterreich, Mähren, Hungarn, Cärnthen, Steyermarck und Crain ein grausames Erdbeben, welches viele Tag nacheinander continuiret, und bey 26 Städte samt vielen Schlössern zerschittert und ruiniret.“ Dieses Beben, dessen Epizentrum im italienischen Friaul lag, konnte wissenschaftlich rekonstruiert werden, wodurch es möglich war, seine Stärke zu bestimmen. Es wies auf der 12-teiligen Europäischen Makroseismischen Skala 1998 (EMS-98) die Epizentralintensität 10 auf und galt somit als „sehr zerstörend“. Im Zuge solcher Erdstöße stürzen selbst viele gut gebaute Häuser ein oder werden schwer beschädigt.

Im Laufe des Mittelalters folgten weitere Beben und selbst als Matthias Corvinus am 1. Juli 1485 zum Machtantritt durch die Tore Wiens ritt, bewegte sich die Erde unter den Hufen seiner Pferde.
 

Das schwere Beben von 1590

Als Mitte September 1590 die Erde bei Ried am Riederberg bebte, stürzten in Wien Gebäude in sich zusammen und begruben zahlreiche Menschen unter ihren Trümmern. Gegen 17 Uhr setzten am 15. September deutlich spürbare Erdstöße ein, Unruhe breitete sich in der Bevölkerung aus. Die „Warhafftige doch erschröckliche newe Zeyttung auß Wien“ schildert die dramatischen Ereignisse des Hauptbebens, das ab Mitternacht große Schäden nach sich zog:

„Etliche Heuser gar eingeworffen/Etliche personen erschlagen/vnd S. Steffans/S. Michaels/zu vnser Frawen kirchen vnd Thurn/vil Ziegel vnd grosser stuck von sich geworffen. […] bey mir hatt es die Schotten kirchen schier halb eingeworffen/vnd ist eben ein grosser schrecken vnder dem Volck gewesen/vnnd sich nit anders ansehen lassen/Als wolte der jungste tag kommen […].“

 

Der jüngste Tag blieb jedoch aus und so bot sich dem Österreichischen Morgenblatt 256 Jahre später die Gelegenheit, die Ereignisse von 1590 in distanzierter Nüchternheit Revue passieren zu lassen:

„[…] hie und da spaltete sich die Erde, das Wirthshaus zur goldenen Sonne stürzte ein und erschlug 11 Menschen, sehr viele Häuser und Kirchengewölbe wurden beschädigt, der Thurm des Collegiums der Gesellschaft Jesu [Anm.: Jesuitenkolleg, damals am Hof] lag zu Boden, besonders litt aber der St. Stephansthurm, dessen Spitze bis zur neuesten Thurm-Reparatur krumm war, am 17. wiederholte sich dasselbe, doch ohne merklichen Schaden.“

Dieses Beben war das stärkste, das in Wien historisch belegt ist. Modernen wissenschaftlichen Berechnungen zufolge wies es gemäß der bereits erwähnten EMS-98 eine Epizentralintensität der Stufe 9 auf. Ein derartiges Beben gilt als „zerstörend“. Unter den betroffenen Menschen ist definitionsgemäß mit allgemeiner Panik zu rechnen. Selbst qualitativ hochwertige Bauwerke zeigen sehr schwere Schäden bis hin zum teilweisen Einsturz tragender Teile. Schwächere Bauten fallen in sich zusammen. Spürbare Nachbeben traten damals bis in den November 1590 hinein auf, ohne weitere vergleichbare Zerstörungen zu verursachen.

Schon etwa 30 Jahre zuvor, am 13. Dezember 1560 ereignete sich ein schweres Beben, außerdem schlug mehrmals der Blitz in den Turm des Stephansdoms ein. Und als hätte dieser 1560 und 1590 nicht schon genug gelitten, beschädigte ihn am 4. Dezember 1690 erneut ein Erdbeben, was abermals teure Reparaturen nach sich zog.

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Beben des 18. und 19. Jahrhunderts

Der Autor obiger Zeitungsmeldung zeichnete mit dramatischen Worten das Bild zweier Erdstöße des 18. Jahrhunderts, die in Wien zu spüren waren:

„1766 am 5. August fühlte man ein leichtes, am 10. aber ein starkes mit unterirdischem Getöse begleitetes von Norden nach Süden ziehendes Erdbeben, dessen Stöße von unten aufwärts in unendlicher Geschwindigkeit einander folgten und an Gebäuden, Fenstern und Hausgeräth ein heftiges Zittern und seltsames Geräusch hervorbrachten. Heftiger jedoch war das am 27. Februar 1768 gegen 3 Uhr morgens: binnen 30 Secunden erfolgten mehr als hundert gerade und heftig nach oben wirkende Stöße, mit furchtbarem unterirdischen Getöse, wobei die Donau aus ihren Ufern trat, Brücken abriß, Mauern und Planken stürzte und vorzüglich viel Wein in den Kellern verdarb.“

Berichten zufolge sollen infolge dieses seismischen Ereignisses Bäche rund um den Schneeberg und die Schwefelthermen bei Baden versiegt sein. Das Erdbeben von 1768 war nach jenem von 1763 im slowakischen Komárno  (ung. Komárom/dt.Komorn) erst das zweite, das auf Anordnung Maria Theresias direkt nach dem Geschehen gründlich untersucht wurde. Hofmathematiker Joseph Anton Nagel bereiste die betroffenen Gebiete, um die Auswirkungen zu dokumentieren. Nach aktuellem Stand der Forschung lag das Epizentrum bei Wiener Neustadt, die Stärke des Bebens entsprach der Intensität 8.

Trotz der Entfernung von über 120 Kilometern verursachte ein zwei oder drei Sekunden dauerndes Beben der Epizentralintensität 6–7 in Scheibbs am 17. Juli 1876 Schäden in Wien. Vier Tage später schilderte die Teplitzer Zeitung zahlreiche Details der Vorkommnisse. Einige Auszüge veranschaulichen die Geschehnisse:

„Zur besagten Stunde befand sich ganz Wien in namenloser Aufregung und in außergewöhnlichem Schrecken. […] Die Verwirrung, die hauptsächlich in kinderreichen Familien platzgriff, war eine grenzenlose. Frauen rannten mit ihren Kindern auf die Straße […]. Die Furcht war übrigens begreiflich. Kästen, Tische, Betten und andere Mobilien geriethen in’s Schwanken, Gläser fielen um, Uhren blieben stehen, Hausglocken läuteten, Schornsteine stürzten zusammen, Mauerverzierungen und Gesimse lösten sich los, Mauern bekamen Sprünge und Risse. […] Die Dienstmänner, die an den Ecken lehnten, verloren plötzlich ihren Halt und wackelten herum wie Betrunkene. […] Ein Briefträger, der auf dem Hohen Markte bei einer Partei im vierten Stocke anläuten wollte, riß den Glockenzug ab, denn im selben Momente war der Stoß erfolgt. […] In der Wipplingerstraße Nr. 28 (Verkehrsbank), auf dem Salzgries (Kaserne), in der Teinfaltstraße, in der Herrengasse stürzten die Rauchfänge auf die Straße herab. An den Feuermauern der Häuser Nr. 15 und Nr. 17 in der Hohenstaufengasse und Nr. 20 und Nr. 22 in der Ferdinandsstraße haben sich bedenkliche Sprünge gebildet. […] Auf dem Schottenringe war ein Dienstmann auf seinem Wägelchen eingeschlafen; dieses wurde durch die Erderschütterung einige Schritte weit weggeschleudert. Der Dienstmann fiel auf die Erde, erwachte natürlich in Folge dessen und versetzte seinem Kameraden, in der Meinung, er hätte sich einen schlechten Witz erlaubt, eine tüchtige Maulschelle.“

Die Gesamtzahl der Verletzten, die dieses Beben verursachte, ist nicht bekannt, alleine das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder nahm fünf Personen auf. Darunter befanden sich neben einem vom Dach gestürzten Handwerker zwei Buben: Der erste hatte beim Sturz in ein Fenster Schnittverletzungen erlitten, der zweite brach sich ein Bein, als das Beben ihn vom Sessel warf.

Beben in jüngerer Zeit

Das schwerste Beben, das Österreich im 20. Jahrhundert erschütterte, war jenes vom 8. Oktober 1927 in Schwadorf. Während dort in jedem Gebäude Sprünge und Risse bis hin zur irreparablen Baufälligkeit auftraten, rückten im etwa 25 Kilometer entfernten Wien die Feuerwehren aus, um gebrochene Rauchfänge zu sichern und abzustützen. Weiters wirkten sich die Erschütterungen auf das Telefonnetz aus – die Verbindungen waren eine halbe Stunde lang unterbrochen. Wie das oben beschriebene Ereignis von 1768 wies dieses Erdbeben eine Epizentralintensität von 8 auf.

Nur geringfügig schwächer zeigten sich die Erdstöße vom 16. April 1972, deren Epizentrum in Seebenstein lag. Bei einer Intensität von 7–8 stürzten zwei ältere Bauwerke in der Umgebung ein, Gesimse und Rauchfänge in Wiener Neustadt stürzten auf die Straßen. Die Ausläufer dieses Bebens spürten die Menschen auch im 80 Kilometer entfernten Wien, wo sich die schwingende Erde ebenfalls auf zahlreiche Kamine destabilisierend auswirkte.

Ebenso folgten 20 Meter der Balustrade an der Wiener Universität nach erschütterungsbedingtem Verlust des Gleichgewichts mit Getöse der Schwerkraft. In Hernals verursachte eine vom Dach stürzende Sirene den Totalschaden eines geparkten Autos, Teile eines Deckenfreskos in der Mariahilfer Kirche fielen herab. Die Feuerwehr rückte zu hunderten Einsätzen aus –  Personenschäden waren glücklicherweise auch bei diesem Beben nicht zu verzeichnen.

Seit 1904 werden Messdaten zur Bewegung der Erde an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik respektive GeoSphere Austria gesammelt. Um ältere Beben zu rekonstruieren, werteten Forscher dieser Institution historische Quellen aus, die bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen und selbst hier spielte Wien kaum eine Rolle. Auch in jüngster Zeit verursachte kein seismisches Ereignis schwerere Gebäude- oder gar Personenschäden in der Bundeshauptstadt.

Erinnerungen an Erdbeben

In der Erinnerungslandschaft der Stadt Wien erscheinen Erdbeben aufgrund ihrer Seltenheit kaum. Ein rares Beispiel dafür ist eine Glocke der Michaelerkirche, die 1590 beim Einsturz des Turmes Schaden genommen hatte und 1992 durch einen Riss ihren Klang verlor. Für einige Jahre platzierte man sie vor der Kirche, eine Tafel erinnerte an die Geschichte der Glocke und an das Erdbeben.

Das Beben von 1972 beschädigte neben vielen anderen Gebäuden auch die Sankt-Brigitta-Kirche im 20. Bezirk. Das durch die Erderschütterungen vom Turm gefallene Kreuz erinnert seit 1984 an dieses Ereignis.

Neben den im Text angeführten Quellen beruht dieser Artikel auf Informationen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Der Autor dankt Christa Hammerl/GeoSphere Austria Erdbebendienst für die fachkundigen Auskünfte und die Zusendung veranschaulichenden Bildmaterials.

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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