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Floridsdorfer Spitz
Als Rathaus errichtet, als Bezirksamt genutzt
Es gibt so etwas wie einen inneren Kompass, der einen im Grätzl und im Wohnbezirk verortet. Im 21. Bezirk zeigt dessen Nadel für viele in Richtung „vurn‘ am Spitz“. Wobei „am Spitz“ durchaus großzügig das Bezirkszentrum von Floridsdorf bedeutet – gemeint sind damit auch der Öffi-Knotenpunkt rund um den Bahnhof, wo Straßenbahnen und Buslinien zusammentreffen, der neu gestaltete Pius-Parsch-Platz und eben auch der eigentliche „Spitz“ mit dem freistehenden klassizistischen Bezirksamt. Doch die Mittagsgäste der Pizzeria in der Erdgeschoßzone des Floridsdorfer Amtshauses haben wohl eher die warme Oktobersonne und der Hunger in den Schanigarten gelockt.
Kulinarisches stand Am Spitz bereits zu Beginn im Mittelpunkt. Begonnen hat dort, wo heute Amtswege erledigt werden, alles sehr Wienerisch mit einem Wirtshaus und das, obwohl Floridsdorf damals noch gar nicht zu Wien gehörte. 1786 eröffnete ein einstöckiges Gemeindegasthaus in der nur vier Jahre zuvor gegründeten Siedlung „Jedlersdorf am Spitz“. Den Spitz, der für viele Menschen einmal der Ausgangspunkt für ihre Reisen nach Böhmen und Mähren war, bildet bis heute die Gabelung der beiden alten Fernhandelswege Pragerstraße und Brünnerstraße, die dort ihren Ausgang nehmen, wo die Floridsdorfer Hauptstraße endet.
Der erste Stock im Wirtshaus am Spitz bot einen Schutzraum für die Anrainer, wenn die Donau wieder einmal über die Ufer trat. Ab 1887 diente das Lokal, das seine Gäste einfachheitshalber „Spitzwirtshaus“ nannten, außerdem auch als Gemeindehaus der Ortsgemeinde Floridsdorf und in den Jahren von 1894 bis 1901 der „Großgemeinde Floridsdorf“, die – ebenso wie die Reichshauptstadt Wien – immer noch in Niederösterreich lag. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man für Floridsdorf jedoch plötzlich größere Pläne. Sollte Wien wie beabsichtigt Reichsunmittelbarkeit erlangen, also direkt dem Kaiser unterstellt und damit von Niederösterreich getrennt werden, dann (so der Wunsch des Statthalters des Erzherzogtums Unter der Enns, Erich von Kielmansegg) sollte Floridsdorf die neue Hauptstadt von Niederösterreich werden.
Da eine hoffnungsvolle Landeshauptstadt in spe selbstverständlich auch ein repräsentatives Rathaus braucht, wurde das alte Wirtshaus geschleift und zwischen 1901 und 1903 unter dem Floridsdorfer Bürgermeister Anton Anderer (1857 – 1936) das heutige Bezirksamt errichtet. Das viergeschoßige Floridsdorfer Rathaus im barock-klassizistischen Stil nach dem preisgekrönten Entwurf der Architekten Josef und Anton Drexler besaß ursprünglich auch einen weithin sichtbaren Uhrtum, der im Zweiten Weltkrieg jedoch durch Bomben zerstört und danach nicht mehr wiedererrichtet wurde. In der Erdgeschoßzone sollten kleine Geschäfte und Lokale daran erinnern, dass an dieser Stelle einst ein Gasthaus stand.
Der alte Floridsdorfer Markt blieb auch hinter dem neuen Rathaus weiterhin bestehen, er wurde erst 1926 zum nahe gelegenen frisch errichteten Gemeindebau Schlingerhof in der Brünnerstraße verlegt.
Rund um das neu errichtete Gebäude wurde am Spitz ebenfalls emsig gebaut. Die „Floridsdorfer Gemeindesparkasse“ mit dem markanten Turm, die auch heute noch eine Bankfiliale beherbergt, stand bereits Mitte der 1890er Jahre. Auf Nummer 13 ließ das Handelshaus Conrad Sild zwischen 1905 und 1908 das „Sild Haus“ im Jugendstil errichten, dessen beide markanten Weltkugeln auf dem Dach die weltumspannende Bedeutung des Unternehmens symbolisieren sollten.
Auf der Hinterseite entstanden ebenfalls Geschäfte, wie 1905 das Modekaufhaus von Ignaz Wodicka, das eine Wiener Institution werden sollte, bis es 1938 von den Nationalsozialisten „arisiert“ wurde.
Auch der Platz vor dem Amtshaus sollte in den letzten Kriegstagen Schauplatz der Grausamkeit des NS-Regimes werden. Am 8. April 1945 wurden die Widerstandskämpfer Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke vor dem Amtshaus öffentlich gehängt. Die drei Mitglieder der österreichischen Widerstandsgruppe innerhalb der Wehrmacht rund um Carl Szokoll nahmen an der „Operation Radetzky“ teil, als sie verraten wurden.
Sie hatten geplant, die Rote Armee bei der Befreiung Wiens zu unterstützen und zu verhindern, dass die für die Versorgung wichtigen Brücken über die Donau gesprengt werden. Heute erinnert eine Gedenktafel vor zwei Metallstelen auf dem Platz vor dem Bezirksamt an sie.
Doch noch einmal zurück ins Jahr 1904. Kaum war der Verputz an dem prächtigen neuen Rathaus mit der Adresse „Am Spitz 1“ getrocknet, konnte der damalige Wiener Bürgermeister Karl Lueger seinen transdanubischen Amtskollegen Anderer von der Eingemeindung Floridsdorfs in die Reichshauptstadt Wien überzeugen, die 1904 auch vom niederösterreichischen Landtag beschlossen wurde. Damit war die Hoffnung Floridsdorfs, die Landeshauptstadt von Niederösterreich zu werden, der Realität des 21. Wiener Gemeindebezirks gewichen.
Am Spitz stand statt eines beindruckenden neuen Rathauses mit einem Mal ein imposantes Magistratisches Bezirksamt, in dessen Eingangshalle bis heute ein Relief an die letzte Gemeinderatssitzung des selbstständigen Floridsdorf erinnert.
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Kommentare
Ich finde es gut, wenn “auch” die “Außenbezirke” von Wien im Mittelpunkt eines Artikels stehen...
Unterhaltsam und gleichzeitig sehr informativ!