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Klaus Pichler und Peter Stuiber, 5.3.2021

Fotodokumentation Wien im Lockdown

„Ein Cocktail an Emotionen“

Der Fotograf Klaus Pichler wurde zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 vom Wien Museum beauftragt, für die Sammlung die Stadt im Ausnahmezustand zu dokumentieren. Zum Jahrestag zeigen wir hier erstmals eine kleine Auswahl seiner Serie. Im Interview berichtet Pichler von anfänglichen Ängsten, von Bildern, die nie wiederkommen – und von unvergesslichen Momenten.

Peter Stuiber

Als Du im März 2020 von der Kuratorin Martina Nußbaumer bezüglich einer Corona-Fotodokumentation kontaktiert wurdest – was war da Dein erster Gedanke?

Klaus Pichler

Das Mail erreichte mich zunächst mal in der allgemeinen Angststimmung. Jeder erinnert sich noch an das Statement von Kurz, dass jeder bald in seiner näheren Bekanntschaft und Verwandtschaft Tote zu beklagen hätte. Man wusste damals nicht, wie gefährlich das Virus ist und wie genau die Übertragung funktioniert. Meine erste Emotion war zwar: Super, dass das Museum so schnell reagiert und die Situation und die Stimmung in der Stadt für die Zukunft dokumentieren will – und eine große Ehre, dass sie dabei an mich denken! Doch zugleich hatte ich Zweifel: Soll ich da jetzt wirklich rausgehen? Es war ein Cocktail an Emotionen. Aber nur für eine Stunde. Dann hat mich meine Freundin darin bestärkt, das Projekt zu machen. Es ist als Fotograf ja auch Teil meines Lebens und meiner Arbeit, dort hinzuschauen, wo andere eher wegschauen.

PS

Im strengen Lockdown hat man ja sogar eine schriftliche Bestätigung einer systemrelevanten Arbeit gebraucht für den Fall einer Kontrolle…

KP

Das Museum hat mir eine solche auch angeboten. Nur wollte ich zuerst einmal schauen, ob das überhaupt nötigt ist. Ich bin ja sehr offen auf die Leute zugegangen. Ich hatte jedenfalls nie irgendwelche gröberen Probleme.

PS

Wie systematisch bist Du die Stadt abgegangen? Oder hast Du Dich treiben lassen?

KP

Ganz am Anfang habe ich mir mein Rad geschnappt und bin einfach herumgefahren. Zunächst einmal in die Innenstadt, an jene Orte, die sonst am meisten bevölkert sind. Es war mir bewusst, dass man diesen Zustand, in dem die Leute wirklich komplett zuhause geblieben sind, nicht lange aufrechterhalten kann. Das waren Bilder, die so nie wiederkommen: Am Stephansplatz hab ich sogar meine eigenen Schritte gehört. Und am Schwarzenbergplatz habe ich ein Foto gemacht, auf dem kein Mensch, keine Straßenbahn und kein Auto zu sehen ist. Ich musste nicht einmal auf den richtigen Moment warten – der Platz war einfach komplett leer. Hier oder am Stephansplatz oder am Ring hatte man das Gefühl, als wäre die Stadt nur eine Kulisse.

PS

Welche Motive waren dann die nächsten?

KP

Das Projekt hat insgesamt zwei Monate lang gedauert. Währenddessen war ich in ständigem Austausch mit Martina Nußbaumer vom Museum. Wir haben immer gemeinsam überlegt, welche Phänomene noch dokumentiert werden sollen. Nach der leeren Stadt waren es zum Beispiel die baulichen Schutzmaßnahmen, die plötzlich überall entstanden sind, wie Plexiglas-Absperrungen. Sie waren damals völlig neu und ungewohnt, heute empfindet man sie längst als normal. Oder die Präsenz von Security-Wachpersonal vor den Bundesgärten. Und nicht zuletzt das Auftreten der Polizei, als wären wir in einem Bürgerkrieg. Es waren immer wieder Gruppen von sechs bis acht Polizisten zu sehen. Ich hab mich gefragt, warum – es war ja ohnehin kaum jemand auf der Straße. Ich habe mich jedenfalls zielgerichtet durch die Stadt bewegt, aber zwischen den Fixpunkten auch Zeit gelassen, um mich treiben zu lassen und dabei Interessantes zu entdecken. Es war ein Mäandern durch die Stadt.

PS

Welche schwierigen Momente gab es?

KP Absurderweise ließen sich am Anfang Menschen, die bereits Maske trugen, ungern fotografieren. Was mich als Fotograf natürlich sehr gewundert hat, denn so anonym kann man sonst nie fotografiert werden. Aber das waren sicherlich die vorsichtigsten Personen damals, das Maskentragen war ja noch völlig ungewohnt, man ist komisch angeschaut worden – bis dahin hat man Masken nur von asiatischen Touristen gekannt. In der U-Bahn hatte vielleicht jeder 20. eine Maske auf, heute undenkbar.

PS

Die anderen Menschen waren zugänglicher?

KP

Eigentlich schon, denn ich bin ja niemandem auf die Pelle gerückt, habe auch mit einer längeren Brennweite fotografiert als sonst. Aber es gab eine Angst vor Gesprächen, als würde man tot umfallen, wenn man mit jemandem aus fünf Metern Entfernung redet. Mir ist aber auch das Gegenteil passiert. Einmal ist ein alter Mann auf mich zugekommen und hat gesagt: „Ich bin 91, ich hab den Weltkrieg überlegt, ich hab nichts mehr zu verlieren und hab keine Angst. Alles, was ich jetzt brauche, ist eine Umarmung.“ Und auch wenn´s ein sehr komisches Gefühl war, habe ich ihn tatsächlich umarmt. Da wurde mir bewusst, wie sehr die Situation die Menschen verändert hat.

PS

Welche Situation beim Fotografieren war für Dich am erstaunlichsten?

KP

Definitiv die Schlange vor einem OBI-Markt, als die Baumärkte wieder aufsperren durften. Es war eine ganze Schar von Fotografen und Kamerateams vor Ort. Als die ersten Menschen dann mit ihren Einkäufen rausgekommen sind, habe ich gesehen, was sie gekauft hatten: Stiefmütterchen, Gießkannen, Kleinzeug. Der Druck, etwas kaufen zu müssen, war bei ihnen offenbar sehr groß.

PS

Es war vielleicht einfach die Sehnsucht nach Normalität…

KP

Sicher auch. Was ich jedenfalls in diesem Jahr gelernt habe ist, wie schnell sich Normalität verändern kann. Das gilt auch für die Bilder. Was vor einem Jahr total außergewöhnlich war, ist längst Gewohnheit. Und umgekehrt: Wenn ich mir heute einen Film ansehe und darin umarmen sich zwei Menschen, zucke ich zusammen.

PS

Hat sich bei Dir nie eine Bildermüdigkeit in Bezug auf Corona entwickelt?

KP

Eigentlich nicht, ich verfolge auch die jetzige Lage sehr genau. Man sieht heute Szenen und Situationen, die es damals nicht gegeben hat, zum Beispiel die Test- und die Impfstationen oder die langen Schlangen auf der Mariahilfer Straße.

PS

Wie geht es Dir mit der jetzigen Situation?

KP

Wir wissen jetzt bereits sehr viel über das Virus und können auch abschätzen, dass in absehbarer Zeit der Wendepunkt kommt. Insofern habe ich auch kein Problem damit, weiter in meinen persönlichen Freiheiten eingeschränkt zu sein. Ich verstehe überhaupt nicht die sogenannten Skeptiker oder Gegner der Maßnahmen. Ich habe mir viele Videos von den Demos angesehen und Statements gehört und denke mir dann immer: Die protestieren gegen ihre eigene Angst. Wir können doch froh sein, wenn das Virus nicht so wütet wie einst die spanische Grippe, der ja zig-Millionen Tote zum Opfer fielen.

PS

Noch einmal zurück zum Anfang des Lockdowns. Wann war für Dich klar, was da gerade passiert?

KP

Ich hatte einen sehr speziellen Beginn des Lockdowns. Ein Freund von mir wurde am Freitag, den 13. März, begraben. Beim Begräbnis am Zentralfriedhof waren nur der Pfarrer und ich dabei. Danach bin ich zurück in die Stadt. Dort sind mir die Menschen mit Klopapier unterm Arm aus den Supermärkten entgegengekommen. Dieser Tag beschäftigt mich bis heute.

 

Die gesamte Fotoserie von Klaus Pichler zum Lockdown ist in unserer Online Sammlung zu sehen.

Klaus Pichler freischaffender Fotograf, lebt und arbeitet in Wien. www.klauspichler.net

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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