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Katharina Hövelmann, 3.3.2023

Friedl Dickers Arbeitsgemeinschaften in Prag

„So genau müsst ihr den Singerstil nicht mitmachen!“

Friedl Dickers Wiener Ateliergemeinschaft mit Franz Singer steht im Zentrum der aktuellen Ausstellung im Wien Museum MUSA. Ihre darauffolgenden Arbeitsgemeinschaften mit den Architektinnen Margarethe Bauer-Fröhlich und Karola Bloch in Prag sind jedoch kaum erforscht. Eine Spurensuche liefert dazu neue Hinweise.

Aus der Tschechoslowakei schreibt Dicker um 1933/34 in einem mit Möbel-Skizzen illustrierten Brief an die Ateliermitarbeiterin Leopoldine Schrom in Wien: „(…) ich könnte sowohl Schachtelbett wie Klappbett und die Stühle hier verkaufen. Müsste aber 1. wissen, ob das Franz will, wenn ja, wie teuer sie sind und da sie wahrscheinl. in Wien hergestellt, zu teuer sein würden durch Transport u. Zoll, wie man das berechnet, daß Franz was davon hat“ (Archiv Georg Schrom, Brief Dicker an Schrom, um 1933/34). Ihr Angebot war also, die Möbel zu vertreiben und in Wohnungseinrichtungen zu verwenden. Über die Auftraggeber:innen in Prag ist wenig bekannt. Die Dicker-Forscherin Elena Makarova listet auf ihrer Website als Auftraggeberin die Ärztin Frederike Hauer (1900-1944).

Aus Dickers Hand hat sich lediglich eine Wohnraumzeichnung aus den späten 1930er Jahren erhalten. Der Entwurf kann ihrer kleinen Wohnung in Hronov zugeschrieben werden (siehe Titelbild). Dicker und ihr Mann Pavel Brandeis – sie hatten 1936 geheiratet – waren 1938 von Prag dorthin gezogen, um in der Weberei B. Spiegler & Söhne zu arbeiten. Die Darstellungsweise der Axonometrie – auch wenn diese hier skizzenhaft und frei aus der Hand gezeichnet ist – verweist auf das gemeinsame Wiener Atelier mit Franz Singer, in dem zahlreiche Projekte mithilfe der Axonometrie veranschaulicht wurden. Diese Darstellungsweise hatten Dicker und Singer vom Bauhaus übernommen, wo sie durch die niederländische De Stijl-Bewegung unter Theo van Doesburg Einzug gefunden hatte.

Arbeitsgemeinschaft mit Margarethe Bauer-Fröhlich

In Wien finden sich nur wenige Spuren der Architektin Margarethe (Grete) Bauer-Fröhlich, geb. Schwarz (1900-2001). Nachdem Dicker 1933 nach Prag gezogen war, übernahm sie 1937 ein Projekt des Ateliers aus Wien: die Übersiedlung der Einrichtung aus der Reichenberger Villa von Franz Neumann in eine Wohnung in Prag. Für die Einrichtung der Villa Neumann war Dicker während der Arbeitsgemeinschaft mit Franz Singer 1929/30 bereits tätig gewesen. Unterstützung erhielt sie bei dem Projekt von Margarethe Bauer-Fröhlich.

Der einzige erhaltene Brief im Nachlass des Ateliers von Dicker und Singer, der von Bauer-Fröhlich aus Prag an Leopoldine Schrom gerichtet ist, datiert von Juni 1934. Darin berichtet sie, dass sie Schwierigkeiten habe „vernünftige Arbeit“ in Prag zu finden und sich daher auf Modellbau spezialisiert habe. Um ihr Können den Architekten zu präsentieren, bittet sie leihweise um „die Pläne der Heriot-Villa“ – gemeint ist das luxuriöse Gästehaus in der Rustenschacherallee – und bietet an, das Modell auch Franz Singer bei Interesse zu leihen (Archiv Georg Schrom, Brief Bauer-Fröhlich an Schrom, 12.6.1934).

Darüber hinaus ist auch eine Visitenkarte erhalten, die ihren Namen erklärt und neben einer Adresse in Prag auch ihren Wohnsitz in Wien angibt: „Dr. Ernst Fröhlich, Arch. Grete Bauer (geb. Schwarz), Vermählte, Prag, im Juni 1933, Prag XII. Manesova 3. Wien XVIII. Dittesgasse 35.“

Auf ihre Verbindung zu Wien verweist auch ein erhaltener Brief von Bauer-Fröhlich an Otto Neurath, den sie im Juli 1935 aus Prag absendet. Aus dem Inhalt lässt sich schließen, dass sie mit Neurath befreundet war und möglicherweise in Wien für ihn gearbeitet hatte. Sie sendet ihm Kontakte, die für seine Arbeit in Den Haag hilfreich sein könnten und erwähnt auch Franz Singer, der sich von ihr Neuraths Adresse habe geben lassen. Darüber hinaus schildert sie eine Begegnung mit Margarete Schütte-Lihotzky und Franz Schuster: „Schütte war hier, sie sieht aus wie ein junges Mädchen und kommt aus einer anderen Welt. Ich war froh sie zu sehen, ….was ich von meinem Wiedersehen mit Schuster nicht behaupten kann. Eine große Enttäuschung!“ (ÖNB, Handschriftensammlung, Inv.-Nr. 1217/16). Dann findet sich noch ein Hinweis auf der Website der Frankfurter GEDOK (Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen), bei der sie Mitglied war und 1931 einen Vortrag zur Wohnungsmöglichkeit von berufstätigen Frauen gehalten hatte.

Am Weltfrauentag 2018 postete die Kuratorin Caitlin Condell des Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museums den Beitrag „Margarethe Fröhlich“ (Für diesen Hinweis sei an dieser Stelle meinem Kollegen Georg Schrom herzlich gedankt!). Tatsächlich handelt es sich um die gleiche Architektin, die in den USA lediglich den Namen „Fröhlich“ führte. Der Post ist mit farbigen, axonometrischen Wohnungsentwürfen bebildert.

Wie bei den Entwürfen des Ateliers von Dicker und Singer sind hier eine Vielzahl von Collagematerialien verwendet worden, um verschiedene Texturen, Farben und Muster zu vermitteln. Auf korrespondierenden Fotografien dieser Wohnungen sind als Auftraggeber:innen „Dr. Fritz Kraus“, „Frau Weil“, „A. Reiser“, „Franta Wolter“ vermerkt. Die überwiegenden Möbeltypen wie z.B. der Tisch Ti6, der Stapelstuhl S10, das „Diwanbett“, die Schrankbetten, Klapptische, eingebauten Sitzbänke und Schränke stammen aus dem Wiener Atelier von Dicker und Singer, sind jedoch mit konventionelleren Sitzmöbeln der 1930er Jahre kombiniert. Dies ist aufschlussreich in Hinblick auf Dickers Zeilen in dem eingangs zitierten Brief an Leopoldine Schrom: „Seien Sie nicht gar so konsequent. So genau müsst Ihr den Singerstil nicht mitmachen!“ Es ist anzunehmen, dass diese Einrichtungen in Zusammenarbeit mit Friedl Dicker in Prag entstanden sind, da sie auch zeitlich auf die Jahre 1933 bis 1939 datiert werden können.
 

Wien, Frankfurt, Prag, London, New York

1997 ging das Konvolut jener Zeichnungen als „Schenkung Margarethe Fröhlich“ an das New Yorker Museum. Bauer-Fröhlich hatte zunächst von 1919 bis 1922 an der Wiener Kunstgewerbeschule (Aktzeichnen) studiert und – wie ein Vermerk im Inskriptionsbuch belegt – beabsichtigte sie Bildhauerin zu werden und bei Franz Barwig zu hospitieren. Ihr Vater Julius Schwarz war Juwelier und ihre Mutter, eine geborene Helene Kallberg war die Schwester des Rechtsanwalts Hugo Kallberg, der 1928 das Atelier von Dicker und Singer mit einer Zimmergestaltung beauftragte und mit einer Cousine Franz Singers verheiratet war. Nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes Hans Bauer (1896-1926), zog Bauer-Fröhlich mit ihrer Tochter 1929 nach Frankfurt und studierte noch einmal drei Jahre an der dortigen Kunstgewerbeschule und trat mit den Entwerfer:innen des „Neuen Frankfurts“ in Kontakt. 1933 heiratete sie den tschechischen Journalisten Ernst Fröhlich und floh mit ihm zunächst nach Prag und schließlich über Polen nach London. Nachdem ihre zweite Ehe geschieden worden war, emigrierte sie Anfang der 1940er Jahre mit ihrer Tochter nach New York. Hier arbeitete sie für die Firma Harrison & Foulihoux am Coney Island Aquarium und für den Industriedesigner Raymond Loewy. Anschließend gab sie Sommerkurse in Wohnungsplanung und Einrichtung und arbeitete ab 1950 als Direktorin einer Waldorfschule in Pennsylvania.
 

Arbeitsgemeinschaft mit Karola Bloch

Karola Bloch, geb. Piotrkowska (1905-1994), hatte Friedl Dicker in Prag kennengelernt und beide beschlossen als selbständige Architektinnen zusammenzuarbeiten. Ein erhaltenes Briefpapier mit Briefkopf beider Frauen weist darauf hin, dass sie sich auch offiziell als berufliche Partnerinnen präsentierten.

Bloch berichtet rückblickend: „(…) da Friedel viele Bekannte in Prag besaß, bekamen wir auch Aufträge. Zwar waren es kleine Sachen – Umbauten oder Inneneinrichtungen, aber wir konnten schlecht und recht unser Leben davon fristen. (…) Friedel kam oft zur Besprechung unserer Arbeiten. Wir verstanden uns glänzend, auch Ernst mochte die kluge und witzige Frau sehr“ (Bloch 1995, S. 144/146). In der Zeitschrift Die Frau veröffentlichten sie sogar gemeinsam 1937 einen Beitrag mit dem Titel „Wie reorganisiere ich meine Wohnung“, darin propagierten sie wandelbare Möbel für kleine Wohnungen. Dieses Prinzip war bereits im Wiener Atelier tonangebend gewesen, entsprechend heißt es abschließend im Text der beiden: „Aus allem bis jetzt gesagtem geht hervor, dass die heutigen fertigen Garnituren der Möbelfabriken durch ihre Starrheit und Undurchdachtheit die angeführten Anforderungen keinesfalls erfüllen. Anstelle der Garnituren sollten einzelne, den jeweiligen Bedürfnissen angepasste Elemente treten“ (Die Frau. Monatsschrift für Frieden und Frauenrechte, Nr. 6, Februar 1937). Die Arbeitsgemeinschaft mit Friedl Dicker war allerdings nur von kurzer Dauer, denn 1938 flüchtete Karola Bloch mit ihrem Mann und dem gemeinsamen 1937 geborenen Sohn Jan in die USA.

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Die in Łódź geborene Karola Bloch, die 1934 den Philosophen Ernst Bloch geheiratet hatte, war 1936 nach Prag emigriert. Sie hatte von 1921 bis 1926 die Kunstgewerbeschule Reimann und die Hochschule für bildende Künste in Berlin besucht. Anschließend studierte sie von 1929 bis 1931 Architektur an der Technischen Hochschule in Wien und setzte ihr Architekturstudium an der Technischen Hochschule Berlin von 1931 bis 1933 fort und schloss 1934 an der ETH Zürich ihr Diplom ab. In der Studienzeit in Berlin wohnte sie mit Ernst Bloch in einer Wohnung in der Künstlerkolonie am Laubenheimerplatz, wo sie nur knapp einer Verhaftung durch die SA entkam – dieselbe Siedlung in der Friedl Dicker und Franz Singer 1930 eine Wohnung für ihre Freundin und Studienkollegin Margit Téry-Buschmann einrichteten. 1934/35 arbeitete sie im Büro von Jacques Groag in Wien, der 1927/28 die Bauleitung des im Atelier von Dicker und Singer geplanten Tennisclubhauses Heller übernommen hatte.

Anschließend fand Bloch eine Stelle im Büro von Auguste Perret in Paris und nach der Flucht in die USA war sie in verschiedenen Büros tätig und baute für einen New Yorker Germanisten ein Sommerhaus, das an die Wochenendhäuser an der Donau bei Wien erinnert. Ihre stetige Arbeit als Architektin sicherte der Familie das Einkommen, denn Ernst Bloch beherrschte nicht die englische Sprache. 1949 ging sie mit ihrem Mann nach Leipzig, der einen Lehrauftrag erhalten hatte und arbeitete bis 1961 dort als angesehene Architektin im Bereich Kindergärten, hielt Vorträge und publizierte zahlreiche Texte. Mit dem Mauerbau ließ sich das Paar schließlich in Tübingen nieder.

Obwohl Bloch gut vernetzt war und Mitbegründerin der UIFA (Union Internationale des Femmes Architectes) wurde, konnte sie an ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr anknüpfen: „Ja, das Leben, das ich in der Emigration und in der DDR geführt habe, paßte schon viel besser zu mir als das Leben und meine Rolle hier in der Bundesrepublik“ (zit. nach: Roland Beer/Claudia Lenz 2022, S. 370).

Friedl Dicker sollte ihre beiden Kolleginnen nicht mehr wiedersehen. 1942 wird sie mit ihrem Mann in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie erteilt dort Kindern Malunterricht, organisiert eine Ausstellung und hält ihre Erfahrungen in dem Text „Kinderzeichnungen“ fest. 1944 wird sie im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
 

Literatur:

Roland Beer/Claudia Lenz: …denn ohne Arbeit kann man nicht leben. Die Architektin Karola Bloch, Mössingen 2022

Karola Bloch: Aus meinem Leben, Mössingen 1995 (Erstausgabe 1981)

Karola Bloch: Im „Roten Block“ am Laubenheimer Platz. Arme Teufel, Antifas und unvergessene Genies – Wir „Kommunisten“ und die braune Pest, in: Rudolf Pörtner (Hg.), Alltag in der Weimarer Republik. Erinnerungen an eine unruhige Zeit, Düsseldorf/Wien/New York 1990

Caitlin Condell: Margarethe Fröhlich, 08.03.2018, (30.01.2023, 15:14), URL: Margarethe Fröhlich | Cooper Hewitt, Smithsonian Design Museum

Anna Czajka: Ernst Bloch. Das Abenteuer der Treue. Briefe an Karola Bloch 1928-1949, Frankfurt am Main 2005

Elena Makarova: Frederike Hauer (26.01.2023, 09:12), URL: www.makarovainit.com/friedl/namenindex2.pdf

Mary Pepchinski/Christina Budde/Wolfgang Voigt/Peter Cachola Schmal (Hg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf / Over 100 years of women in architecture, Ausstellungskatalog (Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main), Tübingen 2017


Die aktuelle Ausstellung „Atelier Bauhaus, Wien. Friedl Dicker und Franz Singer“ ist noch bis 26. März im Wien Museum MUSA zu sehen.

Weitere Beiträge dazu:

Georg Schrom über Friedl Dicker und Franz Singer (wienmuseum.at)
Franz Singer meets Robert Haas (wienmuseum.at)

Katharina Hövelmann ist Kunsthistorikerin und Kuratorin der Architektursammlung in der Albertina. Forschungsschwerpunkte: Architektur und Design des 20. Jahrhunderts. Ausstellung und Publikation über die Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer (gemeinsam mit Andreas Nierhaus und Georg Schrom) im Wien Museum MUSA (2022/23).

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