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Franz Singer meets Robert Haas
Londoner Nebel lichtet sich
Die britische Warenhausgruppe John Lewis & Co. Ltd. und das dazugehörige Kaufhaus Peter Jones zählten zu Franz Singers Hauptauftraggebern, nachdem er 1934 nach London emigriert war. Von 1925 bis 1931 hatte er gemeinsam mit Friedl Dicker eine Ateliergemeinschaft in Wien betrieben, die sich auf Design, Raumgestaltung und Bauten spezialisiert hatte. Als sich die politische Situation in Österreich aufgrund des faschistischen Dollfuß-Regimes zuspitzte und die Auftragslage zunehmend verschlechterte, flüchtete Dicker nach Prag und Singer ging ins Exil nach London. Das Wiener Atelier wurde 1938 schließlich aufgelöst.
Auch andere Architekten wie der Gründer des Bauhauses Walter Gropius und Singers Studienkollege Marcel Breuer sowie einige seiner Wiener Ateliermitarbeiter:innen emigrierten nach London. Singer hatte darüber hinaus auch familiäre Beziehungen zu der britischen Hauptstadt: Sein älterer Bruder Paul hatte bereits seit 1912 seinen Lebensmittelpunkt dorthin verlegt und Singers Frau, die Konzertsängerin und Gesangslehrerin Emmy Heim, lebte seit 1930 dort.
Um als emigrierter Architekt in Großbritannien arbeiten zu dürfen, war zunächst zeitweise eine Arbeitsgemeinschaft mit einem britischen Architekten einzugehen. Eine anfängliche Zusammenarbeit mit Wells Coates scheiterte „in unangenehmster Weise an der Gewissenlosigkeit dieses Herrn“ - wie Singers Frau Emmy Heim der in Wien verbliebenen Ateliermitarbeiterin Leopoldine Schrom in einem Brief im Jänner 1935 berichtet. Im Bauhaus-Archiv Berlin haben sich Möbel-Zeichnungen von Franz Singer auf Coates‘ Zeichenpapier mit Kommentaren von diesem in Rotstift erhalten. Wells Coates lehnte alle Entwürfe Franz Singers ab.
Daraufhin arbeitete Singer mit William Crabtree zusammen, der das Peter Jones Warenhaus am Sloane Square in Zusammenarbeit mit Charles Herbert Reilly, Slater & Moberly (John Alan Slater und Arthur Hamilton Moberly) entwarf. Das von 1935 bis 1939 errichtete Gebäude zeichnet sich durch seine geschwungene Glasvorhangfassade aus, für die der zeitweise an der Universität Liverpool lehrende Erich Mendelsohn inspirierend gewirkt haben könnte, an der Reilly arbeitete und Crabtree studiert hatte. Das Gebäude zählt zu den ersten Gebäuden Großbritanniens mit Glasvorhangfassade, stellt daher einen Meilenstein britischer Architektur des 20. Jahrhunderts dar und steht heute unter Denkmalschutz.
Franz Singer gestaltete in dieser Filiale ab 1937 unter anderem einen Friseursalon. In einer Privatsammlung befindliche Negative, die Innenaufnahmen des Warenhauses zeigen, geben einen Eindruck von der Einrichtung.
Ebenfalls 1937 erging an Singer ein Auftrag für die Innenraumgestaltung der John-Lewis-Filiale in der Oxford Street, deren zum Cavendish Square ausgerichtetes Easthouse von der Architektengemeinschaft Slater, Moberly & Uren geplant worden war, die auch die Peter Jones-Filiale am Sloane Square entworfen hatte. Singers Auftrag bezog sich auf „Umänderungen im China- und Glass Department“ und die Planung der „Snack-Bar“. Für die Glasabteilung hat sich ein farbenfroher Entwurf für Regale erhalten, der auf Singers Ausbildung am Bauhaus verweist, an dem Farbe als umfassendes Gestaltungsmittel fungierte. Die Briten zeigten sich mit der Gestaltung des Immigranten sehr zufrieden, in der internen Korrespondenz heißt es dazu im Jänner 1938: „The renovating of the cases in the China- and Glass Department has been most successful“.
Für die Snack-Bar entwarf Singer eine zweigeteilte Theke, der eine Teil gerade, der andere halbrund verlaufend. Sie war umstellt von Hockern, die jeweils mit einem Stahlrohrbein im Boden fixiert waren. Über der Theke waren Hängeleuchten und über den Esstischen quadratische Deckenleuchten angebracht.
In der Sammlung des Wien Museums befinden sich Abzüge einer Fotocollage von dem gleichfalls nach London emigrierten Fotografen Robert Haas, die John Lewis & Co. 1938 in Auftrag gegeben hatte. Der fotografische Nachlass von Robert Haas befindet sich in der Sammlung des Wien Museums. Robert Haas hatte Wien auf einer dramatischen Flucht verlassen und kam Ende September 1938 in London an, zuvor hatte er für andere Wiener Juden, die flüchten wollten Passbilder und Dokumentationsfotos ihrer Wohnungen und Gegenstände angefertigt.
Die Fotomontage für John Lewis & Co. Ltd. zeigt eine Karte mit den verschiedenen Standorten des Warenhauses und das Warenangebot.
Für den österreichischen Pavillon auf der Weltausstellung in Paris 1937 hatte Haas bereits eine beeindruckende Fotomontage mit österreichischen Alpenstraßen angefertigt.
Die Fotomontage für John Lewis war zwar wesentlich kleiner, ist aber spannend in Bezug auf Franz Singer, da sich in der Sammlung des Wien Museums eine Zeichnung zur Montage dieser Fotomontage befindet. Wie sich im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen „Atelier Bauhaus, Wien. Friedl Dicker und Franz Singer“ herausstellte, ist diese Zeichnung – eine Lichtpause – überraschenderweise von Franz Singer und William Crabtree signiert.
Eine Fotografie, die im Fotobestand Franz Singers im Bauhaus-Archiv Berlin aufbewahrt wird, dokumentiert darüber hinaus die Fotomontage im Restaurant des Warenhauses. Über der Fotomontage war der Schriftzug „Here is partnership on the scale of modern industry“ (Das ist Partnerschaft in der Größenordnung der modernen Industrie) zu lesen. Nun ist geklärt, was sich im Hintergrund des von Singer gestalteten Restaurants an der Wand befindet – eine Fotomontage von Robert Haas!
Und noch etwas fällt auf: Die Motive der Fotografien aus denen Haas die Montage zusammengestellt hat – oben links taucht die Peter Jones Filiale am Sloane Square auf – stimmen teilweise mit den erhaltenen Negativen der Privatsammlung überein, womit auch die Fotomotive aus denen die Montage zusammengesetzt ist, Robert Haas zugeschrieben werden können.
Singers Wiener Mitarbeiterin Leopoldine Schrom stand mit Haas, der bereits 1939 von London nach New York gezogen war, in brieflichem Kontakt. Haas hatte ein Verhältnis mit einer ihrer Freundinnen gehabt, die in Wien zurückgeblieben war und nach dem Krieg Selbstmord begangen hatte. In einem Brief vom 13. Jänner 1946 an Schrom berichtet Haas: „(…) ich hätte gern den Gedanken, daß Blumen von mir auf Irma‘s Grab sind. Viel lieber noch, würde ich ihre Grabinschrift machen, wenn das geht. (…) Von Franz Singer weiß ich nichts näheres. Er ist in London und arbeitet weiter. Emmy Heim singt und unterrichtet.“ (Archiv Georg Schrom, Brief Haas an Schrom, 13. 1. 1946) Zwischen Haas und Singer scheint daher kein weiterer Kontakt bestanden zu haben, allerdings machte Haas auch noch eine Porträtserie von Singer in London.
Singer plante in der John-Lewis-Filiale noch weitere Umbauten und Einrichtungen: Er fertigte Entwürfe für die Umgestaltungen der Abteilung für Bett- und Tischwäsche sowie der Abteilung für Spielzeug und Kindergartenmöbel an.
An sämtlichen Gestaltungen Franz Singers für John Lewis & Co. Ltd. arbeitete auch der Architekt Hans Biel. Er war von 1931 bis 1933 bereits Mitarbeiter der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer gewesen und war ebenfalls nach London emigriert. Gemeinsam mit Franz Singer entwickelte er den innovativen X-Stuhl sowie weitere Möbel aus Sperrholz. Den X-Stuhl gab es auch in einer verkleinerten Variante für Kinder sowie dazu passende Tische. Wenn man ganz genau hinschaut, entdeckt man ganz klein am unteren Rand rechts die Kinder-Sperrholz-Möbel Franz Singers auf der Fotomontage von Robert Haas.
Die Warenhausgruppe hatte nämlich Interesse am Vertrieb der Kindermöbel aus Sperrholz geäußert. Peter Jones brachte 1936/37 ein Faltblatt mit den Kindermöbeln heraus. Aufgrund ihrer Leichtigkeit wurden sie als geeignete Möbel für Kindergärten angepriesen, ob sie allerdings tatsächlich vertrieben wurden, bleibt unklar. Fraglich ist auch, ob jemals ein britischer Kindergarten mit den Möbeln ausgestattet wurde. Ein Hinweis lässt zumindest darauf schließen, dass die Möbel probeweise in der 1928 eröffneten und heute noch bestehenden Chelsea Open Air Nursery School in London verwendet wurden (Bauhaus-Archiv Berlin, Mappe V./d, Brief Peter Jones an Natalie Davies, 10. 1. 1939).
An einer serienweisen Herstellung der Sperrholz-Möbel hatte die The Grovewood Company Interesse bekundet, die vorschlug, die Lizenz für den Sessel für ein Jahr zu übernehmen. Doch Singer war skeptisch bezüglich einer Massenherstellung und schätzte die Qualität der Ausführung durch einen kleineren Tischler höher ein, sodass er eine Probeproduktion von 220 Stück durch den aus Wien immigrierten Paul Ostersetzer durchführen ließ.
Im September 1940 wurde das 1897 fertiggestellte Gebäude des John Lewis-Kaufhauses zur Seite der Oxford Street vollständig zerbombt. Das Easthouse aus dem Jahr 1939 am Cavendish Square nach einem Entwurf von Slater, Moberly & Uren wurde nur innen zerstört, die Fassade blieb erhalten. Somit wurde ein Neubau an der Oxford Street notwendig. Verschiedene im Bauhaus-Archiv Berlin erhaltene mit dem Jahr 1943 datierte Zeichnungen einer Glasfassade und der sieben Stockwerke (datiert mit 1947) zeigen, dass Singer Entwürfe für einen Neubau entwickelte. Das heutige Gebäude entstand schließlich in der Zeit von 1958 bis 1960 wiederum nach Plänen der Architekten Slater & Uren, die bereits das Easthouse entworfen hatten. Die Rasterung ihres Fassadenentwurfs weist Parallelen zu den Entwürfen von Singer aus dem Jahr 1943 auf.
Weiterführende Beiträge im Magazin:
Georg Schrom, Co-Kurator der Ausstellung „Atelier Bauhaus, Wien“, über Friedl Dicker und Franz Singer.
Anton Holzer über Robert Haas` dramatische Flucht aus Österreich.
Frauke Kreutler und Gerhard Milchram über Haas` Wiener Wohnungsfotos aus dem Jahr 1938.
Literatur:
Michael Pick: Franz Singer and Peter Jones, in: The Antique Collector. The Fine & Decorative Arts Magazine, 2, 1987, S. 84-87
Charlotte Benton: A different world. Emigre architects in Britain 1928-1958, London 1995, S. 141
Victoria & Albert Museum: The Modern Shop: Architecture & Shopping between the Wars - Victoria and Albert Museum (vam.ac.uk)
Katharina Hövelmann: Bauhaus in Wien? Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer, Wien 2021
Hövelmann / Nierhaus/ Schrom (Hg.): Atelier Bauhaus Wien. Friedl Dicker und Franz Singer, (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2022
Anton Holzer, Frauke Kreutler (Hg.): Robert Haas. Der Blick auf zwei Welten, (Ausstellungskatalog Wien Museum), Berlin 2016
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