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Wiener Wohnungen 1938
„Zum Andenken verewigt“
Eine Auswahl der ikonischen Fotografien von Robert Haas wurde 2016/17 in einer großen Ausstellung im Wien Museum gezeigt. Nicht zu sehen waren jene Wohnungsaufnahmen aus den Jahren 1937/38, die erst im Negativbestand des Nachlasses entdeckt wurden – und zunächst Rätsel aufgaben. Warum fertigte der Künstler Robert Haas dokumentarische Aufnahmen von Wohnungen an? Die Entstehungszeit sowie ein Brief mit Anweisungen an Haas lassen darauf schließen, dass die Fotos mit der NS-Verfolgung zu tun haben. Haas wurde von den jüdischen Bewohner_innen der Wohnungen mit der Dokumentation beauftragt, wohl aus Gründen der Erinnerung, aber auch um Besitz fotografisch festzuhalten.
Die Fotos waren teilweise mit den Namen der Auftraggeber_innen bezeichnet. Es gab aber auch eine Serie, die nicht einem Familiennamen zugeordnet war, allerdings konnten wir einen Auftragsbrief inhaltlich den Abbildungen zuordnen. In dem mit L.S. gezeichneten Brief gab die damals uns unbekannte Verfasserin Robert Haas eindeutige Anweisungen, wie und was in ihrer Wohnung zu fotografieren sei. Sie schrieb am 28.5.1938: „Sehr geehrter Haas, ich habe Ihnen hier, ganz laienhaft, eine Auflistung jener Dinge geschrieben, die ich gerne zum Andenken verewigt hätte.“
Akribisch genau beschrieb sie die zu fotografierenden Gegenstände und Räume: „Kleine Halle (unten) Vitrine m. Tiroler Stühlen, Ofen (beleuchtet, ist aber auch schon von der Treppe aus). Rote Sitzgarnitur (falls die Lampe stört, bitte wegnehmen) mit Tellerwand und Treppengeländer. (Lieblingsblick)“. Gleichzeitig bat sie Haas um größte Diskretion und Vorsicht beim Fotografieren der Wohnung. Er solle sich ruhig verhalten und vor allem kein Blitzlicht verwenden, damit die Nachbarn nicht auf seine Arbeit aufmerksam werden würden. Für den Fotoauftrag stellte sie ihm außerdem eine Vertrauensperson als Hilfe zur Seite.
Durch Zusammenarbeit mit der Architekturhistorikerin Iris Meder gelang es schließlich, die Wohnung und damit auch die Urheberin des Briefes zu identifizieren. Es handelte sich um Louise Stern, geb. Bondy, die mit ihrem Mann Gustav in der Liechtensteinstraße im 9. Bezirk wohnte. Mitarbeiter der Vermögensverkehrsstelle waren auf die Sterns aufmerksam geworden, als sie im Haus und im Garten Umzugskisten entdeckten. Allerdings konnten sie das Hab und Gut der Sterns nicht über den scheinlegalen Weg „arisieren“, da diese tschechoslowakische Staatsbürger waren. Daher beschritt man einen anderen Weg: Im Mai 1941 ließ die Geheime Staatspolizei Wien das gesamte Vermögen der Sterns „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit dem Ziele der späteren Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reiches“ beschlagnahmen.
Durch die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Wien wurden in den Jahren 1938 bis 1942 etwa 70.000 Wohnungen frei, die vornehmlich an Nationalsozialisten vergeben wurden. Die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner waren entweder zur Emigration gezwungen oder wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Louise Stern sowie ihr Bruder und dessen Frau nahmen sich 1939 in der von den Nazis besetzten Tschechoslowakei das Leben. Ilsa Stern, Louises Tochter aus erster Ehe, wurde 1941 in das „Ghetto Litzmannstadt“ deportiert. Gustav Stern soll nach seiner Emigration in der tschechoslowakischen Exilregierung in London und später bei den Vereinten Nationen tätig gewesen sein.
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Kommentare
Zeitzeuge Robert Haas und die Fotografie: "Durch die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Wien wurden in den Jahren 1938 bis 1942 etwa 70.000 Wohnungen frei, die vornehmlich an Nationalsozialisten vergeben wurden." Welch ein Hohn der Ausdruck "Vermögensverkehrsstelle ". Ein sehr aufschlussreicher und wichtiger Artikel.
Berührend und sehr interessant !
Danke für die Rückmeldungen! Sollten wir mal ein Buch daraus machen, werden wir hier sicher darüber berichten!
Sehr rührend.
Vielen Dank.
Es wäre wunderbar, wenn daraus ein Buch entstünde!