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Bernhard Hachleitner, 25.7.2024

Frühe Wetterprognosen in Wien

Hirschgeweihe am Stephansdom

Beim Versuch, das Wetter vorherzusagen und sich vor Unwettern zu schützen, lagen astrologische und religiös-magische Erklärungsmuster lange im Widerstreit mit naturwissenschaftlichen Ansätzen. Die Wiener Aufklärungsskepsis manifestierte sich auch am Stephansdom.

Wien und der Wein – die enge Verknüpfung der beiden Begriffe ist gleichermaßen Klischee wie auch Realität. Das zeigt sich auch bei der Geschichte der Wetterbeobachtung. Sie beginnt mit der Erkenntnis, dass in der Landwirtschaft – und das hieß in Wien immer auch Weinbau – das Wetter eine ganz entscheidende Rolle für Umfang und Qualität der Ernte spielt. Die ältesten schriftlichen Quellen zum Wetter aus dem Wiener Raum hängen deshalb mit der Landwirtschaft zusammen. Einerseits wurde das Wetter beobachtet, um daraus Prognosen ableiten zu können, wie das bei den Bauernregeln der Fall ist; anderseits geben Rechnungsbücher und Aufzeichnungen über die Ernte indirekt Hinweis auf das Wetter in einzelnen Jahren. Mit der Etablierung des Buchdrucks entstanden im 16. Jahrhundert Kalender und ähnliche Druckwerke. Ein Beispiel ist die von Johann Rasch verfasste „Hauer Practic“ aus dem Jahr 1589, die Tipps für den Weinbau mit Wetterregeln und astronomischen bzw. astrologischen Erklärungen verknüpfte.

Das bekannteste Beispiel für die Verbindung astrologischer Interpretationen des Wetters ist der Hundertjährige Kalender, entwickelt von dem fränkischen Zisterzienserabt Mauritius Knauer und als „Calendarium Oeconomicum Practicum Perpetuum“ ab 1700 in vielen Ausgaben erschienen. So sollte ein siebenjähriger Wetterzyklus ablaufen, jedes Jahr würde von einem der sieben „Planetenregenten“ bestimmt: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond. In dieser Tradition steht auch der 1789 in Wien erschienene Beständige „Hauß Calender dißmalen gerichtet auf Hundert Jahr. Von 1701 biss 1801 gestellet“.

Die astronomisch gestützten Wetterprognosen bildeten ein starkes Verkaufsargument, obwohl ihre geringe Treffsicherheit offensichtlich war. Explizit ging darauf der „Astrolog“ ein, erschienen im Jahr 1847: „Wenn aber zuweilen durch außerordentliche Erscheinungen und Vorgänge in der Atmosphäre von allen Voraussagungen gar keine eintrifft, so beweiset dieses nur, das eine genau zutreffende Wetter-Prophezeiung das unlösbarste Problem ist.“

Anders als der Siebenjahreszyklus (den Knauer aus einer einzigen siebenjährigen Beobachtungsreihe abgeleitet hatte) beruhen die Bauernregeln – wie sie in den Kalendern auch vorkamen – auf langjähriger Beobachtung. Allerdings versprechen sie mehr, als sie einlösen können. Konkrete Wetterprognosen für einen bestimmten Tag sind nicht möglich, wohl aber die Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten für relativ klar abgrenzbare Zeiträume. Außerdem lassen sich die Regeln nicht auf andere Regionen übertragen, dazu kommen noch Kalenderreformen und Klimaveränderungen.
 

Wahrscheinlichkeit statt fixer Vorhersagen

Deswegen waren langjährige Wetterbeobachtungen aber nicht wertlos, es mussten ihrem Prognosewert allerdings realistische Annahmen zugrunde gelegt werden. Genau das tat Anton Pilgram, Ex-Jesuit und kaiserlicher Astronom. Der 1730 in Wien geborene Pilgram ist nicht verwandt oder gar ident mit dem gleichnamigen Dombaumeister. Für seine „Untersuchungen über das Wahrscheinliche der Wetterkunde durch vieljährige Beobachtungen“ trug er alle verfügbaren Wetterdaten zusammen. An die Stelle fixer Prognosen für bestimmte Tage stellte Pilgram Wahrscheinlichkeiten – und er hinterfragte den bis dahin als weitgehend selbstverständlich erachteten Einfluss der Himmelskörper. Eine klassische Aufklärungsschrift zu einem heiß diskutierten Thema, die Kalender mit ihren Bauernregeln und über Jahrhunderte tradierten Erklärungsmustern verschwanden aber deshalb noch lange nicht. Der Widerstreit zwischen naturwissenschaftlichen und magischen Erklärungsmustern trat nicht nur bei der Wetterprognose zu Tage, er zeigte sich auch beim Unwetterschutz.

Bis in die Antike zurück lässt sich das Läuten von Glocken zur Abwehr von Gewittern nachweisen. Im Mittelalter erhielt diese Praktik ihren Platz im christlichen Volksglauben. Das Läuten der geweihten Kirchenglocken könne die von Hexen oder Dämonen verursachten Unwetter bannen. Kaiser Joseph II. verbot diesen Brauch am 26. November 1783 per Hofdekret – offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. 1786 Jahre wurde deshalb das Dekret erneuert, im gleichen Jahr erschien „Hans und Wastel übers Wetterläuten“. In einem fiktiven Dialog, einer bei Aufklärungsschriften beliebten Form, stehen sich Wastel als Verfechter des Wetterläutens und Hans, der das Verbot verteidigt, gegenüber. Das Metall der Glocken ziehe Blitze an, anstatt sie zu vertreiben, argumentiert Hans naturwissenschaftlich.

Aber auch theologische Überlegungen haben Platz: „Ihr wollt nicht, das euch die Nachbarn das Wetter zuschicken; warum wollt ihrs dann ihnen thun?“ Es sollte schließlich nicht die Religion insgesamt in Frage gestellt werden, sondern nur der ‚falsche‘ Glaube: „O, es gibt noch gute Sachen gnug zu glauben, mein lieber Wastel […]. Und je mehr wir die schlechten Sachen ausn Kopf bringen, desto mehr haben die guten drinn Platz.“

Wie schwer es die Aufklärung bisweilen in Wien hatte, zeigt auch die Geschichte des Blitzableiters am Stephansdom. Als höchstes Gebäude der Stadt war er bei Gewittern besonders gefährdet. So brannte 1449 der Südturm nach einem Blitzschlag. Wohl als Reaktion darauf setzte man 1551 „auf die acht obersten Fialen des Turms jeweils ein Hirschgeweih“. Niemand habe je gehört, dass ein Hirsch vom Blitz getroffen worden wäre, das Geweih müsse deshalb schützen, so die Begründung. Der Empirie hielt sie nicht stand: Anfang des 16. Jahrhunderts drohte dem Turm nach wiederholten Blitzschlägen der Einsturz. 1752 erfand Benjamin Franklin den Blitzableiter, der auch in Europa schnell Bekanntheit erlangte. Trotzdem wurde am Stephansdom erst nach 1810, im Zuge der Reparaturarbeiten nach den napoleonischen Bombardements, ein Blitzableiter angebracht. Die Hirschgeweihe blieben zumindest teilweise an ihrer Stelle. Beim Modell des Stephansdoms im Wien Museum fehlt übrigens der Blitzableiter. Dieses Modell hält im Außenbereich, so der Kurator Sándor Békési, „den Zustand des Domes nach Mitte des (19.) Jahrhunderts weitgehend originalgetreu fest“, aber „die stilreine gotische Architektur (wurde) von allen späteren (also damals als störend empfundenen) Elementen bereinigt (…) und (erscheint) wie aus einem Guß geschaffen". Der Blitzableiter war offenbar eines dieser störenden Elemente.

Technisierung und Zentralisierung

Im 19. Jahrhundert begann sich der naturwissenschaftliche Zugang zur Wetterbeobachtung insgesamt durchzusetzen, wenngleich der mythologische nie vollständig verschwand. Am 1. Juli 1814 erschien erstmals ein Wetterbericht in der Wiener Zeitung. Die Daten lieferte die k. k. Universitätssternwarte, ab dem 3. November 1852 kamen sie von der k. k. Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus (später Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), heute GeoSphere Austria). Mit deren Gründung im Jahr 1851 war die wissenschaftliche Wetterbeobachtung in der Habsburger-Monarchie auf staatlich-institutionelle Beine gestellt worden.

Eine Entwicklung, die fast zeitglich in vielen Staaten zu beobachten war, angestoßen von einer technischen Innovation: Die Erfindung des Telegrafen und die Einrichtung von Telegrafennetzen entlang der Eisenbahnlinien ermöglichte die Übermittlung von synchronen Wetterdaten aus der ganzen Welt. Damit war nicht nur eine retrospektive Darstellung möglich, es konnten auch Wetterprognosen erstellt werden, die über volkstümliche Wetterregeln und die Interpretation lokaler Beobachtungen hinausgingen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kamen mit Hilfe von telegrafischen Wettermeldungen erstellte Prognosen zum Einsatz. Den Anstoß für einen internationalen Wetterdienst lieferte der Krimkrieg, bei dem die alliierte Flotte von einem Sturm versenkt wurde, der bei Nutzung der vorhanden Wetterdaten vorhersehbar gewesen wäre.

Die Zentralanstalt veröffentlichte ab dem 1. Jänner 1877 täglich einen telegrafischen Wetterbericht mit tabellarisch dargestellten Frühwerten aus Europa und angrenzenden Regionen. Daneben wurde die Wetterkarte für Europa mit den Isobaren platziert, ergänzt von einer kurzen textlichen Beschreibung der Wetterlage. Sie konnten inklusive „portofreier, täglicher Zustellung“ um zwei Gulden pro Monat abonniert werden. Dieser Preis galt für das Jahr 1881. Ein Jahr, das in Österreich mit Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt begann, in Moskau lag die Temperatur dagegen bei plus 1,2 Grad Celsius, im sizilianischen Palermo bei 12,5 Grad. „Das Barometer ist durchwegs gestiegen, besonders rasch im Norden. (…) Das Wetter ist im Allgemeinen trüb, im Westen Osterreichs Schnee, im Osten Regen.“

In gebundener Form liegen die telegrafischen Wetterberichte in der Wienbibliothek im Rathaus auf, von 1880 bis 1928, das Grundprinzip ist über diesen Zeitraum gleichgeblieben, die textliche Beschreibung wandelt sich aber immer mehr zu einer Prognose für den kommenden Tag. Verändert haben sich das Layout und die Listen der Orte, aus denen Wetterberichte kamen: Im Jahr 1916, also im Ersten Weltkrieg, fehlen die Wetterdaten aus den Ländern der Kriegsgegner ebenso wie die Wetterkarten. 1927 – als Beispiel für die Erste Republik – hatte sich der Aufbau der Liste gewandelt, sie bildete die neue staatliche Situation nach dem Ende der Habsburgermonarchie ab. Die Wetterkarten mit ihren Isobaren waren dagegen nach Kriegsende zurückgekehrt und um solche zur Temperaturverteilung in Europa ergänzt worden.
 

Langjährige Datenreihen zeigen deutliche Erwärmung

Die von der ZAMG (bzw. GeoSphere) auf der Hohen Warte gemessenen Daten zu Lufttemperatur, Luftdruck, Bewölkung, Windgeschwindigkeit und Niederschlag sind seit 1872 für jeden einzelnen Tag online verfügbar. Der Abgleich mit anderen Quellen zeigt etwa, dass die Zeitungsberichte aus dem Sommer des Jahres 1928, als in Wien eine regelrechte Hitzehysterie herrschte, die Bäder sogar nachts geöffnet blieben, häufig stark übertriebene Temperaturwerte verbreiteten. So war etwa von 35 Grad als Morgentemperatur die Rede, tatsächlich wurde dieser Wert erst zu Mittag erreicht, als manche Zeitungen von 50 Grad schrieben. Das war wohl nicht nur der Sensationslust, sondern auch direkt von der Sonne angestrahlten Thermometern geschuldet. Ein knappes halbes Jahr später, als Wien von einer heftigen Kältewelle heimgesucht wurde, die Donau auf einer Länge von 500 Kilometer zugefroren war und der Eisstoß für bizarre Polarlandschaften sorgte, wichen die von den Zeitungen verkündeten Temperaturen kaum von den Meldungen der Zentralanstalt ab.

An den Datenreihen lassen sich aber auch langfristige Veränderungen ablesen, es lässt sich die aktuelle menschengemachte Erwärmung ablesen. Einerseits ist die Zahl der Frosttage stark zurückgegangen, anderseits steigt jene der Hitzetage stark an. Als im Jahr 1989 in Laxenburg eine Konferenz zum Treibhauseffekt stattfand, war die Erwärmung wegen der natürlichen Schwankungen und anderer Effekte noch nicht spürbar. „Die Modellrechnungen zeigen jedoch, daß in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts die Erde wahrscheinlich eine höhere Oberflächentemperatur erreichen wird, als sie während der letzten Millionen Jahre hatte“, schrieb Othmar Preining, Pionier der Aerosolforschung und Professor am Institut für Experimentalphysik der Universität Wien, in seinem Beitrag zum Tagungsband. Und forderte schon damals: „Um auf der Welt vernünftig leben zu können, wird ein radikales Umdenken notwendig werden. Es wird notwendig und wird möglich sein.“ Das war vor 35 Jahren ...

Dieser Text greift einzelne Aspekte aus dem Buch „‚Die Hitze in diesen Tagen wird nachgerade unerträglich‘ Das Wetter in den Sammlungen der Wienbibliothek“ auf. Es wurde von Bernhard Hachleitner und Christian Mertens herausgegeben (Wien, Mandelbaum 2024). Die gleichnamige Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus ist bis 6. Dezember geöffnet. Buch und Ausstellung gehen der Frage nach, was eine kulturwissenschaftliche Bibliothek zu aktuellen Klima- und Wetterdiskursen beitragen kann. In den Sammlungen der Bibliothek finden sich neben Büchern aus fünf Jahrhunderten unterschiedliche weitere Objekte mit Bezug zum Wiener Wetter: Briefe, Musikalien, Plakate, Pläne und Fotografien.

 

Literatur und Quellen

Hauer Practic, erster thail, Kalendar / der Hauer los- oder lesztäg / auch ander mehr nutze erinderungen von Weinbau oder Weingartarbait / und derer löblichkait in Osterreich / auch derselben zwayerlay Rabischordung / innhaltend, jezt absunderlich aus dem Weinbuech gestellet durch Johann Rasch, Wien, Leonhard Nassinger 1589

Hauß Calender dißmalen gerichtet auf Hundert Jahr. Von 1701 biss 1801 gestellet. Wien, Mößle 1789

Der Astrolog. Allgemeiner Auskunfts-Kalender 23 (1847), Wien, Leop. Grund 1847, S. 42 ff.

Anton Pilgram, Untersuchungen über das Wahrscheinliche der Wetterkunde, Wien, Kurzbeck 1788

Hans und Wastel übers Wetterläuten, Graz, Leykam 1786, S. 38 & 47.

[Johann Trost], Der Umbau der oberen Pyramide des Wiener Stephansthurmes, Wien, L. Forster’s artistische Anstalt 1843, S. 8.

Vom Dachboden des Doms ins Depot des Museums, magazin.wienmuseum.at/historisches-stephansdom-modell

Internationaler telegrafischer Wetterbericht des k. k. meteorologischen Central-Observatoriums zu Wien 5 (1881) 1, 1. Janner. 7 h Morgens [sic!] 1881, Wien, Selbstverlag 1881.

Othmar Preining, Der Treibhauseffekt, in: Akademie für Umwelt u. Energie (Hg.), Der Treibhauseffekt. Das Problem – Mögliche Folgen – Erforderliche Maßnahmen. Vortrage zur Tagung. Schloß Laxenburg. 16. und 17. November 1989, Laxenburg: Akademie für Umwelt und Energie 1989, S. 5–18, hier S. 15.

Monatliche Wetterdaten der Messstation Hohe Warte zu Lufttemperatur, Luftdruck, Bewoelkung, Windgeschwindigkeit und Niederschlag seit April 1872 – Wien, Excel-Liste, abrufbar auf www.data.gv.at/katalog/dataset/wetter-seit-1872-hohe-warte-wien

Bernhard Hachleitner, Historiker und Kurator, Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, Dissertation über das Wiener Praterstadion. Mitarbeit an Projekten, u. a. in der Wienbibliothek im Rathaus, im Wien Museum, im Haus der Geschichte Osterreich, der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien; zahlreiche Veröffentlichungen und Ausstellungen zu Themen aus den Bereichen Populärkultur, Stadt- und Zeitgeschichte.

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