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Andrea Amort, 23.2.2024

Gertrud Bodenwiesers Tanz „Dämon Maschine“

Schreckliche Schönheit

„Dämon Maschine“, das bekannteste Werk der österreichischen Avantgarde-Tänzerin Gertrud Bodenwieser, wurde vor hundert Jahren im Wiener Konzerthaus uraufgeführt – und wurde auch in Australien zum Hit, wohin Bodenwieser mit ihrem Ensemble vor den Nazis fliehen musste. Die Choreografin Silke Grabinger, die auch mit Robotik arbeitet, hat das überlieferte Tanzdrama mit aktuellen Fragestellungen und zeitgenössischer Bewegung weitergeführt. 

Neues Wiener Journal, 30. Jänner 1924. Mit dem Autoren-Kürzel _r. gezeichnet, hatte er/sie offenbar nicht nur mit der Choreografin gesprochen, sondern auch eine Probe verfolgt. Der zweite Teil des vierteiligen Tanzdramas „Gewalten des Lebens“ – und nur der ist vor allem durch die Einstudierung zweier ehemaliger Bodenwieser-Tänzerinnen aus Wien nebst einer Notation und Filmmaterial erhalten – wird so beschrieben: „‚Dämon Maschine‘ [...] soll die schreckliche Schönheit dieses langsam die menschliche Kraft verdrängenden Ersatzes bis zur Umwandlung des Menschen zum Maschinenbestandteil zeigen. Hier erschließt Frau Bodenwieser der mimischen Kunst tatsächlich ein ganz neues Gebiet. Ihre Phantasie erfand eine Darstellung für Kette, Schraube, Hebel, sie baut den Maschinendämon aus Menschenleibern, denen ihre Vision jede eigene Gedankenfunktion nimmt und sie dazu verdammt, Teile eines Ganzen mit immer sich gleichbleibender Tätigkeit zu sein. Die in ihrem ewigen Einerlei furchtbare Arbeit der menschlichen Hilfskraft bei einer Maschine ist hier phantastisch bis zur Umwandlung des Menschen in einen Maschinenbestandteil durchgeführt.“

Und richtig war die Mutmaßung, dass diese „Dämon Maschine“ zu hämmernder Klaviermusik der erst wieder zu entdeckenden Komponistin Lisa Maria Mayer „durch die Originalität des Gedankens wohl den Höhepunkt des neuen Tanzdramas bilden würde“. Am 4. Februar 1924 kam der dramatische Tanz mit weiteren Choreografien von Gertrud Bodenwieser (Wien 1890 – Sydney 1959) im Großen Saal des Wiener Konzerthauses (mit mehr als 1800 Sitzplätzen) zur Uraufführung.

Auch in Bodenwiesers australischem Exil – die Jüdin flüchtete 1938 mit ihrem Ensemble aus Wien – gehörte „Demon Machine“, davor auch „The Machine Age“, zu den oft und erfolgreich gespielten Tanzstücken. In den Programmheften aus den 1940er-Jahren heißt es dort, als wär’s von heute: „Dieser Tanz ist charakteristisch für die lebenswichtigen Probleme dieser Zeit und zeigt, wie die Maschine die Herrschaft über die Seelen der Menschen erlangt. Wohingegen die Menschen die Maschine beherrschen sollten.“Von Hede Juer, einer der tanzenden Mit-Kreateurinnen, 1975 als kinetisches Meisterwerk bezeichnet, gilt „Dämon Maschine“ als populärstes Werk von Bodenwieser, das mehr als 30 Jahre im Repertoire blieb.

Knapp fünf Minuten lang ist die von Bettina Vernon und Evelyn Ippen mit Unterstützung von Carol Brown an der University of Surrey vorbereitete und in Wien 1990 mit Tänzerinnen der Staatsoper wiederaufgeführte Choreografie: Vier Frauen – sich erst in einer heilen Welt arglos bewegend – geraten in den Sog des (weiblichen) Dämons und werden zu einer immer schneller arbeitenden, nahezu Funken sprühenden Maschine. Der Dämon, sozusagen Hauptantriebsteil, ist oft von Bodenwieser selbst getanzt worden, mit einem am Kopf aufgesteckten blitzartigen Symbol. Weitere Aufführungen gab es etwa 2000 in Wien im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Tanz im Exil“, dann 2017 in Melbourne von Carol Brown.

Es war immerhin die „Dancing Times“, die im Juni 1929 anlässlich eines einmonatigen Gastspiels der Wienerin mit sieben Tänzerinnen im Londoner Coliseum sinngemäß feststellte, dass Bodenwieser dem Rhythmus in seinen vielen Ausprägungen Gewicht geben wollte. Ihr „oft kopierter“ Tanz „Dämon Maschine“ zeige das mit „einem [. . .] grandiosen Konzept, das sich durch einen eigenwilligen Vorschlag mechanischer Entwicklungen auszeichnet, die in einer Reihe fesselnder Rhythmen dargestellt werden“. Ein kurzer Vergleich mit Léonide Massines 1927 in Paris uraufgeführtem Maschinen-Ballett „Le Pas d’Acier“ fiel zu Gunsten der Wiener Produktion aus.

Die Welt der Maschine, der Automatisierung mit all ihren realen und fantasierten Auswüchsen war, ähnlich wie jetzt die Diskussion um die Künstliche Intelligenz (KI), allgemeines Gesprächsthema. Zeitlich war die facettenreiche Expressionistin, die als lyrischer galt als ihre deutschen Kolleginnen, gut am Thema dran. 1925 betont sie in Paul Stefans Publikation „Tanz in dieser Zeit“, dass sie die „Empfindungswelt des heutigen Menschen“ im Ausdruckstanz erschlossen habe. Ihre stärksten Erfolge seien in den ganz vom Zeitgeist durchtränkten Tänzen „Ein Wesen“ und „Dämon Maschine“ gelegen. In „Ein Wesen“, dem ersten Teil des Zyklus „Gewalten des Lebens“, ging es, wie der Vorbericht in der eingangs zitierten Wiener Tageszeitung beschreibt, um den Kampf der Geschlechter. Der dritte Teil hieß „Tanz ums goldene Kalb“, der vierte „Erlösung durch Güte“. Drei Jahre nach der Uraufführung von „Dämon Maschine“ kommt Fritz Langs Monumentalstreifen „Metropolis“ nach dem gleichnamigen, 1925 veröffentlichten Roman von Thea von Harbou ins Kino. Die Figur der Maschinen-Maria schreibt sich ins kulturelle Gedächtnis ein.

Die österreichische Choreografin Silke Grabinger, die in ihrer Karriere unter anderem das „b-girl SILK“ bei Breakdance-Wettbewerben war, ist in Produktionen von Choreograf:innen wie Dave St.-Pierre, Margie Gillis und Daniel Ezralow aufgetreten, zugleich hat sie der „Cirque du Soleil“-Kreation „The Beatles – LOVE“ angehört. Grabinger arbeitet seit mehreren Jahren an der Verbindung von Robotik und urbanem wie zeitgenössischem Tanz. Insofern kein Wunder, dass sie im Zuge ihres Interesses für Künstlerinnen der Moderne auf Gertrud Bodenwieser und „Dämon Maschine“stieß. So kam sie auch mit der Autorin dieses Textes ins Gespräch, die Hinweise gab, aber an Grabingers Inszenierung selbst nicht beteiligt war.

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Grabinger ist derzeit unter anderem im Linzer Museum Francisco Carolinum in der Ausstellung „Extensions of self – An Exchange of Human and Artificial Intelligence“ präsent. In ihrer performativen, 150 Minuten langen Live-Studie „SPOTSHOTBEUYS“ agierte sie mit einem von Boston Dynamics entwickelten und am Robotik-Institut der Johannes-Kepler-Universität Linz weiterentwickelten Roboterhund namens Spot. Nunmehr als Video-Installation zu sehen, untersucht Grabinger hier, inwieweit menschliche Attribute auf Roboter projiziert werden und fragt nach Abhängigkeit und Rollendistanz. Beeinflussen etwa Gender und Herkunft der Techniker:innen den Umgang mit dem Roboter?

„SPOTSHOTBEUYS“ versteht Grabinger als Neuinterpretation der 1974 in New York von Joseph Beuys mit einem Kojoten durchgeführten Aktion „Cojote, I like America and America likes me“. An der ganz und gar analogen Welt der Bodenwieser-Maschine fasziniert sie der Eindruck der technokratischen Dystopie, den der Tanz hinterlässt. Die Ausführung der historischen Choreografie wiederum, meint Grabinger, verlangt turnakrobatische Schulung, die sie mit ihrer Praxis aus dem B-Girling im Breakdance gut verbinden kann.

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Gemeinsam mit ihrem Team hat sich die von Linz aus agierende, mittlerweile in einer 140 Jahre alten, ehemaligen Kapelle mit einer Raumhöhe von 10 Metern arbeitende Künstlerin unter anderem mit Hilfe unterschiedlicher Filmquellen und Anleitungen der Originalchoreografie genähert. Die erste Szene in ihrem abendfüllenden Stück „Unter_Boden“ heißt „Sehnsucht nach dem Original“. Insgesamt tragen den Abend neun Szenen, in denen das Ausgangsmaterial gezeigt, zerlegt, untersucht und verschiedentlich weitergeführt wird. Es geht darin aber auch um die technische Entwicklung wie die Bedienung von tools und digitalen Räumen sowie Fragen zum Gender-Diskurs, die auch schon in Bodenwiesers Zyklus‘ „Gewalten des Lebens“ angelegt sind. Grabinger hat ihr Stück mit fünf männlich gelesenen Performern besetzt und bringt sich selbst ein.

Das gesamte Ensemble hat einen Zugang zu urban-zeitgenössischem Bewegungsmaterial, das Grabinger auch als Brücke zwischen Pop- und Hochkultur sieht. Spannend findet sie außerdem, wie Bodenwieser die unterschiedlichen Qualitäten der Bewegungen einsetzt, zuerst ein fließendes Paradies simuliert und dann skulptural mit dem Körper arbeitet und in einem dystopischen Bild endet. Angesichts von Grabingers Robotik-Studien, mutet ihre Auseinandersetzung mit Bodenwieser nicht doch harmlos an? „Keineswegs“, meint die Choreografin, „wir lehnen uns da schon auch an eine historische industrielle Revolution und einen gesellschaftlichen Extremismus an. In gewisser Weise wiederholen sich diese Geschehnisse jetzt nach 100 Jahren. Wir durchleben gerade eine digitale Revolution und eine neue blutige Debatte über Religion und Gesellschaft“ Musikalisch kombiniert sie Live-Musik und elektronische Musik. Niemand geringerer als Paul Gulda spielt am Klavier die Musik der vergessenen Komponistin Lisa Maria Mayer ebenso wie Debussy, Reger und Mozart. Musik, die auch Bodenwieser verwendete. Neue Musik kommt von Fabian Rucker. Wichtig war der Tänzerin zudem „den schon lang überfälligen aktuellen Diskurs der weiblichen Rapperinnen Cardi B & Megan Thee Stallion über sexual empowerment im Hip-Hop mit hinein zu nehmen“. 

Nach Voraufführungen kommt die abendfüllende Produktion „Unter_Boden“ am 4. März bei den Linzer „TanzTagen“ im Posthof zur offiziellen Uraufführung. „SPOTSHOTBEUYS“ ist im Rahmen von „life.like“ am 26.4. und am 27.4. bei PACT Zollverein in Essen wieder zu sehen. Termine in Italien sind in Verhandlung. www.silk.at 

Quelle: Zeitschrift  „tanz“ (Berlin), Ausgabe Februar 2024

Andrea Amort, Dr. phil. 1982 Univ. Wien. Begleitet die [Wiener] Tanzszene als Kritikerin, Dramaturgin und Kuratorin sowie als Tanzhistorikerin. Lehrte u.a. an der Bruckner-Uni. in Linz, MUK-Uni in Wien. Kuratiert Ausstellungen, Festivals Beyond the Waltz in Washington DC, Berührungen: Tanz vor 1938 – Tanz von heute im Odeon, Wien; Produzierte Hanna Berger: Retouchings im Festspielhaus St. Pölten, Rosalia Chladek Reenacted im Theatermuseum Wien, das Grete Wiesenthal-Projekt Glückselig. War gestern, oder? im brut, Wien. Zahlreiche Publikationen: zuletzt u.a. Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne [Hatje Cantz, 2019], im Erscheinen, gemeinsam mit Tanja Brandmayr u. Gerlinde Roidinger, Erika Gangl und der Neue Tanz [Hollitzer Verlag, 2024]. www.andrea-amort.at

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