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Andreas Winkel, 19.4.2022

Geschäftsschilder im Biedermeier

„Alt-Wiener“ Street Art

Geschäftsschilder bei hochkarätigen Malern zu beauftragen: Diese Praxis kam in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mode. Zur gleichen Zeit gewann auch die Gestaltung der Auslagen immer stärker an Bedeutung. Über Vorboten der Shopping-Moderne, die längst verschwunden sind.  

Es ist kein Einzelfall: Das Interesse an historischen Geschäftsschildern begann in der Kunst- und Kulturgeschichte zu der Zeit zu wachsen, als sie aus dem Stadtbild verschwanden und als nicht mehr praktizierte Kunstform wahrgenommen wurden. Zwar ist der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung im frühen 20. Jahrhundert bei Adalbert Seligmann und Emmerich Siegris anzusiedeln, doch beklagte Joseph Wimmer schon 1878 in einem historischen Rückblick im „Neuen Wiener Tagblatt“, dass gegenwärtig von den Geschäftsbesitzern zwar bedeutende Summen in das äußere Erscheinungsbild ihrer Lokale investiert würden, dass dabei jedoch die Malerei ausgeschlossen sei: „Für diese geben Sie bei Einrichtung ihrer Niederlagen keinen Kreuzer aus.“ Früher hingegen hätte ein sich in der Stadt etablierender Kaufmann seinen Stolz darin gesetzt, das Geschäftsschild „wenn möglich durch den Pinsel eines anerkannten Künstlers herstellen zu lassen“. Wimmer lenkt unser Augenmerk mit diesem Hinweis auf eine relativ kurze, aber bedeutende Phase in der Geschichte der Geschäftsschilder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aus der auch viele der im Wien Museum verwahrten Beispiele stammen. In diese Zeit fallen nicht nur die Anfänge der modernen Geschäftsauslage, die für die Entwicklung der Geschäftsschilder bedeutend war, sondern neben bildlichen Darstellungen wie jenen von Carl Graf Vasquez auch erste Reflexionen und Berichte über die Wiener Auslagen und deren Schilder, die uns zwischen den Zeilen auch über einen subtilen Funktionswandel derselben informieren.

Waren ältere Schilder – wie etwa die des Müllermeisters Georg Fischenthaller oder der Material- und Spezereihandlung „Zum schmeckenden Wurm“ – dem Bereich der anonymen Kunst zugehörig, zeichneten seit den 1820er Jahren namhafte oder aufstrebende Künstler für die Herstellung der jetzt oft sehr großformatigen Gemälde verantwortlich. Neben den schon genannten Namen wie Johann Nepomuk Mayer und Leopold Kupelwieser schuf etwa Ferdinand Georg Waldmüller vier Schilder für die Apotheke zum goldenen Löwen in der Josefstadt, an die heute Repliken in der Auslage erinnern. „Es entstand auf diese Art bereits eine ziemliche Anzahl bedeutender Kunstwerke“, bemerkte Adolf Schmidl 1833, und die Bedeutung dieser Objekte für das Wiener Straßenbild zumindest der inneren Stadt wurde oft betont: „Die Besitzer der reichen Kaufläden wetteifern untereinander, sich durch Schönheit, Pracht oder Kunstwerth dieser Malereien wechselseits zu überbieten; gewiss, keine Stadt Europas kann eine ähnliche Kunstausstellung in den Strassen aufweisen.“ (Eduard Duller, 1838).

Der hohe künstlerische Anspruch der Auftraggeber der Schilder fand detaillierten Niederschlag in der veröffentlichten Wahrnehmung. „Bäuerles Theaterzeitung“ etwa berichtete 1836 ausführlich über zwei neue Schilder, nämlich dasjenige der Modewarenhandlung von Schiller und Springer in der Kärntnerstraße und jenes der Modenwarenhandlung von Vinzenz Grünwald im Trattnerhof („Zur Französin“), welches sich heute im Wien Museum befindet und über dessen ursprüngliche Situierung eine zeitgenössische Zeichnung unterrichtet.

Der Bericht der Theaterzeitung vermerkt den Wandel weg von den alten kleineren Bildformaten zu luxuriösen Großformaten, die nunmehr von berühmten Künstlern für die jetzt mit großem Aufwand ausgestatteten Geschäftslokale hergestellt würden. Er kennzeichnet die Bilder außerdem als um ihrer selbst willen sehenswert: „Mit jedem Tage entstehen in den belebteren Theilen der Stadt neue, mit nicht weniger Geschmack, als Kostenaufwande errichtete Etablissements, namentlich wird aber mit den Gemälden, welche die Stelle der ehemaligen Aushängeschilder zu vertreten haben, fast eine Art Luxus getrieben. Man läßt solche großentheils von berühmten Künstlern verfertigen, und zudem noch in einem Formate, welches sich selbst bei unseren Kunstausstellungen nur höchst selten einfindet.

Wir besitzen bereits eine Unzahl solcher öffentlich ausgestellter Gemälde, und vielen derselben ist wirklicher Kunstwerth eigen. Ihre Zahl vermehrt sich noch mit jedem Tage, und erst vor Kurzen sind wieder zwei neue solche Bilder aufgestellt worden, vor denen sich die Vorübergehenden immer in großer Anzahl versammeln. Das Eine „zum Schäfer“ in der Modewarenhandlung der Herren Schiller und Springer in der Kärntnerstraße (gegenüber der vortrefflichen Ziegler'schen „Zufriedenheit“) von einem auf dem Bilde selbst nicht genannten Maler, – das Zweite, in der Theaterzeitung auch schon angezeigte „zur Französin“ in der Modewarenhandlung des Hrn. Vinzenz Grünwald in der Goldschmidgasse im Trattnerhofe, gemalt von dem verdienstvollen Künstler, Hrn. Joseph Ziegler. […] „Die Französin“ von Ziegler ist ausgezeichnet im Colorit und dabei mit einem Fleiße, und einer bis in das kleinste Detail gehenden Genauigkeit ausgeführt, wie wir dies seit jeher bei allen Leistungen dieses trefflichen Künstlers angetroffen, erkannt und gewürdiget haben. Das Bild zeigt eine Farbenpracht und Schönheit, eine so glückliche Zusammenstellung, daß wir es unbedenklich zu den besten zählen können, welche Wien in der Art besitzt.“

Die Zeichnung der hier so hoch gelobten „Französin“ von Joseph Ziegler in ihrem originalen Zusammenhang verdeutlicht nochmals, was auf den Darstellungen von Vasquez schon gut zu sehen ist: Nämlich dass die Geschäftsschilder in dieser Phase der Schildermalerei zumindest im Bereich der elitären Geschäfte der Inneren Stadt sehr bewusst in die Gestaltung der Geschäftsauslagen eingeplant und Teil der Warenpräsentation geworden waren. Die „Französin“ nahm einen offensichtlich eigens für die Bildtafel geschaffenen mittleren Teil der Auslage des Geschäftslokales ein und präsentierte den Kundinnen in der malerisch virtuosen Darstellung der Stofflichkeit von Kleid und „Shawl“ die Vorzüge der im Geschäft angebotenen Ware.

Aber mehr noch: das Gemälde selbst präsentierte die Ware für die Kundinnen an einem „role model“, das ein Schönheitsideal verkörperte und in dem man sich selber sehen konnte und sollte. Der „schönen Französin“ kam somit mehr zu als eine Zeichenfunktion für den Geschäftsnamen und das Warenangebot. Das Bild überschritt die bis dahin gängige Funktion der Gattung Ladenschild, indem es, wie die Auslage mit dem tatsächlichen Warenangebot, die Schaulust befriedigte und gleichzeitig – wiederum wie die ausgelegte Ware – die Kauflust förderte. Der Schau- und Kunstwert des Bildes bestand durchaus nicht um seiner selbst willen – die „Kunstausstellung auf der Straße“ fand ihre Funktion im Rahmen einer Warenpräsentation, in welcher dem Schauen und der Kontextualisierung der Ware höchste Bedeutung zukam. Adalbert Stifter brachte den Zusammenhang zwischen der Präsentation der Ware und der Kauflust auf den Punkt: der Zweck der Warenauslage war nicht nur der, dass „der kaufe, der will, sondern vielmehr und eigentlich der, daß der kaufe, der nicht will“. Um das zu erreichen, so Stifter, musste die Ware, das einzelne Stück, in einem reizvollen Umfeld präsentiert werden. Als Helmuth von Moltke 1835 Wien besuchte, brachte er in einem Brief an seine Mutter das Resultat dieser Kontextualisierung auf den Punkt: „Die Pracht der Läden ist außerordentlich, und man ist in beständiger Berührung, zu kaufen.“ Wer aber heute durch Wiens Einkaufsstraßen geht, kann das eine oder andere Geschäftslokal und dessen Gestaltung durchaus in eine Ahnenreihe mit einer visuellen Kultur setzen, die ihren Ausgang in den Geschäftsstraßen des 19. Jahrhunderts hatte.

 

Literatur:

Adalbert F. Seligmann, Kunst auf der Straße im alten Wien, in: Monatsblatt des Altertumsvereines zu Wien, 1914/1916, Nr. 3, S. 218.

Aus und um Wien. Neue Handlungsschilde, in: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Nr. 16, 6.2.1827, S. 67-68

Breuss, Susanne, Die schöne Wienerin. Klischees, Puppen, Königinnen, in: Mit Haut und Haar: Frisieren, Rasieren, Verschönern (= Katalog zur 420. Sonderausstellung des Wien Museum), Wien 2018, S. 258-275

Breuss, Susanne, Window shopping: eine Fotogeschichte des Schaufensters (= 368. Sonderausstellung des Wien Museums), Wien 2010

Bürgersinn und Aufbegehren - Biedermeier und Vormärz in Wien 1815 - 1848. (= Katalog zur 109. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien), Wien 1988, S. 364-366

Cloeter, Hermine, Zwischen gestern und heute. Wanderungen durch Wien und den Wienerwald, Wien 1911, S. 14

Die Kunst an der Ladenthür, in: Neues Wiener Tagblatt, 20. Oktober 1878, S. 4

Duller, Eduard, Die malerischen und romantischen Donauländer, Leipzig 1838, S. 123

Engelmann, Wilhelm, Ladenschild „Zum Pagen“, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 2, 35. Jahrgang, 1918, S. 90-91

Engelmann, Wilhelm, Ladenschild „Zur Jungfrau von Orleans“, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 8/9, 33. Jahrgang, 1916, S. 262-263

Engelmann, Wilhelm, Ladenschild „Zur sächsichen Strickerin“, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 4, 34. Jahrgang, 1917, S. 33

Feuchtmüller, Rupert, Leopold Kupelwieser und die Kunst der österreichischen Spätromantik, Wien 1970

Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Grafen Helmuth von Moltke, Bd. 4: Briefe des General-Feldmarschalls Grafen Helmuth von Molke an seine Mutter und an seine Brüder Adolf und Ludwig, Berlin 1891 (2. Auflage), S. 83 (15. Oktober 1835, an die Mutter)

Glaßbrenner, Adolf, Bilder und Träume aus Wien, Leipzig 1836, Band 1, S. 22 f.

Hassinger, Hugo, Kunsthistorischer Atlas der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Verzeichnis der erhaltenswerten historischen, Kunst- und Naturdenkmale des Wiener Stadtbildes (Österr. Kunsttopographie, Bd. 15), Wien 1916

Hein, Wolfgang-Hagen, Die deutsche Apotheke: Bilder aus ihrer Geschichte, Stuttart 1960

Hölscher, Eberhard, Firmenschilder aus zwei Jahrtausenden: Malerei in Dienste der Werbung, Wien 1965

Ilg, Albert, Die Firmentafeln in unseren Städten, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 1, 10. Jahrgang, 1893, S. 5

Kassian, Die Meister der alten Geschäftsschilder, in: Neues Wiener Journal, 8.2.1925, S. 10

Ladenschild „Zum römischen Kaiser“, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 4, 33. Jahrgang, 1916, S. 233

Ladenschild „Zur Spinnerin am Kreuz“, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien, Nr. 5, 33. Jahrgang, 1916, S. 244

Modewarenhandlung zur Französin, in: Monatsblatt des Altertumsvereines zu Wien, 1914/1916, Nr. 3, S. 227-228

Neuzeitliche Apothekengestaltung [Apotheke St. Anna, Meidling], in: Österr. Apothekerzeitung, 11. Jg., 2. März 1957, S. 111-114

Schildermalerei in Alt- und Neu-Wien, in: Neue Freie Presse, 4. Januar 1916, S. 1-3

Schmidl, Adolph, Wien wie es ist. Ein Gemälde der Kaiserstadt und ihrer nächsten Umgebung in Beziehung auf Topographie, Statistik und gesellschaftliches Leben mit besonderer Berücksichtigung wissenschaftlicher Anstalten und Sammlungen, Wien 1833, S. 8

Schmieger, Adolf, Alt-Wiener Ladenschilder, in: Neues Wiener Journal, 20. August 1923, S. 2-3

Stifter, Adalbert, Warenauslagen und Ankündigungen, in: ders. (Hg.), Wien und die Wiener, in Bildern aus dem Leben, Pest 1844, S. 261-269

Telegraf von Wien, in: Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung), 13.10.1836, S. 824

Telegraf von Wien, in: Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung), 20.10.1836, S. 844

Tietze, Hans, Die Denkmale der Stadt Wien (Österr. Kunsttopographie, Bd. 2), Wien 1908, S. 362

Verschönerungen in Wien. Neue, sehr geschmackvolle Verzierung der Apotheke zum goldenen Löwen in der Josephstadt Nr. 152, in: Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung), 3.11.1827, S. 540.

Wiener Straßengalerie, in: Neues Wiener Journal, 25.8.1900, S. 5-6

Wimmer, Joseph, „Die Kunst an der Gewölbthür“ (Feuilleton und Nachtrag), in: Neues Wiener Tagblatt, 1878, Nr. 286, S. 1-2 und Nr. 288

Andreas Winkel hat Kunstgeschichte in Wien und Dublin studiert; 2017/18 kuratorischer Assistent der Otto Wagner-Ausstellung im Wien Museum, seit 2019 Mitarbeiter der Online-Sammlung des Museums.

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