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Graffiti und Street Art im Zeichen der Krise
„Es warad wegen Corona“
Schon immer hat Kunst gesellschaftliche Entwicklungen und tagesaktuelle Ereignisse aufgegriffen, kritisch hinterfragt und humorvoll beleuchtet. Gerade Graffiti-WriterInnen und Street Art-KünstlerInnen, die ihre oft kurzlebigen Werke nicht in geschützten Museumsräumen, sondern auf den sich stets wandelnden Oberflächen der Stadt hinterlassen, zeichnen sich durch ihre Autonomie und schnelle Reaktionsfähigkeit aus. Ungefragt dringen sie in den alltäglichen Lebensraum der PassantInnen ein und haben so die Möglichkeit, gegenwärtige Diskurse und Kämpfe zu kommentieren oder an ihnen teilzunehmen.
Als einer der ersten reagierte Ruin mit einer Kritik an den maßlosen „Hamsterkäufen“, die vor allem an den ersten Tagen der Krisensituation zu leeren Regalen und blankliegenden Nerven bei VerkäuferInnen führten. Der Künstler, der sonst im Stadtbild eher für surrealistisch anmutende Bildwelten mit fliegenden Fischen oder Insekten bekannt ist, hat sich diesmal sehr gegenständlich mit den aktuellen Geschehnissen auseinandergesetzt. Raffiniert baut er Elemente wie Einkaufstüten, eine Atemschutzmaske oder einen rauchenden Fabrikschlot, der als Hinweis auf die immer noch auf Hochtouren produzierenden Betriebe verstanden werden kann, in seinen Ruin-Schriftzug ein. Ein zum Bersten voller Sack, dessen Inhalt vermutlich zum Teil nicht konsumiert sondern entsorgt werden wird, und der Satz „Dir selbst der Nächste“ rufen ein gewisses Unbehagen in uns hervor, wenn auch wir den Einkaufswagen in letzter Zeit etwas zu sehr gefüllt haben.
Regelrechte Kämpfe schienen vor allem um ein Produkt auszubrechen – das Klopapier! Es wurde zum Sinnbild der Krise und zur Inspiration für KünstlerInnen. So liest man am Donaukanal „Corona Virus“ – begleitet von grünen Viren und einer mürrischen Klopapierrolle. Nur einige Meter weiter, findet sich der Schriftzug „Load“, auch hier das „O“ ein Virus. Load? Vielleicht ein Hinweis auf die zweiwöchige Inkubationszeit? Oder auch auf die Warteposition, in der sich ein Großteil der Bevölkerung momentan befindet und zuhause auf die Wiederaufnahme des gewohnten Lebens wartet? Tatsächlich einfach der Name der Crew* – in diesem Fall aber dennoch sehr passend! Die klare Botschaft darunter lautet jedenfalls: „Share your toiletpaper!“
Nicht ganz so leicht zu finden, dafür umso expliziter, ist das Werk von Speaker-23. Sein Schriftzug „Spika“ wird zum „Toiletten-Piece“.* Der verlassene Ort, an dem es sich befindet, wirkt wie eine Gesamtinstallation, ergänzt durch den gesprayten Fließenhintergrund und die Klodeckel. Auf Instagram kommentiert er den Klopapier-Kaufrausch unter anderem mit „Watch your toiletpaper!“ oder dem Hashtag #hamsterkäufe.
Etwas subtiler verpackt es Deadbeat Hero. Eine seiner bekanntesten Figuren, der Austrianaut, der vor allem im Sommer immer wieder an prominenten Spots der Stadt auftaucht, erinnert uns daran, die Hygienerichtlinien einzuhalten und trotz der aktuellen Einschränkungen positiv zu bleiben.
Größere Murals* und ausgefeilte Pieces* wie diese entstehen meist auf legal bereitgestellten Wänden wie der Wienerwand* am Donaukanal. Da „verbotene Früchte“ jedoch bekanntlich süßer schmecken, scheinen Flächen, auf denen das Sprayen, Kleben und Malen nicht erlaubt ist, oft besonders reizvoll zu sein – dazu gehören auch urbane „Möbel“ wie Laternenmasten, Parkbänke oder die letzten verbliebenen Telefonzellen. Häufig kommen hier Sticker und Tags* zum Einsatz, doch auch ihre Gedanken, Intentionen und Meinungen schreiben WriterInnen anonym auf die Stadtoberflächen. Manche der hinterlassenen Zeilen sind banal oder absurd – wie Thomas Northoff sagt: “[Graffiti] correlates with the everyday speech situations of human beings. How often in everyday conversations do highminded thoughts get formulated?” So wird auch schon mal nur „gehustet“.
Andere sind humorvoll oder aggressiv, einige provokant und politisch. Im Vergleich zu anderen europäischen Städten lässt sich beobachten, dass sich gerade letztere in Wien noch sehr in Grenzen halten. Doch obwohl uns die Botschaften auf frisch gestrichenen Wänden oder die Aufkleber auf Parkbänken nicht immer in Verzückung versetzen, lohnt es sich manchmal genauer hinzusehen. Ganz selbstverständlich wird das Stadtbild heute von konsumorientierten oder politisch motivierten Werbebotschaften bestimmt. Zudem dienen Handlungsanweisungen wie Parkordnungen oder Verkehrsschilder dazu, unser Verhalten im urbanen Raum zu vereinheitlichen und zu steuern. Graffiti und Street Art bilden einen Gegenpol dazu. Sie irritieren, brechen Sehgewohnheiten auf und hinterfragen, wer ein Recht auf Mitbestimmung sowie auf Teilhabe an Kommunikation und Repräsentation im öffentlichen Raum hat. An der Grenze von legal zu illegal, die häufig übertreten wird, fordern sie die Regulierungen und einseitigen Kommunikationsstrategien des Stadtraums heraus. Obwohl die meisten BetrachterInnen ausgefeilte, farbenfrohe Street Art-Werke bevorzugen, spielen dabei gerade die illegal hinterlassenen Schriften eine Rolle.
Auch zu Corona finden sich natürlich nicht nur großflächige Werke, sondern auch jene, die leicht zu übersehen sind, die jedoch ebenso Zeichen der Krise sind. Botschaften wie „Yo, Sozialstaat wir brauchen dich zurück! Es warad wegen Corona“ oder „Klimakrise wird noch schlimmer als Corona“ möchten PassantInnen daran erinnern, dass in all der Verunsicherung, die mit der aktuellen Situation einhergeht und trotz der Tatsache, dass die Regierungsmaßnahmen größtenteils befürwortet werden, auch noch andere Themen relevant bleiben. Themen wie der Abbau des Sozialstaats oder die Klimakrise, die zurzeit im öffentlichen Diskurs überschattet sind, uns voraussichtlich aber noch länger beschäftigen werden.
Wie die Schilder an den noch bis vor kurzem verschlossenen Augarten-Toren zeigten, werden übrigens nicht alle Regelungen der Regierung gleichermaßen gut geheißen. Durch das vielfache Teilen auf Social-Media-Kanälen konnten sie vielleicht einen Beitrag zur Öffnung der Bundesgärten leisten. In jedem Fall beruhigend ist, dass die Verordnungen auch in dieser Situation noch hinterfragt werden.
Warum lohnt es sich noch – natürlich zurzeit nur alleine oder mit im Haushalt lebenden Personen – mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen? Neben den kritischen, lustigen, ausgefeilten, bunten oder auch hässlichen Kunstwerken und Botschaften, die die aktuellen Ereignisse in das Stadtbild einschreiben, finden sich immer wieder kleine, anonyme Nettigkeiten. Sie möchten im Alltag Mut machen und uns zum Lächeln bringen. Und tatsächlich ist die Lockerung der Maßnahmen mittlerweile bereits spürbar. In diesem Sinne: „Wir schaffen das!“
Crew: Ein Zusammenschluss von Graffiti-WriterInnen, die gemeinsam sprühen.
Murals: Großflächige Wandgemälde, die auf legalen Flächen und oft auch im Rahmen von Aufträgen oder Festivals entstehen.
Pieces: Aufwändige, großflächige, oft bunte Graffitis.
Tags: Graffiti-Signaturen, meist einfach gehalten und schnell hinterlassen.
Wienerwand: Das Projekt wurde 2004 gegründet und stellt heute mehr als 20 legale Flächen zur Nutzung durch Graffiti- und Street Art-KünstlerInnen bereit. Auch am Donaukanal, wo es die erste Wienerwand gab, ist das Sprayen eigentlich nicht überall erlaubt, sondern nur in ihrem Bereich.
Thomas Northoff: Verbal Graffiti. Textures of unofficial messages in public space today, in: Günther Friesinger, Johannes Grenzfurthner, Thomas Ballhausen (Hg.): Urban Hacking. Cultural Jamming Stategies in the Risky Spaces of Modernity, Bielefeld 2010.
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