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Sándor Békési und Friedrich Hauer, 24.3.2022

Großbaustellen der Nachkriegsmoderne

Wimmelbilder von Wien

Wiener Großbaustellen von 1955 bis in die 1980er Jahre stehen im Fokus unserer neuen Bauzaun-Ausstellung. Gezeigt werden faszinierende historische Schrägluftaufnahmen, die bislang wenig beachtet wurden. Ein Gespräch mit den Kuratoren der Schau.

Peter Stuiber

Die Idee zu einer Ausstellung mit den Baustellen-Schrägluftaufnahmen wurde von Dir, Friedrich, dem Wien Museum vorgeschlagen. Wie bist Du selbst auf diese faszinierenden Fotodokumente gekommen?

Friedrich Hauer

Ich bin Stadtstruktur-Forscher im weitesten Sinne. Und ich habe diese Fotobestände immer wieder als Quellen herangezogen, zum Beispiel bei Projekten zu den Wiener Gewässerlandschaften, zur Regulierung von Flüssen wie dem Wienfluss etc. Ich habe eine Kiste mit den Originalen durchgesehen und bin dabei u.a. auf den Praterstern gestoßen, dessen Zustand vor und nach dem Umbau so gut ablesbar ist. Seitdem ist das Projekt Baustellenfotos im Hinterkopf geblieben.

 

Peter Stuiber

Wozu wurden diese Schrägluftaufnahmen gemacht? 

Friedrich Hauer

Man hat die Fotos verwendet, um die Planungen von großen Baustellen zu unterstützen und das Bauvorhaben zu dokumentieren. Man dokumentierte den Bestand vor dem Umbau, um Planungsgrundlagen zu haben, etwa die Gstätten am Laaer Berg, wo dann die WIG 74 stattfinden sollte. Die Fotos waren natürlich auch gut für die Öffentlichkeitsarbeit und für Publikationen der Stadt. Und sie sind auch fotografiehistorisch interessant.

Sándor Békési

So waren diese Aufnahmen punktuell bereits bekannt, sind aber bislang nicht systematisch und in Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung ausgewertet worden.

Peter Stuiber

Wie groß ist denn der Bestand? Was umfasst er?

Friedrich Hauer

Eigentlich sind es mehrere Bestände. Die rund 1000 Fotos, die in der Sammlung des Wien Museums sind, stammen von der Stadtplanung. Der größte Bestand der Landesbildstelle, die später Media Wien hieß, ist im Stadt- und Landesarchiv gelandet. Es handelt sich um circa 4000 Positive. Es gibt in den Beständen bestimmte Schwerpunkte, eben wenn Baustellen dokumentiert werden, wenn neue Gemeindebauten entstehen etc. Diese Art von Dokumentation wird ja auch heute noch durchgeführt von der Stadtplanung.

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Sándor Békési

Schrägluftbilder sind übrigens eine besondere Form der Stadtdokumentation von oben. Im Unterschied zu den Senkrechtluftbildern ist bei den Schrägluftbildern die Lesbarkeit für ein breiteres Publikum vermutlich besser. Sie sind von der Anschaulichkeit her irgendwo zwischen Stadtplan und Stadtmodell angesiedelt. Um die Zugänglichkeit der großformatigen Aufnahmen in der Ausstellung noch mehr zu erhöhen, gibt es in jeder Station eine begleitende Infografik mit Sichtbarmachung alter, damals neuer und heutiger Strukturen im Stadtbild.

Friedrich Hauer

Einen Luftbildplan mit Senkrechtbildern lässt die Stadt bis heute regelmäßig erstellen. Früher war es schwieriger, Senkrechtfotos zu machen. Sie wurden im Abstand von etwa zehn Jahren angefertigt glaube ich, heute jedes Jahr.

Peter Stuiber

Dass die Fotos nun bei einer aktuellen Großbaustelle – eben jener des Wien Museums – zu sehen sind, passt perfekt. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl?

Friedrich Hauer

Die Ausstellung gibt einen guten Überblick übers Thema. Die Zeitspanne reicht von 1955 – denn erst ab dann sind die Schrägluftaufnahmen, mit denen wir gearbeitet haben entstanden – bis in die 80er Jahre. Erst dann wurden die Fotos in Farbe gemacht. Wir haben uns entschieden, nur Schwarzweiß-Fotos zu zeigen. Das deckt sich mit einem thematischen Fokus: nämlich auf die Architektur der Nachkriegsmoderne zwischen Wiederaufbau und Postmoderne.

Sándor Békési

Diese Zeitspanne finde ich auch deswegen so spannend, weil da auch wesentliche Grundlagen für die heutige Lebensqualität in der Stadt entstanden sind, egal ob das jetzt der Wohnbau, die U-Bahn oder die Donauinsel ist – und selbst wenn damals zahlreiche Bauten im Zeichen der „autogerechten Stadt“ errichtet wurden. Die Leistungen der Gemeinde während der Nachkriegszeit bis 1989 sind in diesem Zusammenhang – und im Unterschied zum Roten Wien der Zwischenkriegszeit – vielleicht noch wenig im kollektiven Bewußtsein verankert.

Peter Stuiber

In der Ausstellung werden elf Großbaustellen vorgestellt. Warum genau diese elf?

Sándor Békési

Natürlich gab es in dem Zeitraum eine größere Auswahl an Baustellen. Da mussten wir uns beschränken und von Fall zu Fall entscheiden. Wir haben etwa das AKH nicht dabei, weil da das Bildmaterial nicht so überzeugend war. Aber ganz allgemein gibt es drei Schwerpunkte: Hochbau, Verkehr und Landschaftsbau. Jedem dieser Themen sind zumindest drei Beispiele zugeordnet.

Friedrich Hauer

Es ging uns auch darum, das Thema „Stadtumbau“ nicht verkürzt auf architektonische Landmarks oder auf den Hochbau zu beziehen. Allein was für Verkehrsinfrastruktur für unglaubliche Mengen an Material bewegt werden muss, ist auf den Fotos abzulesen. Die titanischen Ausmaße von manchen Baustellen kann man sich ja kaum vorstellen: Die Donauinsel ist 20 Kilometer lang, die Baustelle hat 18 Jahre gedauert! Oder beim Bild vom „Bretteldorf“ am Areal des späteren Donauparks: Man sieht hier so schön die Schichten, die Layers, die entstehen. Man sieht, wie Kulturlandschaft gestaltet wird.

Peter Stuiber

Habt Ihr Lieblingsbilder? Und was fasziniert Euch am meisten an den Fotos?

Friedrich Hauer

Ich schaue auf alle elf Bilder sehr gerne. Ein Highlight ist sicher das Bild, auf dem der alte Südbahnhof und die Baustelle des neuen Südbahnhofs zu sehen sind: Da sind zwei unterschiedliche Zustände in einem Foto vereint. Die Fotos haben auch den Charakter von Wimmelbildern, das macht sie so attraktiv. Das Faszinierende ist ja auch, dass hier ephemere Zustände dokumentiert sind, die teilweise gigantische Ausmaße hatten, wenn man etwa an die Großbaustelle für die U-Bahn am Karlsplatz denkt. Oder die Straßenbahnbrücke über die noch offene Schottentorpassage: Was man da für einen Aufwand betrieben hat, um Verbindungen aufrecht zu erhalten.

Sándor Békési

Wichtig wäre in meinen Augen noch der Hinweis, dass wir es hier sozusagen mit Bildern der Macht zu tun haben. Sie dokumentieren und demonstrieren die Beherrschung des Stadtraumes und zwar im doppelten Sinn: als aufwendiges fotografisches Produkt einerseits und als Abbild von massiven Eingriffen ins Stadtgefüge andererseits. Somit passt unsere Schau auch hervorragend als Ergänzung zur Straßenfotografie-Ausstellung, die ab Mai im MUSA zu sehen ist. Denn die Luftaufnahmen der Obrigkeit, diese Stadtbilder von oben, sind quasi das Gegenstück zur Street Photography als urbane Praxis „von unten“.

Die Ausstellung „Stadt Luft Bild. Großbaustellen der Nachkriegsmoderne“ ist noch bis 22. Mai am Bauzaun des Wien Museums am Karlsplatz zu sehen.

Sándor Békési studierte Geschichte, Geographie sowie Wissenschaftstheorie und -forschung in Wien und ist seit 2004 Kurator am Wien Museum im Sammlungsbereich Stadtentwicklung und Topografie. Zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten zum Thema Stadt-, Umwelt- und Verkehrsgeschichte.

Friedrich Hauer, Stadtmorphologe und Umwelthistoriker, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich Städtebau der TU Wien und Gastkurator am Wien Museum. Forschungsgebiete sind Stadt- und Siedlungsmorphologie mit Schwerpunkt Wien und Kulturlandschaft, informelles Siedeln, Architektur- und Stadtplanungsgeschichte sowie urbaner Metabolismus.

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Kommentare

Didi Sattmann

Schrägluftbilder - was für ein faszinierender Terminus. Und was für faszinierende Inhalte, die dahinter stehen und uns Geschichte(n) erzählen. Ein ganz toller und verdienstvoller Beitrag! Danke und LG, Didi Sattmann