Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

Julia König, 3.5.2020

Hauskleid, Overall und Hausanzug

Home Wear

In Zeiten des vermehrten Home Office stellt sich auch die Frage, wie man gut zuhause angezogen sein könnte. Drei Plakate aus der Wienbibliothek zeigen, welche Vorstellungen man dazu in den 50er-, 70er- und 80er-Jahren hatte.

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.”

Diesem viel zitierten Ausspruch Karl Lagerfelds gilt es sich wohl einmal mehr zu Zeiten von flächendeckendem Home Office und coronabedingten Rückzug in die eigenen vier Wände zu stellen. Egal ob Schludrig-Style oder Styling-Queen: die Grenze zwischen „bequem“ und „nachlässig“ verläuft fließend.

Hier sei anhand von drei Plakaten, die drei Momentaufnahmen gleichen, in einem Rückblick der Frage nachgegangen, wie es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um die Kleidungskultur in den eigenen vier Wänden stand. In den letzten Jahrzehnten haben sich Kleidungsnormen sehr gelockert, auch die Trennlinie zwischen feminin und maskulin ist mitunter fließend. Während im beruflichen Kontext heute weit seltener ein streng definierter Business Look vorgeschrieben ist, erschöpfen sich die Vorgaben im privaten Bereich inzwischen weitgehend auf besondere Anlässe, etwa wenn eine bestimmte Abendgarderobe erwünscht ist, oder auf religiöse Kontexte, in denen die Bedeckung von Kopf und Körper erforderlich ist.

Trotzdem hat das, was wir anziehen, unbestritten Einfluss auf uns und unseren Auftritt, unsere Erscheinung. Am bildlichsten lässt sich dies wohl anhand von Berufsgruppen vor Augen führen, die nach wie vor Uniform oder Tracht tragen und mit dem Anlegen derselben in ihre berufliche Rolle, etwa der Polizistin, des Krankenpflegers oder der Feuerwehrfrau, schlüpfen. Es gab aber auch eine Tradition der Hauskleidung, die heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist. Diese Tradition kam aus den jahrhundertelang geltenden, strengen Kleiderordnungen, die aufgrund der Ständeordnung oder gesetzlicher Regelungen festlegten, wer zu welchem Anlass welche Kleider tragen darf und so seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe demonstriert.

Erbe dieser Tradition ist das Hauskleid. Palmers warb 1954 für das Haus-Dreß, mit dem man auch zuhause „gut und praktisch“ angezogen war. Diese Form von Hauskleidung ist einzig und allein einer Gruppe vorbehalten: der Hausfrau. Und beruht somit zum einen auf der damals gängigen, traditionellen Aufgabenverteilung zwischen Ehemann und Ehefrau, die die Arbeiten des Haushalts ausschließlich bei letzterer verankert sieht.

Zum anderen bezieht sie sich aber auch darauf, dass es die praktische Notwendigkeit gab und gibt, die „guten“ Kleider auf keinen Fall bei schmutziger Hausarbeit zu tragen. Diese sind zum Ausgehen bestimmt und nach dem Nachhause Kommen zieht man sofort etwas anderes, wie das Hauskleid, an. Das hier abgebildete „Haus-Dreß“, in blau mit weißen Punkten, ist freilich für die modebewusste, bürgerlich-wohlhabende Frau bestimmt. Nicht zuletzt ist dies am weißen Telefonhörer zu erkennen, denn ein eigenes Telefon war in Wiens Haushalten der 1950er Jahre selten anzutreffen (in ganz Österreich gab es in dieser Zeit rund 300.000 Telefonanschlüsse).

Der Großteil der Hausfrauen trug in den 1950er Jahren zur Hausarbeit eine Schürze oder eine Kittelschürze, den sogenannten Hauskittel, und ist so auch auf den zeitgenössischen Plakaten abgebildet. Beides sind übrigens Kleidungsstücke, die auch in erwerbsberuflicher Verwendung waren und sind, wie etwa im Labor oder in der Industrie.

Von diesem Dresscode zeugt auch ein zwei Jahrzehnte später affichiertes Plakat. In den frühen 1970er Jahre bewirbt Solida die „Mode für Beruf, Haus und Freizeit“. Das am Plakat mittig dargestellte Hauskleid ist im Entwurf stark an der Kittelschürze orientiert.

Damit weiter zum zweiten, hier besprochenen Palmers-Plakat, das 1974 die „Samt-Sanften“ bewarb. Sie gehören zu einer ganz anderen Kategorie von Hauskleidung, wie schon der Untertitel „zu Hause, wenn es Abend wird“ deutlich macht. Nun sind es die Hausfrauen und die berufstätigen Frauen, die angesprochen werden und nach einem langen, arbeitssamen Tag in etwas Bequemeres schlüpfen sollen. Die samtigen, weichen Hauskleider, -anzüge und -overalls sind nicht Arbeits- sondern Freizeitkleidung, „Feierabendkleidung“. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die traditionelle Aufgabenverteilung überwiegend dieselbe geblieben war, auch wenn die Gesellschaft und ihre Normen begannen sich langsam zu verändern. Mit der Familienrechtsreform der 1970er Jahre sollte ein Wandel vom Patriarchat zur Partnerschaft vollzogen werden. In Zuge dessen wurden Frauen u.a. erstmals berechtigt, selbst ihre Arbeitsverträge abzuschließen und den gemeinsamen Wohnort und Familienname mitzubestimmen.

Das dritte, ausgewählte Plakat ist dem Thema der häuslichen Männerkleidung gewidmet, das auch Erwähnung finden soll, was insofern eine Herausforderung darstellt, da hierzu nur wenige Beispiele zu finden sind. Das um 1980 gestaltete Plakat für Jockey Homewear zeigt zwei Männer in samtigen Hausanzügen, die eine Frau im tief dekolletierten Abendkleid flankieren. Alle drei halten Sektkelche in den Händen und sind in bester Feierlaune im gediegenen Ambiente. Doch was will uns das Plakat vermitteln? Will das Setting suggerieren, dass man mit der Homewear genauso elegant gekleidet ist, wie mit Smoking oder Frack?

Daher wirkt das Plakat wohl befremdlich und darf als gleichsam exotisch anmutender Ausreißer gesehen werden. Die ganze Tragweite der Absurdität entfaltet sich erst in der Annahme einer Umkehrung der Rollen: Zwei Frauen in eleganten Hauskleidern flankieren einen Mann im Smoking.

An diesem Bild lässt sich auch beispielhaft festhalten, dass Plakate niemals die Realität abbilden, sondern stets eine Illusion kreieren, die einem Werbeziel verpflichtet ist. Das Ergebnis fällt mal mehr, mal weniger gelungen aus. Dennoch stellt das, was und wie am Plakat be- und geworben wird, eine Art Spiegel der Zeit dar, in der es entstanden ist. Wenn auch nur in einem Ausschnitt, so kann es damit auch als Spiegel der Gesellschaft gesehen werden. Es wäre daher ein Trugschluss zu glauben, dass wir jetzt in einer Zeit der größten Freiheit leben, weil es keinen (via Plakat vermittelten) Dresscode für Zuhause gibt. Über das Pro und Contra von salopp-legerer Sportmode, die jenseits der angestammten Nutzung getragen wird, soll an anderer Stelle debattiert werden. 

Julia König, Sammlungsleiterin der Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Studium der Kunstgeschichte und Library and Information Studies. Als Kuratorin und Herausgeberin war sie an zahlreichen Ausstellungs-, Publikations- und Sammlungsprojekten beteiligt, u.a. in Galerien, am Österreichischen Museum für angewandte Kunst (MAK) Wien, an der Silberkammer des Hofmobiliendepots, am Denkmalamt und seit 2005 an der Wienbibliothek im Rathaus.

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Julia Kasper

Ein sehr interessanter Artikel!

Ja, es gibt kein Pendant für Männer, aber so ist das doch mit den meisten Kleidungsstücken. Wenigstens ist die Hauskleidung praktisch und bequem. Wenn Frauen zur Hausarbeit verdammt wurden und dann auch noch "sexy" Kleidung tragen müssten, wäre das nicht viel schlimmer?

Brigitte Krupitza

Das "Hauskleid" stellt de facto eine Uniform dar und die Rollenteilung wird dadurch ganz klar gezeigt und gefestigt. Als Spiegel der Gesellschaft taugt es allemal!