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Hygiene beim Friseur
„Bacillen und Mikroben, und wie sie alle heißen“
Schon länger nicht mehr beim Friseur gewesen? Willkommen im Club! Das verbindet Sie derzeit mit zahlreichen anderen Menschen. Nimmt man die Sozialen Medien als Indikator, dann boomen in Bezug auf die Haarpracht gerade die Do-It-Yourself-Challenges: Es wird nachgefärbt, geschnitten und improvisiert, was das Zeug hält, und man kann dank der fleißig geposteten Beweisfotos die mehr oder weniger gelungenen Ergebnisse bewundern oder belachen.
Der Grund für all diese Aktivitäten: Die Vorsichtsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben zu einer drastischen Einschränkung des öffentlichen und damit auch des gewerblichen Lebens geführt. Ganz besonders zu spüren bekommen das alle Körperhandwerke, und dazu zählt eben auch jenes der derzeit geschlossenen Friseure.
In der Geschichte dieser Profession sind gesundheitliche Herausforderungen indes nichts Neues. So ging vor etwas mehr als hundert Jahren die Bakterienangst um – sie führte zu zahlreichen Neuerungen in der Arbeitsorganisation.
In den Sammlungen des Wien Museums befindet sich eine Reklamepostkarte des in der Khunngasse im dritten Wiener Gemeindebezirk angesiedelten Friseurs Eduard Hlawáček, sie stammt aus der Zeit um 1900. Zu sehen ist darauf die Geschäftsfassade samt davor stehendem Personal. Die Schilder am Portal geben Auskunft über die Angebote und Spezialitäten des Salons. Besonders ins Auge sticht dabei der Hinweis, dass es sich um einen „hygienisch-antiseptischen“ Betrieb handelt. Hygiene war damals ein relativ neues Thema, es war noch nicht selbstverständlich, was ein Jahrzehnte später publiziertes Friseurhandbuch anmerkte: „Den Rahmen für den modernen Friseurbetrieb bildet der komfortable und hygienische Salon. Blank und sauber […] sei der Salon gehalten. […] Die Hygiene sei neben der Zweckmäßigkeit der Einrichtungsgegenstände das oberste Gesetz. Bildlich gesprochen, soll die Hygiene den ganzen Salon überstrahlen […]. Der moderne Salon muß licht und sauber wirken.“
Ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert begann die moderne wissenschaftlich begründete Hygiene nicht nur für die Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch für die Körperpflegeberufe im Speziellen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Während heute die hygienische Führung eines Frisiersalons gesetzlich geregelt und keine besondere Erwähnung mehr wert ist, machte man um 1900 schon vor dem Betreten des Salons darauf aufmerksam, da ein derartiger Service noch nicht allgemein üblich war. Die Bezeichnung „hygienisch-antiseptisch“ im Zusammenhang mit einem Frisiersalon war damals aufgekommen, weil die in den 1880er Jahren entstandene neue Wissenschaft von der Bakteriologie das Bewusstsein dafür geschärft hatte, dass unsichtbare Krankheitserreger eine Gefahr für die Gesundheit darstellen können.
1902 konstatierte die Neue Wiener Friseur-Zeitung: „Es ist kaum einige Jahre her, seit der erste hygienische Frisiersalon in Wien entstanden ist, und seit einiger Zeit mehren sich […] jene Friseurgeschäfte mit der pomphaften Aufschrift ‚Hygienisch-antiseptischer Frisier-Salon‘.“ Eine Erklärung dafür wurde ebenfalls geliefert: „Den modernen Errungenschaften der Wissenschaft folgend, die uns in jedem Atom des Weltalls Millionen unsichtbarer, aber schädlicher Lebewesen nachweist, wovon einige Arten nach Behauptung ärztlicher Kapazitäten besonders in den Friseurgeschäften einen günstigen Nährboden finden sollen, sind einige Friseure bestrebt aus der Bazillenfurcht des Publikums Nutzen zu ziehen.“ Zumindest eine Zeit lang konnte sich ein Friseur mit solchen Hinweisen also einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen.
Die Interessensvertretungen der Friseure beklagten diese Vorgehensweise teils als unlauteren Wettbewerb und versuchten, Aufklärung in Sachen Hygiene zu betreiben – nicht ohne sich über die grassierende Bakterienangst und die Behauptung, dass in dieser Hinsicht der Frisiersalon zu den gefährlichen Orten zähle, lustig zu machen, wie etwa die Neue Wiener Friseur-Zeitung 1898: „Die in neuester Zeit circulirenden Berichte in den verschiedenen Blättern über die Gefahren im Frisiersalon werden so manchen mit lebhafter Phantasie begabten Menschen zu der irrthümlichen Ansicht verleitet haben, dass es in unseren Geschäften von Bacillen und Mikroben, und wie sie alle heißen, die unsichtbaren Feinde der menschlichen Gesundheit, nur so wimmelt. – Wie sie beutegierig, in allen Ecken und Winkeln lauern, um sich, sobald sich ein Gast niedergesetzt hat, auf ihn loszustürzen, um ihn, wenn schon nicht ganz, so doch wenigstens seine Haare zu verspeisen.“ Vermutlich zutreffend war die 1902 in derselben Zeitung geäußerte Annahme, dass sich so mancher Friseur gar nicht im Klaren darüber war, was „antiseptisch“ bzw. „aseptisch“ im Wortsinn tatsächlich bedeutet und dass er finanziell gar nicht in der Lage gewesen wäre, sich für eine entsprechende Arbeitsweise einen der kostspieligen Sterilisierapparate anzuschaffen.
Abseits solcher Debatten und Polemiken erlebte das Friseurgewerbe um 1900 dennoch einen Hygienisierungsschub, so wie viele andere Lebens- und Arbeitsbereiche auch. Das Wissen über hygienische Probleme und Anforderungen wurde immer größer, davon zeugen die Fachzeitschriften und Gewerbehandbücher. Man relativierte zwar hie und da die Behauptungen der „gestrengen Mediziner“, Einsicht war aber prinzipiell vorhanden. „Es ist zwar nicht so arg, als es die Herren Aerzte hinstellen; aber etwas ist denn doch an der Sache“, so die Neue Wiener Friseur-Zeitung im Jahr 1900 als Vorbemerkung zu einer Liste mit Hygieneregeln.
Hingewiesen wurde etwa darauf, dass durch die auf den Kämmen, Schwämmen und anderen Arbeitsutensilien befindlichen Haut- und Haarschuppen Krankheitserreger von einem Kunden auf den anderen übertragen werden können und daher die Geräte stets gründlich zu reinigen sind.
Medizinische Ratgeber empfahlen damals sogar nachdrücklich, zu einem Friseurbesuch immer die eigenen Kämme und Bürsten mitzunehmen. In einigen Salons gab es für die Stammkunden eigene Schubladenschränke, in denen deren persönliche Utensilien verwahrt wurden.
Ein Beispiel dafür findet sich in den Sammlungen des Wien Museums: Der Vitrinen- und Schubladenschrank stammt aus dem 1899 eröffneten Salon Marko in der Habsburgergasse. Seine kleinen Schubladen sind außen mit Namensschildern versehen und zeugen von der prominenten Kundschaft, zu der zahlreiche Herren aus bekannten adeligen Familien zählten.
Die Berücksichtigung der neuen Hygieneerkenntnisse hatte den Schutz der Kunden ebenso im Blick wie jenen der Angestellten. Unter anderem begann sich nun auch eigene Arbeitskleidung zu etablieren: Während man auf älteren Darstellungen die Friseure stets in normaler Kleidung sieht, sind die Fachzeitschriften der Jahrhundertwende voll mit Werbeanzeigen für spezielle Berufskittel und Arbeitsmäntel – zu sehen sind solche auch auf der Reklamepostkarte des Salons von Eduard Hlawáček. Der textilen Ausstattung eines Friseursalons wurde unter dem Einfluss der Hygienebewegung nun überhaupt mehr Aufmerksamkeit geschenkt und so wurde die regelmäßige und häufige Reinigung von Hand-, Trocken-, Gesichts-, Rasier- und Vorstecktüchern, Frisierumhängen und ähnlichem zunehmend Standard. Für diesen Zweck boten sich unter anderem auf Friseurwäsche spezialisierte Mietwäschereien an.
Neben wissenschaftlich und medizinisch begründeten Hygienemaßnahmen etablierten sich im Lauf der Zeit zudem Reinigungsrituale, die eher auf eine allgemein zunehmende körperliche Distanz zwischen den Menschen zurückzuführen sind. So empfahl die Neue Wiener Friseur-Zeitung im Jahr 1924: „Haarschneidemäntel und Frisiermäntel kann man wohl mehrmals verwenden, aber erstere müssen nach Gebrauch von anhaftenden Haaren gereinigt sein, denn es ist zumindest unappetitlich, wenn man einer Kunde den Mantel umlegt und es haften noch Haare daran von einer früheren Kunde.“
Das heute beim Friseurbesuch übliche Waschen und Trocknen der Haare wurde erst im ausgehenden 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Hygienebewegung langsam gebräuchlich – und es war für die Kundschaft zunächst eine teure Angelegenheit. Zunächst musste aber Aufklärungsarbeit betrieben und für die Haarreinigung als Grundlage der Haarpflege Propaganda gemacht werden. Unter anderem galt es den alten Gesundheitskonzepten beizukommen, nach denen das Waschen von Haar und Kopfhaut schädlich sei. Wobei in dieser Hinsicht die hygienische Aufklärung wohl nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Friseuren selbst notwendig war, wenn in den Fachzeitschriften Erläuterungen wie diese publiziert werden mussten, wie hier in der Neuen Wiener Friseur-Zeitung 1898: „Es ist unglaublich und spottet jeder Beschreibung, welche Summe von Staub und wie viel Schmutz sich in den Haaren in relativ kurzer Zeit festsetzt und welcher noch vermehrt wird durch verschiedene Oele und Pomaden. Ein muffiger und dumpfer Geruch verräth schon in einiger Entfernung den unrein gehaltenen Kopf, und die erste Waschung lässt in dem abgelaufenen Waschwasser erkennen, dass der Kopf ebenso wie jeder andere Körpertheil seiner regelmäßigen Reinigung bedarf.“
Entgegen den alten Vorstellungen wurde das Kopfwaschen nun als eine notwendige hygienische Maßnahme gesehen, die nicht zuletzt der Eindämmung der damals weit verbreiteten Haut- und Haarkrankheiten dienen sollte. Es entwickelte sich überdies zu einer sehr willkommenen neuen Einnahmequelle, speziell im damals gerade aufblühenden Damengeschäft.
Zunächst sprachen die Friseure oft noch von „Shampooing“, womit sowohl das flüssige und schäumende Haarwaschmittel als auch die Tätigkeit des Kopfwaschens gemeint war. Der Begriff wurde aus dem Englischen übernommen und ist ursprünglich aus einem Hindi-Wort für Kopfmassage abgeleitet. Wer wenig Zeit und aufgrund einer empfindlichen Konstitution Angst vor Erkältungen hatte, konnte sich um 1900 die Haare statt mit Wasser mit Äther waschen lassen – eine Methode, die in England wegen aufgetretener Unglücksfälle verboten war, in Wien aber empfohlen wurde.
Als Waschmittel wurde bevorzugt eines mit antiparasitärer Wirkung empfohlen und als Waschmethode laut Neuer Wiener Friseur-Zeitung von 1898 folgende: „Nachdem der Kopf durch circa zehn Minuten gut durchgeschäumt worden ist, spült man den Schaum zuerst mit laufwarmem, dann mit kaltem Wasser ab, damit der Kopf gegen Erkältung abgehärtet wird. Wo kein Doucheapparat vorhanden ist, benütze man einen gut gereinigten und desinficirten Schwamm oder die jetzt in Handel gebrachten Handbrausen.“
Während Shampoos zu Hause ebenso wie beim Friseur verwendet wurden, kamen spezielle Haarwaschapparate fast ausschließlich im Salon zum Einsatz. Wer um 1900 bereits über solche modernen technischen Hilfsmittel verfügte, tat dies ausdrücklich kund – wie in dieser Annonce aus dem Jahr 1902: „Durch großartige Installationen, die allen Anforderungen der modernen Hygiene entsprechen, wird der Pflege des Kopfes die größte Sorgfalt gewidmet. Haarwaschen mit Shampooing wird gründlich und schnellstens dadurch ausgeführt, daß neuartige Wasserleitungen und elektrische Trockenapparate dies erleichtern.“
Eng verknüpft mit dem Vorgang des Waschens ist das Trocknen der nassen Haare. Zunächst geschah dies mit Hilfe von Tüchern und Fächern. In den Jahrzehnten um 1900 kamen dann zunehmend verschiedene technische Hilfsmittel dafür auf den Markt. Sie beschleunigten den Trockenvorgang, was eine wichtige Voraussetzung für eine häufige Haarwäsche war. Die ersten dieser Geräte waren teilweise aber noch recht unausgereift, teuer, umständlich in der Handhabung und manchmal nicht ungefährlich. Die Neue Wiener Friseur-Zeitung bezeichnete 1890 einige der damals in Verwendung befindlichen Gastrockengeräte sogar als „Mordwaffen“.
Langfristig war es ohnehin die Elektrizität, die sich für das Trocknen der nassen Haare durchsetzen sollte. In der Zwischenkriegszeit machte die Technisierung des Frisiersalons insgesamt rasche Fortschritte, das manifestierte sich auch in einer steigenden Ausstattung mit Trockenapparaten. Neben Einzelgeräten wurden Zentralheißluftanlagen eingerichtet, was bedeutete, dass mehrere Trockenstationen, meist in Kabinen, an ein Heißluftsystem angeschlossen waren. Für den gewerblichen wie für den privaten Gebrauch konnte sich zudem der elektrische Fön bereits recht gut etablieren.
Susanne Breuss (Hg.): Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern, Ausstellungskatalog Wien Museum, Wien 2018.
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Kommentare
Sehr geehrte Frau Pintar-Fuchs, sehr geehrter Herr Fischer - wir freuen uns sehr über Ihr begeisterten Rückmeldungen und leiten diese gerne auch an die Autorin des Beitrages weiter! Herzliche Grüße, Peter Stuiber (Wien Museum Magazin)
Sehr interessanter Überblick über die Kulturgeschichte des Friseursalons und der Kofphygiene um 1900. Danke!
Es ist eine Freude Ihre gelungenen Beiträge zu lesen und die großartige Recherche alter photographischer Aufnahmen zu genießen.