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Andreas Nierhaus, 25.3.2020

Hygiene mit Otto Wagner

Zur Reinlichkeit der modernen Architektur

Hygiene mit all ihren Aspekten spielte im Schaffen Otto Wagners eine zentrale Rolle. Neben „größtmöglicher Bequemlichkeit“ galt ihm „größtmögliche Reinlichkeit“ als Maxime moderner Architektur. 

„Wien nimmt in sanitärer Beziehung unter den Millionenstädten Europas den letzten Rang ein.“ 

Mit diesen harschen Worten lässt Otto Wagner das Kapitel „Hygiene“ im Erläuterungsbericht zu seinem Projekt für den Generalregulierungsplan von 1893 beginnen. Hygiene, das meint in diesem Zusammenhang: die Oberflächen der Stadt (Pflasterung) ebenso wie Erholungsorte (Parks, Gärten und Kinderspiel- und Eislaufplätze), die Reinigung (Bäder), Gesundung (Krankenhäuser) und Entsorgung (Friedhöfe) der Körper, die Entfernung von Schmutz (Kehricht- und Schneeabfuhr), nicht zuletzt die Versorgung mit Wasser und dessen Kanalisation. Die Ausführlichkeit, mit der Wagner zu all diesen Aspekten Stellung nimmt, zeugt von der zentralen Bedeutung des Themas Hygiene – sowohl im Kontext der zu jener Zeit gerade im Entstehen begriffenen modernen Großstadtplanung, als auch im Schaffen Otto Wagners. 

Mit der Aufklärung hatte sich seit dem 18. Jahrhundert ein veritabler Hygiene-Diskurs etabliert, der den modernen Körper als „reizbare Maschine“ (Philipp Sarasin) begriff, die gepflegt, gewartet und gesund gehalten werden sollte – wobei das auf diese Weise zugerichtete Individuum stets auch in den Dienst kollektiver Interessen (der Gemeinschaft, des Staates, der Nation) gestellt wurde. Im Lauf des 19. Jahrhunderts erfasste der Hygiene-Diskurs beinahe alle Bereiche des täglichen Lebens. Zugleich führten verheerende Seuchen wie die Cholera – die in Wien zuletzt zur Weltausstellung 1873 ausbrach – den Stadtverwaltungen die dringende Notwendigkeit umfassender hygienischer Maßnahmen vor Augen. Neben den Ingenieuren beschäftigten sich auch die Architekten mit diesem Thema und nahmen bei Entwürfen für öffentliche Bauten und sanitäre Einrichtungen darauf Rücksicht. Die Gestalt der Bauten wurde davon jedoch nur am Rande beeinflusst – die Rezeption der Stile der Vergangenheit („Historismus“) und die neuen technischen und hygienischen Einrichtungen standen ohne Verbindung nebeneinander.

Sauberkeit und Komfort

In seiner Schrift „Moderne Architektur“ von 1896 stellt Wagner, der sich bereits früh für die öffentliche Infrastruktur der Großstadt interessiert hatte, erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen künstlerischer Praxis und hygienischen Maßnahmen her, denn umfassende Sauberkeit ist, neben dem Komfort, für Wagner ein selbstverständlicher Anspruch an die neue Architektur des kommenden 20. Jahrhunderts: „Zwei Bedingungen sind es, welche als Kriterien zu gelten haben und welche die moderne Menschheit fordert: Größtmöglichste Bequemlichkeit und größtmöglichste Reinlichkeit. Alle Versuche, diese Postulate nicht zu berücksichtigen, bleiben erfolglos und alle Kunsterzeugnisse, welche diesen Regeln nicht entsprechen, tragen den Todeskeim in sich.“ Otto Wagner war der erste, der den Begriff „Hygiene“ nicht nur auf funktionale, sondern konsequent auch auf formale Aspekte des Bauens bezog, ihn in seine Theorie einer architektonischen Modernisierung integrierte und so zu einer Bedingung für eine grundlegende Erneuerung der Baukunst machte. 

Jene Bauten, die bereits um 1900 den neuen hygienischen Anforderungen entsprachen, waren im Bereich der Gesundheit zu suchen. Und nicht erst die Avantgarde der 1920er-Jahre fand ihre Vorbilder in der weißen Welt der Sanatorien – bereits 1909 schrieb der Wiener Schriftsteller Josef August Lux, dass etwa das moderne Hotel „eine Synthese von Klinik, Wagon-lits und Maschine" sein müsse. Mit dem Thema Hotel, einer modernen, großstädtischen Bauaufgabe par excellence, hatten sich Otto Wagner und seine Schüler seit den späten 1890er-Jahren intensiv beschäftigt. Insbesondere in den Hotelzimmern spielte Hygiene eine zentrale Rolle, und so zeigt der Einblick in ein Hotelzimmer von 1913 ein mit einem neuartigen Staubsauer hantierendes Stubenmädchen, das hier gleichsam als Allegorie der Hygiene auftritt. Die Einrichtung des Zimmers selbst war so konzipiert, dass alle Stoffe, „welche der Körper des Gastes berühren kann, vor jeder Neubesetzung des Apartments ausgewechselt werden".

Während die Hotelprojekte Wagners Papier blieben, hatte er die Möglichkeiten einer neuartigen, hygienischen Großstadt-Architektur bereits 1899 in der Praxis erprobt: Das „Majolikahaus" Linke Wienzeile 40 war das erste vollständig mit farbigen glasierten Fliesen verkleidete Wohnhaus Wiens. Mit diesem modellhaften Bau wurde nicht nur die immer wieder erhobene Forderung Wagners nach einer leicht zu reinigenden Architektur erfüllt, auch die Polychromie kehrte in das farblich monotone Straßenbild zurück. Gegen die „geschwärzten Façaden mit ihrem durch Russ unkennbar gewordenen figuralen Schmuck“ setzte Wagner die „Verwendung möglichst einfacher Formen, glatter Flächen, Anwendung von Porzellan und Majolica, Steinzeug, Mosaikbilder etc.“. Die demonstrative Materialität und Farbigkeit sind also nicht zuletzt vor dem Hintergrund der durch Kohlenruß verschmutzten, staubigen Großstadt des 19. Jahrhunderts zu sehen. Die vollständig verflieste Fassade des Majolikahauses stand aber auch für eine explizit neue architektonische Haltung: Die auf Gottfried Semper zurückgehende Dialektik von konstruktivem Kern und bekleidender, schützender und schmückender Hülle wurde hier ebenso artikuliert wie der konsequente Einsatz und das selbstbewusste Zeigen neuer Materialien, verbunden mit einer ornamentalen Fülle, die nichts mehr mit historischen Vorbildern zu tun hatte.

Wagners ehemaliger Mitarbeiter Max Fabiani ging mit dem im Jahr 1900 vollendeten Geschäftshaus der Firma Portois & Fix in der Ungargasse noch einen Schritt weiter: Das Ornament der Fliesenverkleidung ist nun vollständig abstrahiert, die Farbfelder entsprechen den einzelnen Kacheln. Hier wurden auch die hygienischen Vorzüge der Fliesenfassade in Bezug auf Wien angesprochen: „Eine Verkleidung der Mauerfläche mit einem harten, glatten, wetterbeständigen Material, das keinen Staub und Ruß aufnimmt, respective von der Schmutzschichte durch den Regen immer wieder befreit wird, ist gewiss in der windigen Stadt Wien sehr vortheilhaft.“

In konzentrierter und höchst anschaulicher Form brachte Wagner seine Hygienevorstellungen mit dem berühmten Badezimmer seiner Wohnung im Miethaus Köstlergasse 3 zum Ausdruck, das zuvor auf der Jubiläumsausstellung im Prater 1898 dem staunenden Publikum präsentiert worden war. Die spektakuläre gläserne Badewanne wird hier zu einem Monument der Hygiene erhoben, das zugleich auch erotische Konnotationen erlaubt.

In den späten Hauptwerken des Architekten, der Kirche am Steinhof und der Postsparkasse, begründete er gestalterische Aspekte dann tatsächlich mit hygienischen Argumenten. So wird etwa die „mehr als ausreichende" Helligkeit des Kirchenraumes am Steinhof  mit „den mit Recht jetzt stark betonten Anforderungen der Hygiene" erklärt - als ob das Licht allein schon für Sauberkeit sorgen würde; es ist der Architekt, der durch sinnvolle Maßnahmen „die Bakterienfreiheit der Luft" fördert. Hinzu traten die besonderen Erfordernisse einer „Anstaltskirche", wie die mit Marmor verkleideten und dadurch leicht zu reinigenden Wände und nicht zuletzt das Weihwasser, das nicht wie üblich in Becken, sondern in der Art moderner Seifenspender zur Verfügung gestellt werden sollte, „wodurch Infektionen vermieden werden".

Wie die Kirche am Steinhof war auch die Postsparkasse ein Muster und Modell für Wagners Bestrebungen, eine grundlegend neue Architektur für das 20. Jahrhundert auf der Basis von Zweck, Bedürfnis, Konstruktion und Material zu entwickeln. Hier konnte er demonstrieren, wie ein modernes und zugleich monumentales Amtsgebäude mit intensivem Kundenverkehr und 1800 Beamtinnen und Beamten einzurichten sei. Im Bereich der Büros etwa sah Wagner zentrale Garderoben vor, um das „Aufhängen und Deponieren nasser Kleider und das Mitbringen von Überschuhen und nassen Regenschirmen in die Amtsräume (...) mit Rücksicht auf die dadurch entstehende Luftverschlechterung" zu vermeiden. Der Kritiker Ludwig Hevesi, schrieb angesichts der „hygienischen und sanitären Appartements", dass hier eine Epidemie, „wie die denkwürdige im alten Hause", wohl Mühe hätte, auszubrechen. Hevesi spielt hier auf einen Skandal an, der im Februar 1906, wenige Monate vor der Fertigstellung des Neubaues, das Bankinstitut erschüttert hatte. Nach dem durch ein Desinfektionsmittel hervorgerufenen Vergiftungstod der Manipulantin Olga Hahnel hatte eine Untersuchung der sanitären Bedingungen im alten Postsparkassengebäude untragbare Zustände ans Licht gebracht. Wagners außen und innen strahlend heller Neubau, der auf die Ornamente der Vergangenheit verzichtete und dafür moderne Materialien wie Aluminium und Linoleum in den Vordergrund rückte, stand für das Versprechen einer sauberen, keimfreien Zukunftsarchitektur, in der Schmutz und Krankheiten keine Chance hatten. 

Die außergewöhnlich großen Fenster des Neubaus der Postsparkasse signalisierten Helligkeit, Durchlüftung und Offenheit - „Licht, Luft, Öffnung" sollten dann auch die Schlagworte lauten, mit denen Sigfried Giedion in seinem gleichnamigen Buch von 1929 das „befreite Wohnen" der Moderne ausrief. Doch während sich Wagner noch auf eine konsequente Erneuerung der Architektur im Rahmen der europäischen Tradition hoffte, glaubte sich das funktionalistische Neue Bauen, nach der weitgehenden Zerstörung dieser Tradition im Ersten Weltkrieg, nicht nur vom Schmutz der Großstadt, sondern auch gleich vom ganzen Unrat der Geschichte befreien zu müssen: die völlige Abkehr vom Ornament – für Wagner noch undenkbar – wurde nun als ein notwendiger Reinigungsprozess begriffen. Das Ornament, zuvor noch Ausweis von Kultur, galt nun (nicht zuletzt dank einer missverständlichen Interpretation der Schriften von Adolf Loos) als degeneriert und schmutzig. Die Konsequenzen dieser radikalen ästhetischen Hygiene lassen sich bis in die Architektur der Gegenwart verfolgen.

Literaturhinweise:

Paul Asenbaum, Peter Haiko, Herbert Lachmayer, Reiner Zettl: Otto Wagner. Möbel und Innenräume, Salzburg 1984.

Paul Overy: Light, air and openness. Modern architecture between the wars, London 2007.

Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt 2001

Anselm Wagner: Otto Wagners Straßenkehrer. Zum Reinigungsdiskurs der modernen Stadtplanung, in: bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie 6/2010, S. 36-61.

Otto Wagner:  Moderne Architektur, Wien 1896

Andreas Nierhaus, Kunsthistoriker und Kurator für Architektur und Skulptur im Wien Museum. Forschungsschwerpunkte: Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Medien der Architektur. Ausstellungen und Publikationen u.a. über Otto Wagner, die Wiener Ringstraße, die Wiener Werkbundsiedlung.

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