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Gerhard Milchram, 17.9.2020

Internationale Anstrengungen zur Linderung der Not in Wien

Care for Austria

Ab September 1945 übernahmen die Westalliierten ihre Besatzungszonen in Wien. Dies hatte wesentliche Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, die unter der katastrophalen Lage litt. So wurden etwa Lebensmittelpakete aus US-Armeebeständen verteilt, ab 1946 kamen auch die CARE-Pakete hinzu. Beide finden sich in der Sammlung des Wien Museums wieder.

In den Apriltagen 1945 bot die Stadt ein Bild der Zerstörung und Verwüstung. Die Spuren der Kämpfe waren allgegenwärtig. Zahlreiche Häuser waren zerbombt, die Infrastruktur zerstört, viele Menschen obdachlos und der Bevölkerung war es kaum noch möglich, an Nahrung zu kommen. Die katastrophale Lebensmittelversorgung zwang die Bevölkerung zu Hamsterfahrten in die ländliche Umgebung und führte zu einem florierenden Schleichhandel, dessen Zentren der Naschmarkt und der Resselpark vor der Karlskirche waren. 

Unmittelbar nach der Befreiung wurde die Lebensmittelversorgung der Stadt zum vordringlichsten Problem, und es lag an den Sowjettruppen, die Ernährung der Bevölkerung sicher zu stellen. Am 1. Mai gab die Rote Armee die von ihr beschlagnahmten Lebensmittel an die Wiener Bevölkerung weiter. Diese als „Erbsenspende“ erinnerte Hilfe konnte aber nur den unmittelbarsten Hunger der Bevölkerung stillen. Ab Juni stellte die Rote Armee weitere Lebensmittelrationen zur Verfügung, um die Versorgung zu sichern. Diesmal jedoch nicht als Spende, sondern gegen spätere Bezahlung. Dennoch sorgten die rasch einsetzenden Lebensmittellieferungen der Sowjets dafür, dass die Wiener Bevölkerung nicht noch größere Not erleiden musste – auch wenn die Wiener Bevölkerung sich hauptsächlich an die Würmer in den Erbsen und vor allem an Plünderungen, Übergriffe und Vergewaltigungen durch Sowjetsoldaten erinnerten.

Am 9. Juli 1945, drei Monate nach der Befreiung Wiens und zwei Monate nach Kriegsende, einigten sich die Siegermächte auf ein „Abkommen betreffend die Sektorengrenzen und die Verwaltung der Stadt Wien“, kurz „Zonenabkommen“. Es dauerte aber noch bis zum 1. September, bis die Westalliierten die ihnen zugeteilten Sektoren übernahmen, die Amerikaner die Bezirke Neubau, Josefstadt, Alsergrund, Hernals, Währing sowie Döbling, die Briten Hietzing, Meidling, Margareten, Landstraße und Simmering, die Franzosen Mariahilf, Penzing, Fünfhaus sowie Ottakring. Alle anderen Bezirke blieben bei der Sowjetunion. Der Erste Bezirk war interalliierte Zone und wurde von den Besatzungsmächten gemeinsam verwaltet. Erste Lebensmittellieferungen der Amerikaner trafen Ende August in Wien ein und am 3. September begannen dann die Lebensmittelausgaben in der amerikanischen, britischen und französischen Zone. Von da an fanden sich die Wiener mit fünf verschiedenen Versorgungsgebieten, mit fünf verschiedenen Lebensmittelkarten, die nicht in den anderen Sektoren eingelöst werden konnten, konfrontiert. 

Die westlichen Sektoren galten allgemein als besser versorgt als der sowjetische. So berichtete dies auch der Diplomat Josef Schöner in seinem Tagebucheintrag vom 3. September 1945 „Die USA haben heute unsere Verwaltung von den Russen übernommen und sich dergestalt gut eingeführt! Überhaupt zeigen sich schon jetzt erhebliche Unterschiede in der Verpflegung der Zonen […] Am besten sind die Bewohner der USA-Zone versorgt. Wir werden schon diese Woche sogar Schmalz und echten Kaffee bekommen.“ Das Brot, das sie an diesem Tag bekamen hätten sie „andächtig und mit Rührung betrachtet“. Auch der Wiener Kurier vom 12. September 1945 berichtete, dass durch den unbürokratischen Einsatz der „Civilian Supply Section of Vienna Aera Command“, die für die unmittelbare Versorgung der amerikanisch besetzten Teile Wiens zuständig war, sich die Ernährungslage allgemein entspannt hätte. Zur Verteilung gelangten Getreide, Weizenmehl, Zucker, Bohnenkaffee, Schweineschmalz und Salz. Offenbar gelangten aber auch Lebensmittelpakete aus Armeebeständen an die Bevölkerung.

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Trotz aller Bemühungen verschlechterte sich die Ernährungslage Wiens weiter. Im September 1945 erhielten Normalverbraucher 1.550 Kalorien täglich, im März 1946 gingen die Zuteilungen auf 1.200 Kalorien zurück und im Mai mussten die Rationen auf 950 Kalorien herabgesetzt werden. Erst ab November 1946 besserte sich die Ernährungslage wieder. Nach Einschätzung des Wirtschaftsforschungsinstitutes war Österreich auch bei größter Anstrengung nicht in der Lage, sich aus eigenen Kräften am Leben zu erhalten. Würde man Österreich im Stich lassen, wären Hunger und Chaos die unvermeidbaren Folgen. Von den Siegermächten kämpften die Briten, Franzosen und Sowjets selbst damit, die eigene Bevölkerung zu ernähren, nur die Amerikaner hatten Lebensmittelüberschüsse zu verzeichnen. Dennoch wurde Wien und Österreich in dieser Situation von zahlreichen öffentlichen und privaten Hilfsorganisationen geholfen. Zu nennen sind vor allem Aktionen der Schweiz, Schwedens, Dänemarks, Großbritanniens, der USA, Belgiens, der Niederlande und des Roten Kreuzes.

Zu einer der größten Hilfsorganisationen, und in der Folge für Österreich und Wien wichtigsten gehörte die am 27. November 1945 in den USA gegründete „Cooperative for American Remittances to Europe” (CARE). Diese private Hilfsinitiative kaufte in einem ersten Schritt überzählige Rationenpakete der US-Armee auf und schickte diese nach Europa. Am 7. Mai 1946 nahm der Ministerrat einen Bericht des Bundesministeriums für soziale Verwaltung über den Abschluss eines Übereinkommens mit CARE genehmigend entgegen, das damit seine Aktivitäten auch auf Österreich ausdehnte. Am 20. Juni 1946 startete in New York der Frachtdampfer „Antinous“ mit 15.000 Nahrungsmittelpaketen für Österreich, 3200 Pakete trafen dann am 19. Juli 1946 am Franz-Josef-Bahnhof in Wien ein und konnten von den glücklichen Empfängern abgeholt werden. 

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Öffentlichkeitswirksam wurden am 25. Juli 10 CARE-Lebensmittelpakete an den Bundespräsidenten Karl Renner übergeben, die dieser als persönliches Geschenk des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman erhielt und die vom US-Hochkommissar für Österreich, General Mark W.Clark, übergeben wurden. Renner gab die Pakete je zur Hälfte an Bedürftige des Lainzer Versorgungshauses und an Patient_innen der Tuberkuloseheilstätte Baumgartnerhöhe weiter. Die Pakete waren Teil von 100 Paketen, die Präsident Truman persönlich erworben und zur Verteilung in Österreich bestimmt hatte. General Clark betonte in seiner Rede, dass der Präsident „und das ganze Volk der Vereinigten Staaten hofft, durch die Organisation der Care-Pakete die Lage Österreichs zu verbessern“ und dass die USA alles tun würden, um Österreich zu helfen. Renner dankte Clark und dem Präsidenten und versicherte, „dass wir die Sympathien, die Sie und die Vereinigten Staaten Amerikas unserem schwergeprüften Vaterlande entgegenbringen, im höchsten Maße zu schätzen wissen.“

Wie wichtig beiden Seiten diese Übergabezeremonie war, sieht man an der Teilnehmerliste. Von amerikanischer Seite waren es neben General Clark, der politische Vertreter der Vereinigten Staaten Amerikas in Österreich, der außenordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister Ludwig Erhardt, der Leiter der UNRRA Reginald H.R. Parminter und sein Stellvertreter Colonel Hynes, Oberstleutnant Krotzmann und der Leiter der CARE-Aktion Major Murray. Von österreichischer Seite waren Bundeskanzler Leopold Figl, Vizekanzler Adolf Schärf, die Bundesminister Josef Kraus, Karl Gruber und Lois Weinberger, Bürgermeister Theodor Körner, die Stadträte Josef Afritsch und Gottfried Albrecht, Kabinettsdirektor Wilhelm Klastersky und der Leiter des Büros der Österreichhilfe der Vereinten Nationen, Sektionschef Rudolf Leopold, dabei.

Auch die erste Verteilung an die Bevölkerung am selben Tag in der Care-Vertretung am Schottenring 18 wurde groß inszeniert. Das Haus war mit Fahnen geschmückt und eine lange Schlange von Menschen, die mit Postkarten von der Übergabe verständigt worden waren, hatte sich gebildet. Eine große Menge Neugieriger und Bundesminister Maisel sowie die Stadträte Afritsch und Matejka ließen sich die Übergabe der ersten Pakete ebenfalls nicht entgehen. Die glücklichen Empfänger der Pakete wurden von Journalisten, Pressefotografen und Kameraleutenleuten interviewt, fotografiert und gefilmt. Hatte man den Presserummel hinter sich, konnte sich die Empfänger dann endlich ihren Paketen widmen. Darin befanden sich 22 Kilogramm Lebensmittel mit einem Nährwert von 35.000 Kalorien und auch Zigaretten und Haushaltsgegenstände, wie zum Beispiel Seife und Papierhandtücher: Ein unglaublicher Schatz in dieser Zeit.

CARE verteilte täglich bis zu 1000 Pakete in Österreich. Im Laufe der Zeit wurden die Paketinhalte an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst. Es kamen Pakete mit Medikamenten, Schuhen und Bekleidung dazu. Eines der vordringlichsten Anliegen war es, der Bevölkerung auch Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, und so wurden auch Pakete mit Strickwolle und Startpakete für Handwerker mit Werkzeugen und Arbeitsmaterialen zusammengestellt und verteilt.

Das Nachkriegselend, Hunger, Not und der wirtschaftliche Aufbau konnten nur mit internationaler Hilfe bewerkstelligt werden. Österreich wurde von UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) ein Kredit von 59 Millionen Dollar gewährt und die Lebensmittellieferungen der Organisation dauerten bis Mitte 1947 an und erreichten einen Gesamtwert von 137 Millionen US-Dollar. 1948 konnte Österreich auch an dem europäischen Wiederaufbauprogramm teilnehmen. Die im Rahmen des als Marshall-Plan-Hilfe zur Verfügung gestellten Mitteln beschleunigten den wirtschaftlichen Erholungsprozess und waren mit ein Grundstein zur Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik.

Literatur:

Eva-Marie Csáky, Franz Matscher, Gerald Stourzh (Hg.); Josef Schöner. Wiener Tagebuch 1944/45, Wien, Köln, Weimar, 1992

Peter Csendes, Ferdinand Oppl (Hg.); Wien. Geschichte einer Stadt. Bd. 3, Von 1790 bis zur Gegenwart, Wien, Köln, Weimar, 2006

Oliver Rathkolb; Österreich – „Geteilte“ Erfahrungen und Opferdoktrin, in: 1945. Niederlage – Befreiung – Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2015

Barbara Stelzl-Marx; Erbsen für Wien. Zur sowjetischen Lebensmittelhilfe 1945, in: Stefan Karner, Gottfried Stangler (Hg.); Österreich ist frei. Der österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragsband Schallaburg 2005

Barbara Stelzl-Marx; Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945-1955, München 2012 (= Kriegsfolgen-Forschung. Wissenschaftliche Veröffentlichung des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz – Wien – Klagenfurt, hrsg. von Stefan Karner, Bd. 6) 

N.N.; Lebensmittelpakete aus Amerika, in: Wiener Zeitung, 16. Mai 1946, S. 1.

N.N.; CARE-Pakete kommen nach Oesterreich, in: Wiener Kurier, 26. Juni 1946, S. 3

N.N., Bundespräsident Renner erhält erste CARE-Pakete, in: Wiener Kurier, 25. Juli 1946, S. 3

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck, ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997 – 2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien. Seit 2011 Kurator im Wien Museum.

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Kommentare

Werner Weissenhofer

Nicht zu vergessen: jeder Wagon Kartoffl musste "den Russen" im Trattnerhof abgerungen werden- unter ständiger "Sibiriendrohng" ..federführend Herr Dipl.Ing Rosenauer( Wiederaufbau der Stärkeproduktion), die Riementriebe waren unbrauchbar, da zu Schuhsohlen verarbeitet.Geschichten dazu :Rohrbach/ Mühlviertel...ach ja ,man schreibt nur was passt...