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Peter Stuiber und Vincent Elias Weisl, 10.3.2022

Interventionen im öffentlichen Raum

Zwischen Aktionismus und Kunst

Eine neue Ausstellung in der Startgalerie im MUSA zeigt junge künstlerische Positionen zu „rechten Relikten“ in der Stadt: „Gegen den Strich“ versteht sich damit auch als Ergänzung zur laufenden MUSA-Schau „Auf Linie“. Kurator Vincent Elias Weisl erzählt im Interview von Konzept und Umsetzung.

Statt Einzelausstellungen gibt es ab sofort themenspezifischen Präsentationen in der Startgalerie – nach ausgewählten Ideen von kuratorischen Newcomern. Den Anfang macht die Ausstellung „Gegen den Strich. Interventionen im öffentlichen Raum“. Sie passt nicht nur thematisch zur aktuellen NS-Kunstpolitik-Schau, sondern auch zur laufenden Debatte über das problematische historische Erbe in der Stadt, Stichwort: Lueger Denkmal.

Peter Stuiber

Die Ausstellung passt zur aktuellen MUSA-Ausstellung über die NS-Kunst. War dieser inhaltliche Konnex von Anfang an vorgegeben?

Vincent Elias Weisl

Dass die Ausstellung einen Bezug zu „Auf Linie“ haben soll, war von Anfang an klar. Wie intensiv der ausfallen sollte und welche Form er hat, wurde aber offengelassen. „Auf Linie“ ist eine inhaltlich extrem dichte Ausstellung, es gäbe mehrere Anknüpfungspunkte. Aufgrund meiner längeren Auseinandersetzung mit Kunst am Bau war aber relativ schnell klar, dass ich diesen Aspekt aufnehmen möchte und damit den öffentlichen Raum zum Subthema machen werde. Als ich mit der Recherche begonnen habe, gab es die Ausstellung „Auf Linie“ nur auf dem Papier und in Form von Objektlisten, sprich es war auch eine Bezugnahme auf eine Ausstellung, die selbst noch nicht existiert hat. Ich glaube, wenn die Ausstellung bereits aufgebaut gewesen wäre, würde auch „Gegen den Strich“ anders aussehen. So haben wir mit dem begonnen, was wir auch wirklich vor Ort anschauen konnten.

PS

Als es klar war, dass es um das Thema problematische Vergangenheit im öffentlichen Raum geht:  Wie kam es zur Auswahl der Künstler*innen? Gab es einen Call? Welche Werke kamen überhaupt in Frage? Und wie wurde „junge Kunst“ in diesem Zusammenhang definiert?

VEW

Ich wollte definitiv die Grundidee der Startgalerie beibehalten: Künstler*innen ihren ersten „institutionellen“ Auftritt verschaffen. Ich habe deswegen angefangen, nach Studierenden zu suchen. Allerdings hat sich das schnell als nicht praktikabel herausgestellt, denn die Positionen, nach denen ich gesucht habe, sollten sich mit NS Relikten im öffentlichen Raum beschäftigen, was ein relativ enges Auswahlkriterium ist. Man findet Künstler*innen, die zu öffentlichem Raum arbeiten, und Künstler*innen, die über und mit der NS-Zeit arbeiten, aber beides wird schwierig, vor allem wenn es Studierende sein sollen. Es gibt schon genug Arbeiten zu diesem Thema, aber eben nicht so viele unter Studierenden. Ich bin dann relativ schnell dazu übergangen, Arbeiten zu kommissionieren. Das heißt Künstler*innen einzuladen, zu einem der Themen zu arbeiten, gemeinsam in die „Auf Linie“- Ausstellung zu gehen und sich dann einen Bezugspunkt zu suchen. Gleichzeitig wollte ich zwei Projekte in die Ausstellung nehmenm die für mich exemplarisch für zwei gegensätzliche Zugänge zur Kontextualisierung im öffentlichen Raum stehen: Das „Palais des Beaux Art Wien“ und die „Schandwache“. Bei diesen Projekten, die eigentlich im öffentlichen Raum stattfinden/fanden, ging es mehr um die Übersetzung in den Museumsraum. Das heißt die Ausstellung zeigt einerseits kommissionierte Werke, die direkten Bezug zu „Auf Linie“ herstellen, laufende Projekte, die aus dem öffentlichen Raum in den Museumsraum übertragen wurden, und einzelne Arbeiten, die als Verbindungsglied für die Argumente der Ausstellung fungieren. Es sind bis auf zwei Positionen keine vor 2021 entstanden, sprich es wird auch fast alles zum ersten Mal gezeigt.

PS

Aktuell ist die Debatte ums Lueger-Denkmal besonders präsent. Aber es gibt unzählige Orte in der Stadt, die als problematisch angesehen werden können. Wie kam es letztlich zur thematische Auswahl der Kunstwerke? Worum ging es dabei vor allem? Um eine repräsentative thematische Bandbreite? Oder war die Originalität der Beiträge das Entscheidende?

VEW

Die Luegerdebatte ist zwar omnipräsent, aber nicht neu. Deswegen wurden Arbeiten zu Orten ausgewählt, die mit „Auf Linie“ in den Dialog treten. Es gibt drei inhaltliche Fäden durch die Ausstellung. Erstens: Interventionsprojekte für „Denkmäler“ mit NS Bezug im öffentlichen Raum. Das ist die Operngasse, aber auch das Trümmerfrauendenkmal und das Lueger-Denkmal, nicht wegen Lueger, sondern wegen dem Bildhauer Josef Müllner. Die Zweite Denklinie thematisiert das historische Stadtgewebe und die Abstinenz von Kontextualisierungen bzw. Interventionen,  wie das Projekt des Plalais des Beaux Arts zeigt. Die dritte Spur fragt nach der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum und zeigt Arbeiten, die mit der kollektiven und individuellen Erinnerung arbeiten. Das ist die Grundidee. Die Arbeiten müssen aber unterschiedliche Weise funktionieren. Meine Erklärungen beziehen sich mehr auf den Inhalt. Ich habe versucht, eine mediale Vielfalt zu zeigen, wir haben einen Router, eine Lightbox, Postkarten, Skulpturen, Videos, Frottagen und Installationen. Diese Vielfalt sollte aber nicht in Konkurrenz zueinanderstehen, sondern gut mit dem Raum funktionieren. Ich habe also mit den Künstler*innen sehr früh auch über den Raum gesprochen und über die paradoxe Situation, im Museum über den öffentlichen Raum zu sprechen. Deswegen funktionieren manche Positionen auch vor dem Musa, wenn die Ausstellung zu ist.

PS

Die Stadt und die Öffentlichkeit generell tun sich schwer mit dem richtigen „Umgang“. Was kann die Kunst zu einer solchen Diskussion beitragen? Sind es mehr als temporäre Aktionen/Interventionen, die möglich sind?

VEW

Ich würde jetzt fragen, gibt es den richtigen Umgang? Allein was sich in der Denkmalgestaltung seit den 1950ern getan hat. Ich werde bei dieser Frage gerne plakativ: Es ist für mich die Aufgabe der Kunst, solche Diskussionen aktuell zu halten, aber ich warne davor, alles auf die Kunst abzuschieben. Die Diskussion um Lueger ist nicht beendet, wenn wir eine künstlerische Kontextualisierung haben. Die Ausstellung zeigt sehr gut, wie unterschiedliche und wo überall künstlerische Arbeit ansetzen können.

Es sind Projekte, wo die Intervention mehr eine Recherche und ein Arbeiten vor Ort ist. Gleichzeitig gibt es Projekte, die mit einer abstrakten Form arbeiten, um zu zeigen: Hier ist etwas – aber was das ist, können die Formen nicht erklären. Ich glaube in diesen Bereichen sind die Grenzen zwischen Aktionismus und Kunst fließend. Ich bin ein großer Freund von living memorials, das heißt einen Ort permanent in Bewegung zu halten und vor Ort zu diskutieren. Da können ästhetische Interventionen genauso Teil davon sein wie Lesekreise. Ein Kunstwerk sollte nicht am Ende einer Diskussion stehen, sondern ein Teil davon bleiben.

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PS

Wie stehst Du persönlich zum Thema „wegräumen“ von Denkmälern wie dem von Lueger? Ist es aus Deiner Sicht legitim? Oder siehst Du darin eine Art von Cancel Culture und würdest eine Kontextualisierung bevorzugen?

VEW

Ich habe keine generelle Meinung zum „Wegräumen“ von Denkmälern, ich würde es als eine Option sehen und finde es spannend, wenn mehrere Optionen parallel probiert werden. Ich glaube im Fall von Lueger würde ich den gesamten Platz umgestalten und als Ort von Vermittlung und Dialog anlegen, wie dafür die „optische“ Lösung für die Statue aussieht, halte ich für wenig relevant.

Kontextualisierung kann auch alles bedeuten, eine kleine Tafel nebenbei ist aber definitiv zu wenig. Ich denke mir nur, dass es nicht nur die Lueger Statue gibt und was passiert mit den restlichen Büsten? Das Beispiel Weinheber ist z.B. ideal um zu zeigen, wie eine Zwischenlösung funktioniert. Da hat die Büste vor der Akademie eine künstlerische Umgestaltung erfahren, die Weinheber Straße hat bei einigen Schildern eine Zusatztafel und der Weinheber Hof im 16. Hat glaube ich nichts, zumindest kann ich nichts sehen, wenn ich jeden Tag vorbeifahre.

Das Lueger-Ehrenmal sollte einfach nicht als Unikat betrachtet werden, auch wenn es extrem prominent ist. Deswegen finde ich die Suche nach der optischen Lösung weniger spannend als die Frage nach der Vermittlungsebene, die man vor Ort implementieren könnte. Gleichzeitig würde ich so weit gehen und sagen, warum nicht auch mal etwas wegräumen. Wir gehen immer von so einem Urzustand der Stadt aus, der um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg zu liegen scheint. Es ist doch spannend, dass sich Stadtraum ständig verändert. Andererseits muss ich schon auch manchmal sehr lachen, wie unbeachtete Denkmäler plötzlich zu Identifikationspunkten werden. Ich glaube, den meisten würde es nach zwei, drei Monaten gar nicht auffallen, wenn der Lueger weg wäre.

Die Ausstellung „Gegen den Strich. Interventionen im öffentlichen Raum“  ist bis 26. Juni 2022 im Wien Museum MUSA bei freiem Eintritt zu sehen.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

Vincent Elias Weisl, Studium der Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft, seit 2020 Curatorial Fellow an der Stabstelle Bezirksmuseen im Wien Museum.

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