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Harald Krejci und Peter Stuiber, 6.5.2021

Joseph Beuys und Wien

Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung

Er wollte den Wiener Messepalast begrünen, sprach mit Bruno Kreisky über ein „Freies Auswärtiges Amt“ und wäre fast Professor an der Angewandten geworden: Zum 100. Geburtstag widmet das Belvedere 21 Joseph Beuys eine Ausstellung – und beleuchtet dessen Beziehung zu Wien. Ein Gespräch mit Kurator Harald Krejci.

Peter Stuiber

Sie schreiben im Katalog zur Ausstellung, dass Wien in der Forschung zu Beuys bestenfalls eine Randnotiz ohne jede Bedeutung ist. Die Ausstellung im Belvedere 21 soll dieses Bild zurechtrücken. Welche Rolle spielte Wien tatsächlich in Beuys Werk und Leben?

Harald Krejci

Ich war erstaunt, wie wenig Platz Wien in der internationalen Beuys-Literatur hat, etwa in der neuen Biografie von Hans Peter Riegel. Dabei müsste man sich doch zumindest daran erinnern, dass es in Deutschland einen Riesenaufschrei gab, als Beuys 1979 fast Professor an der Angewandten wurde. Wie überhaupt seine Wien-Besuche eng mit seiner Arbeit verbunden sind. Das beginnt bereits 1966 mit einer Zeichnungsausstellung und 1967 mit der Aktion „Eurasienstab“ in der Galerie nächst St. Stephan auf Einladung von Otto Mauer. Das Werk „Basisraum Nasse Wäsche“ entstand 1979 auch extra für Wien, als Reaktion auf den Plan, im Palais Liechtenstein Werke des Museums moderner Kunst zu zeigen. Beide Werke werden mittlerweile als wichtige Beuys-Arbeiten angesehen. Zwischen diesen Eckpunkten – 1966/67 und die Zeit um 1980 – spannt sich ein Bogen, in dem Wien eine nicht unwichtige Rolle zukommt. Wenn auch nicht unbedingt biografisch, so doch inhaltlich.

PS

Otto Mauer hat Beuys als erster nach Wien eingeladen…

HK

… wobei Mauer in Wien eher als Priester, in Deutschland aber als bedeutender Galerist bekannt war. Beuys hat immer mit den wichtigsten Avantgarde-Galeristen zusammengearbeitet, und Wien war ein Ort der Avantgarde. Wir wissen, dass die Aktionisten die Eurasien-Aktion von Beuys gesehen haben: Otto Mühl hat fotografiert, Nitsch war da, Brus, Pichler ... Und drei Monate danach hat Otto Mauer zur Eröffnung einer Beuys-Ausstellung in Mönchengladbach eine Rede gehalten, in der er Beuys als einen Menschen beschreibt, der sich am Freiheitsbegriff, und zwar im christlichen und im politischen Sinne, abarbeitet. Erst wenn man einen freien Menschen schafft, kann man laut Beuys in die Zukunft schauen. Das Seherisch-Schamanische bei Beuys, damit hatten viele Menschen ein Problem: Weil sie gefordert sind, auch selbst zu denken und zu spekulieren. Weil Dinge nicht festgeschrieben sind. Weil Verstehen in der Kunst etwas Anderes bedeutet als naturwissenschaftliches Verstehen.

PS

Können Sie erklären, worum es in der Eurasienstab-Aktion ging?

HK

Eurasienstab steht im politischen Kontext der 68er Unruhen, der von Beuys gegründeten ersten deutschen Studentenpartei, des Kalten Krieg. Die Idee von Eurasien ist das Prinzip des Zusammenführens von Ost und West. Eine Einheitlichkeit von dem zu schaffen, das auseinanderdriftet. Zunächst hat er eine Fettecke installiert, die steht für die Wärme und die Veränderung. Dann führte Beuys einige Besten aus mit den Händen, so Art Morsezeichen, er kommunizierte in abstrakter Wiese mit dem Publikum. Er legte sich Fett in die Kniekehle und drückte sie zusammen, das deutet die Energie des Fetts an, die der Mensch braucht, um zu agieren. Dann baute er mit langen mit Filz überzogenen Winkeln einen Raum im Raum, diese Pole des Raumes hat er mit einem kupfernen, also leitenden Stab langsam abgetastet.  Insofern war Wien als geopolitischer Ort für Beuys interessant. Er wusste genau, wo er wann was macht. Daher war es auch nicht zufällig, dass er um 1980 wieder nach Wien gefunden hat, in einer brodelnden Phase vor der Besetzung der Hainburger Au.

PS

Die Ausstellung ruft in Erinnerung, dass Beuys auch eine seiner berühmten Eichen in Wien gepflanzt hat. Eine weitere Fußnote?

HK

Die Baumpflanzung vor der Angewandten, die er 1983 gemeinsam mit Theo Altenberg durchgeführt hat, stand natürlich im Zusammenhang mit seinem Projekt für die dokumenta in Kassel im Jahr davor. Seine Idee, dort in den nächsten Jahren 7000 Eichen zu pflanzen, lief zunächst nur schleppend an. Daher gab es Überlegungen, auch anderswo tätig zu werden, etwa in Hamburg oder eben in Wien. Die Aktion in Wien dürfte allerdings spontan gewesen sein, denn es wurde ja nur ein Baum gepflanzt, ohne den eigentlich dafür vorgesehenen Basaltstein daneben. Dieser Stein, der sehr mineralhaltig ist, sollte ja den Baum ernähren, er hatte also auch eine ökologische Funktion, nicht nur skulpturale: Der tote Stein und der lebendige Baum. Die Aktion in Wien war eher wie ein schnell gemachter Flyer. Beuys hatte durchaus die Intention, in Wien viele Bäume zu pflanzen, etwa auch am Areal des Messepalasts und späteren Museumsquartiers, nach dem Motto Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung die Innenhöfe bepflanzen wollte.

PS

Daraus wurde bekanntlich nichts. Beuys war zu dieser Zeit ja stark bei den deutschen Grünen engagiert, wollte auch für den Bundestag kandidieren. Waren seine Baumpflanzungen vor allem politische Statements?

HK

Es war ein Kunstwerk und zugleich ein politischer Akt, ein Symbol gegen die rationalistische City-Planning-Idee, gegen den Autoverkehr: Wir gehen raus aus der Galerie, pflanzen einen Baum und verändern die Stadt! Beuys hatte ein großes ökologisches Bewusstsein, und seine Kunst ist von ihm als Person nicht zu trennen. Ich erinnere an den Protest in Düsseldorf 1972, als eine Prominente Familie in einem Wald einen Tennisplatz bauen und die Bäume dort dafür roden wollte. Da protestierte Beuys bereits mit seiner Klasse dagegen. Es entstand daraus auch eine künstlerische Arbeit. Er wusste, dass wir ohne Bäume zugrunde gehen werden. Er hatte ein empathisches Empfinden von Natur und Mensch, das ihn für die junge Generation heute interessant macht. Er sprach ja auch von Wärmecharakter und wollte über den Begriff Wärme nachdenken. Er liebte das Material Fett, weil Fett durch Wärme in einen flüssigen Zustand kommt. Es geht um rational-eckig gegen amorph-empathisch. Auf der einen Seite ist Beuys damit eigentlich sehr einfach zu verstehen, auf der anderen Seite bleibt er immer auch sehr komplex und für manchen auch kryptisch.

PS

Letzteres wird gerade zum Jubiläum wieder heftig diskutiert. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Beuys sei mit seinem Irrationalem, Mystischem auch ein Verfechter des Völkischen, stehe also der NS-Ideologie durchaus nahe?

HK

Beuys wurde in der NS-Zeit sozialisiert, seine Rhetorik geht zudem auf Rudolf Steiners Schriften zurück und wirkt manchmal eigentümlich und ein wenig altmodisch. Beuys verarbeitete in seiner Kunst oft Mythen und setzte sich mit vorneuzeitlichen Kulturen und deren Ritualen auseinander. Beuys` mit NS-Ideologie in Verbindung zu bringen ist völlig abwegig. Ich würde eher sagen, die NS-Ideologie hat sich der Rhetorik Steiners bedient.

PS

Nochmal zurück zu dem Baum vor der Angewandten. Was ist aus ihm geworden?

HK

Der Baum ist nach einigen Jahren eingegangen und ist heute in einer riesigen Vitrine in der Sammlung der Angewandten. Ich finde es bemerkenswert, dass er von einem Portier der Uni gerettet wurde. Denn das wussten nur ganz wenige, dass das ein Baum von Beuys war. Es war damals eine Guerillaaktion, und wenn Theo Altenberg nicht dabei fotografiert hätte, hätten wir heute keinen Beweis dafür, sondern nur Gerüchte. Der Baum war ja auch nicht im Baumkataster der Stadt Wien erfasst, die wussten davon gar nichts! Ich habe mich allerdings dagegen entschieden, den Baum in der Ausstellung zu zeigen, denn die Idee des Beuys`schen Skulpturbegriffes war, neue Bäume zu pflanzen. Beuys wollte einen erweiterten, in die Zukunft gerichteten Begriff von Kunst. Der musealisierte, tote Baum ist dann nur eine Erinnerung, er ist Vergangenheit. Beuys Aktion Bäume zu pflanzen hatte den Anspruch, unsere Stadt, unsere Gesellschaft zu verändern.

PS

Beuys war um 1980 ein weltberühmter Künstler. Als solcher wurde er auch von Bruno Kreisky empfangen. Wie darf man sich diese Begegnung vorstellen?

HK

Es ging bei dem Gespräch, das 1983 stattfand, um die Errichtung von Baumpflanzungsbüros in Wien und die Etablierung eines Freien Auswärtigen Amtes in Wien, wie Beuys sich das vorstellte. Es gibt eine Teilniederschrift des Gesprächs, das in einer sehr wohlwollenden Atmosphäre stattgefunden hat. Beuys wusste, dass Veränderung kommen würde und das Ökologie-Thema immer wichtiger werden würde. Kreisky war dem gegenüber durchaus aufgeschlossen, er war ja auch ein großer Freund von Friedensreich Hundertwasser, einem anderen Künstler mit ökologischen Agenden. Aber zugleich hat Kreisky wie ein Politiker reagiert und war skeptisch, weil er die Grünen als politische Konkurrenten ansah und ihnen diese Veränderungen noch nicht zutraute.

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Ansicht der Ausstellung „Joseph Beuys - Denken. Handeln. Vermitteln.“ im Belvedere 21, Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien / Bildrecht, Wien 2021

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PS

Aus den Baumpflanzungsbüros wurde letztlich ebenso wenig wie aus dem Freien Auswärtigen Amt. Und die Professur an der Hochschule für Angewandte Kunst hat Beuys letztlich abgesagt – warum eigentlich?

HK

Es gibt dafür verschiedene Gründe. Für den ersten müssen wir ins Jahr 1972 zurückgehen: Da wurde Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie fristlos entlassen. Dagegen hat er jahrelang angekämpft, er wollte seine Professur zurückerhalten. Seine Familie und seine zwei Kinder lebten in Düsseldorf, er war vor seiner Entlassung fast täglich auf der Akademie. In dem Moment, als es 1979 grünes Licht für eine Professur in Wien gab, wurden den Deutschen bewusst: Wenn wir da nichts tun, dann geht der nach Wien, das wäre eine Schmach für uns! Also gab es verschiedene Initiativen. So wurde Beuys etwa vom Chefredakteur der Frankfurter Rundschau eine ganze Seite in der Zeitung zur Verfügung gestellt, um seinen Aufruf zur Alternative zu publizieren, was viel Staub aufgewirbelt hat. Und Beuys 1979 erhielt zwar nicht seine Professur, aber zumindest sein Atelier in Düsseldorf zurück, konnte dort also wieder arbeiten, was ihm sehr wichtig war. Die dauernde Präsenz in Wien wäre nicht möglich gewesen, die Anreise aus Düsseldorf war nicht so einfach wie heute. Das dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein. Der andere waren etliche Großprojekte. Beuys war ja am Zenit seiner Karriere, er war damals – neben Andy Warhol – der berühmteste Künstler seiner Zeit. Und er hatte, als erster nicht-amerikanischer Künstler, 1979 eine Retrospektive im Guggenheim Museum, deren Vorbereitung sehr intensiv war. Die Arbeitsbelastung war enorm – und er hat sich damals schon körperlich schwer verausgabt. Das war ein zweiter entscheidender Grund. Und es kann sein, dass ihm auch die Stimmung an der Angewandten davon abgehalten hat, hierher zu kommen. Obwohl er mit Hans Hollein, Peter Gorsen und Bazon Brock Verbündete hatte, waren wohl viele im Professorenkollegium ihm gegenüber skeptisch. Vielleicht war ihm das Klima zu reaktionär, vielleicht spürte Beuys keine positive Basis für Gespräche, Diskussionen und Freundschaften. Aber das alles ist spekulativ. Die Option, in Düsseldorf zu arbeiten, dürfte für ihn einfach die bessere gewesen sein. Am Ende sind wir froh, dass er wenigsten eine Gastprofessur in Wien angenommen hatte.

Die Ausstellung „Joseph Beuys. Denken. Handeln. Vermitteln.“ ist noch bis 13. Juni im Belvedere 21 zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erschienen.

Harald Krejci studierte Kunstgeschichte in Augsburg und München. Zunächst war er als freier Kunsthistoriker in Wien tätig, ehe er die wissenschaftliche Leitung des Archivs der Kiesler Stiftung Wien übernahm. Seit 2009 arbeitet Krejci als Kurator und Leiter der Sammlung des 20. Jahrhunderts im Belvedere, wo er zahlreiche monografische Ausstellungen realisierte. Seit 2018 ist Harald Krejci als Chefkurator für die Ausstellungsplanung des Belvedere mitverantwortlich.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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