Website Suche (Nach dem Absenden werden Sie zur Suchergebnisseite weitergeleitet.)

Hauptinhalt

William Kinderman und Sonja Gruber, 15.7.2020

Joseph Willibrord Mählers Beethoven-Porträt

Der Komponist als Stürmer und Dränger

Warum hat Beethoven auf dem Porträt von Joseph Willibrord Mähler eine schlampige Frisur? Welches künstlerische Selbstverständnis lässt sich aus dem Bild erschließen? Und wieviel politische Botschaft steckt darin? Der Beethoven-Experte William Kinderman erläutert im Interview, warum das Porträt aus unserer Sammlung als Schlüssel zur Welt des Komponisten betrachtet werden kann.

Sonja Gruber:

Von Beethoven wissen wir, dass er in Wien sehr häufig umgezogen ist. Das war damals durchaus üblich, allerdings meist ohne Mitnahme von Möbeln. Von 1805 bis zu seinem Lebesende gehörte ein Porträt des Musikers zu seinem ausgewählten Hab und Gut. Heute ist es im Beethoven Museum zu sehen. In einem Kapitel Ihres neuen Buches „Beethoven. Ein politischer Künstler in revolutionären Zeiten" unterziehen Sie dieses Gemälde einer sehr ausführlichen Betrachtung.

William Kinderman:

Im Wien der Habsburger, wo Worte oft strikt zensuriert wurden, konnten die ´nonverbalen` Künste der Malerei und der Musik eine Bedeutung vermitteln, die keinerlei Einschränkung unterlag. Daher liegt es nahe, das Mähler-Gemälde, das zwischen Ende 1804 und Anfang 1805 entstanden ist und das Beethoven sehr schätzte, in einem politischen Kontext zu interpretieren.

SG:

Der Maler Joseph Willibrord Mähler schilderte kurz vor seinem Tod seine erste Begegnung mit Beethoven. Für Sie als Musiker, Autor und Musikwissenschaftler war vor allem die Erwähnung der Sinfonia eroica in diesem Bericht von Bedeutung.

WK:

In Bezug auf die „Eroica“ scheinen Chronologie und Inhalt von Mählers Bericht zuverlässig: Bei diesem Treffen äußerte Mähler den Wunsch, Beethoven spielen zu hören. Er trug seinen Gästen das Finale einer neuen Symphonie vor. Im Herbst 1804 arbeitete Beethoven tatsächlich am Feinschliff seiner „Eroica“. Die erste private Probe der Sinfonie fand am 9. Juni 1804 im Palais Lobkowitz statt, die erste öffentliche Aufführung am 7. April 1805 im Theater an der Wien. Es ist also plausibel, dass Beethoven das „Eroica“-Finale für seine Besucher am Klavier spielte. Beethovens Arbeit an der Sinfonie reichte zumindest bis in den Oktober 1802 zurück, an das Ende des von Krisen geprägten und doch höchst produktiven halben Jahres also, das er in Heiligenstadt verbracht hatte. Die Entstehung der Sinfonie begann mit ihrem Finale.

SG:

Wie haben sich Maler und Komponist kennengelernt?

WK:

Joseph Willibrord Mähler war um acht Jahre jünger als Beethoven und stammte ebenfalls aus dem Rheinland. Wie Beethoven zog auch Mähler während der Aufstände und militärischen Auseinandersetzungen der 1790er Jahre aus dem Rheinland weg. Die Verbindung zu Beethovens Jugendfreund aus Bonn, Stephan von Breuning, deutet auf einen biografischen Zusammenhang hin, in dem Mähler eine Rolle spielte. Im Beethoven Museum gibt es ein weiteres Porträt Mählers, und zwar das von Breunings erster Ehefrau Julie von Vering, einer begabten jungen Musikerin und Tochter von Beethovens Arzt Gerhard von Vering. Mählers Porträt von Julie von Vering spiegelt das engmaschige Netzwerk wider, durch das Beethoven und der Maler verbunden waren.

SG:

Gehen wir näher auf das Beethoven Porträt ein: Immer wieder liest man, der Komponist habe sich äußerst ungern malen lassen. Bei diesem Porträt — einem der wenigen, das ihn als jungen Musiker zeigt — verhielt es sich offenbar anders. Sie schreiben in Ihrem Buch, Beethoven sei in die Planung und Konzeption dieses einmaligen Portraits eingebunden gewesen.

WK:

Das Beethoven-Porträt zeigt eine Landschaft als Hintergrund für Beethovens selbstbewusste künstlerische Mission. Mähler widmete dem Apollotempel auf der linken Seite des Komponisten, der eine Lyra oder eine Art Kithara hält, viel Aufmerksamkeit. Beethoven hatte großes Interesse an der antiken Mythologie. Etwa ab 1801 begann er sich mit Apollo, dem Gott der Musik, der Poesie und der Liedkunst, als Inspirationsquelle für Sänger und Dichter zu identifizieren. Zu dieser Zeit war Beethoven nicht mehr bloß ein erfolgreicher, komponierender Klaviervirtuose, sondern ein ambitionierter Sinfoniker und bald danach auch Schöpfer bedeutender Opern und Chorwerke. Andere Künstler bezeichnete Beethoven manchmal metaphorisch als »Brüder in Apollo« und sich selbst als Priester oder Sohn Apollos. Er schätzte die innere Verwandtschaft zwischen den Künsten und deren spezifische Möglichkeiten, nach einer die Zeiten überdauernden Bedeutung zu streben. An einen Bekannten, den Porträtmaler Alexander Macco, schrieb er 1803: „Malen Sie – und ich mache Noten, und so werden wir – ewig? – ja vielleicht ewig fortleben.“

SG:

Das Porträt verlockt nicht nur aufgrund seiner offensichtlichen symbolischen Ebene zu einer Interpretation. Welche Schlüsse kann man aus der Wahl seiner Kleidung, seiner Frisur schließen? Zu dieser Zeit war es in Wien ja eigentlich üblich, Perücken zu tragen... Vermittelt uns das Gemälde das Bild, das Beethoven von sich selbst hatte? Er war zu diesem Zeitpunkt Mitte 30 und lebte seit 12 Jahren in Wien.

WK:

Ein mögliches Vorbild für diese allegorische Darstellung findet sich weder in der traditionellen Landschaftsmalerei noch in mythisch-antiken Darstellungen. Vergleichbares findet sich vielmehr in symbolträchtigen Napoleon-Darstellungen, die während dessen Zeit als Erster Konsul der Republik ab 1799 weit verbreitet waren. Man denke beispielsweise an die „Allegorie der Guten Regierung von Napoleon Bonaparte“, eine 1801 entstandene Radierung von Alexis Chataigner. Frankreich wird durch die feminine Marianne auf der linken Seite verkörpert. Bonaparte rettet sie vor dem Abgrund, in den sie die destruktive Unwissenheit zu ziehen droht, und wendet sich mit ihr stattdessen Gerechtigkeit und Fülle zu, den beiden allegorischen Figuren auf der rechten Seite. Sie stehen ebenso wie der Apollotempel in Mählers Bildnis in hellem Licht, und Bonapartes in diese Richtung ausgestreckter Arm bildet die Brücke zu ihrer Sphäre der Rechtschaffenheit und des Wohlstands.

WK:

Beethoven bewunderte Napoleon Bonaparte, solange dieser Erster Konsul war. Bestätigt wird das nicht zuletzt durch eine Statuette des Lucius Brutus – Verkörperung republikanischer Pflichterfüllung –, die der Komponist bis an sein Lebensende besaß. Voltaires Tragödie Brutus erlebte während der Französischen Revolution eine erfolgreiche Wiedergeburt. Und François-Joseph Talma, der die Rolle des Titus übernahm, entfachte eine wahre Manie für die „coiffure à la Titus“, jenen kurzen, ein wenig schlampigen Haarschnitt, den auch Beethoven bevorzugte, wie sein Schüler Carl Czerny berichtete, und wie wir ihn im Mähler-Bild sehen.

SG:

Sie schreiben, Mählers Beethoven-Porträt stecke voller derartiger Andeutungen, die zu umfangreich sind, um als Zufall durchzugehen.

WK:

Ja, das ist wirklich bemerkenswert! Ein weiteres auffälliges Detail ist das kleine Stück roter Futterstoff, das an Beethovens Mantel vor dem Hintergrund der dunklen Bäume hervorleuchtet. Eine genaue Untersuchung des Originalgemäldes im Beethoven Museum enthüllt zusätzlich etwas, das selbst auf einer qualitativ hochwertigen Kopie des Porträts nur schwer zu erkennen ist: Bedenkt man das Fehlen jeglicher Lichtquelle an dieser Stelle im Gemälde, so ist der Farbfleck zu hell, schimmert das Rot zu intensiv. Geschuldet ist dies nicht einem Mangel an handwerklichem Können, sondern vielmehr dem definitiven Ziel, ein vielsagendes Detail hervorzuheben. Könnte dieser rote Fleck den todgeweihten Baum des Absolutismus entzünden? Zieht man nämlich das Blau und Weiß in Beethovens Kleidung ins Kalkül, so könnte man sogar versucht sein, in diesem roten Farbfleck die fehlende dritte Farbe der französischen Trikolore wahrzunehmen. Eine weitere Frage stellt sich im Zusammenhang mit Licht und Tageszeit im Gemälde. Ist es Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang? Der Apollotempel und Beethovens ausgestreckte Hand scheinen im Licht der untergehenden Sonne zu leuchten. Damit würde der Künstler in den Westen weisen, also in Richtung Frankreich.

SG:

Wie bereits erwähnt, arbeitete Beethoven an der „Eroica“, als das Porträt entstanden ist. Welche Verbindungen bestehen zwischen der Sinfonie, dem Zeitgeschehen und dem Gemälde?

WK:

Als Beethoven Mähler zum ersten Mal traf, sprach er von der „Eroica“ immer noch als einer Sinfonie, „die tatsächlich Bonaparte betitelt“ ist. Doch es ist vor allem der mythische Kontext der Prometheus-Legende, welcher der Musik einen dämonischen Charakter und eine kosmische Bildsprache verleiht. Es sind die Spannung, das Drängen, die Mählers Porträt des Komponisten so lebendig machen. Es weist zwar eine mit Napoleon-Porträts vergleichbare Grundstimmung auf, vermeidet dabei jedoch deren offensichtlich propagandistischen Charakter. Innerhalb seines kulturellen Umfelds betrieb Beethoven eine Art Rivalität mit Napoleon, der als Erster Konsul der Republik große Erwartungen hervorgerufen, diese Hoffnungen durch seinen unersättlichen Ehrgeiz und sein Streben nach Macht jedoch zunichte gemacht hatte. Kurz vor seinem Tod gestand Beethoven in Bezug auf Napoleon: „In dem Scheißkerl habe ich mich geirrt.“ Sein eigenes Vermächtnis erwies sich als weitaus langlebiger. Joseph Willibrord Mählers bemerkenswertes allegorisches Porträt gibt als progressive symbolische Geste einige jener Ideen und Geisteshaltungen wieder, die Beethovens künstlerische Kreativität beflügelten.

Was Beethoven in der „Eroica“ erforscht, sind universelle Aspekte des Heldentums. In ihrem Zentrum steht die Konfrontation mit Widrigkeiten, die letzten Endes zu einer Erneuerung der kreativen Möglichkeiten führen. Prometheus stellte das Wohlergehen der Menschheit an die erste Stelle, selbst wenn das für ihn riskant war. Wie also ist der große Erzählbogen der Sinfonie zu verstehen? Was die einzelnen Sätze miteinander verbindet, ist die Qualität einer gigantischen Schlichtheit und die umfassende Integration des narrativen Verlaufs.

SG:

Das von Mähler dargestellte „Drängen“ entspricht dem Leitgedanken Ihres Buches – Beethoven als politischen Künstler zu zeigen. Sie schildern die Entstehungsgeschichte vieler Werke und verbinden diese mit den „revolutionären Zeiten“, deren Zeitzeuge er war und unter dessen Einflüssen seine Kompositionen entstanden. Was ist das Politische an Beethoven?

WK:

Es wird oft übersehen, dass Beethoven ein ausnehmend politischer Künstler war. Die Französische Revolution, die Schreckensherrschaft, Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes, die Schlachten bei Wagram und Leipzig, der Wiener Kongress und die darauffolgende Ära politischer Unterdrückung: Es waren einige der turbulentesten Epochen europäischer Geschichte, die Beethoven miterlebte. Der Komponist war von der großzügigen Unterstützung adeliger Mäzene abhängig, dennoch zertrümmerte er 1806 eine Büste seines Förderers Fürst Lichnowsky und hielt kühle Distanz zu Kaiser Franz I. von Österreich. Eine Aussöhnung mit Napoleons Absolutismus oder jenem in Österreich unter Metternich, der bis über Beethovens Tod 1827 hinaus andauerte, war für den Komponisten undenkbar.

SG:

Und aus heutiger Sicht?

WK:

Zwei Jahrhunderte später, im schwierigen Zeitalter von Brexit, Trump und Pandemie, zeigt Beethovens musikalisches Vermächtnis eine erstaunliche Strahlkraft. Während wir 2020 das Beethovenjahr begehen und bereits darüber hinausdenken, scheint es an der Zeit, die politische Bedeutung des Komponisten  zu untersuchen. Denn es ist das politische Narrativ seiner Werke, das zu deren bemerkenswerter Beständigkeit beiträgt. Im Zusammenhang steht das mit Ereignissen, die größer sind als jeder Einzelne. Beethoven, der im politisch progressiven Bonn aufwuchs, immatrikulierte sich 1789 an der neu gegründeten Bonner Universität – genau in jenem Jahr, als im nahen Frankreich die Revolution ausbrach. Als er 1792 seine Karriere als Musiker in Wien fortsetzte, traf er dort auf eine künstlerisch reiche, politisch jedoch extrem reaktionäre Situation. Beethovens in diesem Umfeld riskante Bewunderung für Napoleon Bonaparte kühlte bald ab. In späteren Jahren, als seine Welt mit dem zunehmenden Gehörverlust immer stiller wurde, schuf er jene Werke, die bis heute nachhaltigen Einfluss haben. Darunter die neunte Sinfonie, deren Ursprünge bis in Beethovens Jugendjahre in Bonn zurückreichen.

Prekäre politische Umstände, wie wir heute erleben, unterstreichen Beethovens Bedeutung: »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch«, formulierte Hölderlin. Beethovens humanes Erbe steht auf den Trümmern der Geschichte, trotzt Politikern, die trennende Mauern errichten und für soziale Ungleichheit sorgen. Als Antidot gegen Zynismus ist Beethovens drängende und rastlose Suche nach einem Verständnis komplexer Zusammenhänge unverzichtbar. Seine Kunst birgt revolutionäres Potenzial.

William Kindermans so eben erschienenes Buch „Beethoven. Ein politischer Künstler in revolutionären Zeiten“ wurde von Barbara Sternthal aus dem Englischen übersetzt und ist im Molden Verlag erschienen.

William Kinderman, Pianist, Autor, Musikwissenschaftler und ausgewiesener Beethoven-Kenner, lehrt an der Herb Alpert School of Music der University von California, Los Angeles (UCLA) als Professor und erster Krown Klein Chair of Performance Studies. 2016/2017 war er Berater und Ko-Kurator für das neu gestaltete Beethoven-Museum des Wien Museum, Forscher am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK), Kunstuniversität Linz in Wien, und Gastprofessor an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.

Sonja Gruber hat Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Erziehungswissenschaften in Heidelberg studiert. Sie betreut seit 2018 die Publikationen des Wien Museums, zuvor war sie u.a. als kuratorische Assistenz bei der Kunsthalle Wien, für basis wien, im MUSA und im Verlag für moderne Kunst tätig.

 

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Margit JÄGER

Hochgradig interessant wie immer!!!