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Alexander Juraske, 1.8.2023

Jüdischsein und Formen jüdischer Erinnerungskultur in Fußballvereinen

Kick it like Ella!

Passend zur laufenden Fußballweltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland rollt auch der Ball im Jüdischen Museum Wien. Die aktuelle Ausstellung „Superjuden“. Jüdische Identität im Stadion beschäftigt sich mit Selbst- und Fremdzuschreibungen im Fußballsport.

Jüdische Geschichte ist ganz eng verwoben mit der Wiener Geschichte, das ist im Fußball genauso. Wir haben sehr viele engagierte Leute im Block, die eine antifaschistische Grundhaltung haben, und es ist Teil unserer Verantwortung in der Gegenwart zu sagen, ohne Juden gäbe es die Vienna nicht.“

(Annika Rauchberger, aktive Anhängerin des First Vienna Football-Club 1894 und Mitglied im Fanklub „Plüschpony Bande“)

Im Mittelpunkt der soeben eröffneten und von Direktorin Barbara Staudinger und der Sporthistorikerin Agnes Meisinger kuratierten Ausstellung stehen fünf Fußballvereine, für deren Geschichte jüdische Mitglieder eine wichtige Rolle spielten. Die Ausstellung dokumentiert aber nicht nur die Vergangenheit, sondern zeigt auch auf, wie das jüdische Erbe in den Vereinen heute gelebt und umgedeutet wird und welche wichtige Rolle die Fußballfans bei der Erinnerungsarbeit an vergessene jüdische Mitglieder spielen. Einige von ihnen kommen in der Ausstellung zu Wort.

Hugo und Ella

Zweifelsohne hätte der österreichische Fußballsport ohne das Engagement von Jüdinnen und Juden eine andere Entwicklung genommen. Um dies zu illustrieren, werden in der Ausstellung der österreichische Bundeskapitän Hugo Meisl, der zionistische (Allround-) Sportclub Hakoah – 1925 Österreichs erster Profi-Fußballmeister – sowie die Wiener Unternehmerin Ella Zirner-Zwieback, die 1936 als Gründungspräsidentin der Ersten Österreichischen Damenfußball-Union vorstand und bis zu ihrem Verbot 1938 gegen beträchtlichen (männlichen) Widerstand zwei Meisterschaftssaisonen organisierte, exemplarisch herausgegriffen.

Nach diesem Ausgangspunkt widmet sich das Jüdische Museum den fünf ausgewählten Vereinen. Den FC Bayern München, 1900 von Münchner Juden und Migranten mitgegründet und heute Inbegriff bayrischen Identität – Stichwort „Mia an mia“ – führte etwa der langjährige jüdische Präsident Kurt Landauer 1932 zu seiner ersten Meisterschaft. Das Engagement der „Ultras“-Gruppe „Schickeria“, die 2006 im Stadion an Landauer erinnerte, entriss ihn nach jahrzehntelangem Schweigen dem Vergessen. Dieser Anstoß mündete in einer lebendigen Auseinandersetzung mit dem jüdischen Erbe und der nationalsozialistischen Vergangenheit des Vereins, auch für eine breite Öffentlichkeit.
 

Super „Yiddos“

Jüdische Spieler und Funktionäre prägten auch die Geschichte des niederländischen Spitzenvereins Ajax Amsterdam, der deshalb oftmals als „jüdischer Verein“ wahrgenommen wird. Mitte der 1970er Jahre nahm die Hooligan-Fangruppe „F-Side“ Bezug auf dieses jüdische Image, indem sich ihre Mitglieder „Superjoden“ („Superjuden“) nannten, auch um antisemitischen Schmähgesängen der gegnerischen Fans zu begegnen. Ähnliches gilt für den englischen Premier-League-Verein Tottenham Hotspur FC, der im Laufe seiner Geschichte vermehrt jüdische Fans anzog. Als während des Zweiten Weltkriegs in London eine antijüdische Stimmung aufkam, bürgerte sich der jiddische Begriff „Yids“, oder „Yiddos“ als abwertende Bezeichnung für die Fans der Nordlondoner ein. In den 1970er Jahren übernahmen Tottenham-Fans diese antisemitischen Verunglimpfungen als Selbstbezeichnung mit dem Ziel einer positiven Umdeutung. Ihr Vorgehen stieß auch auf Kritik, da jegliche Übernahme von Diffamierungen selbige auch nähren und zementieren kann.

Partisan Rothschild

An Vereinen aus Österreich sind der First Vienna Football-Club 1894 und der FK Austria Wien mit gutem Grund in der Ausstellung vertreten. Der jüdische Bankierserbe Nathaniel von Rothschild ermöglichte mit seiner finanziellen Starthilfe die Gründung der Vienna, des ältesten Fußballvereins Österreichs. Als Anerkennung übernahm der Verein mit Blau und Gelb die Farben des Hauses Rothschild als Vereinsfarben. Jüdische Mitglieder sollten bis zum „Anschluss“ 1938 eine wichtige Rolle im Verein spielen, sie stellten etwa ein Drittel der Vienna-Funktionäre. Nach 1945 schloss sich Hans Menasse, Sohn eines Wiener Juden, der 1938 mit einem Kindertransport nach Großbritannien flüchten konnte, dem Verein an. Er wurde schließlich österreichischer Nationalspieler und gewann mit der Vienna 1955 die österreichische Meisterschaft. Seine jüdische Herkunft war im Nachkriegs-Wien kein Thema, ebenso wie das jüdische Erbe des Vereins in Vergessenheit geriet. Erst engagierte Fans, die an die vergessenen jüdischen Funktionäre erinnerten, brachten das Thema in den 2010er Jahren zurück an die Öffentlichkeit und in den Verein selbst. Dies geschah in einer organisierten Fankultur, die sich schon früh auf den bis heute gültigen Konsens eines aktiven Kampfes gegen jegliche Form von Diskriminierung im Stadion geeinigt hatte. Auch das Fankollektiv „Partisan Rothschild“ ist mit seinem Namen einer Rückbesinnung auf die jüdischen Vereinswurzeln und dem humorvollen Umgang mit einem vermeintlichen Gegensatzpaar verpflichtet.

 

Seitenstetten Boyz

Der Wiener Amateur-Sportverein – später FK Austria Wien – galt in der Zwischenkriegszeit als Verein des assimilierten Wiener Judentums. Auch nach 1945 engagierten sich jüdische Geschäftsleute für die Austria, die rivalisierende Fans bis heute abwertend als „Judenklub“ diffamieren. Keinen anderen (heute noch existierenden österreichischen) Fußballverein prägten Juden stärker als die Austria. Die Ausstellung demonstriert dies mit Emanuel „Michl“ Schwarz, dem langjährigen Klubpräsident, und mit Norbert Lopper, der das Vernichtungslager Auschwitz überlebte und nach seiner Rückkehr als Klubsekretär mit dem Verein zahlreiche Triumphe feierte.

Zur Austria bietet die Ausstellung auch videographierte Reflexionen über das Jüdischsein im Kosmos des Fußballstadions aus Sicht jüdischer Fans wie Lia Guttmann, Enkelin des jüdischen Funktionärs Jakob „Bujo“ Guttmann oder IKG-Präsident Oskar Deutsch. Schals von Fangruppen wie der „Tempelfront Seitenstetten Boyz“ oder die Zaunfahne „Wiener Peikeles – Wien on Tour“ veranschaulichen zudem die Verbundenheit von Teilen der jüdischen Bevölkerung Wiens mit dem Verein. Der Klub, stolz auf seine Wurzeln, übernahm im November 2021 als erster österreichischer Fußballverein die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Doch gerade in seiner Fanszene gab und gibt es immer wieder Probleme mit rechtsextremen Fans, auch weil die Austria in der Vergangenheit wenig adäquat darauf reagierte.

„Superjuden“ zeigt, welche wichtige Rolle jüdische Akteurinnen und Akteure in der Entwicklung des österreichischen Fußballs spielten, stellt Formen der Aneignung jüdischer Identität durch Nichtjuden dar und akzentuiert die wichtige Rolle der Fans, vergessene Vereinsmitglieder und die damit verbundene Erinnerungsarbeit wieder zum Thema in den Vereinen zu machen.

Literatur:

Agnes Meisinger – Barbara Staudinger (Hgg.), Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion. Superjews.Jewish Identity in the Football Stadium, Ausstellungskatalog Jüdisches Museum Wien, Wien 2023.
 

Weiterführende Literatur zum Thema:

Pavel Brunssen, The Making of “Jew Clubs”. Performing Jewishness and Antisemitism in European Soccer and Fan Cultures, Ph.D. University of Michigan, Ann Arbor, in Druck.

Bernhard Hachleitner – Matthias Marschik – Rudolf Müllner – Johann Skocek, Ein Fußballverein aus Wien. Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945, Wien 2019.

Susanne Helene Betz – Monika Löscher – Pia Schölnberger (Hgg.), „… mehr als ein Sportverein“. 100 Jahre Hakoah Wien 1909 – 2009, Innsbruck 2009.

Alexander Juraske – Agnes Meisinger – Peter Menasse. Hans Menasse. The Austrian Boy. Ein Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien 2019.

Simon Kuper, Ajax, the Dutch, the War. Football in Europe During the Second World War, London 2003.

Dietrich Schulze-Marmeling. Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur, Göttingen 2011.

Johann Skocek, Mister Austria. Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper, Fußballer, KZ-Häftling, Weltbürger, Wien 2014.

First Vienna Football Club 1894 Supporters (Hg.), Vertrieben und ermordet. Jüdische Mitglieder des First Vienna Football Club 1894, Wien 2018.

Alexander Juraske, freier Historiker, Studium der Geschichte und Alter Geschichte in Wien und Athen. Forschungsschwerpunkte: Sport- und Fußballgeschichte sowie Wiener Stadtgeschichte. Zuletzt (zusammen mit Agnes Meisinger und Peter Menasse) Hans Menasse – The Austrian Boy. Ein jüdisch-österreichisches Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien 2019. Aktuelles wissenschaftliches Projekt „Der First Vienna Football Club in der Zeit des Nationalsozialismus“ (Arbeitstitel).

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