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Michaela Lindinger, 26.8.2020

Kaiserin Elisabeths Hermesvilla

Prächtig, aber ohne Wasserklosett

Am 24. Mai 1886 besuchte Kaiserin Elisabeth erstmals die Hermesvilla. Das Geschenk ihres Gemahles gefiel ihr gar nicht – sie reiste sofort ab. Doch dann ließ sie das Refugium nach eigenen Vorstellungen umgestalten.

Franz Joseph hätte es besser wissen müssen, als er seiner reiselustigen und von innerer Unruhe geplagten Frau eine Villa suburbana unweit von Schönbrunn zu schenken gedachte. Etwa zehn Jahre vor der Aufstellung des „Sterbenden Achilles“ im Achilleion, 1881, hatte er Order gegeben, ein „Jagdhaus“ im Gelände des Lainzer Tiergartens zu errichten. Drei Jahre später überschrieb er das Gebäude seiner Frau in der Hoffnung, dass sie ihre Reisetätigkeit zurückschrauben und mehr Zeit mit ihm zusammen in dem abgelegenen Refugium verbringen würde. Der Kaiser war bereits fast 55 Jahre alt. Seine um sieben Jahre jüngere Frau sollte – so meinte er – auch bald ein beschauliches Leben als vielfache Großmutter führen und ihm bei seinen ohnehin dünn gesäten „Urlauben“ in der Nähe von Wien Gesellschaft leisten. Ein Irrtum, wie sich nur allzu bald herausstellte.

1886 waren nach kurzer Bauzeit und längerer Innenausgestaltung die auf zwei Geschossen gelegenen Wohnräumlichkeiten bezugsfertig. Franz Joseph lud seine Frau ein, das Haus zu besichtigen. Als Elisabeth zusammen mit der in diesen Jahren unverzichtbaren Reisebegleiterin Marie Valerie eintraf, wurde die Stimmung bald frostig. Die jüngste Tochter des Kaiserpaares, die in Budapest geborene, praktisch ausschließlich ungarisch erzogene und von der „Helikopter-Kaiserin“ eifersüchtig überwachte Marie Valerie wuchs soeben zu einer eher hausbackenen, stets frömmelnden, ihrer Mutter so unähnlich wie nur möglich sehenden und ihrem Vater in seinem Wesen und in seinen Anschauungen sehr zugeneigten jungen Frau heran, die gerne Tagebuch führte und dort Unterhaltungen aus ihrem Umfeld genau protokollierte. Über ihren ersten Eindruck, als sie der Hermesvilla ansichtig wurde, hielt sie fest: „Es sieht uns und was wir bis jetzt gewohnt waren gar nicht gleich.“

Franz Joseph hatte diesem 24. Mai 1886 mit gespannter Erwartung entgegengesehen. Doch die erhoffte positive Reaktion seiner Frau blieb aus, Elisabeth stand verhalten vor dem neobarock gestalteten Aufgang zum Speisesaal. Die vordergründige Pracht irritierte sie, denn das Haus war innen eher sparsam eingerichtet. Es gab keine Badezimmer, kein Wasserklosett, Wohnkomfort jeglicher Art war kaum vorhanden oder ließ zu wünschen übrig. Vielleicht dachte Elisabeth in diesem Moment angstvoll an die Schlösserwelten ihres Verwandten in Bayern, der kurz vor der Entmündigung stand und – was Elisabeth nicht wissen konnte – nur noch drei Wochen zu leben hatte. Auf jeden Fall war sie in diesem Frühling sehr angespannt und gerade im Schlafzimmer, dessen übermächtiges Dekor Szenen aus ihrem Lieblingsstück, Shakespeares „Sommernachtstraum“ zeigte, schüttelte sie den Kopf.

Marie Valerie fasste das Unbehagen ihrer 48-jährigen Mutter in Worte: Das Haus sei schön, aber ungemütlich. „Diese Marmorreliefs, die üppigen Teppiche, Kamine in getriebener Bronze, das Schnitzwerk an allen Ecken und Enden, dieser manirirte (sic) Rokokostil!“ Marie Valerie ließ kein gutes Haar an der damals noch Villa Waldruh genannten Lainzer Bleibe. Der Kaiser, tief enttäuscht von der ablehnenden Haltung der Damen, meinte: „Ich werde mich immer fürchten, alles zu verderben.“ Von einem Einzug in die kunstvoll bemalten und dem Geschmack der Zeit entsprechend überladen eingerichteten Zimmer war keine Rede. Elisabeth reiste sogleich wieder ab. Und doch kehrte sie ein Jahr später zurück, wiederum zusammen mit ihrer jüngsten Tochter. Diese war noch immer unversöhnlich: „Ach! Wären wir wieder daheim!“, notierte sie nach der ersten Übernachtung in ihren Räumlichkeiten im Erdgeschoß in ihr Tagebuch. Doch es kam anders. Was Franz Joseph nach der misslungenen Besichtigung ein Jahr zuvor nicht mehr zu hoffen gewagt hatte: Der Lainzer Séjour spielte sich ein. Das alternde kaiserliche Ehepaar verbrachte ab 1887 in jedem Frühling einige Wochen gemeinsame Zeit in der Hermesvilla. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Elisabeth begann, das ländliche Gebäude ihren Vorstellungen entsprechend auszugestalten. In die Planung war sie in keiner Weise einbezogen gewesen, doch nun bestellte sie bei ihrem deutschen Lieblingsbildhauer Ernst Herter, der schon den „Sterbenden Achilles“ für sie gefertigt hatte, eine weitere Skulptur. 

 

Hermes sollte es sein, wiederum eine Figur aus der griechischen Mythologie. Der Gott der Kaufleute, der Diebe und – passend zur Auftraggeberin – der Gott der Reisenden. Doch die klassisch gut gebildete Elisabeth wusste noch um eine weitere Zuständigkeit des Hermes. Den alten Griechen galt er als „Psychopompos“, als Seelenführer. Ursprünglich war dies sogar seine Hauptaufgabe gewesen: Er leitete die Seelen der Verstorbenen auf ihrem Weg in die Unterwelt. Der dem Jenseitigen zugeneigten Elisabeth, die sich mit ihrem toten Lieblingsdichter Heinrich Heine spiritistisch auszutauschen pflegte, kam dies gerade recht. Seit 1888 steht also ein Totengott aus Carraramarmor vor der abgeschieden gelegenen Privatresidenz des österreichischen Kaiserpaares.

Mit der von Franz Joseph geplanten „Villa Waldruh“ war es vorbei. Ab sofort hieß das Haus „Villa Hermes“. Der Kaiser, der kaum jemals ein Buch zur Hand nahm, dürfte ohnehin nicht so genau über die Verantwortlichkeiten des Hermes Bescheid gewusst haben. Die durchaus zeitgemäßen Hobbys seiner Frau, Dichten, Lesen, Reisen, Kontakt mit Toten etc., waren gar nicht nach seinem Geschmack und wurden von ihm beiläufig als „Wolkenkraxeleien“ oder gar als „der höhere Rappel“ abgetan.

 

Dass die Kaiserin von Österreich von ihr gewünschte Werke bei einem Berliner Bildhauer in Auftrag gab, blieb der Öffentlichkeit nicht verborgen und wurde zwar erwähnt, aber aufgrund der Pressezensur nicht ausdrücklich kritisiert. Der geübte Zeitungsleser verstand damals, dass allein die Erwähnung einer kaiserlichen Bestellung von Kunstwerken im Ausland einer Kritik gleichkam. Dass es zu den Aufgaben des Kaiserhauses gehörte, einheimische Künstler zu fördern, war eine Selbstverständlichkeit. Der von Franz Joseph georderte Figurenschmuck und die beiden Zierbrunnen im Bereich der Hermesvilla stammen vom berühmten, aus Bratislava (damals Preßburg) stammenden Bildhauer Viktor Tilgner, einem Spezialisten für Neobarockes. Tilgner gehörte zu den bekanntesten Kunstschaffenden der Monarchie und zu den Lieblingskünstlern des Kaisers. Dass die ungewöhnliche Kaiserin auch hier eigene Wege ging, ließ sie in den Augen ihrer Untertanen keineswegs sympathisch erscheinen. Die ihr mangelhaft erscheinende sanitäre Ausstattung des Waldschlosses wurde ebenso in Angriff genommen. Schon 1887, also anlässlich ihres ersten längeren Aufenthalts, wurde am Hohenauer Teich eine Umkleidekabine installiert, sodass Elisabeth bei Schönwetter schwimmen gehen konnte.

Toiletten, Telefon, Elektrik

Im Haus selbst dauerte es allerdings länger, bis den Standards der Kaiserin entsprochen werden konnte. Zum Vergleich: Um die Einrichtung des Achilleions kümmerte sich die Bauherrin Elisabeth persönlich. Hier gab es eine Fußbodenheizung, große Badezimmer mit fließend Warm- und Kaltwasser, Badewannen, elektrisches Licht auch im Außenbereich. Erst 1895 hielten Badewannen und Wasserklosetts Einzug in der Hermesvilla. Telefone folgten ein Jahr später in diesem weitab von der Großstadt gelegenen Refugium; Franz Joseph war nicht gerade als begeisterter Telefonjunkie bekannt. Trotzdem musste die Hermesvilla damals als modernes Gebäude eingestuft werden. Die dorthin führende Straße (heute: Hermesstraße) erstrahlte als eine der ersten Wiens in elektrischem Licht. Bereits kurz nach ihrer Fertigstellung fand die Hermesvilla Erwähnung im sogenannten Kronprinzenwerk – „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“, initiiert und herausgegeben von Kronprinz Rudolf, dem einzigen Sohn von Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph. Das Gebäude im Lainzer Tiergarten wurde dort vom Architekturhistoriker Carl von Lützow als „Krone des modernen Schloßbaues“ bezeichnet.

So viel Lob hätte die Eigentümerin des Schlosses wohl nicht über diese „Krone“ ausgeschüttet, dennoch beehrte sie praktisch jedes Jahr im Mai die Hermesvilla mit ihrer geschätzten Anwesenheit. Dass es durchaus Tage gab, an denen Elisabeth die Atmosphäre des alten Jagdgebiets genießen konnte, bezeugt ein Gedicht aus dem Sommer 1888, das den Titel „Titanias Zauberschloss. Villa Hermes“ trägt. Die starke Naturverbundenheit Elisabeths ist ebenso Thema in diesen Zeilen:

 

Titania wandelt unter hohen Bäumen,
Mit weissen Blüten ist ihr Pfad bestreut,
Die Buchen rings, die alten Eichen keimen,
Es scheint der Wald ein Dom dem Mai geweiht.

Ein Dom, durchweht von märchenhaften Träumen,
Ein Zauberort verborgen und gefeit.
Maiglöckchen läuten duftend süsse Lieder,
Und gold’ne Falter schweben auf und nieder.

Die weisse Hirschkuh folgt Titanias Schritten,
Nicht flieh’n die wilden Mouffelons vor ihr,
Eichhörnchen ist vom Stamm herabgeglitten
Und grüßt die Königin im Forstrevier.

Der scheue Kuckuck ist nicht abgeritten,
Lauscht sie doch täglich seinem Rufe hier;
Die wilde Taube girret im Gezweige,
Und goldig geht ein Maientag zur Neige.

Im Mondlicht ruht Titania gern, dem blassen,
Ihr Lieblingsreh schaut dann zu ihr empor,
Wie ihre Arme zärtlich es umfassen;
Den wilden Eber krault sie hinterm Ohr.
 

Der letzte Satz ist nicht ganz wörtlich zu nehmen, trug Elisabeth doch meist eine Holzratsche bei sich, wenn sie in den Wäldern des Tiergartens unterwegs war. Das Geräusch der Holzratsche diente der Sicherheit der Kaiserin, denn es verscheuchte eventuell aggressive Wildschweine. Die erwähnten Mufflons stammten übrigens aus Sardinien und Korsika. Ihre Nachkommen sind bis heute im Tiergarten ansässig.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem neuen Hermesvilla-Buch „Kaiserin Elisabeths Hermesvilla. Refugium einer rastlosen Seele“ von Michaela Lindinger. Es ist im Online Shop des Wien Museums und vor Ort in der Hermesvilla um 15 Euro erhältlich. 

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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