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Eva-Maria Orosz und Peter Stuiber, 9.1.2023

Keramik der Marke Goldscheider

Modisches, Schönes, Problematisches

Keramikfiguren für ein Millionenpublikum: Damit eroberte die Wiener Firma Goldscheider ab den 1920er Jahren einen Weltmarkt. Über 420 Figuren aus dem Bestand des Wien Museums sind ab sofort in unserer Online Sammlung zu sehen. Was es mit der Goldscheider-Erfolgsgeschichte auf sich hat, erklärt Kuratorin Eva-Maria Orosz im Interview.

Peter Stuiber

Die Firma Goldscheider war bei weitem nicht die einzige ihrer Zeit. Was unterscheidet sie von der Konkurrenz? Was war ausschlaggebend für den weltweiten Erfolg?

Eva-Maria Orosz

Der weltweite Erfolg basiert auf einem guten Mix von Kompetenzen: handwerkliches Können, kaufmännisches Geschick und eine kluge Expansionspolitik – Goldscheider war nicht nur auf den Standort Wien beschränkt. Sie waren auch in Paris, Florenz, Berlin und Leipzig ansässig. Das Unternehmen wurde 1885 gegründet, die Marke existierte bis in die 1960er Jahre. Schon alleine das lange Bestehen der Manufaktur ist beachtlich. Zu Beginn brachten sie orientalische Figuren sowie Wiener Typen auf den Markt, ab 1905 auch Biedermeier- und Rokoko-Figuren und Tierfiguren waren stets im Programm. In den 1920er Jahren schloss sich Goldscheider dem Art déco an, sie gingen stets mit der Zeit. Es war ein Familienunternehmen, das Wirtschaftskrisen gemeinsam überstand und unterschiedliche Vorstellungen über die Unternehmensführung und –ziele unter einen Hut bringen musste. Die Interessen lagen manchmal weit voneinander entfernt. Verfügte einer über großes kaufmännisches Geschick, war der andere an künstlerischen und produktionstechnischen Fragen interessiert. Jedenfalls war Goldscheider immer sehr kundenorientiert, hatte eine große Affinität, Konsumentenwünsche einzuschätzen. Die 1938 erfolgte „Arisierung“ leitete allerdings den Niedergang des Unternehmens ein, nach 1945 konnte man an die Erfolge der Zwischenkriegszeit nicht mehr anschließen. 

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Wie schaffte man es, den Geschmack des Publikums zu treffen?

EMO

Aus den 1920er Jahren wissen wir ganz konkret, dass sich Goldscheider an den Massenmedien orientierte. Sie nahmen Magazine und Illustrierte zur Hand und diskutierten, welche Abbildungen gute Motive für Keramikfiguren wären. Die Werbefotografien der Stars, ob Schauspieler:innen oder Tänzerinnen, die das Wiener Publikum auf der Bühne oder im Kino gerne sah, waren ihre Vorlagen. Die Chefs ging natürlich auch selbst in die Wiener Varietés und sahen sich die Shows der Künstlerinnen und Künstler live an.

PS

War das eine Art Merchandising-Konzept?

EMO

Sicherlich, die prachtvollen Film- und Bühnenkostüme und die Posen der Tänzerinnen eigneten sich wunderbar für die dekorative Keramik. Die Figuren sind also immer Rollenbilder, beispielsweise Josef Kainz als Hamlet oder die Tänzerin Niddy Impekoven in ihrer Darbietung „Der gefangene Vogel“. Wie das rechtlich organisiert war, ob es Verträge mit den Stars gab, wissen wir leider nicht. Es ist auch weitgehend unklar, wie die Firma mit den Bildhauer:innen abgerechnet hat. Eine Reihe von Entwerfer:innen waren freiberuflich, es gab Tantiemenzahlungen. Vermutlich wurden den Bildhauer:innen jedoch auch die Rechte an ihren Werken abgekauft.

PS

Weiß man, wie hoch die Auflage der Figuren war?

EMO

Über die Auflagen gibt es seit dem Erscheinen des Werkverzeichnisses von Goldscheider gute Kenntnis. Sie erschließt sich an den Objekten selbst, die neben dem Firmenstempel eine Reihe von Nummern trägt. Die eine nennt die Modellnummer und eine zweite Zahl gibt Auskunft darüber, das wievielte Exemplar des Modells es ist. Die Auflagen waren naturgemäß unterschiedlich und richteten nach den Bestellungen. Goldscheider war auf vielen Ausstellungen vertreten und hörte sich Kundenstimmen an. Vertreter, die mit Koffern und Produktkatalogen unterwegs waren, gaben der Firmenleitung ebenso das Feedback der Konsument:innen wieder. Zeitweilig wurde über 90% der Produktion exportiert, nach Europa, Nord- und Südafrika und selbstverständlich auch nach Nord- und Südamerika. Einige Modelle sind in riesigen Auflagen produziert worden, z.B. der Scotch-Terrier namens „Modehund“ von der Bildhauerin Ida Meisinger.

PS

Die Zahl der Modelle ist riesig. Es muss ein unglaublicher Druck gewesen sein, wie in der Modewelt ständig etwas Neues zu bringen…

EMO

Ja, und es gab nicht nur in der Motivik Neues, sondern auch technische Innovationen. Goldscheider hat so manches Patent angemeldet, hat günstige Veredelungs- und Oberflächenverfahren entwickelt und mit Farben, Glasuren und Spritztechniken experimentiert.

PS

Kannst Du ein Beispiel dafür geben?

EMO

Sie ließen 1905 ein Patent für Mosaikimitationen anmelden. Weiters hat man etwa Spitze auf Keramik aufgelegt, dann gefärbt und danach abgenommen: So kam das Negativmuster auf die Keramikoberfläche.

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Wurde Goldscheider oft kopiert oder gefälscht?

EMO

Nachdem Goldscheider sehr beliebt und erfolgreich war, existieren Fälschungen und äußert ähnliche Stücke. Für exzellente Fälschungen braucht es die chemische Rezeptur des Scherbens und der Farben, die als Firmengeheimnisse streng verwahrt wurden. Was die Konkurrenz gerne kopiert hat, waren die Modelle. Freischaffende Künstler:innen waren allerdings für mehrere Manufakturen tätig, sodass Ähnlichkeiten unterschiedlicher Produktionsstätten selbstverständlich sind. Fälschungen entstehen auch im Kunsthandel durch nachträglich aufgemalte Firmenstempel.

PS

Kommen wir noch einmal zu den Entwerferinnen und Entwerfern zurück. Man hat sich da ja offenbar ganz bewusst entschieden, nicht mit etablierten Leuten zu arbeiten, sondern mit Newcomern.

EMO

Es wurden junge Künstler:innen etwa von der Kunstgewerbeschule engagiert. Sie waren einerseits günstiger und andererseits nahe am Zeitgeist, ein Garant für Modernität. Die Namen der Entwerfenden findet man gelegentlich auf der Unterseite der Figuren, jedoch nicht immer, denn grundsätzlich stand die Marke Goldscheider im Vordergrund.

PS

Nicht nur aus heutiger Sicht stellt sich natürlich die Frage nach dem künstlerischen Wert der Figuren. Wie siehst Du das als Kunsthistorikerin?

EMO

Kleinskulpturen aus keramischen Materialien können seit dem Rokoko und der Ausformung des Mediums der Porzellanfiguren Gefahr laufen, zu Nippes und nutzlosen Spielerein zu werden. Sie bilden Sujets ab, die in der Großplastik undenkbar sind. Die Firma Goldscheider hat sich im Bereich der Figuren auf Modisches, Schönes und Gefälliges konzentriert. In den Roaring Twenties wurden Künstlerpostkarten von Stars der Tanz- und Varietészene ins Dreidimensionale übertragen. Die Vorlagen sind in wirklich beachtenswerter technischer Präzision umgesetzt. Für manche sind die Figuren am Rande des Kitsches angesiedelt. In der Familie Goldscheider gab es durchaus Widerstand zu dieser Linie. Marcel Goldscheider interessierte sich für die expressive und experimentelle, stärker künstlerische Keramik und schied aus, um seine eigene kleine Firma zu gründen und ähnlich wie die Wiener Werkstätte zu arbeiten.

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Du hast 2007 die Ausstellung „Breiter Geschmack. Goldscheider – eine Weltmarke aus Wien“ kuratiert. Welcher Aspekt hat Dich damals besonders interessiert?

EMO

In der Ausstellung war uns ein Anliegen, Goldscheider in der Breite seiner Produktionspalette und im raschen motivischen und stilistischen Wandel der Jahrzehnte zu vermitteln. Wir haben kulturhistorische Aspekte und Modetrends herausgearbeitet. Daraus entwickelte sich eine Ausstellungsgestaltung, in der alle Keramikexponate in nur einer, dafür entsprechend großen Vitrine versammelt waren. Anstatt bedeutende Keramiken und Unikate von der Massenware abzusondern, setzten wir alles zueinander in Beziehung. Arbeiten, die während des Nationalsozialismus im arisierten Betrieb produziert wurden, waren daher auch zu sehen. Unsere Besucher:innen regten wir an zu überlegen, was Nippes für sie bedeutet, was ihrer Meinung nach dem Kitsch zuzurechnen ist. Wir haben auch aufgezeigt, welche Figuren im Laufe der Geschichte beliebt und zu großen Verkaufsschlagern geworden sind. Es waren häufig kleine Figuren, die – weil nicht so teuer– gut verkäuflich waren, z. B. „im Wind“ von Stephan Dakon.

PS

Abgesehen vom Kitsch-Vorwurf stehen die Figuren heute auch aus anderen Gründen in der Kritik: Denn sie bedienen eindeutig Klischees und rassistische und sexistische Vorstellungen.

MS

Von Anbeginn an, vom Historismus aufwärts, ist Sexismus und Rassismus bei Goldscheider zu beobachten. Der Bestand des Wien Museums, der ab den 1980er Jahren in die Sammlung kam, bildet dies ab und konserviert damit Geschichten kollektiver Diskriminierung. Die Goldscheider-Plastiken von Nordafrikaner:innen des ausgehenden 19. Jahrhunderts vermitteln das einstige eurozentristische Bild von Männern, Frauen wie Kindern aus der „Fremde“. Sie spiegeln Rassismus über die Exotisierung wider. Die Tatsache, dass diese Figuren eine permanente dekorative Präsenz in den Wohnräumen der Europäer:innen hatten, verfestigte das Machtverhältnis. Die Beliebtheit der Keramiken erklärt sich über die „Orientmode“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts und die Fantasien und Vorstellungen des Bürgertums über das „Fremde“, mit dem sich das Ungebändigte, der Müßiggang und nicht zuletzt sexuelles Begehren verbinden.

 

Derzeit sind in unserer Online Sammlung über 420 Objekte von Goldscheider zu sehen, mehr als die Hälfte davon zum kostenlosen Download.

Eva-Maria Orosz, Kunsthistorikerin, Kuratorin für Angewandte Kunst und Möbel im Wien Museum; Forschungsschwerpunkte: Interieur, Period Rooms und Möbel 19. und 20. Jahrhundert, Museums- und Sammlungsgeschichte. Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte Wiens, u. a. Schmuck der Wiener Werkstätte, Werkbundsiedlung Wien, Otto Wagner.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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Kommentare

Dieter JANIK

In Währing in der STAUDGASSE 9 erinnert noch eine Gedenktafel an die Fa.Goldscheider.