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Michaela Lindinger, 25.1.2021

Koralle und „Mumia vera Aegyptica“

Magisch und mysteriös

In den Vorläufern der Museen, den Wunderkammern und Kuriositätenkabinetten, waren Koralle und „Mumia vera Aegyptica“ heiß begehrt – die blutroten natürlichen Verästelungen aus dem Meer und die kohlrabenschwarzen menschlichen Überbleibsel aus der Wüste. Man schrieb ihnen magische Kräfte zu.

Als besonderes Faszinosum galt einerseits das unbestimmte Wesen zwischen Tier und Pflanze sowie andererseits das furchterregende Gebilde zwischen Leben und Tod. Der aus Galizien stammende Schriftsteller Joseph Roth schildert in seiner Novelle „Der Leviathan“ einen Korallenhändler, der seine Ware reichen Bäuerinnen als Schutz gegen den „bösen Blick“ verkauft. Und „geriebene Mumie“ war auch zu Joseph Roths Zeit noch in vielen Apotheken problemlos erhältlich.

Schön und schaurig zugleich: Diese Attribute teilen sich Koralle und Mumie. Sie sind Natur, aber irgendwie auch schon Kunst. Die Korallen sitzen auf den Toten, die sie selbst produziert haben. Und den europäischen Entdeckern bot sich im 18. und 19. Jahrhundert in Ägypten ein ähnliches Bild: Berge von Toten, oft nur in Teilen vorhanden, ihr Geschlecht war – wie bei Korallen – schwer bestimmbar. Philosophen brachten die gefährdeten Meeresbewohner mit Steinen oder Versteinerung in Verbindung und manche sehen in Mumien versteinerte Menschen. Beide werden als „magische“ Objekte, als „Wesen“ von größtmöglicher Fremdheit bewundert.

Rot = Macht

Das taten schon unsere Vorfahren vor rund 2500 Jahren, denn wir wissen, dass eisenzeitliche Damen Korallenschmuck aus dem Mittelmeer trugen. Es muss ein großer Wunsch bestanden haben, etwas Derartiges zu besitzen, sonst hätte sich kein Mensch die Mühe gemacht, die Tiere aus dem Meer zu holen und über die Alpen zu transportieren. Das Rot leuchtete beneidenswert fantastisch zwischen dem Gold- und Bronzeschmuck – und hat vielleicht etwas hervorgerufen, das wir als Fernweh bezeichnen würden. Als unheilabwehrende, apotropäische Macht dürften die Korallen bereits in frühen Zeiten verstanden worden sein, auf jeden Fall war es später bei den Römern so. „Schön und nützlich“ seien diese Lebewesen, hielt Plinius der Ältere in seiner „Naturalis historia“ fest.

Gerade in (Süd-)Italien spielen Korallen als „Glücksbringer“ bis heute eine zentrale Rolle. In Neapel bekommt man die phallusförmigen Anhänger an jeder Straßenecke, allerdings meist aus Plastik und „Made in China“. Als Perlen oder Hörnchen sollten sie seit jeher ihren Besitzern das Pech vom Leib halten. Vor allem aufgrund ihrer Farbe wurde ihnen Vieles zugetraut. Rot steht für das Leben, die Liebe und Zeugungskraft. Hetären erschienen im alten Rom bei Gelagen im Korallenschmuck, Kaiserinnen schmückten sich damit für die Hochzeitsnacht, reiche Mädchen besaßen Schwäne, deren Hälse von Korallenketten umwunden waren. Vor allem aber sollte das Rot in Kombination mit der ungewöhnlichen Gestalt der Koralle den „bösen Blick“ abwehren. Der „böse Blick“ oder Augenzauber ist deswegen so gefährlich, weil er sich oft tarnt. Jemand lobt, aber er will das Gelobte selbst; er bewundert, doch in Wirklichkeit will er das Bewunderte stehlen.

Besonders Neugeborene und Kinder müssen vor dem „bösen Blick“ geschützt werden. Dem Schutz der Wehrlosen dienen Korallen in Form von Amuletten und Ketten zusammen mit Marien- und Jesusbildern teilweise auch heute noch. Es existierten sogar Babyschnuller aus Koralle. Das Christentum adoptierte die mit der Koralle in Zusammenhang stehenden animistischen Schutzfunktionen und transferierte sie in den Erlösungsglauben. Nun stand das Rot für das Blut der Passionsgeschichte und schon können auch Jesus und Maria Koralle tragen, besonders das Jesuskind ist oft mit Korallenkette dargestellt. Was Ovid in den „Metamorphosen“ noch als Verwandlung von Vergänglichem in Beständiges begriff führte im Christentum zur Verwandlung von Fleisch in ewiges Leben.

Mumien und Medizin

Dies trachtete man einst auch in Ägypten zu erreichen. Im Glauben der alten Ägypter war es notwendig, nach dem Tod nicht zu verwesen, sondern das Fleisch zu konservieren, um als vollwertiger Mensch, ausgestattet mit Leib und Seele, ins ewige Leben eintreten zu können. Und so tauchen in den Mumienbandagen nicht selten Korallen als magischer Schutz auf, um den Toten auf seiner ungewissen Reise in den Westen bestmöglich zu unterstützen. Der Großteil der Mumien endete allerdings keinesfalls wie erhofft in einem elysisch erträumten Jenseits, sondern wurde geraubt, zerstört, in Ägypten als Brennmaterial verheizt, in Europa eingeackert oder kam – mit etwas Glück – in ein Museum „für ägyptische Altertümer“. Oder zumindest in eins für „Pharmakognosie“, wie es an der Universität Wien zu finden ist.

„Hauptsache: Eine Mumie im Wohnzimmer“

Mumienköpfe und andere mumifizierte Körperteile sind dort auf mehrere Vitrinen verteilt. Der aus Tschechien stammende Emil Holub unternahm Ende des 19. Jahrhunderts vier Reisen ins südliche und mittlere Afrika, wo er auch einige Mumienteile erwarb. Diese schenkte er dem 1889 gegründeten „Verein angestellter Drogisten“. Ein Mumienkopf fällt durch einen weit geöffneten Mund auf, der Hohlraum ist mit einer pechartigen Füllmasse ausgestopft. Der Kopf ist außen mit Bitumen bestrichen, einem schwarzen Material, das vor allem in der ptolemäischen Zeit zur besseren Konservierung der Leichen in großen Mengen verwendet wurde.

Schon seit dem 14. Jahrhundert verwendeten Heiler Mumienpulver und Leichenteile zur Herstellung von Arzneien und anderen als „magisch“ geltenden Zaubermitteln. Die Nachfrage nach der „Mumia vera“ (also „echte Mumie“) war so groß, dass bereits im Spätmittelalter – und nicht nur im dafür bekannten 19. Jahrhundert – zahlreiche Mumienfälschungen in Umlauf waren. Nach Europa kam das Mittel „Mumia“ im Ganzen oder bereits zerrieben. Es wurde bis in die 1920er-Jahre in der Heilkunde verwendet. Sogar der Name geht übrigens auf das Material Bitumen zurück: „Mumia“ ist die arabische Bezeichnung für Erdpech (Asphalt und Bitumen).

„Falsche“ Mumien

In England galt es als beliebter Zeitvertreib, Freundinnen und Freunde zu „Mumien-Auswickel-Parties“ einzuladen. Wer Bedarf hatte, konnte gleich ein wenig „pulverisierte Mumie“ abreiben und lief so nicht Gefahr, in einer Apotheke teures Geld für „Mumienpulver“ bezahlen zu müssen, das in Wirklichkeit aus Katzen- oder Krokodilmumien produziert worden war. Diese Tiermumien gab es nämlich weitaus häufiger. Vor allem sollte das Pulver bei Potenzproblemen eingenommen werden.
Dem Essen von Mumien liegen (magische) kannibalistische Vorstellungen zugrunde - dass Kraft, Gesundheit und Mut des Toten auf den Esser übergehen. Der bekannte reformerische Wanderarzt Paracelsus hatte „Mumie“ bei Epilepsie Herzattacken, Übelkeit, Vergiftungen Tuberkulose und Blutergüssen verordnet. Ihm widersprach sein französischer Zeitgenosse Ambroise Paré, nicht jedoch, wie man heute meinen könnte, weil das Konsumieren von „Mumie“ kannibalistisch und makaber wäre, sondern weil der Mumiengenuss „Herz- und Magenschmerzen“ verursache, noch dazu „Erbrechen und Gestank aus dem Munde.“


„Totenkopf“

Allerdings wurden nicht nur altägyptische Tote einer „Zweitverwertung“ zugeführt. Es gab auch „Caput Mortuum“, eine braune Farbe aus – wie der Name schon sagt - „Totenkopf“, die Malern verkauft wurde. Das Grundmaterial stammte angeblich von Mumien, meist aber von anderweitig zu Tode Gekommenen, wie etwa zum Tod verurteilten Verbrechern.

Michaela Lindinger, Kuratorin, Autorin. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Ägyptologie und Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien. Seit 1995 kuratorische Assistentin, seit 2004 Kuratorin im Wien Museum. Ausstellungen und Publikationen zu biografischen und gesellschaftlichen Themen, Frauen- und Gender-Geschichte, Porträts, Wien-Geschichte, Tod und Memoria, Mode.
 

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