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Gerhard Milchram, 27.5.2020

Kriegsverluste der Städtischen Sammlungen

„Kostbare Kisten“

Die Befreiung Wiens durch die Sowjettruppen im April 1945 bedeutete für die Städtischen Sammlungen, zu denen ein ganzes Konglomerat von Institutionen, wie das Historische Museum, das Römermuseum, das Uhrenmuseum, Musikergedenkstätten und noch vieles mehr gehörte, eine schmerzhafte Bestandsaufnahme.

Auf Grund der steigenden Gefahr von Bombenangriffen auf Wien hatten sich die Städtischen Sammlungen und die Bibliothek ab 1941 bemüht, sichere Bergeorte für ihre Bestände zu finden. Zu diesem Zweck war ein Kriterienkatalog erstellt worden, der festlegte, dass die Bergeorte möglichst verstreut und an unauffälligen Orten und Stellen sein sollten. Ausgeschlossen waren Orte, die in der Nähe militärischer Objekte lagen. Am besten geeignet erschienen nicht zu weitläufige und auffällige Gebäude. Als am 13. August 1943 Wiener Neustadt von den Allierten aus der Luft angegriffen wurde, zeigte sich die Dringlichkeit der Bergemaßnahmen. Zwei Tage später wurde das Museum, das sich damals im Rathaus befand, geschlossen und die Museumsmitarbeiter waren ab diesem Zeitpunkt nur mehr damit beschäftigt, die Museumsobjekte auf 16 Bergeorte in Niederösterreich zu verteilen. Es handelte sich dabei um die Schlösser Waidhofen an der Thaya, Kirchstetten bei Laa an der Thaya, Thalheim bei Böheimkirchen, Schloss Wald bei St. Pölten, Purgstall, Schönborn, Seefeld bei Kadolz-Mailberg, Glaswein bei Ernstbrunn, Niederleis, Kirchstetten, Laudon und Stixenstein bei Ternitz, sowie um die Pfarrhöfe in Pulkau und Kleinengersdorf und das Kloster Kienberg-Gaming sowie Schloss Grusbach (Hrušovany nad Jevišovkou) im heutigen Tschechien.

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Bergeort Schloss Niederleis in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Bergeort Pfarrhof Pulkau in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Bergeort Schloss Seefeld in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Bergeort Schloss Sixtenstein in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Bergeort Schloss Thalheim in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Bergeort Schloss Wald in Niederösterreich, Foto: Gerhard Milchram

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Als am 8. Mai der Krieg endete, waren das Römermuseum und das Bezirksmuseum in Floridsdorf zerstört, und aus den Bergeorten trafen beunruhigende Meldungen ein. Direktor Karl Wagner schilderte die Situation in einem Brief an Stadtrat Viktor Matejka mit den Worten: „Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen, als auch Russen und Landbewohner stattfanden.“ In dem im Jahr  1939 „arisierten“ Schloss Thalheim waren deutsche Flüchtlinge und Truppen durchgezogen und hatten Musealgut gestohlen. Später wurde von der Roten Armee ein Spital eingerichtet, und Sowjetsoldaten warfen die hierher verlagerten Objekte in einen Geräteschuppen. Auf den Schweinslederbänden von Prachtausgaben, die hinter Wagen und Ackergerät in einem Winkel lagen, hatten Mäuse ihre Nester gebaut und am Rande von Senkgruben lagen Teile einer Flugblattsammlung aus dem Jahre 1809.

In Stixenstein, wo Museumsarbeiter im August 1945 zu einem Augenschein fuhren, bot sich ein ähnliches Bild. In einem Bericht hieß es: „Die Bewacher waren vor den Truppen geflohen, diese hatten alles erbrochen, die Kisten aufgerissen und ihren Inhalt verstreut, man watete knietief in Holzwolle, worunter man bei jedem Tritt zersplittertes Glas spürte, viele Gemälde waren gestohlen, auch von Einheimischen, wie glaubhaft versichert wurde.“ Ein Mitarbeiter der Stadtbibliothek schilderte, dass sich in einem Buschwerk Teile von Rüstungen und Büchern befunden und an einem Baum am Schlossberg wochenlang ein Waldmüller Bild gehangen habe. Es handelte sich dabei um „Die Rosenzeit“, die später restauriert und von Viktor Matejka in einer Ausstellung präsentiert wurde. In Stixenstein befand sich auch ein Großteil des Nachlasses von Johann Strauß, der 1939 „arisiert“ und von den Städtischen Sammlungen erworben worden war. Dieser Bestand konnte geborgen werden, allerdings gingen Teile der Instrumente verloren, die sich in Pulkau befanden. In einem Restitutionsverfahren wurde der Strauß-Nachlass 2001 an die rechtmäßigen Erben ausgefolgt und danach der größte Teil für die Wienbibliothek und das Museum, diesmal rechtmäßig, erworben.

Brahms-Inventar verheizt

Mobiliar und Erinnerungsgegenstände aus der Wohnung von Johannes Brahms, die in das Schloss Wald bei St. Pölten geborgen worden waren, gingen dort zur Hälfte verloren. Im Schloss waren auch anderes historisches Mobiliar und ein großer Bestand von Büchern der Wiener Stadtbibliothek untergebracht. Als die Sowjetarmee dort ein Lazarett einrichtete, benötigte sie im Winter 1945/46 Heizmaterial. Dem Bedürfnis nach Wärme für die verwundeten und erkrankten Soldaten fielen viele Bücher und Möbel, unter anderem aus dem ehemaligen Besitz von Johannes Brahms, zum Opfer.

Besonders schlimm betroffen waren die Bestände des Uhrenmuseums. So konnten zum Beispiel von den acht Kisten des Uhrenmuseums, die in den Pfarrhof von Klein-Engersdorf geborgen worden waren, nur mehr fünf aufgefunden werden. Auf Schloss Schönborn, das auch dem Kunsthistorischen Museum als Bergeort diente, verschwanden zwei Drittel der Uhrensammlung der Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach, die das Museum 1917 erworben hatte.

Der „Wiener Kurier“ vom 27. September 1946 wusste zu berichten, dass die Hälfte des Bestandes des Uhrenmuseum bereits zu einer Zeit verloren war, „da noch kein einziges Gefecht auf österreichischen Boden stattgefunden hatte. Die eigene Bevölkerung hat sich in hellen Haufen Ende 1944 über die kostbaren Kisten hergemacht und besonders die Taschenuhren verschwinden lassen.“ Dies betraf auch zuvor „arisierte“ Uhrensammlungen, wie jene von Paul Schwarzstein, aus dessen ursprünglichem Bestand von 135 Uhren 78 gestohlen wurden, oder auch die Sammlung des Wiener Uhrmachermeisters Alexander Grosz, wo von ursprünglich 70 Uhren nur noch 40 Uhren aufgefunden wurden. Die noch vorhandenen Uhren von Paul Schwarzstein wurden 1948 nach Forderungen des Rechtsanwaltes der Familie an diese zurückgegeben. Die Uhren von Alexander Grosz wurden erst im Zuge der systematischen Provenienzforschung im Wien Museum 2013 restituiert.

An anderen Orten hatte man mehr Glück, wie zum Beispiel im Schloss Niederleis. Dies war vor allem dem Einsatz und den Russischkenntnissen des Schwagers des Schlossbesitzers Franz Xaver Schaffgotsch zu verdanken, der durch geschicktes Verhandeln mit den Sowjetsoldaten diese von Plünderungen und Zerstörungen abhalten konnte und somit auch die dort gelagerten Bestände des Museums rettete. Die Soldaten bedankten sich sogar mit einem Eintrag im Besucherbuch des Schlosses bei Schaffgotsch: „Das Museum ist von großem historischem Interesse. Die Höflichkeit und Gastfreundschaft der leitenden Person entspricht dem allgemeinen Verhältnis der Bevölkerung zur Roten Armee. Besonders interessant war das Gespräch mit dem Schriftsteller der das Museum leitet.“

Bei den Rückbergungen waren die Museumsverantwortlichen bemüht, so schnell wie möglich Maßnahmen zu ergreifen, waren aber sowohl auf die österreichischen Behörden als auch auf die russischen Befreier angewiesen. Die Dienststellen der Landesgendarmarie in Niederösterreich wurden angewiesen, verschleppte Kunstgüter auszuforschen und unter „auffällige Bewachung der Gendarmeriepostenkommandanten“ zu stellen. Für die Rücktransporte selbst wurden LKWs der MA 48 verwendet, aber auch die Sowjets stellten Fahrzeuge, Treibstoff und Fahrer für diesen Zweck zur Verfügung. Auf Grund der widrigen Nachkriegsumstände dauerte es dennoch fast fünf Jahre, bis sich alle Objekte wieder in Wien befanden.

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Die Verluste, die durch Plünderungen und Verwüstungen entstanden sind, betrafen in einem großem Ausmaß das Uhrenmuseum, das 1651 Uhren und 985 Uhrwerke verlor, aber auch aus anderen Sammlungsteilen gingen viele, teils sehr wertvolle Objekte verloren. So fehlen bis heute aus der Gemäldesammlung 244 Objekte, darunter sechs von Waldmüller, aus der Münz- und Medaillensammlung fehlen 572 Stück und die Foto- und Grafiksammlung vermisst bis heute 1028 Objekte, die wohl alle unwiederbringlich verloren sind.

Am 4. September 1947 öffneten die Museen der Stadt Wien mit der Ausstellung „Wien baut auf“ wieder ihre Tore. Eröffnet wurde sie von Bundespräsident Karl Renner, und in Anwesenheit von Bundeskanzler Leopold Figl und Vizekanzler Adolf Schärf, sowie Vertretern der Allierten. Nach der langen Schließzeit war der Museumshunger der Wiener so groß, dass trotz der kurzen Laufzeit von nur drei Monaten 85.808 Menschen diese Ausstellung besuchten.



Literaturhinweise:


Karl GLADT, Die Wiener Stadtbibliothek 1939 – 1945, in: Amtsblatt der Stadt Wien, Nr. 69, 31. August 1955, S. 4.

Gerhard MILCHRAM, Michael WLADIKA: "Es konnte festgestellt werden, dass tatsächlich Verwüstungen und Plünderungen sowohl durch SS-Truppen als auch durch Russen und Landbewohner stattfanden" - Bergungen und Rückbergungen der Städtischen Sammlungen (Museen der Stadt Wien), in: Pia SCHÖLNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.); Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen. Wien, Köln, Weimar, 2015, S. 219-248.

Heinz SCHÖNY, Erinnerungen an die Rückbergungen nach dem Krieg, in: Hundert Jahre Historisches Museum der Stadt Wien, Katalog der 106. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 21. Mai bis 30. August 1987, Wien 1987, S. 87.
 

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck, ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1997 – 2010 Kurator im Jüdischen Museum Wien. Seit 2011 Kurator im Wien Museum.

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