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Thomas Schindler , 19.12.2025

Krippenfiguren des Sebastian Osterrieder in der Otto Wagner Kirche

„Elektrifizierte Komplettkrippen“

Krippenfiguren aus Gips, die so ausdrucksstark wirken, als wären sie aus Holz geschnitzt: Das war die Spezialität des Münchner Krippenkünstlers Sebastian Osterrieder, der um 1900 seine Werke weltweit vermarktete. Auch in der Otto Wagner Kirche waren sie einst aufgestellt.

Als einziger Krippenkünstler des 20. Jahrhunderts brachte es der gebürtige Niederbayer Sebastian Osterrieder (1864–1932) zu weltweiter Anerkennung, ja Berühmtheit. Seine kunsthandwerklich exquisiten Figurengruppen dienen bis heute in viele Kirchen in Europa und Amerika als Andachtsbilder. Zu den neun bekannten Arbeiten in Österreich tritt nun eine weitere hinzu: Im Zuge der Sammlungspflege wurde eine bislang nicht publizierte Figurengruppe aus der Otto Wagner Kirche St. Leopold am Steinhof in Wien genauer untersucht.

Osterrieders Krippenkunst

Der akademisch geschulte Bildhauer Sebastian Osterrieder gilt als der letzte große Münchener Krippenkünstler. Sein Figurenensemble der 1913 fertiggestellten Krippe im Mariä-Empfängnis-Dom in Linz zählt zu den zentralen Werken der Krippenschnitzkunst des frühen 20. Jahrhunderts im gesamten deutschsprachigen Raum. Typisch für die von ihm und seinen Ateliermitarbeitern zwischen 1910 und 1930 geschaffenen Werke ist die Darstellung des weihnachtlichen Geschehens im Kontext geografischer und topografischer Gegebenheiten des Heiligen Lands als sogenannte orientalische Krippen. Zeitgenoss:innen erschienen Osterriederkrippen als ethnografische Rekonstruktionen des heiligen Geschehens, ganz im Sinne der seinerzeit beliebten Dioramen. 

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Weitblickend war die Eigenentwicklung eines speziellen Gussverfahrens vor 1905, das der Künstler selbst als „Französischen Hartguss“ bezeichnete. Dieses erlaubte es ihm und seinen Mitarbeitern, geschnitzt wirkende Figuren als maßstäblich verkleinerte Typen in Einheitsgrößen zwischen 20 und 30 Zentimetern zu vervielfältigen. Anhand seiner in manufakturellen Stückzahlen reproduzierten Palette an lediglich rund 100 Figurencharakteren etablierte sich die orientalische Osterriederkrippe als Markenartikel mit hohem Wiedererkennungswert; zuerst bayernweit, dann im deutschsprachigen Mittel- und in Nord-, Süd- und Westeuropa und schließlich in Nord- und Südamerika.

Die Figuren bestehen aus einer lebenslang geheim gehaltenen Mischung aus Gips, Champagnerkreide und Hasenleim. Zur besseren Stabilität sind die gegossenen Figurenkörper im Inneren mit Drahtgestellen verstärkt. Nach dem Aushärten, Zusammensetzen einzelner gegossener Körperteile wurden die Figuren bemalt. Danach wurden mit Leim-Kreide-Gemisch präparierte Textilien mit unterschiedlichen Webstrukturen auf die Figurenkorpora gelegt. Derart behandelt ließen sich die Miniaturkleidungsstücke mit dem gewünschten Faltenwurf drapieren, bevor sie durch die Trocknung erstarrten. Mit der anschließenden Bemalung der Kleidungsstücke und dem Ausstatten der Figuren mit Attributen vollendeten der Künstler und seine Mitarbeiter die wirklichkeitsnahe Anmutung der Figuren und verliehen ihnen einen individuellen Touch. Die Finesse dieser Bemalung zeigt sich unter anderem durch das gezielte Setzen von Lichthöhungen und Schattentiefen in den Falten. 

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Alle der buchstäblich stets in unterschiedlichem Gewande wiederkehrenden Figuren aus der arbeitsteilig organisierten Werkstatt des Künstlers zeichnen sich durch sehr markante, dabei natürlich-emotionale Gesichtszüge, fein modellierte Hände und Füße, spannungsreiche Körperhaltungen sowie ausdrucksstarke und mitunter ins Theatralische überzeichnetes Gestikulieren aus. Einigen Figuren sind außerdem Glasaugen eingesetzt, was deren Ausdruckskraft noch einmal steigert. Osterrieder stellte seine wenigen Charaktere bewusst mit kleineren körperlichen Mängeln wie Narben, Wucherungen oder Spuren ihrer Tätigkeiten wie etwa schmutzigen Händen dar, um diese noch realitätsnäher zu vermitteln.

Für die Krippenbilder spielten Lichtstimmungen ebenfalls eine große Rolle, weshalb Osterrieder auch elektrifizierte Komplettkrippen anbot. Am preisgünstigen war die kleine Krippe mit der Geburtsszene gruppiert vor der Stallruine, die in den Varianten „Deutsche Ruine“ oder „Orientalische Ruine“ erhältlich war.

Der Künstler-Geschäftsmann

Als erster Krippenkünstler in Europa trat Sebastian Osterrieder als Komplettanbieter szenischer und dabei künstlerisch anspruchsvoll gestalteter und theologisch durchdachter, jederzeit reproduzierbarer Sets auf. Er betrieb gezieltes Marketing, das nicht nur darin bestand, mittels einer dauerhaften Verkaufsausstellung in München, bebilderten Katalogen, Werbeanzeigen und redaktionellen Beiträgen in Printmedien krippenaffine Zielgruppen zu adressieren. Vielmehr bediente er sich zudem geschickt der Kontakte seines sich ständig erweiternden Netzwerks, um höchsten Vertretern aus Politik und Geistlichkeit Weihnachtskrippen öffentlichkeitswirksam übergeben zu dürfen,1907 beispielsweise Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) und 1913 Papst Pius X. (1835–1914).

Figuren aus der Otto Wagner Kirche

Die Figurengruppe datiert zwischen 1920 und 1925. Sie setzt sich aus 26 Figuren, darunter sieben Tiere zusammen, welche vier szenischen Gruppen zuzuordnen sind. Neben der Heiligen Familie zählen drei Putti, deren ursprünglich vorhandene Attribute (Musikinstrumente, Buch) jedoch fehlen, zur Geburtsszene. Besonders spannend sind die sehr gegensätzlich dargestellte Muttergottes und der Nährvater Joseph. Hier die bildhübsche, am Krippentrog knieende, Mutterglück ausstrahlende Maria , dort der fassungslos wirkende ältere Mann. 

Zur Verkündigung an die Hirten sind der Verkündigungsengel in Gestalt eines muskulös-jugendlich vermittelten Mannes, ein sehr theatralisch gestikulierender alter Hirte, ein sich zum Engel hinwendender schafbocktragende Hirte und die Ziegen, die liegenden und die fressenden Schafe zu rechnen. Die Anbetung der Hirten umfasst die übrigen Hirten, zwei ursprünglich Instrumente spielende Hirtenknaben (Doppelflöte und Sackpfeife) und natürlich das im Krippenbild dem Jesuskind als symbolischer Hinweis auf den Kreuzestod zugeordnete Opferlamm.

Auffällig ist das kleine Gefolge der Heiligen drei Könige, die ansonsten in der für Osterriederfiguren typischer Manier tief ergriffen, ja vor Demut und Ehrfurcht erschaudernd dargestellt sind. Bei der imposantesten Figur des Ensembles, dem großen Dromedar, fehlen sowohl der Stallknecht, der das Tier führt als auch die Krug tragende Magd, die es tränkt. Die beiden Turban tragenden Knaben sind Dienerfiguren, deren Attribute ebenso verlustig gegangen sind. 

Zur Ausstattung der Krippe gehörten sicher noch eine Stallruine und eventuell weitere gängige Architekturteile wie der Hirtenturm, der Marienbrunnen oder die Herberge sowie ein gemalter Hintergrund mit dem Panorama der Stadt Bethlehem, wovon sich nach aktuellem Wissensstand in St. Leopold aber nichts erhalten hat. Eine Vorstellung vom möglichen historischen Gesamteindruck vermittelt die vergleichbare Osterriederkrippe im Bayerischen Nationalmuseum in München mit 28 (von ursprünglich wohl 32 vorhandenen) Figuren.

Das in der Otto Wagner Kirche überlieferte Ensemble bildet mit seiner gut nachvollziehbaren Zusammensetzung ein für Sebastian Osterrieders Krippen typisches Arrangement ab. Die Aufstellung der Figuren lässt sich anhand historischen Bildmaterials und komplett erhaltener Ensembles folgendermaßen von links nach rechts in einem schlüssigen Aufzug rekonstruieren: Verkündigung an die Hirten auf dem Feld, Zug und Anbetung der Hirten, die Heilige Familie vor der Stallruine und rechts davon die Anbetung der Heiligen drei Könige und am rechten Krippenrand deren Gefolge mit dem Dromedar.

Die Wiener Figuren bilden wohl den Kern eines ursprünglich etwas umfangreicher ausgestatteten und damit auch feierlicher wirkenden und emotional ergreifenderen Krippenbilds. Der Bestand lässt dennoch eine Inszenierung mit den vier in den Evangelien nach Lukas und Matthäus geschilderten Ereignissen mit ineinander übergehenden Szenen gut nachvollziehen. Dieses Präsentationsschema ist ein wiederkehrend zu beobachtendes, vom Künstler vorgegebenes, gleichermaßen dramaturgisches wie didaktisches Element.

Zustand und Konservierung

Die Figuren sind in unterschiedlich gutem Zustand, großteils verschmutzt, teilweise brüchig und nicht selten lösen sich Farbschollen. Anna Boomgaarden, Restauratorin für Steinobjekte am Wien Museum, hat sich in den letzten Wochen um deren Konservierung gekümmert: Mit weichen Pinseln und kleinen Spezialschwämmen hat sie die Figuren trocken gereinigt und gezielt einzelne Stellen gegen Schimmel desinfiziert. Feine Brüche und Risse hat sie verklebt und lose Fragmente mit Gips befestigt. Damit ist das empfindliche Ensemble gesichert und bezieht fürs Erste wieder seine Herberge im Museumsdepot.

Literatur:

Annette Krauß: Ein Bayer sucht den Orient. Der Krippenkünstler Sebastian Osterrieder, in: Otto Seidl (Hrsg.): 100 Jahre Münchener Krippenfreunde. Festschrift 2017. München 2017, S. 24–25.

Renate Eickelmann (Hrsg.): Herr der Krippen. Sammler, Stifter, Visionär [Ausstellungskatalog Bayerisches Nationalmuseum]. München 2017. Hermann Vogel: S. 24–25. 

Sebastian Osterrieder – der Erneuerer der künstlerischen Weihnachtskrippe. Leben und Werk. 2, verbesserte Auflage. Lindenberg 2011. 

Krippen im Bayerischen Nationalmuseum. Von Nina Gockerell und Walter Haberland (Fotos) (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums, Neue Folge 1). München 2005, S. 232–235. 

[…] Hartmann: Sebastian Osterrieder †, in: der deutsche Krippenfreund 81 (1932), S. 34–36. 

[o. N.]: Die Linzer Domkrippe. Zur Eiweihung des Domes zu Linz a. d. Donau, zugleich ein Gedenkblatt zum 60. Geburtstag des Meisters der Domkrippe [Sebastian Osterrieder], in: Der bayerische Krippenfreund 32 (1924), S. 20–26, bes. S. 22.

Thomas Schindler, Studium der Europäischen Ethnologie/Kulturwissenschaft in Marburg, 2003 Magister Artium, 2007 Dr. phil., 2009-2012 Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 2013-2016 Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim, seit 2016 Referent für Volkskunde am Bayerischen Nationalmuseum München (BNM). Zahlreiche Ausstellungen, Vorträge, Lehraufträge und Publikationen zur Alltagskultur. Ein Arbeitsschwerpunkt des Referats Volkskunde am BNM stellt nicht nur zur Weihnachtszeit die berühmte Krippensammlung dar.

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