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Leere Stadt in der zeitgenössischen Kunst
Eine volle Stadt ganz leer
Eine Stadt ohne Menschen berührt auf ganz eigene Weise. Die Leere zwischen den Häusern evoziert gleichermaßen feierliche wie ängstliche Gefühle. Man denke nur an einen frühen Morgen am Feiertag, wenn angesichts der leeren Gassen und Plätze der Eindruck einer großen Freiheit entsteht. Falls diese Leere aber unvermittelt hereinbricht, dann keimt ein mulmiges Gefühl und wächst sich rasch zu Angst aus.
Die leere Stadt ist aber eben nicht leer, denn dann wäre sie tot und eine Geisterstadt. Meist ist sie nur in ihren geographischen Verbindungssträngen unterbrochen. Ein Anschein entsteht, als wäre der Organismus der Stadt ohnmächtig geworden, während das Leben – wie das Blut bei einem Schockzustand – in tiefere Schichten des kommunalen Körpers zurückgewichen ist.
Diese Situation berührt die Grundfesten der urbanen Existenz und so haben Künstlerinnen und Künstler immer wieder das Thema aufgegriffen. Darstellungen des himmlischen Jerusalems, der neuen Stadt, die nach der Apokalypse entsteht, bis hin zum Typus der Idealstadt der Renaissance und den leeren Städten der italienischen Pittura Metafisika haben große Künstler wie Piero della Francesca oder Giorgio de Chirico zu wichtigen Stilmitteln erkoren und ins Zentrum der Bildaussage gestellt. Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben das Thema in Romanen und Novellen durchgespielt. Sowohl in „Großes Solo für Anton“ von Herbert Rosendorfer, bei „Die Wand“ von Marlen Haushofer, in „Schwarze Spiegel“ von Arno Schmidt und bei „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic spielen wilde Tiere eine wichtige Rolle. Dies entspricht auch unserer jetzigen Situation, in der Rehe, Wildschweine und andere Wildtiere vermehrt urbane Räume inspizieren. Auch in Science Fiction Filmen (Geoff Murphy, The Quiet Earth) wird das Thema der entvölkerten Erde aufgegriffen.
Dieser ambivalente Zustand mit einem Übergewicht ins Dystopische wurde wiederholt von Wiener Künstlerinnen und Künstlern aufgegriffen. Beispiele dieser Arbeiten finden sich auch im Wien Museum und hier vor allem in seiner großen Sammlung zeitgenössischer Kunst (MUSA).
Das Verschwinden des Menschen haben Thomas Freiler und Maria Theresia Litschauer besonders eindringlich thematisiert, indem sie architektonische Gegebenheiten mit relativ langer Belichtungszeit aufnahmen, wodurch verbeigehenden Menschen zu Schemen verschwammen, oder eben überhaupt nicht mehr auf dem Foto erschienen. Litschauer widmete sich in der Serie „non-sites“ Orten wie Unorten, an der Peripherie oder, wie in unserem Beispiel im Zentrum. Sie legt Qualitäten von Stadträumen frei oder entblößt deren Mankos, die im alltäglichen Dahinhasten nicht wahrgenommen werden.
Auch in Thomas Freilers Zyklus „Stephansdom, Wien“ von 1995 erhält das Motiv eine fast unwirkliche Präsenz, indem er mit einer selbst gebauten Camera obscura den Dom umrundete und die Einstellungen lange belichtete. Auf diese Weise erzielte er magische Bilder, die das menschliche Auge uns so nicht sehen lässt.
Wie sehr eine konzeptiv-dokumentarische Serie aus der gleichen Stadt unterschiedlich ausfallen kann, führen Johannes Faber mit seiner Serie von schwarz-weiß Fotos „Wienzeile“ (1981-84) und Ralf Hoedt mit dem Zyklus „Wiener Vorstädte“ vor Augen.
Auch die großen Fotografinnen Elfriede Mejchar und Margarita Spiluttini verzichten in ihren Stadtaufnahmen vielfach auf menschliche Figuren, wodurch es ihnen gelingt, oft gänzlich unbedeutende Örtlichkeiten mit einem poetischen Reiz zu versehen oder in eine besondere Stimmungslage zu versetzen.
Aber auch bei den Zeichnern gibt es herausragende Leistungen zum Thema, wobei Kurt Absolon mit seinem „Blick auf Wien von meinem Fenster“ (1956) eine besonders eindringliche Lösung gelungen ist. Er vermittelt mit diesem Blatt, das Teil einer Serie ist, den Horizont des Städters, der wenn auch aus Dachgiebeln und Schornsteinen gebildet, doch so etwas wie ein Sehnsuchtsmotiv ergibt.
Bei Karl-Heinz Klopf dagegen werden abstrahierte Gegebenheiten der urbanen Topographie ganz ohne deren BewohnerInnen zum Ausgangspunkt seiner Gestaltung.
So findet die leere Stadt auf unterschiedlichste Weise Eingang in die zeitgenössische Kunst. Sie kann als einfaches Motiv oder auch nur als Ausgangspunkt für komplexe künstlerische Verfahren dienen. Von zu Hause aus betrachten wir dieses Phänomen und werden somit selbst zu Fensterguckern, einem seit jeher in Wien beliebten Motiv, wie dies Erna Frank auf die ihr eigene ironische Art im „Wien Triptychon (1978) festgehalten hat.
Und auch im aktuellen Moment unserer Gegenwart arbeiten Künstlerinnen und Künstler mit dem Motiv des Ausnahmezustandes. Während die einen zu Hause ihre inneren Erlebnisse angesichts der Corona-Krise verarbeiten, gehen andere direkt nach außen und setzen sich mit der veränderten Szenerie auseinander.
Lieselott Beschorner, eine Doyenne der Wiener Kunstszene, hat im 93. Lebensjahr eine neue Serie von Zeichnungen begonnen. Dieser Zyklus, der sich dem Virus widmet, vergrößert sich angesichts ihrer fast manischen Arbeitsschübe sehr schnell und vermittelt eine gute Vorstellung vom psychischen Druck, den diese Situation bei ihr auslöst. Leslie De Melo, gleichfalls ein Zeichner von hohen Graden, arbeitet bedachtsam und in ruhiger Konzentration am selben Thema. Er konfrontiert den menschlichen Körper direkt mit dem Virus, das sich allmählich seiner bemächtigt und ihn im wörtlichen Sinn einnimmt. Beide arbeiten mit einer Übersetzung der Krise von außen nach innen.
Im Unterschied dazu geht Reinhard Mandl, ein Fotograf, der in seiner künstlerischen Arbeit den dokumentarischen Zugang präferiert, direkt ins Feld und erfasst die optische Sensation der leeren Stadt aus der Perspektive eines geschulten Auges. Fast geisterhaft und unwirklich treten seine Ansichten der Wiener Innenstadt vor uns und entfachen den Wunsch, dass dieser seltsame Zustand sehr bald enden möge.
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