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Sándor Békési und Peter Stuiber, 9.12.2019

Letzter Betriebstag Südbahnhof

„Der Südbahnhof hat sich in viele Biografien eingeschrieben“

Am 12. Dezember 2009 – also vor zehn Jahren – war der letzte Betriebstag des Südbahnhofes. Danach wurden ausgewählte Teile davon aktiv in die Sammlung des Wien Museums übernommen, allen voran der große Schriftzug. Kurator Sándor Békési erzählt im Interview, wie es damals zur Auswahl kam, warum der Abriss viele Emotionen weckte und das Gebäude ursprünglich Südostbahnhof genannt wurde.

Peter Stuiber:

Am 12. Dezember 2009 war der letzte Betriebstag des Südbahnhofes. Das Wien Museum hat danach einige Stücke des Bahnhofs in die Sammlung übernommen. Wie lief diese Aktion damals genau ab?

Sándor Békési:

2006 gab es im Wien Museum die Ausstellung „Großer Bahnhof“, bei der erstmals die Geschichte der Wiener Bahnhöfe umfassend erzählt wurde. Aufgrund der Ausstellung gab es bereits intensive Kontakte zu den ÖBB. Und es war damals bereits klar, dass es einen neuen Hauptbahnhof geben und der Südbahnhof abgerissen werden würde. Bemerkenswert war, dass es bei den ÖBB, auch aufgrund unserer Ausstellung, ein großes Bewusstsein dafür gab, dass bestimmte Dinge aufbewahrt werden sollen. Es gab eine intensive Betreuung und detaillierte Listen, in denen verzeichnet war, was nicht demoliert werden darf und welche Institution was bekommen soll.

PS

Welche anderen Interessenten gab es?

SB

Allen voran das Technische Museum Wien, mit dem die ÖBB ja seit jeher in engem Kontakt sind. Ich habe mich mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen so weit wie möglich abgestimmt, wobei deren Interesse vor allem an den bahntechnischen Anlagen lag. Ich konnte sehr schnell deponieren, dass wir am großen Schriftzug interessiert sind, und den haben wir letztlich ja auch als Schenkung erhalten. Für uns war das auch im wörtlichen Sinn eine große Sache, denn mit fast dreizehn Meter Länge ist der Schriftzug bis heute eines unserer größten Sammlungsobjekte. Neben dem Technischen Museum und dem Wien Museum gab es noch die Bezirksvertretung Favoriten, die großes Interesse gezeigt hat, und einige Privatsammlungen. Die ÖBB sind jedenfalls vorbildlich mit diesem kulturellen Erbe umgegangen.

PS

Wie hast Du diese Zeit als zuständiger Kurator erlebt?

SB

Für mich persönlich war das einer der Höhepunkte meiner bisherigen Tätigkeit im Museum. Die Aktion hat mich zwar einige schlaflose Nächte gekostet. Denn der Aufwand war doch ziemlich groß, und die Zeit ist uns dann fast davongelaufen. Am Tag nach der Schließung kamen ja schon die Abrissfirmen. Die ausgewählten Bodenplatten mussten wir zwischen Weihnachten und Silvester demontieren lassen. So schmutzig wie an diesem Tag bin ich jedenfalls noch nie ins Museum gekommen...

PS

Die Demontage des Schriftzuges wurde sogar vom ORF gezeigt…

SB

Ja, weil sie genau am Tag der Schließung passiert ist – direkt über den Köpfen der Menschen hinweg, was doch ein bisschen heikel war. Eigentlich war mein Plan, dass wir vor allem die Highlights schon vor der Schließung erhalten, weil ich befürchtet habe, dass sonst manches von Trophäenjägern abmontiert wird. 

PS

Nach welchen Kriterien wurden die Teile fürs Museum ausgesucht?

SB

Die ursprüngliche Idee war, dass wir damit so eine Art „Period Room“ zum Südbahnhof machen können, mit ergänzenden kulturhistorischen Objekten. Es ging darum, diesen sehr speziellen Ort und seine Funktionsweise zu dokumentieren. Daher haben wir nicht nur prominente Teile wie den großen Schriftzug ausgesucht, sondern auch Türen, Wandverkleidungen mit Schalterziffern, zwei Wanduhren, Informationstafeln mit Piktogrammen, Waggonschilder wie z.B. „Wien-Venedig“ oder die „Hausordnung“ am Bahnhof, über die man in 100 Jahren vermutlich schmunzeln wird. Künstlerisch und in der kollektiven Erinnerung interessant war auch das Linienbild „Der Süden“ von 1956, das in der Halle auf der Südbahnebene montiert war, und die wir als Dauerleihgabe bekommen haben.

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Schalterziffer mit Marmorplatte, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Uhr, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Hinweisschild, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Metalltüre, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Hausordnung, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Leuchttafel, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Bodenplatten, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Hinweisschild, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Schwingtüren, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Zuglaufschild, Foto: Sándor Békési/Wien Museum

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Otto Swoboda: o.T. ("Der Süden"), Eisendraht, 1956, Dauerleihgabe der ÖBB an das Wien Museum

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PS

Am letzten Betriebstag wurde ausgelassen gefeiert, und es ging sehr emotional und fast nostalgisch zu. Ist das nicht bemerkenswert für ein Gebäude, das in der Bevölkerung allgemein nicht gerade als architektonische Perle angesehen wurde?

SB

Dass es viele bewegt hat, war schon verständlich. Denn für viele Menschen hatte der Südbahnhof als Ankunftsort eine große Bedeutung, egal ob das jetzt Steirerinnen und Steirer waren, die zum Studieren nach Wien gekommen sind, oder türkische und jugoslawische Arbeitsmigranten. Für manche Wienerinnen und Wiener war es einfach der „Urlaubsbahnhof“. Jedenfalls hat er sich in viele Biografien eingeschrieben. Das hat man auch daran gemerkt, dass sich sogar noch nach einem halben Jahr manche Leute bei uns erkundigt haben, ob es dem Schriftzug eh gut geht. Am letzten Abend war der Südbahnhof sicher der meistfotografierte Bahnhof, den Wien bis dahin hatte. Auch unser Fotograf Didi Sattmann war vor Ort. Außerdem haben wir Bilder von anderen Fotografen, die den Zustand des Bahnhofes und dessen Abriss zeigen, für die Sammlung angekauft.  Das war ein wichtiger Teil des Sammelprojekts.

PS

Was hat denn den alten Südbahnhof architektonisch ausgezeichnet?

SB

Zum einen wohl die Details. Der Terrazzo-Boden, der rote Marmor, der Markus-Löwe noch vom sogenannten zweiten Südbahnhof und andere Feinheiten, mit denen man den Flair des Südens hinaufbeschwören wollte. Aber vielleicht haben das die meisten Leute gar nicht so wahrgenommen. Jedenfalls stand der Südbahnhof bekanntlich nicht unter Denkmalschutz.

Auch sein Ruf war nicht der beste, die Westachse war nach 1945 einfach wichtiger und der Westbahnhof als Bauwerk attraktiver. Die dortige große Glasfassade etwa wirkte viel eleganter als die kleinteiligen Milchglasfenster des Südbahnhofs. Und dass der Südbahnhof zunehmend mit Einbauten verhüttelt wurde und gegen Ende etwas heruntergekommen war, hat auch nicht zu seinem Renommee beigetragen.

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos: © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Fotos © Ernest Pointner/Sammlung Wien Museum

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Noch einmal zurück zum großen Südbahnhof-Schriftzug. Die wenigsten wissen, dass es ihn bei der Teileröffnung des Bahnhofes 1956 noch gar nicht gegeben hat.

SB

Zu dieser Zeit haben viele den Bahnhof inoffiziell auch noch Südostbahnhof genannt. Denn er hat ja eigentlich zwei frühere Großbahnhöfe in sich vereint, was auch räumlich zu einer gewissen Unübersichtlichkeit führte. Mit der Eröffnung der Schnellbahn 1962 entstand hier letztlich auf vier Etagen ein funktional bemerkenswerter, dreifacher Eisenbahnanschluss. Erst kurz davor dürfte die Südbahnhof-Beschriftung angebracht worden sein. 

PS

In der neuen Dauerausstellung des Wien Museums wird sie einen zentralen Platz bekommen. Zuletzt wurde die Beschriftung 2011 anlässlich der Ausstellung „Absolut Wien. Neuankäufe und Schenkungen seit 2000“ über dem Eingang des Wien Museums angebracht. Für viele war das ein schönes Wiedersehen…

SB

Der damalige Direktor Wolfgang Kos war so begeistert, dass der Schriftzug noch lange nach Ausstellungsende dort hängengeblieben ist. Da das Museum zur gleichen Zeit wie der Südbahnhof entstanden ist, hat es ja auch stilistisch gut gepasst. So gut, dass immer wieder Touristen ins Museum gekommen sind, um an der Kassa Bahntickets zu kaufen. Da mussten wir sie leider enttäuschen.

Sándor Békési studierte Geschichte, Geographie sowie Wissenschaftstheorie und -forschung in Wien und ist seit 2004 Kurator am Wien Museum im Sammlungsbereich Stadtentwicklung und Topografie. Zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten zum Thema Stadt-, Umwelt- und Verkehrsgeschichte.

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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