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William D. Godsey, 13.12.2023

Louis Engelbert von Arenberg und die Zeit der Revolutionskriege – Teil 1

Der „blinde Herzog“ als Flüchtling in Wien

Ein Reichsfürst, den die politischen Umwälzungen in Westeuropa nach Wien trieben: Das allein würde schon Aufmerksamkeit erregen. Doch der „blinde Herzog“ Louis Engelbert von Arenberg war nicht nur Gouverneur gewesen, sondern u.a. auch Kulturmäzen, Gartenbauer, Reformer und sogar Revolutionär. Teil 1 einer Annäherung an eine historische Persönlichkeit im Wien zur Zeit der Revolutionskriege (1794–1802).

An einem sonnigen Augusttag im Jahr 1794 ging Herzog Louis Engelbert von Arenberg (1750–1820) gemeinsam mit seiner Familie am Wiener Schanzel aus drei Barken an Land. Damals diente das Schanzel – eine Donauuferstrecke im Bereich des heutigen Donaukanals – als eine Art Hafen der Stadt, wo sowohl Menschen als auch Frachten aller Art ankamen. Die Arenberg hatten die Reise über die Donau in Ulm angetreten. Dieser Wasserweg bildete die letzte Etappe ihrer Flucht vor den französischen Revolutionstruppen, die die Österreichischen Niederlande, die Heimat der Arenberg, besetzt hatten.

In seinem Tagebuch vermerkte niemand geringer als Graf Karl Zinzendorf, damals wohl der bedeutendste Träger der Kultur der europäischen Aufklärung in Österreich und ehemaliger Reformminister Josephs II., die Ankunft der Arenberg in Wien. Zwei Tage später suchte er sie in Gumpendorf auf. Dort, in einem Vorort am Wienfluss innerhalb des Linienwalls, hatten sie ein einstöckiges Haus mit großem Garten bezogen, das ihnen seit dem frühen 18. Jahrhundert als Wiener Absteigequartier gedient hatte. Dieses Haus sollte bald ihren einzigen verbliebenen Realbesitz bilden. Denn Arenberg hatte die Herrschaft über seine ausgedehnten Ländereien in den Österreichischen Niederlanden durch die französische Besetzung gerade verloren und seinem reichsunmittelbaren Herzogtum am linken Rheinufer in der Eifel sollte demnächst das gleiche Schicksal ereilen.  

Nicht nur aufgrund seines gehobenen Standes als Reichsfürst fiel Arenberg unter den damals vielen Flüchtlingen in Wien,  die vor den Umwälzungen in Westuropa geflohen waren, auf. Seit seinem 25. Lebensjahr war der nunmehr 44-jährige Herzog infolge eines Jagdunfalls auf beiden Augen blind. Daher wird er in der älteren Geschichtsschreibung durchwegs als der „blinde Herzog“ bezeichnet. Dennoch hatte er bis dahin ein überaus bewegtes Leben geführt – als Gouverneur, Kulturmäzen, Reisetagebuchschreiber, Bauherr, Gartenbauer, Reformer, Mesmerist und sogar Revolutionär.

Die Jahre als Flüchtling in Wien stellten eine weitere Station dieses außerordentlichen Lebens dar, die überdies wenig bekannt ist. Dass der aufgeklärte Zinzendorf ihn sogleich besuchte, sollte dafür bezeichnend sein. Denn Arenberg hatte Wien als Zufluchtsort nicht deswegen ausgewählt, weil es etwa als Hort der Gegenrevolution nach der sogenannten Jakobinerverschwörung galt, sondern weil er dort Haus und Verwandtschaft hatte. Noch im späten Frühjahr 1794 hatte er sich über Wochen gegen die Idee gesträubt, die seine Frau und Mutter hartnäckig in einer „Koalition“ – sein Wort – gegen ihn vertraten: Nämlich nach Wien zu gehen. Der Aufenthalt in Wien sollte in der Tat die Ambivalenz seines Verhältnisses zu den Habsburgern offenlegen, aber auch die Lebendigkeit des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Wien in einer Zeit aufzeigen, die häufig nur mit „Reaktion“ in Verbindung gebracht wird.

Zinzendorf, dessen zeitgenössische und heute noch weitgehend unveröffentlichte Aufzeichnungen über Arenbergs Leben in Wien berichten, verband eine lange Bekanntschaft mit dessen Familie. Er kannte sie bereits aus der Zeit seiner Studienreise um 1770 nach Brüssel, wo die Arenberg ihre Residenz hatten. Seit kurzem war eine verwandtschaftliche Beziehung dazu gekommen. Im Mai 1794 hatte Arenbergs Tochter, die kunstsinnige Pauline, den Fürsten Joseph Schwarzenberg geheiratet. Die Großtante von diesem war wiederum die Witwe von Ludwig Zinzendorf, einem aufgeklärten Volkswirt und Staatsminister sowie Bruder Karls.

Nach dem Wiedersehen am 20. August 1794 notierte Karl Zinzendorf, wie sich das Aussehen Arenbergs und seiner Mutter, der Herzogin-Witwe Marguerite, seit der letzten Begegnung geändert hatte. Der „viel dicker“ gewordene Herzog „redete viel“. Dabei las ihnen Marguerite aus der „Gazette de Cologne“ einen Artikel über Robespierre vor, der kurz zuvor auf dem Pariser Schafott geendet hatte. Arenbergs Frau, die Herzogin Louise, beschrieb er dagegen als „gut, blass, klein, aber hübsch“. Im Laufe des kommenden Jahres sollte Zinzendorf eine Schwärmerei für sie entwickeln. Dass ihre zu diesem Zeitpunkt fortgeschrittene Schwangerschaft die Reisestrapazen zusätzlich erschwerte, würde die Blässe erklären, allenfalls auch die emotionalen Nachwirkungen der Köpfung ihrer Mutter im Februar 1794 in Paris.

Dass Zinzendorfs Tagebuch einzigartige Einblicke in das Leben Arenbergs in Wien eröffnet, hing aber in erster Linie mit seiner Freundschaft mit der Schwester und dem Schwager Arenbergs zusammen. Arenbergs Schwester, Léopoldine, war mit dem Grafen Joseph Niklas Windisch-Graetz verheiratet. Das Ehepaar bewohnte eine Villa in Gumpendorf, wo Zinzendorf es häufig aufsuchte. Die Villa stand praktischerweise in der Nähe des Arenberg-Hauses. Somit traf Zinzendorf nun auch die Arenberg „en famille“. Um von der immer noch befestigten Stadt nach Gumpendorf zu gelangen, nahm Zinzendorf die notorisch schlechte Kothgasse (die heutige Gumpendorfer Straße) in Kauf. Manchmal wich er ihr über den Weg am Wienfluss aus. Durch die Witterung fühlte sich Arenberg selbst zeitweilig in „mon faubourg“ („meiner Vorstadt“), wie er Gumpendorf nannte, eingesperrt. Der zeitweise tiefe Schnee in den kalten Wintern dieser Jahre machte die doch nahe Stadt schwer erreichbar.  

In seinen jüngeren Jahren gehörte Joseph Niklas Windisch-Graetz zum engeren Freundeskreis Kaiser Josephs II. Später bestand der Hauptzweck der politisch-philosophischen Reflexionen des Gelehrten Windisch-Graetz darin, ganz im Zeichen der Aufklärung „Moral und Gesetzgebung zu mathematisch bestimmten Wissenschaften zu erheben und auf die festesten Grundsätze zurückzuführen“. Er stand mit Geistesgrößen – etwa Immanuel Kant und dem Marquis de Condorcet, aber auch Benjamin Franklin – im Austausch. Franklin hatte er in Paris aufgesucht. Gerade zu Arenbergs Zeit in Gumpendorf freute sich Windisch-Graetz, dass Kant ihm seine jüngste Veröffentlichung – „Zum ewigen Frieden“ (1795) – zukommen ließ. Vor dem Hintergrund der verbreiteten Kriegsmüdigkeit in Wien infolge der langjährigen bewaffneten Konflikte seit dem Ausbruch des osmanischen Kriegs 1787 notierte Zinzendorf das eigene „Vergnügen“ bei der Lektüre der genannten Schrift, die zweifellos auch für Gesprächsstoff in der Gumpendorfer Runde sorgte.

Zinzendorf, Windisch-Graetz und Arenberg teilten zudem die tiefe Entfremdung von der despotischen Regierungsführung der letzten Jahre Josephs II. Sowohl Zinzendorf als auch Arenberg wurden vom Kaiser aus ihren Staatsämtern entfernt. Maria Theresia hatte Arenberg trotz seiner Blindheit zum Gouverneur des Hennegaus, einer Provinz in den Österreichischen Niederlanden, die traditionell im Einflussbereich seiner Familie lag, berufen (1779). Acht Jahre später setzte ihn Joseph unter dem Vorwand seiner Blindheit wieder ab. In weiterer Folge befürwortete Arenberg die Unabhängigkeit der belgischen Provinzen, die vorübergehend in dem antiösterreichischen Aufstand realisiert werden konnte, der als die „Brabanter Revolution“ in die Geschichte eingegangen ist. Dabei richtete er sich nicht nach der „ständischen“, sondern nach der „demokratischen“ Partei in der dortigen politischen Landschaft – entsprechend der postfeudalen, konstitutionellen Richtung der Revolution im benachbarten Frankreich, zu dem er die engsten Beziehungen pflegte.

In Gumpendorf der 1790er Jahre sollten weitere Vertreter der revolutionären Vergangenheit auftauchen. Über ihre Verwandtschaft hatten die Arenberg am Rande einer französischen Adelsfaktion gestanden, die bei der Königin Marie-Antoinette früh in Ungnade fiel. Diese Faktion hatte zunehmend die vermeintliche Willkürherrschaft der Regierung Ludwigs XVI. angeprangert und die Revolution von Beginn an unterstützt. Unter den Verfechtern des Wandels im Umkreis dieser Faktion befand sich nicht zuletzt Arenbergs Bruder, Auguste, der in französischen Militärdiensten stand und sich nach der eigenen Flucht zeitweise in Wien aufhielt. 1789 in die französischen Generalstände gewählt, gehörte Auguste zur adeligen Minderheit, die sich dem Dritten Stand angeschlossen und auf ihre Vorrechte in der legendären Sitzung der Nationalversammlung am 4. August 1789 verzichtet hatte. Vor allem ist er aber als Anhänger des Volkstribuns Mirabeau bekannt. Gemeinsam mit seinem Bruder gehörte er überdies zu den führenden Vertretern der „demokratischen Partei“ in den Österreichischen Niederlanden.

Im Herbst 1795 erschien eine andere bemerkenswerte Pariser Gestalt in Gumpendorf, die zur weitläufigen Verwandtschaft der Arenberg gehörte: Die Marquise de Lafayette, die Frau des frühliberalen Politikers Marie-Joseph Motier, Marquis de Lafayette, der sich sowohl in der amerikanischen als auch der französischen Revolution hervorgetan hatte. Sie entkam nur knapp dem Schafott und floh nach Österreich, wo ihr Mann nun als Revolutionär und Kriegsgefangener in Festungshaft saß. Aus den Gesprächen in den Häusern Windisch-Graetz, Arenberg und Schwarzenberg, die Zinzendorf in seinem Tagebuch notierte, ist ferner ersichtlich, dass die harsche Kritik an die Persönlichkeiten und Politik Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes aus der Zeit vor und während der Revolution keinesfalls nach deren gewaltsamem Tode verstummt war. Zinzendorf zeichnete etwa diesbezügliche Einzelheiten über das Privatleben der Königin auf, die Louise Arenberg erzählte.

Freilich führten Terror und Krieg sowie die damit verbundenen Erfahrungen zu einem Gesinnungswandel bei Arenberg. Schon mit der Rückkehr der österreichischen Herrschaft in die Südlichen Niederlande gelang es dem stets vorsichtig agierenden Herzog, das Verhältnis nach Wien zu kitten. Dafür unternahm er 1791 eine ausgedehnte Italienreise, die er in einem faszinierenden Reisetagebuch festhielt. Dabei empfing ihn der Nachfolger Kaiser Josephs II., Leopold II., zu einem Versöhnungsgespräch in Florenz. Dennoch sollte er sich kurz nach der Flucht nach Wien 1794 gewissermaßen wieder in der Opposition befinden. Denn das Jahr 1795 stellte einen Tiefpunkt im kaiserlichen Kriegsglück dar, das mit dem Verlust des linken Rheinufers – und somit auch des Herzogtums Arenberg – einherging. Die Rückschläge führten wiederum zur Entstehung einer umtriebigen Friedenspartei in Wien und zum verzweifelten Alleingang zahlreicher Reichsstände, einen Sonderfrieden mit Frankreich abzuschließen. Auch Arenberg wurde diesbezüglich diplomatisch aktiv, wollte aber letztendlich einen neuerlichen Bruch mit dem Kaiserhof nicht riskieren. Daher erbat er gemeinsam mit seiner Frau in einer Audienz bei Kaiser Franz II. um die Erlaubnis, einen Sonderfrieden mit Frankreich einzugehen, was ihm – dem reichsständischen Zwergstaat – nicht gewährt wurde. Der österreichische Außenminister Thugut bezeichnete die Demarche gar als „Skandal“ und als schlechtes Beispiel für die übrigen Reichsfürsten. In der Folge setzte Thugut weiterhin auf eine harte Kriegspolitik. Dabei rechnete er nun die Arenberg zu seinen Gegnern in der Wiener Friedenspartei.

Bei den Arenberg ließen die Folgen der kaiserlichen Politik nicht lange auf sich warten: Nacheinander kehrten Arenbergs Mutter und Frau – beide gebürtige Französinnen – schon im Herbst 1795 auf mutige, abenteuerliche Weise in das nunmehr französisch besetzte Brüssel zurück, um nach dem Ende der jakobinischen Diktatur zu retten, was vom eigenen Erbe noch zu retten war. Dabei reiste die Mutter ohne Pass über Schärding, ihre Schwiegertochter fiel beinahe Straßenräubern im Waldviertel zum Opfer. Die bittere Trennung Arenbergs von Frau und Mutter sollte über viele Jahre anhalten. Zudem symbolisierte sie den weiterhin erheblichen Dissens innerhalb der Familie in der Frage der politischen Strategie, die in dieser Krisenzeit verfolgt werden sollte. Die beiden Frauen räumten selbstbewusst der Wiedererlangung der großen Besitzungen in den Südlichen Niederlanden Priorität ein, während Arenberg die politische Existenz als Reichsfürst mit Sitz und Stimme am Reichstag in Regensburg in den Mittelpunkt stellte.

Eine Wiedergutmachung seiner Verluste – auch derjenigen in Belgien – schien ihm daher am besten unter dem Schutz des Kaiserhofs erreichbar. Das bedingte wiederum die Anwesenheit in Wien, wo seine Hauptbeschäftigung über Jahre hinweg darin bestehen sollte, den Kriegsverlauf und die hohe Politik aufmerksam zu verfolgen, um notfalls eine sich ergebende Chance zu ergreifen. Zu seinen Informationsquellen gehörten trotz Zensur die maßgeblichen ausländischen Zeitungen, einschließlich deutscher Blätter, die linksrheinische „Gazette des Deux-Ponts“ und das inoffizielle Organ der Französischen Republik, „Le Moniteur“. Arenbergs Schwester, Léopoldine Windisch-Graetz, erwies sich als eine besonders eifrige Leserin des „Moniteur“. 

Die hohe Gesellschaft funktionierte vornehmlich auf Grund von Gerüchten und Netzwerken. Die neuesten Nachrichten zirkulierten speziell in den Salons. In seinen Wiener Jahren scheint zwar Arenberg große gesellschaftliche Anlässe – etwa die glänzenden Salons (genannt „assemblées“) und Diners der Hocharistokratie – gescheut zu haben. Dies geschah womöglich wegen seiner Blindheit. Dafür war er häufig bei kleineren Diners und Abendgesellschaften vor allem bei seinen Verwandten anzutreffen, wie das Tagebuch Zinzendorfs verrät. Unter den Vertretern der südniederländischen Diaspora und des hohen Reichsadels finden wir ihn auch. Außerdem stand er auf vertrautem Fuß mit den Cobenzl und Starhemberg, erbländischen Familien, die er aus Brüssel kannte, wo ihre Vertreter an der Spitze der österreichischen Regierung gestanden waren.

Mit dem berühmtesten damals in Wien lebenden „Belgier“, dem Fürsten de Ligne, traf er sich offensichtlich vergleichsweise selten, zumal dieser in der Zeit der Brabanter Revolution den Habsburgern die Treue gehalten und die Arenberg in Wien angeschwärzt hatte. Immerhin ist ein Besuch Lignes in Gumpendorf überliefert, wo er Geschichten aus seiner Zeit am Hofe Katharinas der Großen von Russland zum Besten gab. Gut befreundet war Arenberg dagegen mit Baron Guillaume Feltz, der eine steile Karriere als reformfreundlicher und geadelter Finanzbeamter in den Südlichen Niederlanden hinter sich hatte und ebenfalls Österreich stets loyal geblieben war. Im Austausch mit Arenberg verteidigte er Joseph II. weiterhin. Nach seiner Niederlassung in Wien vernetzte Feltz sich in den dortigen Hof- und Regierungskreisen bestens. Dabei diente er Arenberg als Auskunftsperson und zeitweise auch als Agent. Wie sein Landsmann Ligne bewohnte Feltz ein kleines Haus auf der Wiener Bastei. Zu seinen Diners mit ausgezeichnetem Wein aus dem westungarischen Rust erschien auch Arenberg.

Die Übersiedlung von Marie Caroline Murray (1741–1831) nach Wien geht dagegen auf Arenberg zurück. Murray war ein heute zu Unrecht vergessener, aufgeklärter Freigeist. Vor der Revolution hatten Arenberg und die neun Jahre ältere, unverheiratete Tochter eines Juristen jahrelang eine geistig-erotische Freundschaft gepflegt, unter anderem hatten sie gemeinsam an einem Projekt eines neuen Theaters in Brüssel gearbeitet. Als Schriftstellerin betätigte sich Murray auch. Nach der Flucht vor den Franzosen führte sie aber eine zunehmende elende Emigrantenexistenz in Münster. Daher schlug Arenberg ihr vor, nach Wien zu kommen, wo sie – seiner Meinung nach – bessere Aussichten auf schriftstellerischen Erfolg haben würde. Nach einiger Verzögerung ließ sich Murray 1798 hier nieder. Sie erhielt eine kostenlose Wohnung, die Arenberg für sie organisierte. Er ermutigte sie, wieder zu schreiben, warnte aber davor, sich von anderen abhängig machen zu lassen. Er bot ihr deswegen an, eine Subskription für den Verkauf ihrer Werke zu unterstützen. Ansonsten wartete er mit Ratschlägen auf, wie sie sich am besten in ihrem „neuen Vaterland“, wie sie es nannte, zurechtfinden könne. Er riet ihr etwa davon ab, Rouge zu tragen, da es in Wien nicht üblich war.

In der Folge machte sie sich an die Arbeit und schon im Jahr 1800 veröffentlichte sie einen Roman beim Wiener Verlag Schrämbl. Im Stil der Frühromantik spielte die Handlung im spätmittelalterlichen Frankreich, hatte aber Gegenwartsbezüge, wie die Autorin gegenüber Arenberg beteuerte. Trotz der eigenen beschränkten Mittel kaufte Arenberg ihr 25 Exemplare ab. Murray sollte im Gegensatz zu ihm noch Jahrzehnte in Wien leben, wo sie sich zunächst im Umkreis der Familie Cobenzl etablieren konnte. Nach seinem Weggang 1802 blieb Arenberg weiterhin mit ihr in Kontakt. Gleich 1803 schickte er ihr eine Beschreibung von Paris, eine Stadt, die er zum ersten Mal seit der Revolution und unter der Herrschaft Napoleons besuchte. Seine Zeilen kommentierte sie in frühromantischer Begeisterung von Wien aus wie folgt: „Sie sehen mit den Augen Ihres Geistes viel besser als die meisten, die glauben, mit dem physischen Sehsinn Wunder zu sehen, und die Reflexion ersetzt bei Ihnen im Übermaß das Fehlen des Bildes.“ Dabei flackerte etwas von der alten Freundschaft wieder auf, die in der Zwischenzeit abgekühlt war.

Teil 2 dieses Beitrages lesen Sie hier.

Für wertvolle Hilfe bei der Fertigstellung dieses Artikels möchte ich mich bei Dorota Vargová, Stefan Riedl, Eva-Katharin Ledel und Martin Pfefferle herzlich bedanken. Die Direktorin des Familienarchivs Arenberg, Isabelle Vanden Hove, hat freundlicherweise Bilder zur Verfügung gestellt.

Originalquellen aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv (Wien), dem Belgischen Staatsarchiv (Brüssel) und dem Familienarchiv Arenberg (Edingen/Enghien) unterliegen diesem Beitrag.
 

Literatur:

Le Voyage du duc d’Arenberg en Italie en 1791, hrsg. von Xavier Duquenne (Brüssel 2013)

Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest. Die Tagebücher des Gouverneurs Karl Graf Zinzendorf 1776–1782, hrsg. von Grete Klingenstein, Eva Faber u. Antonio Trampus, 4 Bde. (Wien/Köln/Weimar 2009)

Karl Graf Zinzendorf, Journal: chronique belgo-Bruxelloise 1766-1770, hrsg. von Georges Englebert (Brüssel 1992)

Das Haus Arenberg und die Habsburgermonarchie. Eine transterritoriale Adelsfamilie zwischen Fürstendienst und Eigenständigkeit (16.–20. Jahrhundert), hrsg. von William D. Godsey und Veronika Hyden-Hanscho (Regensburg 2019)

De blinde hertog: Louis Engelbert van Arenberg & zijn tijd 1750–1820, hrsg. von Mark Derez, et al. (Brüssel 1996)

Marie Cornaz, The Dukes of Arenberg and Music in the Eighteenth Century: The Story of a Music Collection (Turnhout 2015)

Arenberg. Portrait of a Family, Story of a Collection, hrsg. von Mark Derez, et al. (Turnhout 2018)

Philip Mansel, Prince of Europe. The Life of Charles-Joseph de Ligne 1735–1814 (London 2003)

Arnout Mertens, Nobles into Belgians. The Brabant Pedigreed Nobility between the Ancien Régime and the Nation-State, 1750–1850 (Phil. Diss. Florence 2007)

Jonathan Singerton, The American Revolution and the Habsburg Monarchy (Charlottesville and London 2022)

Gehard Croll, Mitteilungen über die „Schöpfung“ und die „Jahreszeiten“ aus dem Schwarzenberg-Archiv, in: Haydn-Studien, Bd. III (1973-1974), S. 85-92

Tomislav Volek, Mozart, die italienische Oper des 18. Jahrhunderts und das musikalische Leben im Königreich Böhmen, Bd. II (Wien 2016)

Nicholas Mathew, Heroic Haydn, the Occasional Work and ‘Modern’ Political Music, in: Eighteenth-Century Music 4 (2007): 7-25.

William D. Godsey ist Historiker am Institute for Habsburg and Balkan Studies der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Fellow of the Royal Historical Society. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt „The Habsburg Monarchy as a Fiscal-Military State: Contours and Perspectives 1648-1815“, hg. von William D. Godsey and Petr Maťa (Oxford University Press, 2022).

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