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Angelika Seebacher, 7.10.2019

Maurizio Cirillos Ausstellung „Istanbul, Istanbul“

Der Traum vom Wesentlichen

Der Künstler Maurizio Cirillo hält sich gerne an „Orten des Ortlosen“ auf, um dort stehenzubleiben, zu beobachten, anzukommen. In der Startgalerie des MUSA zeigt er nun Arbeiten, die während eines dreimonatigen Aufenthalts in Istanbul entstanden sind.

Was ist Schein und was ist Sein in einer real existierenden Scheinwelt? Was ist Inszenierung, was Konsequenz und was Notwendigkeit in einer Welt, wo Privates und Öffentliches immer mehr verschwimmen, alles transparenter wird? Wo stehen wir und wohin steuern wir?

Der Künstler Maurizio Cirillo beschäftigt sich intensiv mit Fragen wie diesen und bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen Wahrheitsansprüchen und Darstellungskonventionen, zwischen der Erfahrung und dem Bild. Orte dienen Cirillo als Motor. Sich selbst setzt er dabei stets in Kontext zu dem ihn umgebenden, meist urbanen Raum, den er mithilfe der Fotografie und des Videos vor dem Hintergrund raumsoziologischer und sozialanthropologischer Perspektiven untersucht. 

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Maurizio Cirillo studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien, war in den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit fasziniert von Konzeptkunst, Land-, Earth- und Minimal Art. Er setzte sich ausgiebig mit Kartographie, Historie und deren Dokumentation, Recherche und Untersuchung, mit Studien von Raum und Zeit sowie Natur und Kultur auseinander. So brachte er beispielsweise 4m2 Laub aus dem Wald in den White Cube, züchtete 1m2 Wiese im Ausstellungsraum heran, hat Räume mit seinem Körper vermessen oder arbeitete mit Spiegeln in der Natur.

Die Basis für sein heutiges Schaffen liefern dem 1987 in Wien geborenen Künstler Eindrücke von Reisen, auf denen er meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad verschiedene Gegenden in Europa durchstreift – wie zuletzt während eines dreimonatigen Auslandsatelierstipendiums Istanbul, woraus seine aktuelle Ausstellung „Istanbul, Istanbul" in der Startgalerie des MUSA entstanden ist.

Cirillo hält sich gerne lange an den unterschiedlichsten Orten bzw. vor allem „Nicht-Orten" auf, harrt an diesen regelrecht aus: 

„Ich stehe dort und tue nichts. Stehenbleiben und Verharren sind sehr wichtig für mich.

Bewusst stehenbleiben und ankommen an einem Ort. Ihn erkennen und wahrnehmen. Aufmerksam sein.“ 

Dabei gehe es ihm um Unmittelbarkeit, das unmittelbare Erleben. „Wir laufen doch schon den ganzen Tag durch die Straßen und sind gleichzeitig in Gedanken ganz woanders. Sind anwesend abwesend“, so der Künstler. An sogenannten Nicht-Orten wie etwa Shoppingmalls, Bahnhöfen, Flughäfen oder Autobahnen sei das ganz besonders der Fall: „Sie sind Orte des Ortlosen, wie Marc Augé (französischer Ethnologe und Anthropologe, Anm.) es ausdrückt, sinnentleerte Funktionsorte. Wir bewegen uns tagtäglich durch sie hindurch, sie gehören für uns ganz selbstverständlich zum Alltag dazu.“ Und das obwohl sie in ihrer Authentizität und Ungeschminktheit doch sehr reizvoll sein können, wie Cirillo findet: „Die Shoppingmall schreit Schönheit, der Bahnhof verspricht Freiheit. Reise. Ferne. Sehnsucht. Schöne Dinge. Selbstverwirklichung. Und hinter einer Ecke lauert die Einsamkeit. Dies sind Bilder unserer Zeit, geballt an einem Ort.“ Ihn beschäftigt zudem die Frage, ob diese Nicht-Orte bereits Denkmäler, Gedenkstätten oder Museen unserer Zeit darstellen. Inwiefern konservieren sie unseren heutigen Status quo? Können sie als Träger von Erinnerungen dienen und wenn ja, wie sieht diese Form von Erinnerung aus? 

Trotz des gründlichen Erfassens der einzelnen Orte steht für Cirillo vor allem eine, wie er es beschreibt, „kaleidoskopartige Reise“ im Mittelpunkt, die sich für ihn durch die Konfrontation an und mit verschiedenen Orten, der Figur des Betrachters, des Ausschauenden, des Suchenden oder des Beobachters von aktuellen Zeitgeschehnissen entfaltet. Auch die mentalen und physischen Zustände und Erfahrungen, die Cirillo selbst an diesen Orten macht, sind für ihn dabei wesentlich. Seine Fotografien sieht er als „kleine Gesten, die von Stille, Wahnsinn, Einsamkeit, Träumen oder Utopien erzählen und über unsere Beziehung zu unserer direkten Umgebung und Umwelt nachdenken“. Meist nimmt er sie mit seinem Handy auf und lässt sie auf einfachem Papier in Copyshops ausdrucken. So sind in Istanbul über 7.000 Bilder und ein paar Hundert Videos entstanden.  

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Für seine Ausstellung „Istanbul, Istanbul" vereinte Cirillo Fotografien, Aufzeichnungen und Skizzen, kleinere Skulpturen, Textfragmente und Videos zu raumgreifenden Installationen. Collagenhaft setzen sich Konglomerate aus objets trouvés und persönlichen Erfahrungen zusammen. Sie fragen nach gesellschaftspolitischen, soziokulturellen Aspekten und danach, wie sich diese in den eigenen bzw. kollektiven Körper einschreiben. Dabei hat Cirillo allerdings keinen dokumentarischen Zugang, und das Bewerten liegt ihm fern. Vielmehr stehe das „Befragen“ im Fokus seiner Arbeit, das „drin sein“ in einer Situation – die Antworten seien oft schwer zu finden: „Ich finde eher Fragen als Antworten. Wenn ich auf alles eine Antwort hätte, müsste ich keine Kunst mehr machen.“

Und wo sieht er sich und seine Kunst in ein paar Jahren? „Wahrscheinlich werde ich unterwegs sein. Ich werde an einem größeren Projekt arbeiten. Es wird mich entlang der Routen der Seidenstraße mit meinem Fahrrad von Istanbul weiter Richtung Osten ziehen. Ich hab' ein Bild vor Augen, wie ich gerade mit dem Fahrrad in Dushanbe, in Tadschikistan, einfahre. Ich bin unterwegs. Sitze im Nirgendwo am Straßenrand und trinke einen Tee. Mein Notizbuch, mein Fahrrad, meine Kamera sind auch dabei.“ 

Maurizio Cirillo, geboren 1987 in Wien, studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien / 2017 Theodor Körner Preis, Auslandsatelierstipendium Istanbul, BKA / 2016 Start-Stipendium des BKA / 2014 Ö1 Talentestipendium, Finalist


Die Ausstellung Istanbul, Istanbul läuft von 10. Oktober bis 6. November 2019 in der Startgalerie im Wien Museum MUSA

Angelika Seebacher, Pressearbeit/Kommunikation und Development, Wien Museum; freie Autorin u. a. für Parnass. Studierte Wirtschaft und Kunstgeschichte und arbeitete sieben Jahre im Kunst- und Antiquitätenhandel in Wien und Paris, ehe sie sich auf zeitgenössische Kunst spezialisierte.  

 

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