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Neue Dauerausstellung Museum Judenplatz
Schlüsselfragen zur jüdischen Geschichte
Das Museum Judenplatz hat soeben eine neue Dauerausstellung eröffnet. Welche Anknüpfungspunkte gibt es dabei zum Wien Museum?
Das Jüdische Museum und das Wien Museum sind immer in engem Kontakt. Beim Museum Judenplatz geht der Austausch allerdings noch einen Schritt weiter. Alle Leihgaben sind vom Wien Museum, denn Fundstücke von Ausgrabungen der Stadtarchäologie gelangen ja automatisch in dessen Sammlung. Als wir vor drei Jahren mit der Neukonzeption der Dauerausstellung begonnen haben, war klar, dass wir in einen Dialog mit dem Wien Museum treten wollen, der weit über das Organisatorische – wie etwa Leihverkehr – hinausgeht. Und schon die Entstehung des Museums Judenplatz im Misrachi-Haus am Judenplatz 8 Ende der 90er Jahre war aufs Engste mit dem Wien Museum verknüpft.
Als 1995 im Zuge der Errichtung des Rachel Whiteread-Mahnmals am Judenplatz die Fundamente der mittelalterlichen Synagoge zutage kamen, war das nicht nur ein Glücksfall, sondern ein bewegender, total emotionaler Moment, an den ich mich noch gut erinnern kann, weil ich damals selber noch bei der Stadtarchäologie gearbeitet habe. Der Standort wurde dem Jüdischen Museum zugesprochen, die Funde gehören, wie Astrid bereits gesagt hat, zur Sammlung des Wien Museums.
Worin unterscheidet sich die neue Dauerausstellung des Museums Judenplatz von der alten?
Zunächst muss man sagen, dass es die dritte Dauerausstellung ist, 2010 gab es bereits eine Neuaufstellung. Die Forschung hat in den vergangenen Jahren viele neue Erkenntnisse zu Tage gebracht, die wir nun vermitteln können, zum Beispiel zur Topographie des jüdischen Viertels. Für uns war es klar, dass wir auch dieses Mal mit den vor Ort gefundenen Objekten arbeiten wollen. Aber wir haben diese mit weiteren Objekten aus dem Bestand des Wien Museums ergänzt, die in den bisherigen Erzählungen nicht berücksichtigt worden waren. So zeigen wir etwa eine Ofenkachel aus der Renaissance, ein Hundeskelett aus dem Mittelalter und einen Wehrmachtshelm – sie alle wurden am Judenplatz bzw. im Misrachi-Haus während der Bauforschung gefunden.
Es geht also nicht nur ums Mittelalter ...
Die Ausgrabungen und die jüdische Gemeinde im mittelalterlichen Wien stehen nach wie vor im Zentrum. Aber die kuratorischen Interessen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt, man schaut anders auf Dinge. Wir wollen jetzt die Geschichte des Standortes bis in die Gegenwart stärker mit einbeziehen, auch inklusive jener des Mahnmals und der Ausgrabungen. Unsere Ausstellung endet also nicht mit der Vertreibung und Ermordung der Jüdinnen und Juden im Jahr 1421. Außerdem ging es uns darum, die Arbeit der Archäologie zu zeigen, aber auch jene der Kolleg*innen aus Bauforschung, Archäzoologie, Archäoichthyologie et cetera. Und nicht zuletzt wollten wir den Besucher*innen das Handwerk des Forschens und Kuratierens näherbringen: Welche Quellen gibt es? Aus welcher Perspektive lassen sich Objekte befragen?
Welche Rolle spielen die Ausgrabungen am Judenplatz für die neue Dauerausstellung des Wien Museums?
Wir wollen am Karlsplatz einen Teil des Synagogenbodens ausstellen, aber die zentralen Objekte sind nach wie vor vor Ort im Museum Judenplatz zu sehen. Doch abgesehen von konkreten Objekten geht es uns um einen engen Austausch darüber, welche Geschichte wir erzählen wollen, wie wir auch unserer Konzepte verschränken können, sodass wir an einem Ort die Geschichte des anderen weitererzählen. Der Austausch mit den unterschiedlichsten Fachdisziplinen bringt so unglaublich viel Neues zutage, und nicht jede Institution muss das Rad neu erfinden.
Kannst Du dafür ein Beispiel nennen?
Wir hatten in unserer alten Dauerausstellung ein Stadtmodell des mittelalterlichen Wien. Nur hat sich herausgestellt, dass das teilweise gar nicht gestimmt hat. Die Arbeit des Bauforschers Paul Mitchell, der übrigens seinerzeit der stellvertretende Grabungsleiter am Judenplatz war, hat diesbezüglich wichtige Erkenntnisse gebracht. Dazu kommt die Expertise der Stadtarchäologie, etwa von Heike Krause und Martin Mosser, jene der Akademie der Wissenschaften, der Dombauhütte St. Stephan et cetera. Diese Forschung ist nicht nur in das neue mittelalterliche Stadtmodell eingeflossen, das nun im Museum Judenplatz zu sehen ist, sondern wird auch Grundlage für jenes Modell sein, das in die neue Dauerausstellung im Wien Museum kommt. Und zwischenzeitlich wird weiter geforscht.
Deshalb ist das neue Modell im Museum Judenplatz auch aus einzelnen Modulen aufgebaut. Wenn sich in den kommenden drei, vier Jahren etwas ändert, kann man Teile austauschen. Uns war wichtig, ein physisches Modell zu zeigen, denn das Publikum liebt so etwas! Generell hat sich der museologische Zugang bei Dauerausstellungen geändert: Sie wollen flexibel sein. Denn die Wissenschaft ist ja ständig in Bewegung.
Das gilt auch für unsere neue Dauerausstellung. Wir werden uns im Bereich des Mittelalters auf ein paar zentrale Highlights fokussieren und dem Stadtmodell viel Raum geben, andererseits mittels AV-Medien Geschichten über bestimmte Einwohner*innen des jüdischen Viertels erzählen. Da kann man dann neueste Forschung auch flexibel einweben.
Noch einmal zurück zu den Objekten in der neuen Dauerausstellung am Judenplatz. Was hat es mit dem vorhin erwähnten Hundeskelett auf sich?
Es wurde in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre bei den Ausgrabungen am Judenplatz gefunden, auf der Höhe des heutigen Lessing-Denkmals, und zwar im Brunnen eines Hauses des jüdischen Viertels. Sigrid Czeika von der Stadtarchäologie hat herausgefunden, welche Verletzungen das Tier hatte und dass es ein kleiner Windhund war, ähnlich einem heutigen Whippet. Für eine jüdische Ansiedlung ist ein Hund ungewöhnlich, denn Hunde galten ja traditionell als unreine Tiere. Es stellt sich also die Frage: Was macht er im jüdischen Viertel? Natürlich lässt sich die Frage nicht eindeutig beantworten, aber man kann das Objekt aus unterschiedlichen Perspektiven mit Bedeutung aufladen. Wenn man daran denkt, dass den Jüdinnen und Juden im Mittelalter oft vorgeworfen wurde, dass sie mit Tierkadavern Brunnen vergiften, dann könnte man den Fund vielleicht als einen antijüdischen Akt interpretieren. Andererseits sind Funde von Tierskeletten in Brunnen völlig normal, weiß Sigrid Czeika. Was man also in dem Objekt sieht, ist eine Frage der Perspektive und auch der Phantasie. Dazu ist das Publikum aufgefordert.
Am Katalogcover zur neuen Dauerausstellung am Judenplatz ist ein Schlüssel zu sehen: Offenbar in doppeltem Sinne ein Schlüsselobjekt…
Es gibt viele Alltagsgegenstände dieser Art. Für Plakat und Katalog haben wir ihm einen Anhänger verpasst, der zum Rätseln anregen soll: War es der Schlüssel für die Synagoge? Oder für etwas anderes? Wir wissen es nicht. Der Schlüssel ist kein Ritualgegenstand, ja nicht einmal ein spezifisch jüdisches Objekt, es könnte ihn irgendjemand am Judenplatz verloren haben. Es gibt viele Alltagsgegenstände dieser Art, wie etwa Münzen oder Gefäße, die auch überall sonst in der Stadt gefunden werden hätten können. Der Schlüssel ist daher auch ein Symbol für das Befragen und Lesen von Gegenständen, zum Aufsperren von Geschichten. Wir wollen Fachwissen in Erzählungen einfließen lassen. Und zwar für ein möglichst breites Publikum, denn die meisten unserer Besucher*innen sind ja nicht mit der jüdischen Geschichte und Tradition vertraut. Das heißt: Auch wir erzählen Stadtgeschichte, wenn auch mit einem spezifischen Fokus.
Der Schlüssel wird übrigens auch im neuen Wien Museum zu sehen sein, allerdings als Replik. Das Original gehört dorthin, wo es gefunden wurde: am Judenplatz.
Die neue Dauerausstellung im Museum Judenplatz heißt Unser Mittelalter! Die erste jüdische Gemeinde in Wien und ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr und am Freitag von 10 bis 17 Uhr zu besuchen.
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