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Österreichische Flüchtlingspolitik seit 1956
Flüchtlinge, bitte weiterreisen!
Erinnert man sich an das Jahr 2015 zurück, so war im Zusammenhang mit den Flüchtlingswellen aus Syrien, Irak und Afghanistan oftmals von einer singulären Ausnahmesituation die Rede, die trotz des großen Engagements der Zivilgesellschaft nicht bewältigbar erschien. Eine halbe Million Menschen durchquerte Österreich, 90.000 suchten um Asyl an. Gibt es Parallelen zu den Fluchtbewegungen, die Sie wissenschaftlich untersuchen?
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich rund 1,6 Millionen entwurzelte Menschen, Vertriebene, von Zwangsumsiedlungen Betroffene, ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter_innen in Österreich. In der Zweiten Republik setzte sich die Geschichte von Flucht und Zwangsmigration nach und durch Österreich fort. So stellte die Flucht aus kommunistischen Regimen eine Art Dauerphänomen dar. 1956/1957 durchquerten im Zuge des Ungarnaufstands um die 180.000 Menschen innerhalb weniger Monate das Land. 1968 kamen rund 162.000 Personen aus der Tschechoslowakei als Folge des Einmarschs des Warschauer Pakts. In den 1980er Jahren flohen polnische und rumänische Staatsbürger_innen zu tausenden nach Österreich.
Was dabei auffällt, ist, dass Flüchtlinge auf ganz ähnliche Ablehnungsmuster wie heute stießen und oft davon die Rede war, dass Österreich nicht in der Lage sei, die Situation allein zu meistern. Man rief die internationale Staatengemeinschaft und Hilfsorganisationen um Unterstützung an. 1956 wurden ungarische Flüchtlinge als „Undankbare“ bezeichnet, die den Österreicher_innen die Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen würden. Rumänische und polnische Flüchtlinge wurden als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Die Entwicklungen von 2015 waren demnach eigentlich nichts Neues.
In Diskussionen über die österreichische Flüchtlingspolitik wird immer wieder die Ungarnkrise 1956 ins Spiel gebracht, von der sich Österreichs vermeintlich lange Tradition der Hilfsbereitschaft ableiten lässt. Was hat es damit auf sich?
Ein Jahr nach Unterzeichnung des Staatsvertrags und dem Ende der Besatzungszeit bot die Fluchtbewegung aus Ungarn auch wegen der internationalen Aufmerksamkeit, die der jungen Republik hier zu Teil wurde, die Möglichkeit ein neues auf humanitären Grundsätzen aufbauendes Österreich-Bild zu schaffen. Trotz Verpflichtung zur Neutralität konnte mit der Unterstützung der ungarischen Flüchtlinge eine Bindung an den „Westen“ verdeutlicht werden, ohne in Konflikt mit der Sowjetunion zu geraten. Der Mythos von der hilfsbereiten Republik, die politisch Verfolgten half, war geboren – und hält sich bis heute.
Den zeitlichen Bogen Ihrer Analyse spannen Sie von 1956 bis 1990, mit einem Blick auf die Gegenwart. Welche Kontinuitäten lassen sich in der österreichischen Flüchtlingspolitik der Zweiten Republik feststellen?
Auffallend ist, dass sich Österreich als Erstaufnahme- und Transitland positionierte, sich aber nicht als neue „Heimat“ für die Flüchtenden betrachtete. Dauerhafte Aufnahme sollten sie woanders finden. Auch dass das Land mit der temporären Hilfe viel leiste, aber zu klein sei, um Flüchtlinge permanent aufzunehmen, wurde seit 1956 als Argument ins Spiel gebracht. Österreich forderte internationale Unterstützung, und bekam sie auch. Dass sich die Situation vor allem bei Fluchtbewegungen aus kommunistischen Ländern relativ rasch wieder entspannte, geht unter anderem auf eine internationale Aufnahmebereitschaft zurück. Die Geflüchteten passten in den ideologischen Konflikt der Zeit und demonstrierten die Überlegenheit des „Westen“. Aber auch die Hilfe von Hilfsorganisationen waren stets groß. 1956 beispielsweise wurde die Betreuung der Menschen im Rahmen der Erstaufnahme vor allem von NGOS, allen voran vom Roten Kreuz geleistet – ähnlich wie im Jahr 2015.
Auffallend ist zudem, dass man ab den 1980er Jahren verstärkt daraufsetze, dass Flüchtlinge erst gar nicht nach Österreich kommen, ganz nach dem Motto: Erstaufnahme ist gut, Weiterschicken das erklärte Ziel, am besten ist jedoch, die Leute kommen erst gar nicht und wir leisten „Hilfe vor Ort“ – eine Strategie, auf die bis heute gesetzt wird.
Lassen sich neben diesen Parallelen auch klare Brüche beobachten?
Ja. Mit Beginn der 1980er Jahre gerät das „österreichische Prinzip“, sich nur als Erstaufnahmeland zu positionieren und die Flüchtlinge weiterziehen zu lassen, ins Stocken. Hier spielten auch globale wirtschaftliche Veränderungen wie die beiden Erdölkrisen 1973 und 1979 eine Rolle. Das Interesse an Arbeitskräften und damit auch die Aufnahmebereitschaft gingen international zurück. Die Bundesregierung war jedoch weiterhin sehr darum bemüht, jene, die nach Österreich kamen, weiterzuschicken. Dennoch blieben mehr Flüchtlinge dauerhaft in Österreich.
Ab 1981 im Kontext der verstärkten Einreise von Polinnen und Polen wird in der öffentlichen Diskussion auch deutlicher zwischen „politischen Flüchtlingen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ differenziert. 1956 und 1968 hatte die Regierung jene, die aus Ungarn oder der Tschechoslowakei kamen, noch kollektiv als politische Flüchtlinge betrachtet.
Ein klarer Bruch zeichnet sich schließlich mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ ab. Die Angst vor einer Vielzahl von Flüchtlingen aus „dem Osten“ ist international groß. In Österreich manifestiert sich die Sorge vor einem ungeregelten Zuzug in der Ablehnung der nach 1989/90 nach Österreich kommenden Flüchtlinge aus Rumänien. Die Folge waren Grenzkontrollen durch das Bundesheer an der österreichisch-ungarischen Grenze ab 1990 und die Verschärfung des Asylgesetzes 1991.
Sie haben eingangs erwähnt, dass die „Willkommenskultur“ oftmals recht bald von Ressentiments abgelöst wird. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?
Von Flüchtlingen wird zuallererst erwartet, dass sie hilfsbedürftig sind und dankbar für die ihnen entgegengebrachte Hilfe. Das hängt stark mit den Bildern zusammen, die von Medien, aber auch von Hilfsorganisationen transportiert werden. Für die NGOs ist die Vermittlung dieser Hilfsbedürftigkeit teilweise essenziell, da Spendenaufrufe zur Unterstützung von Geflüchteten oftmals die zu geringe staatliche Hilfe ausgleichen müssen oder überhaupt einen Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen werden muss. Die sogenannte „Willkommenskultur“ wird stark von derartigen medialen Bildern geprägt und führt besonders anfangs zu positiven Reaktionen. Es heißt aber auch, dass wir Flüchtlinge oft nicht mit ihren individuellen Bedürfnissen wahrnehmen. Sobald die Flüchtenden jedoch längerfristig bleiben, sie mit uns im Alltag dieselben Dienstleistungen wie das Kaffeehaus oder den Frisör teilen oder gar den Gratis-Fahrschein bekommen, scheint ihre Hilfsbedürftigkeit passé – und die negativen Assoziationen gewinnen an Oberhand.
Hängen die Aufnahmebereitschaft bzw. das Gefühl von Überforderung jeweils mit der Anzahl von Schutzsuchenden zusammen oder gibt es andere Gründe, die sich in der Langzeitperspektive wiederholen?
Konkrete Vergleiche sind in der Geschichtswissenschaft generell schwierig. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir heute mit einer größeren Anzahl von Geflüchteten konfrontiert sind, aber darauf allein lassen sich die Ängste nicht rückschließen. Ein Faktor sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufnahmelandes, die Angst um Arbeitsplätze und die individuelle Situation der Einwohner_innen. Ob Flüchtlinge als Problem wahrgenommen wurden, war und ist immer auch mit deren sozialen Herkunft verknüpft. Wohlhabenden Menschen wurde schon immer positiver begegnet.
Was bei der aktuellen Diskussion sehr präsent ist, ist das Argument, dass der andere kulturelle Background der Flüchtlinge bei vielen Österreicher_innen zu Unsicherheit und Ablehnung führt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber, dass die Österreicher_nnen auch jenen aus grenznahen Ländern nicht nur wohlwollend gegenüber standen. Die Behauptung, dass wir Flüchtlinge, die uns sozial und kulturell näher waren, gerne aufgenommen haben, ist falsch. Anfeindungen, Ressentiments und vorurteilsbehaftete Diskurse lassen sich in allen Bewegungen beobachten. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit sind die massiven Proteste gegen rumänische Flüchtlinge, die 1989/90 nach Österreich kamen. Stereotype Anfeindungen als „Sozialschmarotzer“, „Diebe“ oder „Sexualstraftäter“ standen auch damals auf der Tagesordnung.
Das Thema Flucht ist auch immer mit der Frage nach dem Bleiben und der Integration verknüpft. Gab es in Österreich ein Bemühen um Integration und wie erfolgreich war es?
Generell verlief die Integration jener, die zwischen 1956 und 1990 nach Österreich flohen, recht unproblematisch, obwohl dieser Aspekt zu Beginn auf politischer Ebene nicht wirklich mitgedacht wurde. Die Integration gelang vor allem wegen des Engagements der Betroffen und weil sie teilweise auf die Hilfe von Communities vor Ort zählen konnten. Auch Hilfsorganisationen leisteten wichtige Beiträge. Für die Unterbringung ungarischer Flüchtlinge wurden unter anderem Wohnbauprojekte realisiert, deren Kosten vom UNHCR getragen wurden. Vielfach funktionierte die Integration auch über den Arbeitsplatz. Was an Österreichs Flüchtlingspolitik jedoch auffällt, ist, dass sie nicht im positiven Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik gedacht wird – heute wie damals nicht. Wenn man heute an die fehlenden Arbeitskräften etwa im Pflegebereich denkt, so ist es rein ökonomisch gesehen wenig vorausschauend, auch weil gerade der Arbeitsplatz einen sinnvoller Weg zur Integration darstellt.
Welche Schlüsse lassen sich aus dem historischen Vergleich für die gegenwärtige Situation ableiten?
Solange es Kriege und globale Ungleichheit gibt, sind Flucht und Migration Realitäten, denen wir uns stellen müssen. Die Geschichte zeigt, dass die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen zu bewältigen sind, auch wenn deren Lösung einige Zeit in Anspruch nimmt. Das Problem ist, dass dem Umgang mit Flüchtlingen heute allzu oft nur aus nationaler Perspektive begegnet wird, eine Lösung lässt sich aber nur im internationalen Rahmen finden. Flucht und Migration sind grenzüberschreitende, globale Phänomene und auf dieser Ebene müssen Lösungen gesucht werden. Dass die EU hier in den letzten Jahren den Kopf in den Sand gesteckt hat, ist tragisch.
Problematisch an der aktuellen Situation in den Lagern in Griechenland und den Umgang mit Flüchtlingen ist, dass Europa nicht gewillt scheint, eine menschenwürdige Lösung zu finden. Wir haben uns nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit der Genfer Flüchtlingskonvention auf einen minimalen Konsens geeinigt, wie mit Verfolgten umgangen werden soll. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, festgehalten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Wenn wir dieses Grundrecht aktuell aufgrund populistischer Diskurse einfach aussetzen, tragen wir damit auch einen Teil unserer Werte zu Grabe.
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