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Olive Moorefield und Andrea Ruscher, 6.5.2024

Opern- und Musicalstar Olive Moorefield

„Ich habe mich auf den Bühnen Wiens immer fantastisch gefühlt“

Sie kam vom Broadway ins Nachkriegswien und wurde hier mit „Kiss me, Kate“ und „Porgy and Bess“ zum ersten Musical-Star. Im Interview erzählt die Sängerin Olive Moorefield, wie Marcel Prawy sie nach Wien lockte, warum ihr eigenes Shampoo damals Luxus war, mit welchen Vorbehalten sie zu kämpfen hatte – und weshalb sie letztlich dennoch geblieben ist. 

Andrea Ruscher

Sie sind in Pittsburgh in den USA aufgewachsen. Wie haben Sie zur Musik gefunden?

Olive Moorefield

Mit fünf Jahren habe ich in der Kirche einen Korb Äpfel gewonnen. Ich war damals im Kinderchor und habe am besten gesungen. Das war sozusagen mein erstes Stipendium!

AR

Kommen Sie aus einer musikalischen Familie?

OM

Nein, ich war die einzige unter meinen Geschwistern, die sich dafür interessiert hat. Ich war einfach anders.

AR

Haben Sie ab diesem Zeitpunkt Unterricht genommen?

OM

Nein, damit habe ich erst mit 14 Jahren begonnen. Davor war ich einfach im Gesangsverein der Kirche, mit 12 habe ich schon unter den Solisten gesungen, neben mir waren da sonst nur Erwachsene. Eines Tages hat jemand gesagt, ich habe so eine tolle Stimme, die sollte doch ausgebildet werden. Und so habe ich angefangen, Gesang zu studieren.

AR

Welches Genre hat sie dabei besonders interessiert? War es von Anfang an die Oper?

OM

Tag und Nacht habe ich an nichts anderes gedacht als an die Oper. Zuhause haben wir auch andere Musikrichtungen gehört, aber in meiner Studiengruppe waren wir geradezu fanatisch, wir waren voller Leidenschaft – und zwar nur für die Oper.

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AR

Wie kam Ihr erster Schritt vom Kirchenchor auf die Bühne?

OM

Pittsburgh hatte ein sogenanntes Summer Stock Theatre, das bedeutet im Sommer gab es ein ganzes Programm von Musicals und leichten Opern. Ich war 16 Jahre alt und obwohl ich ein Schwarzes Mädchen war, habe ich dafür vorgesungen und sie haben mich sofort aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt musste ich nicht mehr vorsingen, jedes Jahr haben sie sich ganz automatisch bei mir gemeldet, wenn die Proben begannen.

AR

Was bedeutete es für Sie damals, „ein Schwarzes Mädchen“ zu sein?

OM

Diese Frage reicht sehr tief, da brauche ich einen Moment. … Als Kind weißt du, dass Ungerechtigkeiten existieren, aber du bist auch sehr behütet: Deine Eltern beschützen dich, deine Brüder, deine Nachbarn. Ich habe in einer gemischten Gegend gelebt, da waren vielleicht zwei Schwarze Familien in unserer Straße und alle anderen waren weiß. Aber alle waren nachbarschaftlich verbunden, es war eine liebevolle Umgebung. Das war natürlich nicht überall der Fall. Ich war mir der Ungerechtigkeiten in der Welt bewusst, aber mein Leben beeinflussten sie nicht direkt.

AR

Die nächste Station Ihrer Karriere war der New Yorker Broadway, wo sie 1953 auch der österreichische Intendant Marcel Prawy gecastet hat. Wie ist dieses Treffen abgelaufen?

OM

Eine meiner Broadway-Produktionen endetet gerade und ich ging zu Vorsingen, wo auch immer welche stattgefunden haben. In dieser Zeit hat mich ein Manager angerufen und zu mir gesagt: „Im Great Northern Hotel, there’s a rather crazy guy from Austria, er arbeitet für die Amerikaner. Warum gehst du nicht hin und singst vor?“ Und so bekam ich den Job in Prawys Truppe.

AR

Was war das für eine Truppe?

OM

Die Show wurde vom United States Information Service organisiert. Sie tourte durch österreichische Ortschaften und wir sangen verschiedene Volkslieder, ungarische genauso wie american folk songs. Ich war als Schwarze Person dabei. Damit wollten sie die rassistischen Einstellungen der Europäer zerschlagen – was sie natürlich nicht erreichten, denn die USA ist ja selbst einer der schrecklichsten Orte in Sachen Rassismus. Aber das ist eine andere Geschichte.

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AR

War die Show ein Bruch mit Ihren musikalischen Ambitionen?

OM

Es war ein Leidensweg! Ich sagte zu Prawy: „Ich komme und arbeite für dich, aber ich will die Möglichkeit haben, in Europa zu studieren.“ Jeder wollte damals in Europa studieren. Er versicherte mir, dass ich genug Geld verdienen würde, um mir das zu leisten. Unsere Touren wurden sehr populär und waren durchgehend ausgebucht, ich wurde sozusagen zum kleinen Star der Show. Aber trotzdem wollte ich nicht in Österreich bleiben. Was wir machten, war nicht fortgeschritten genug für das, was ich bereits gelernt hatte. Ich ging zurück nach Amerika, blieb den Sommer über und studierte dort. Prawy bat mich im Herbst zurückzukommen. Weil ich gerade kein Engagement hatte, tat ich das und kam für drei Wochen zurück in seine USIS-Truppe – und in diesen drei Wochen begann ich in Wien zu studieren. In New York kostete eine Unterrichtseinheit für Aida mit Conrad Bose 60 Dollar pro Stunde, mit Leo Müller, der später in der Staatsoper war, 40 Dollar. In Wien konnte ich mit dem besten Künstler seines Faches studieren, nämlich Victor Graef, und das kostete nur einen Dollar pro Stunde. Das war mein Hauptgrund hier zu bleiben.

AR

Blieben Sie auch nach den USIS-Shows in Kontakt mit Marcel Prawy?

OM

Ich war geradezu in ihn verliebt, er war genauso verrückt wie ich, er war ein Narr für die Oper. Wir gingen jeden Abend in eine Vorstellung. Wir hatten ein anderes Temperament, aber die Gespräche und die Neuigkeiten in der Oper hielten uns zusammen.

AR

War es ein Kulturschock von New York nach Wien zu kommen?

OM

Ja, absolut. In der Metropolitan Opera in New York konnte ich nicht in der ersten Reihe sitzen, weil ich einerseits nicht das Geld dazu hatte – woher sollte ich schon tausend Dollar für ein Ticket bekommen? Und andererseits waren die besten Plätze reserviert für die Rockefellers und Morgans und all diese Personen der Upper Class von New York, den sogenannten Kultivierten. Sie mussten sich gar nicht erst ein Ticket kaufen, denn sie gaben so viel Geld an die MET, dass ihnen ihre Sitze garantiert waren, wann immer sie diese wollten. Hier in Wien zahlte ich für die zweite Reihe im Theater an der Wien, wenn ich mir einige der weltbesten Opernsängerinnen und -sänger ansah, 27 Schilling. 

AR

Was war Ihr Eindruck von Wien in den 1950ern?

OM

Provinziell. Zerstört. Alles, was ich hatte, war hier ein riesiger Luxus. Und ich hatte wenig. Ich hatte eine eigene Seife und spezielles Shampoo für mein Haar. An der Volksoper gaben sie uns Künstlern allen ein rechteckiges Stück Seife, wir sollten sparsam damit umgehen. Aber ich hatte diese Dinge ohnehin. Die Situation rief Schuldgefühle in mir hervor, denn es war so viel Sehnsucht unter den Menschen. Das einzige, was mich hier gefesselt hat, war wirklich die Kultur. Das war ein Himmelreich! Du überquerst die Straße und da ist das Konzerthaus, dann gehst du einmal um die Ecke und bist im Musikverein.

AR

Nachdem Ende der USIS-Touren sind Sie in Wien mit dem Musical „Kiss me, Kate“ aufgetreten. Musicals waren damals eine Neuheit in Wien, wie ist das angekommen?

OM

Musicals waren neu für ganz Europa! In dieser Zeit war es so, dass du entweder Schauspielerin, Tänzerin oder Sängerin warst, aber du hattest nie eine Person mit einer klassischen Opernstimme, die sich auch bewegen konnte. Deshalb wurde ich in meine ganz eigene Kategorie gesteckt.

AR

Und „Kiss me, Kate“ wurde zum absoluten Publikumserfolg?

OM

Das Publikum war außer sich vor Begeisterung!

AR

Wie sind sie mit der Aufmerksamkeit umgegangen? Gab es Herausforderungen?

OM

Es war schwierig, weil man nicht einfach so vor die Tür gehen konnte, wie Sie das heute tun. Du musstest Handschuhe tragen, einen Hut, Strümpfe, hübsche Schuhe – du musstest herausgeputzt sein. Niemand ging außer Haus, ohne zurechtgemacht zu sein. Ich war individualistisch, ich kleidete mich schick, aber in meiner eigenen Art und Weise. Das zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Zusätzlich war ich sehr gut erzogen und hatte ausgezeichnetes Benehmen. Ich glaube die Menschen erwarteten, dass ich mit meinen Händen esse oder einen Baum hinaufklettere oder was auch immer. Genau das Gegenteil war der Fall. Die Menschen um mich herum haben das zuerst abgelehnt, dann hat es sie voller Neugier angezogen und schließlich wurde ich total akzeptiert.

AR

Sie sind also all diese Stufen durchlaufen?

OM

Wenn du nicht durch alle Stufen gehst, wird es nicht ehrlich sein. Du musst langsam in die Kultur eines anderen Landes hineinwachsen.

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AR

Ist Wien ein Zuhause für Sie geworden?

OM

Ich habe mich niemals irgendwo zuhause gefühlt. Ich habe mich wohl gefühlt, die österreichische internationale Community, also die Gruppe der Diplomaten, war fantastisch, aber grundsätzlich war es menschlich für mich unter den Deutschen angenehmer. Sie waren den Amerikanern etwas ähnlicher in ihrer sehr offenen und ehrlichen Art. Wenn sie dich als Freundin akzeptiert haben, dann war es echte Freundschaft. Viele dieser Menschen sind mir bis zum heutigen Tag verbunden. Diese Affinität und Wärme habe ich in Österreich nie gefunden. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal im deutschen Fernsehen aufgetreten bin, waren da viele große, schwarze Schirme für die Beleuchtung im Einsatz. Die Schirme wurden in verschiedene Richtungen gedreht, um das optimale Licht für die Kameraeinstellung zu bekommen. Quer durch das Studio haben sich Leute aus der Crew zugerufen: „Dreh den N*! Der N* muss ein bisschen nach links! Ja, gut so.“ Und eines Tages kam ich ins Studio und einer sagte: „Dreh den … Schirm. Ja, genauso.“ Es hatte aufgehört. Sie hörten von alleine damit auf. Solange ich mich gut benahm und freundlich war, hatten sie keinen Grund so etwas in meiner Gegenwart zu sagen. Sie ließen das Wort einfach fallen. Mich hatte das Wort nicht wirklich gestört, aber es störte sie.

AR

Wie würden Sie ihre Arbeit für den deutschen Film im Vergleich zu Ihrer Bühnenkarriere beschreiben?

OM

In dieser Zeit war Deutschland Österreich fachlich und technisch Jahre voraus, meine Kollegen am deutschen Set haben mir viel beigebracht: „Wenn du lachst, pass auf, dass du keine Falten im Gesicht ziehst. Halte deine linke Seite etwas mehr so. Tu dies und pass auf, weil die Kamera fokussiert deinen Kopf.“ Nichts dieser Art hörte ich in Wien. In Wien ging es darum, welches Kleid ich anziehen sollte.

AR

In Produktionen wie „La Périchole“ oder „Porgy and Bess“ sind Sie zum Genre der Oper zurückgekehrt und haben in den 1960ern große Erfolge in Wien gefeiert. Wie haben Sie sich damals auf der Bühne gefühlt?

OM

Ich habe mich fantastisch gefühlt. Ich habe mich auf den Bühnen Wiens immer fantastisch gefühlt. Wir arbeiteten mit manchen der größten Künstler der Welt zusammen. Diese Menschen kommen mit einer künstlerischen Einstellung, sie fragen nicht, ob du am Abend Bridge spielen willst oder ob du dir einen Hund zulegst, sondern wir haben tiefgreifende Unterhaltungen über Kunst und Kultur geführt.

AR

In den 1960er Jahren haben Sie auch Ihren Ehemann Kurt Mach kennengelernt. Können Sie mir darüber mehr erzählen?

OM

Wir haben uns 1962 kennengelernt. Ich arbeitete die ganze Zeit und die Leute kannten mich. Er arbeitete auch die ganze Zeit, aber niemand kannte ihn. Er war Hautarzt und strebte seine Dozentur an. Das war ein Grund, dass ich mich in ihn verliebte. Ich fühle mich nicht wohl bei Menschen, die nichts tun. Am Anfang unserer Beziehung bin ich viele Kompromisse eingegangen: Wenn er Kollegen empfangen musste, dann taten wir das, wenn Freunde zum Heuriger einluden, dann bin ich mitgegangen. I did my little thing. Es war nicht einfach für mich mit den Menschen in seinem Umfeld, weil die meisten waren Doktoren und deren Gattinnen waren Hausfrauen. Ich war müde von einer gewissen, arroganten Attitude, die sie mir entgegengebracht haben. Als mein Mann dann endlich Dozent war und seine eigene Praxis hatte, sagte ich zu ihm: „Von nun an tun wir die Dinge in meinem Stil, nicht in deinem.“ Und ich gab ihm eine riesige Feier im Hotel Sacher. Das Sacher war der Ort, an dem ich meine Mittagessen hatte, wo ich meine Freunde traf, wo Prawy und ich Partys veranstalteten – es war der Ort, an dem ich lebte. Um meinen Mann zu unterstützen, hatte ich das auf die Seite geschoben. Aber das war nun vorbei und diese Feier wurde zu einem unglaublichen Erfolg. Ich wurde berühmt dafür im Allgemeinen Krankenhaus!

AR

Auch für Ihre Hochzeit mussten Sie ein paar Hürden überwinden, richtig?

OM

Kurts Chef in der Universitätsklinik hat ihn damals wissen lassen, dass seine Karriere vorbei wäre, wenn er mich heiraten würde. Die Klinik war nicht, was sie heute ist, aber es waren doch alle Mediziner und ich hätte mir in diesem Milieu ehrlich gesagt nicht so viele Dummheiten erwartet. Das war zu einer Zeit, als in den USA das Civil Rights Movement im vollen Gange war – und hier mussten wir so tun, als würden wir unverheiratet zusammenleben! Aber eigentlich haben wir 1964 heimlich in der Schweiz geheiratet und zwei Jahre später haben wir das dann auch in Österreich in der Kirche nachgeholt. Eine Misch-Ehe zu dieser Zeit war eine Sensation.

AR

1970 ist ihr Sohn zur Welt gekommen, danach haben Sie sich von der Bühne zurückgezogen. War das Kapitel damit für Sie beendet oder waren Sie noch oft zu Gast in Theaterhäusern?

OM

Weder, noch. Ich war nicht mehr jung, ich war in meinen Dreißigern und gerade mit einem Dreijahresvertrag an das Theater gebunden. In unserem Zuhause hatte ich zehn Kindermädchen, aber ich konnte einfach nicht die richtige Person für mein Baby finden. Ich musste meinen Sohn dann oft mit Menschen zurücklassen, die ich nicht gut kannte. Das hat nicht nur ihn verletzt, weil er keine Bindung zu ihnen hatte, sondern auch mich. Eines Abends war ich auf der Bühne und dachte mir: „Was mache ich hier? Ich habe dieses Mischlingskind in die Welt gebracht und drehe mich um und kaufe mir einen weiteren Nerzmantel? Ich habe bereits vier. Das funktioniert so nicht.“ Ein paar Wochen befand ich mich in großem inneren Konflikt und dann habe ich gekündigt. Ich bin vom Theater weggegangen, habe aber alle meine Freunde behalten – von der Metropolitan Opera, von Covent Garden, die Maler von der School of Fantastic Realism, die verrückten Kids von West Side Story. Und ich wurde eine Mutter für meinen Sohn. Ich habe es keine Sekunde bereut.

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Olive Moorefield wurde 1929 in Pittsburgh in den USA geboren, sie studierte klassischen Gesang und debütierte 1952 am Broadway in New York. 1954 kam sie für die Wanderbühnen des United States Information Service erstmals nach Österreich. In den folgenden Jahrzehnten feierte sie zahlreiche Bühnenerfolge in Wien und arbeitete u.a. für deutsche Fernsehproduktionen. Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahr 1970 zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Kurt Mach lebt sie in Wien.  

Andrea Ruscher ist Teil der Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum. Sie studierte Globalgeschichte und war zuvor am Österreichischen Kulturforum Kairo und in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik tätig. 

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Kommentare

Redaktion

Vielen Dank für Ihr Interesse! Laut eigener Aussage von Olive Moorefield ist 1929 ihr tatsächliches Geburtsjahr.

Manfred Chobot

Ist Olive Moorefield nun 1929 oder 1932 geboren?? In den meisten Artikeln wird das Datum 23. August 1932 genannt.
Dass es ein schönes Interview ist, dem kann ich voll zustimmen.

Mario Rott

Ein wunderbares Interview! Tatsächlich war mir Olive Moorefield bislang vollkommen unbekannt - wohl auch altersbedingt; umso schöner zu lesen, dass sich das Wien Museum dieser außerordentlichen Frau, die das kulturelle Leben Wiens in der Nachkriegszeit außerordentlich mitgeprägt haben dürfte, annimmt. Danke dafür.