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Xenia Hausner und Sonja Gruber, 13.7.2021

Porträt Elfriede Jelinek

„Das Bild ist etwas Anderes, es hat eine eigene Identität“

Elfriede Jelinek, porträtiert von Xenia Hausner: Ein Meisterwerk in unserer Sammlung. Wie es dazu kam, verrät Xenia Hausner, von der zurzeit eine Personale in der Albertina zu sehen ist, im Interview. Dazu als toller Bonus-Track: ein Text der Literatur-Nobelpreisträgerin über das Porträtiert werden!

Sonja Gruber

Gab es einen Anlass für dieses Porträt?

Xenia Hausner

Nein, Elfriede Jelinek ist Anlass genug! Ich habe sie in Berlin beim Theatertreffen auf der Straße dahinspazieren sehen und mir gedacht, jetzt packe ich die Gelegenheit beim Schopf. Ich bin hinübergelaufen und habe gesagt „Hallo, ich bin die und die und ich finde, Sie schauen so toll aus und sind so eine interessante Figur, ich würde Sie gerne malen!“. Sie war sehr nett und vielleicht etwas überrascht, aber interessiert. Und als wir beide wieder in Wien waren, haben wir uns im Café Landtmann getroffen und besprochen, dass ich zunächst zu ihr Nachhause komme, um zu fotografieren und sozusagen Grundlagenforschung zu betreiben. Dann ist wieder Zeit vergangen, aber das ist immer so bei mir: Bis ich das Bild angelegt habe, bis ich mir überlege, wie es in der Komposition funktionieren könnte, das dauert. Wir haben vereinbart, dass ich mich wieder melde, wenn ich soweit bin. Ich hatte damals kein Atelier in Wien, weil ich nur in Berlin gelebt habe. Daher hat sich die Frage gestellt, wo wir das machen.

Ich habe aber einige Zeit davor Claus Peymann gemalt. Er hatte mir damals netterweise in der Dramaturgie des Burgtheaters einen Raum überlassen, den ich mir als Atelier einrichten konnte. Mit Blick auf den Ring. Ich kannte ja die Dramaturgie von früher sehr gut, da ich vorher dort Bühnenbildnerin war. Und in diesem improvisierten Atelier habe ich nicht nur Peymann, sondern eben später auch Elfriede Jelinek gemalt.

SG

Auf vertrautem Terrain.

XH

Ja, auch für sie, da sie das Theater natürlich von ihren Aufführungen und Begegnungen gut kannte.

SG

Elfriede Jelinek sitzt auf dem Gemälde auf einem Marcel Breuer-Stuhl. Stammt der Stuhl aus ihrer Wohnung?

XH

Ja, der ist von ihr. Der Stuhl und auch die wehenden Vorhänge im Hintergrund stammen aus ihrem Interieur.

Die Vorhänge waren nicht grün, das waren milchige, halbdurchsichtige Voile Vorhänge. Ich habe sie im Gegenlicht vor diesen wehenden Vorhängen fotografiert. Und eben in diesem Sessel. Wir haben verschiedene Fotos gemacht, man probiert dieses und jenes aus, aber sie hat sich in diesem Sessel wohlgefühlt, das war organisch richtig für sie, dort sitzt sie eben gerne – und das war auch für mich wichtig. Bei mir zählt ja auch, dass etwas authentisch ist, nein, nicht authentisch, aber dass die Figuren eine gewisse Selbstverständlichkeit in ihrer Körpersprache behalten. Ich verdrehe die Leute nicht, ich mache nicht etwas Anderes aus ihnen.

Den Sessel hat das Burgtheater dann bei ihr abgeholt. Quasi als Requisit. An diesem Ort haben wir uns immer wieder getroffen. In gewissen lockeren Abständen ist sie für zwei, drei Stunden gekommen. Bis ich das Gefühl hatte, es ist fertig. Das waren schon ein paar Sitzungen und ich erinnere mich sehr gut, dass sie dabei „Beton“ von Thomas Bernhard gehört hat. Das mache ich im Übrigen auch, ich habe beim Arbeiten oft Hörbücher laufen. Nicht immer, es kommt auf die Situation an, manchmal bin ich zu angespannt, aber für die Modelle ist es sehr gut, sie sind beschäftigt, hören der Geschichte zu.

SG

Abgesehen von einem Blickkontakt: Gibt es während der Sitzungen keinen Dialog zwischen Ihnen und Ihren Modellen?

XH

Doch, es gibt immer ein Gespräch zwischen mir und dem Menschen, der da sitzt. Aber manchmal bin ich recht einsilbig und mein Gegenüber ist vielleicht mehr in der Stimmung zu reden. Oft entspinnt sich ein Gespräch, dann legt man auch den Pinsel weg und unterhält sich ein wenig,  anschließend geht es wieder weiter… aber grundsätzlich bin ich einsilbiger, weil ich mich auf die Sache konzentriere.

Aber Elfriede Jelinek wusste, dass ich einen Kassettenrekorder da habe (klingt heute wie Steinzeit) und hat „Beton“ mitgebracht. Das weiß ich so genau, weil ich oft bestimmte Bilder mit Hörbüchern – oder auch Musik – verbinde.

Zwischendurch hat sie manchmal den Kopf geschüttelt und ‚genial‘ gesagt. Das hat mich wiederum wahnsinnig interessiert und ich habe nachgefragt, was sie so toll daran findet. Und sie: ‚Wie es konstruiert ist, das ist so genial‘, also filmisch gesprochen, diese Achsensprünge, die in der Erzählung sind. Wenn sich eine Schriftstellerin ein Buch von einem Kollegen anhört, ist das vergleichbar mit einem Maler, der sich das Bild von einem Kollegen anschaut. Ich habe mir „Beton“ nachher nochmals alleine angehört, weil ich besser verstehen wollte, was sie meint und ich mich beim Arbeiten nicht so in die Finessen hineinversenken konnte.

SG

Da Sie Claus Peymann erwähnt haben: Jelinek war zwar schon lange als Schriftstellerin aktiv, aber in den 1990er Jahren rückte sie mit ihren Burgtheater-Stücken unter Claus Peymann endgültig ins Rampenlicht – und wurde auch zu einem bevorzugten Angriffsziel der FPÖ. Ist es zu viel interpretiert zu sagen, auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die von den Anfeindungen der Öffentlichkeit gekennzeichnet ist? Deren Blick und deren Körperhaltung verraten, wie sehr sie diese Öffentlichkeit in Wirklichkeit scheut?

XH

Ich würde sagen, man erkennt eine gewisse Abwehrhaltung und dass sie die Öffentlichkeit scheut. Man sieht auf jeden Fall, dass sie nicht die „easy Kommunikatorin“ ist. Und dass sie etwas Sprödes hat und sie sicherlich die Welt nicht so sehr an sich heranlässt. Aber gezeichnet würde ich nicht sagen, sie kommt ja auch als starke Frau rüber, und das ist sie! Ich glaube, sie widersteht den Anfeindungen der FPÖ souverän, ich vermute eher, dass sie gar nicht weiß, was in der kleingeistigen Senkgrube alles los ist.

SG

Mit ihre Haltung strahlt sie auch etwas Respekteinflößendes aus.

XH

Sie hat etwas Abweisendes durch ihre verschränkten Arme. Ihre analytische Intelligenz und ihre lyrische Wortgewalt, gepaart mit ihrer Schönheit – das ist respekteinflößend.

SG

Elfriede Jelinek hat ein paar Jahre nach der Entstehung des Porträts den Text „Ich: Eine Ebene !“ verfasst. Hier gewährt sie einen Einblick in ihr Empfinden als Porträtierte und beschreibt die Wandlung hin zu einer Gegend, „in der das Auge des Betrachters dann herumreisen kann“.

XH

Der Text ist deshalb so genial, weil sie auf den Unterschied zwischen der eigenen Identität und der Bildwahrheit zeigt. Sie hat begriffen, dass dies etwas völlig Unterschiedliches ist. Viele meiner Modelle, die in meinen Bildern mitspielen, lassen sich später bei Eröffnungen vor den Bildern fotografieren und sagen „schaut her, hier bin ich“. Ich finde das zwar rührend, aber ich sage immer: „Gehts weg, ihr schaut so gewöhnlich neben den Bildern aus!“. Das Bild ist etwas Anderes, es hat eine eigene Identität, es ist ein Missverständnis zu sagen, das bin ich. Du bist es, aber du bist es auch nicht. Und dies bringt der Text auf den Punkt.

Elfriede Jelineks Text finden Sie am Endes des Interviews.

SG

Im Kontext Ihrer Retrospektive kann man viel über Ihre Vorgehensweise beim Malen und Konzipieren der Gemälde erfahren. Unter anderem, dass Sie häufig Ihren Modellen auf der Straße begegnen und in diesem Moment wissen, die Person passt in die von Ihnen erdachte Bildsituation.

Wie nahe stehen Sie Ihren Porträtierten?

XH

Das ist natürlich unterschiedlich. Aber zum Schluss ist man sich immer sehr nahe, da die Gemalten, wenn sie dasitzen, natürlich auch mich beobachten. Das Bild ist ein starkes Band zwischen uns. Sie kennen mich dann auch sehr gut. Sie beuten mich vielleicht nicht für ein Kunstwerk aus – wobei Schauspielerinnen schon gesagt haben „eine Malerin habe ich schon mal gespielt, aber die Nächste spiele ich anders“ – oder VALIE EXPORT hat eine kleine Kamera hinter sich liegen gehabt und gemeint „Macht es dir eh nichts aus?“ und hat zwischendurch immer wieder ein Foto gemacht. Also alle Künstler machen irgendetwas aus der Situation für sich. Künstler verwerten immer in irgendeiner Form oder legen etwas in ihren Zettelkasten ab. Jemand, der kein Künstler ist, hat keinen solch „absaugenden Blick“, aber er kennt dann trotzdem meine Person und meinen Irrsinn.

SG

Man wird also vertraut miteinander?

XH

Ja, die Menschen gewöhnen sich an die Situation, trinken zwischendurch einen Kaffee, wissen wo die Milch steht. Das ist dann Atelieralltag. Am Anfang sagen alle: „Ich glaube nicht, dass ich das kann!“. Und ich sage dann immer: „Das kann jeder!“. Und so ist es dann auch.

SG

Wie sehr unterscheidet sich hiervon das Porträtieren von bekannten Personen wie VALIE EXPORT, Sunnyi Melles, Claus Peymann oder eben Elfriede Jelinek?

XH

Die Prominenten, die ich gemalt habe, habe ich aus irgendeinem Grund vorab gekannt. Ich hatte ja auch mit Theater zu tun und Schauspieler haben nun einmal besondere Gesichter. Ich spreche sie an, vergleichbar mit einem Casting. Es ist ja kein Auftrag, den sie mir geben, sondern ich frage „Spielt ihr mit in meinem Bild?“.

SG

Also gibt es keinen Unterschied zwischen Prominenten und Nicht-Prominenten?

XH

In der Arbeit nicht. Die Mehrzahl der „Prominenten“ sind alles Menschen, mit denen ich befreundet oder gut bekannt war, die ich locker ansprechen und sagen konnte, ich habe da ein Bild, in das passt du sehr gut hinein. Sie sind ja dann nicht die Eigentümer des Bildes, sie spielen nur mit.

SG

Wie Akteure?

XH

Ja. Elfriede Jelinek ist, wenn man so will, ein klassisches Porträt. Ich zeige sie in ihrem Umfeld. Aber sehr viele andere spielen in meinen Bildern mit, deren Erzählung nichts mit ihnen zu tun hat. Die meisten sind ja, selbst wenn sie keine Schauspieler sind, wie Schauspieler eingesetzt. Sie spielen nicht in ihrer Geschichte, sie spielen in meiner.

SG

In einem Gespräch haben Sie das narrative Malen mit dem Schreiben eines Romans verglichen. Welchen Einfluss übt Literatur auf Ihre Arbeit aus?

XH

Ich bin eine Leseratte, inzwischen eigentlich auch eine Hörratte (lacht)!

Bei mir werden Buchtitel oder auch Filmtitel oft zu Bildtitel, aber in einer verballhornten Form. Ich verwende sie anders, sie tauchen nicht deskriptiv auf, eher wie Lyrik.

Autor*innen werden ja immer wieder gefragt, was ist autobiografisch, was ist an der Geschichte erfunden und in welchem Verhältnis steht es zueinander – die gängigsten und oftmals komplett platten Fragen. Und na klar, bei jedem Roman lautet die Antwort: Es ist beides! Es ist gespeist aus einem Innenleben des Autors, der Autorin und aus erfundenen, exogenen Teilen. Und so etwas gibt es eben auch bei mir, aber nicht nur bei mir. In der narrativen Kunst, wie es so schön heißt.

Dabei geht unter, dass es primär um Malerei geht. Nur um Malerei. Das ist das Wichtige. Aber bei mir ist – wahrscheinlich durch meine Ausstellung „True Lies“ – jetzt immer die Frage, was ist erfunden, was hat es mit der Biografie des Dargestellten zu tun? Und am Ende ist natürlich alles erfunden, es ist wie ein Roman und der Roman ist auch erfunden! Ich sage nur Flaubert: „Madame Bovary c’est moi!“ Alles ist wahr in ihm und doch erfunden.

SG

Dann erübrigt sich die Frage, warum das Porträt den Titel eines Romans von Elfriede Jelinek trägt: „Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr“

XH

Hier ist es relativ einfach, ja, aber es ist auch typisch für meine Bildtitel: Sie sind irrational. Auf keinen Fall deskriptiv, aber in einem zweiten Schritt vielleicht ganz einfach zu begreifen. Dass der Titel aus ihrem Werk entlehnt ist, war die leichteste Übung – „Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr“ trifft einen Nerv von Jelinek und von dem Bild.

SG

Frauen übernehmen eine wichtige Rolle in Ihren Gemälden. Welches Frauenbild verkörpert Elfriede Jelinek für Sie?

XH

Ich male vorwiegend Frauen, aber ich male sie nicht in einem feministischen Opferkanon. Ich male sie als differenzierte, widersprüchliche, wehrhafte Gestalten. Bei Elfriede Jelinek kommt das alles zusammen.

SG

Sie haben einen sehr persönlichen Bezug zum Wien Museum: Ihre Mutter war als Restauratorin am Museum tätig. Wie haben Sie als Kind das Historische Museum der Stadt Wien erlebt?

XH

Meine Mutter war viele Jahre im Museum. Ich habe damals auch einige ihrer Kolleginnen kennengelernt. Aber es gibt ja auch Bilder von Rudolf Hausner in der Sammlung. Ein weiterer Bezug zum Museum.

Das Bild „Die Arche des Odysseus“ ist schon in frühen Jahren vom Museum angekauft worden. Das war in den 50er Jahren lebensrettend für uns, wir hatten damals kein Geld. Es war der erste offizielle Hoffnungsschimmer. Viele Jahre später hat meine Mutter dann im Museum als Restauratorin begonnen. Sie hat ja lange Jahre meinem Vater assistiert, für ihn Mosaike gelegt usw. Nach der Scheidung von meinem Vater, hat sie erst mit der Ausbildung begonnen. Und beim Wien Museum die Stelle bekommen. Da war sie schon Mitte Vierzig, hat aber bis zu ihrer Pensionierung dort gearbeitet.

SG

Wissen Sie noch wie das Jelinek-Porträt in die Sammlung kam?

XH

Die Galeristin Heike Curtze hat das Gemälde dem Museum angeboten, ein Geniestreich war das von ihr. Sie hat noch gefragt: „Ist dir eh recht?“.

Es freut mich, dass das Bild in der Sammlung ist.

ICH: EINE EBENE! von Elfriede Jelinek

Sitzt man für ein Porträt, ist man lange, sehr lange, länger als ich zuvor gedacht hatte, dem befremdlichen Sachverhalt ausgeliefert, still zu bleiben, einen Körper in einer Umgebung darzustellen, der dann flachgezogen werden soll, wie ein Leintuch. In diesem Raum, in dem man einen plastischen Gegenstand darstellt, weil man ja nicht anders kann, als eine bestimmte Raummasse zu bilden, entfaltet sich eben  ein anderer Raum, flach wie eine Steppenlandschaft, aber begrenzt, und auf dieser Bild-Fläche soll man als Gegenstand, auf den wiederum andre Gegenstände einwirken, so etwas wie eine Gegend werden, in der das Auge des Betrachters dann herumreisen kann, lange nach dem man aufgestanden, weggegangen und lange nachdem man schon wieder ganz anders ausschaut als zu dem Zeitpunkt, zu dem man, um Kunst zu werden, in die Gegend des Bildes geworfen wurde. Und jetzt, bin ich schon wieder weg, keine Sorge, durchdringen sich die beiden Gegenden, also die beiden Personen, diejenige, die ich einmal war, und diejenige, die ich auf diesem (auf mich etwa?) gespannten Tuch geworden bin, und es entsteht daraus ein neues Gebilde, das man Bild nennt und das wieder einen neuen Ort, oder nein, eher eine Grenze erzeugt. Das Bild ist jetzt, was es ist. Ich bin es nicht was es ist. Was ich damit sagen will? Die Leinwand des Bildes umwindet, bekleidet mich nicht einfach, was auch Aufgabe von Leinwänden sein könnte, sondern sie grenzt mehrere Räume gegeneinander ab, die ganz unterschiedlich sind, lebendig und tot, und den Hintergrund liefern sie noch dazu. Ich bin eingeräumt worden, aber ich habe auf dieser Ebene keinen Platz, man kann mich nicht ordnen. Ordnung ist mir überhaupt wesensfremd. Na, bin ich halt eine Grenze, die fort ist, aber man weiß, wo sie war, weil sie auf diesem Bild aufgemalt worden ist.

Xenia Hausner ist eine österreichische Malerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Wien. Ihre Personale „True Lies“ ist noch bis 8. August 2021 in der Albertina zu sehen.

www.xeniahausner.com

Sonja Gruber hat Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Erziehungswissenschaften in Heidelberg studiert. Sie betreut seit 2018 die Publikationen des Wien Museums, zuvor war sie u.a. als kuratorische Assistenz bei der Kunsthalle Wien, für basis wien, im MUSA und im Verlag für moderne Kunst tätig.

 

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