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Publikationen des Roten Wien
Tu Gutes und rede darüber
Denkt man an das Rote Wien, fallen einem sofort Plakate und andere Formen der damaligen Werbung ein. Warum ist das Thema Publikationen aus Ihrer Sicht dennoch bislang unterbeleuchtet geblieben?
Es wundert mich auch sehr. Denn die Arbeit an medialer Geschichte innerhalb der meisten Disziplinen ist en vogue. Werden in der Architekturgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts Publikationen zum Wohnen besprochen, ist meist nur von Frankfurt die Rede. Dabei ist die publizistische Produktion des Roten Wien, wie diese Ausstellung vor Augen führt, in einigen Fällen auf Augenhöhe mit jener in Frankfurt. Bei unserer Ausstellung ging es daher um nichts Geringeres als um eine Neubewertung und Richtigstellung dieses Missverhältnisses.
Von welchen Dimensionen sprechen wir da in etwa?
Die Ausstellung selbst gibt darauf die Antwort: Es sind hier über 300 Objekte zu sehen, wir haben praktisch die gesamte publizistische Produktion des Roten Wien im Bereich der Architektur versammelt und sie ausgewählten internationalen Beispielen kursorisch gegenübergestellt. Es wurde im Roten Wien sehr viel Wert gelegt, alle Errungenschaften lokal, aber auch international bekannt zu machen. Für uns war es wichtig, mit einem erweiterten Architekturbegriff, wenn Sie so wollen mit Baukultur zu arbeiten. Es geht nicht nur um die berühmten Wohnbauten, sondern auch um Brücken, Sportplätze, Schulzahnkliniken oder andere Fürsorgeeinrichtungen.
Denkt man heute an die Friedensbrücke, wenn vom Roten Wien die Rede ist? Nein! Selbst die Wasserleitungsanlage Krapfenwaldl erhielt eine genauso große Broschüre wie der Karl-Marx-Hof. Das Motto des Roten Wien war: „Wir zeigen Euch, was wir alles gemacht haben!“ Und das in Form von Broschüren, Büchern, aber auch mit Postkarten, Plänen, Filmen, Ausstellungen und natürlich Plakaten.
Und das war in den anderen Metropolen nicht der Fall?
Nicht in dem Ausmaß. Vergleichbar ist nur Frankfurt, das ja in punkto Wohnbau ohnehin zentral war und wo wie in Wien die Kommune die Bauherrin war. Aber Hamburg hat zum Beispiel 500 Wohnungen mehr als Wien gebaut und dennoch so gut wie nichts dazu publiziert, weil die Rahmenbedingungen andere waren. Ähnlich in Berlin, wo viel mehr Häuser gebaut wurden, aber Genossenschaften die Bauherren waren und nicht die Gemeinde selbst.
Ist diese umfassende publizistische Produktion aus heutiger Sicht als Propaganda zu bezeichnen?
Das Wort Propaganda ist negativ konnotiert, damals meinte es aber nichts anderes als Werbung oder das, was wir heute als Marketing bezeichnen. Man kann bei der publizistischen Produktion des Roten Wien Propaganda von Information nicht trennen. Nichts davon ist rein dokumentarisch, nichts davon rein propagandistisch. Die Sozialdemokraten hatten eine Vision für den neuen Menschen. Diese Vision schlug sich in vielen Einrichtungen nieder, und das wollte sie auf lokaler Ebene ihren Wählern und national und international Gleichgesinnten vermitteln.
Wurde die Medienproduktion zentral gelenkt? Wie hoch waren die Auflagen? Und welches Zielpublikum wollte man genau ansprechen?
Wir wissen trotz intensivster Recherche eigentlich sehr wenig darüber. Das Stadtbauamt dürfte wohl in den meisten Fällen der Auftraggeber gewesen sein. Doch wieviel gedruckt wurde oder wer es gestaltet hat, ist unbekannt. Es gab allein schon vierzig Broschüren zu einzelnen Wohnbauten. Die wurden vermutlich u.a. für die Bewohnerinnen und Bewohner zur Eröffnung produziert. Da einige davon heute antiquarisch kaum zu finden sind, kann man davon ausgehen, dass diese wohl eher kleine Auflagen hatten. Auf der anderen Seite gab es programmatische Publikationen wie „Die Wohnungspolitik des Roten Wien“ von Karl Hona oder „Das neue Wien“ von Robert Dannebert, die beide in viele Sprachen übersetzt wurden und in hoher Auflage auch für ein großes internationales Publikum gedacht waren.
Es gab immer wieder Kritik daran, dass die Architektur des Roten Wien zu wenig modern sei. Wie sieht es denn mit der Gestaltung des publizistischen Materials aus?
Friedrich Achleitner hat die These vertreten, dass das Rote Wien neben den Visionen eines neuen Menschen den Leuten nicht auch noch moderne Architektur zumuten wollte. Dieser eher konservative Ansatz schlug sich auch teilweise in der Gestaltung der publizistischen Produkte nieder. Doch auch hier gab es einen Wandel. Wurden zunächst etwa Serifenschriften und Fotos in Sepiatönen verwendet, näherte man sich um 1930 mit Futura-Schrift, technischer aussehenden Fotos und reduzierter Ästhetik der internationalen Avantgarde an.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema. Was hat Sie im Zuge der Recherche und der Vorbereitung der Ausstellung am meisten überrascht?
Vielleicht war es die Tatsache, dass es dann auch von 1934 bis 1938 eine Medienproduktion gab, die in der Tradition von jener des Roten Wien stand. Man setzte in der Stadtverwaltung dabei auf Kontinuität, weil offenbar die Leistungen der Sozialdemokraten unübersehbar waren. Das ist in diesem historischen Kontext schon sehr bemerkenswert.
Die Ausstellung „Rotes Wien publiziert. Architektur in Medien und Kampagnen“ (kuratiert von Harald R. Stühlinger und Gerhard Murauer) ist bis 31. Juli 2020 in der Wienbibliothek im Rathaus bei freiem Eintritt zu sehen. Ab Jänner 2020 findet ein umfangreiches Begleitprogramm statt. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation, die am 18. Juni 2020 präsentiert wird. Viele der in der Ausstellung gezeigten Objekte sind in den digitalen Sammlungen der Wienbibliothek in der Rubrik Rotes Wien abrufbar.
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