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Quecksilber in Uhren und anderswo
Schaurig-schillernd-schön
Flüssiges Silber – so heißt das Element im Griechischen, und daher erhielt es auch seine Elementbezeichnung im Periodensystem: Hydragyros (Hg.). Vielen ist es wahrscheinlich aus alten Thermometern bekannt, und wer schon mal ein solches Thermometer fallen gelassen hat oder zumindest anwesend war, weiß, wie sich wunderschöne kleine, silbrige Perlen bilden, die auf dem Boden rumkullern und fast unmöglich einzufangen sind. Daher leitet sich auch die deutsche Bezeichnung ab: „keckes“ bzw. schnelles (vgl. quick, englisch) Silber. Quecksilber findet man in der Natur meist gebunden als Mineral, in Form von Zinnober an Orten mit früherer Vulkanaktivität.
Heute begegnet man Quecksilber z. B. in Familienerbstücken, Energiesparlampen und Zahnfüllungen. Die meisten beinhalten Quecksilber jedoch nur in amalgamierter, d.h. gebundener Form. Nur wenige Menschen kommen heutzutage in den Genuss bzw. in die Gefahr, Quecksilber in größeren Mengen und unamalgamiert zu erleben. Eingesetzt wurde es jedoch früher in rauen Mengen im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung, von Apothekern, Hutmachern, Vergoldern, Barometermachern oder Uhrmachern von der Antike bis in das 19. Jahrhundert.
Was das Metall Quecksilber so außergewöhnlich macht? Ungebundenes Quecksilber ist flüssig bei Raumtemperatur, es ist schwer und elektrisch leitfähig und der Grund weswegen es in so schönen Perlformen herumkullert, ist seine starke Oberflächenspannung.
Im Bereich der Uhren bzw. astronomischen Zeitmesser gibt es bereits aus dem Jahr 979 n. Chr. einen Bericht darüber, dass chinesische Astronomen und Astrologen Quecksilber anstatt Wasser in mechanischen Konstruktionen zur Zeitmessung als Antrieb verwenden. Denn im Gegensatz zu Wasser gefriert Quecksilber nicht, sodass es besonders im Winter sehr beliebt war. Diese mechanischen Konstruktionen waren keineswegs handlich, sondern Türme, die sich über einige Etagen in die Höhe streckten. Das riesige Wasser- bzw. Quecksilberrad befand sich meist im Erdgeschoss (wie auf der folgenden Abbildung zu sehen ist) und benötigte enorme Mengen von Quecksilber für seinen Betrieb. Bei diesen Zeitmessern ging es nicht um Sekunden oder Minuten, sondern viel mehr um die Erfassung der Bewegung von Himmelskörpern über Jahre und Jahrzehnte hinweg.
Sehr viel später, ab 1726, nutzte man Quecksilber in einer anderen Art von astronomischem Zeitmesser, dem sogenannten astronomischen Regulator oder Präzisionspendeluhr. Hier wurde Quecksilber in die Pendellinse gefüllt, um die Wärmeausdehnung der Pendelstange bei Temperaturänderungen auszugleichen. Astronomische Regulatoren wurden zu Beobachtungszwecken in Observatorien aufgestellt, und da Observierungen meist bei offenem Dach oder Fenster geschahen, waren Temperaturschwankungen vorprogrammiert, trotzdem wurde höchste Präzision erwartet, um Sternen- und Planetentransite genau zeitlich einordnen zu können.
Die Pendelstange dehnt sich aus und wird länger, sobald die Temperatur im Raum steigt. Das würde bei einem normalen Pendel dafür sorgen, dass das Pendel zum Hin- und Herschwingen mehr Zeit braucht, die Uhr ginge also langsamer. Bei einer Uhr mit Quecksilber im Pendelkörper dehnt sich nicht nur das gesamte Pendel aus und wird länger, sondern auch das Quecksilber in der Linse dehnt sich nach oben in den noch leeren Teil der Pendellinse aus. Damit wird der Schwerpunkt des Pendels verschoben und die effektive Länge des Pendels gekürzt.
Im 20. Jahrhundert wurde Quecksilber außerdem in elektrischen Schaltungen, also auch in elektrischen Uhren verwendet. Hier wurde die elektrische Leitfähigkeit, sowie der verlässlich flüssige Zustand und die starke Oberflächenspannung des Quecksilbers genutzt um Neigungsschalter zu entwickeln, die einen elektrischen Kontakt durch das Kippen eines mit Quecksilber gefüllten Glaskörpers öffneten und schlossen.
Da bei dieser Methode des Kontaktschlusses so gut wie kein Verschleiß an den elektrischen Kontakten entsteht, galt der Quecksilberschalter immer als besonders zuverlässig und langlebig, denn die Erosion und Korrosion von Kontakten durch ungewünschte Lichtbögen zwischen zwei sich langsam trennenden elektrischen Kontakten ist zumindest im Bereich der elektrischen Uhren ein Hauptgrund für Funktionsstörungen.
Auch im amalgamierten, also nicht flüssigen, sondern gebundenen Zustand, fand Quecksilber im Bereich der Uhren bzw. Uhrengehäuse jede Menge Anwendungen. Quecksilber half dabei, Beschichtungen auf weniger edle Metalle zu geben, dieser Vorgang wird im Fall von einer Goldbeschichtung auch gern als „Feuervergolden“ bezeichnet. Das zu vergoldende Werkstück wurde entfettet und in das sogenannte Quickwasser getaucht, eine Mischung aus Quecksilber und Salpetersäure. Dann wurde das reine Gold erhitzt und mit Quecksilber gemischt, bei Raumtemperatur erhielt man dann eine teigartige Masse. Dann wird das teigige Goldamalgam mit einer Bürste auf das Werkstück aufgebracht.
Um die neue Goldschicht gut zu verteilen und zu glätten, wird das Werkstück noch einmal erhitzt und mit Glättinstrumenten bearbeitet. Beim Erwärmen verdampft der größte Teil des Quecksilbers und die Goldschicht verbindet sich fest mit dem Werkstück. Dies wurde seit der Antike bis Anfang des 19. Jahrhunderts praktiziert und dann im Laufe des 19. Jahrhunderts wegen den nicht mehr zu ignorierenden Gesundheitsschäden der Vergolder verboten.
Obwohl Quecksilber-Amalgam-Füllungen als unbedenklich gelten, dürfen sie Jugendlichen unter 15 Jahren seit 2018 nicht mehr eingesetzt werden. Außerdem soll eine verordnete Studie der EU klären, ob Amalgam gänzlich aus der Zahnmedizin verbannt werden soll. Sehr viel beunruhigender waren jedoch Einsatzgebiete von Quecksilber in anderen medizinischen Belangen, so z. B. gegen Syphilis, Frauenleiden, Darmverschlüsse oder als Empfängnisverhütung.
Die Begleiterscheinungen dieser oftmals vergifteten Patienten sowie der Personen, die täglich mit Quecksilber arbeiteten, fand ihren Niederschlag auch in der Literatur. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der verrückte Hutmacher in „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll. Hutmacher arbeiteten mit Quecksilber, um die Haare von Kaninchen und Bibern zu Filz zu verarbeiten. Dazu wurde Salpetersäure verwendet, womit in Kombination mit Quecksilber besonders gute Ergebnisse erzielt wurden. Wenn der Filz trocknete, schlug sich das Quecksilber als feiner Staub nieder, der von den Hutmachern eingeatmet wurde. Das englische Sprichwort „mad as a hatter“ (verrückt wie ein Hutmacher) leitet sich auch von dieser Quecksilber-induzierten Berufskrankheit ab. Neben starkem Zittern waren auch übermäßiger Speichelfluss, Gereiztheit und andere Wesensveränderungen Indizien für eine Vergiftung.
Wie relevant ist Quecksilber in einer Sammlung wie derjenigen des Wien Museums? Bei den rund 7000 Objekten der Uhrensammlung begegnet man dem Element regelmäßig, häufiger natürlich in seiner gebundenen Form als Vergoldung. Daneben gibt es noch andere Objekte im Bereich der angewandten Kunst oder das ein oder andere elektrische Gerät, in dem Quecksilber auftauchen kann. Meistens ist es, wenn es ungebunden ist, gut verpackt und luftdicht abgeschlossen (in einem Glaskörper o.ä.), trotzdem ist das Museum entsprechend gewappnet, um die Entfernung von Quecksilber im Notfall schnell durchführen zu können. Ein Spill-Kit, Beschilderung und Schutzmaske mit Spezialfilter liegen in der „Quecksilberecke“ bereit. Auch sehr effektiv ist eine Zinnfolie, die bindet das Quecksilber in Minuten und verhindert das Herumkullern der schaurig-schönen Perlen.
Quellen:
Andrew R. Barron: The Myth, Reality, and History of Mercury Toxicity. Houston 2021
Joseph Needham, Wang Ling, Derek J. de Solla Price: Heavenly Clockwork [Second Edition Reprint] New York 2008. S. 32-33
Klaus Erbrich: Präzisionspendeluhren. München 1978. S. 36-37
„Gilding“. The Encyclopedia of Diderot & d'Alembert Collaborative Translation Project. Ann Arbor: Michigan Publishing, University of Michigan Library, 2010. Web. 24. Mai 2022
Verordnung 2017/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 1917 über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008
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