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Conny Zenk und Peter Stuiber, 20.6.2024

RAD Performances von Conny Zenk

Rad und Tat

Mit RAD Performances sorgt eine Gruppe um die Künstlerin Conny Zenk nicht nur für ein lässiges multimediales Erlebnis beim Radeln in der Stadt. Letztlich geht es bei den Soundrides um die grundlegende Frage, wie wir den öffentlichen Raum in Anspruch nehmen wollen. Ein Interview anlässlich der nächsten Spiral Bike-Aktion am 28. Juni.

Peter Stuiber

Du veranstaltest seit 10 Jahren regelmäßig – im Team mit unterschiedlichsten Leuten – RAD Performances. Was kann man sich darunter vorstellen?

Conny Zenk

Zunächst mal ist es ein Kunstprojekt und eine Konzertreihe, die das Publikum dazu einlädt, mit dem eigenen Fahrrad teilzunehmen. Wir treffen uns sehr oft auf der Prater Hauptallee, unter der Tangente, der meistbefahrenen Straße Österreichs. Darunter rauscht es, als würde man sich unter einem Wasserfall befinden. Darauf mache ich zu Beginn aufmerksam: auf den Sound, den Klang der Stadt, der uns umgibt und das soll uns während des Fahrens auch bewusst werden, insbesondere wenn wir uns an den Soundbikes vorbei bewegen. Bei den Soundbikes handelt es sich um unterschiedliche Fahrräder bzw. Lastenräder, auf denen selbstgebaute Lautsprecher montiert sind. Die Besonderheit liegt darin, dass RAD Performance als Schwarm mit mobilen Lautsprechern durch die Stadt zieht und so die Straßen zur Bühne, das Fahrrad zum Soundbike und die kollektive Ausfahrt zum Konzert werden lässt. Dabei wird das Fahrrad zum Medium für Musik im öffentlichen Raum und zur Inspiration für künstlerische Werke. Gleichzeitig verhandeln wir den öffentlichen Raum als Lebensraum, und untersuchen unterschiedliche Aspekte des Stadtlebens und der urbanen Infrastruktur auf ihre feministische und inklusive Nutzbarkeit. Unsere Soundrides enden oftmals bei Fahrradspiralen, also diesen besonderen Bauwerken der Stadt Wien, bei denen man spiralförmig auf eine Brücke fährt. Die nächste RAD Performance hat die Brigittenauer Brücke als Ziel. In der Mitte befindet sich eine Wiese, auf der sich das Publikum dann niederlässt, während die Fahrräder mit den Lautsprechern die Spirale hinauf- und hinunterfahren. Ein Konzert, das sich bewegt. Wir starten übrigens im Prater kurz vor Sonnenuntergang und genießen das Konzert dann am Zielort in der Abenddämmerung.

PS

Entsteht der Sound spontan beim Fahren? Oder ist er detailliert ausgearbeitet?

CZ

Da gibt es sehr viele unterschiedliche Konzepte und Herangehensweisen die wir mit RAD Performance entwickelt haben. Bei den Soundrides werden von Musiker:innen Mixes und Soundtracks für eine bestimmte Route durch die Stadt entwickelt. Hier arbeiten wir oftmals mit Record Labels wie Ventil Records, arooo. oder Interstellar zusammen oder vergeben Aufträge an DJ's und Komponist:innen. Bei Biosphere und sound x tracks habe ich mit  Künstler:innen wie Gischt, Rojin Sharafi und Rahel Kraft zusammengearbeitet und mit Field Recordings, also Aufnahmen unterschiedlicher Klänge entlang einer bestimmten Route durch die Stadt komponiert und daraus dann die Soundtracks  für die bestimmten Routen und Plätze entwickelt. Wir haben auch einen Anhänger mit einem Schlagzeug von Flonky Chonks über eine kurze Strecke mitgeführt, und am Zielort gab es dann ein Live-Konzert. Bei der Spirale in der Brigittenauerbrücke oder Südbahnhofbrücke sind es Mehrkanal-Konzerte: Jedes Fahrrad bekommt eine eigene Stimme. Und wenn ich mich in der Mitte der Spirale befinde, dann kann ich jedes Fahrrad hören. Die Musiker:innen können dann jeweils die einzelnen Stimmen ansteuern, also etwa leiser oder lauter spielen, und bestimmte Klänge den einzelnen Fahrrädern zuweisen. In der Spirale ist man dann wie in einer Arena umgeben von bewegten Klängen und ich lade das Publium ein, sich auf mehreren Ebenen zu bewegen und das Konzert unterschiedlich wahrzunehmen.

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PS

Was war vor zehn Jahren die Inspiration zu dieser Art von Event?

CZ

Ich habe neben dem Studium als Fahrradbotin gearbeitet, und auch Bike-Polo gespielt – eine Sportart, die mich sehr inspiriert hat. Das queer-feministsche Fahrradkollektiv RADS, Orte wie die Bike Kitchen Wien und viele andere Events rund um das Fahrrad sind Teil einer lebendigen Wiener Fahrradkultur. Außerdem habe ich bei sogenannten Alleycats mitgemacht, das sind Schnitzeljagden in der Stadt, die die Fahrradfahrer:innen bzw. ursprünglich die Fahrradbot:innen zusammenbringen und feiern. Die erste RAD Performance war ein Alleycat im Rahmen des urbanize!-Festivals mit unterschiedlichen Kunstaktionen bei den Stationen. Die Alleycats mit Kunst zusammenzuführen, das hat einfach perfekt gepasst. Es war von Anfang an ein sehr spielerisches, partizipatives Herangehen. Ich habe z.B. auch Spoke Cards entworfen, also Speichenkarten, die man wie eine Trophäe bei den Alleycats erhält und zwischen die Speichen steckt. Das ist auch unser Ticket für die RAD Performances.

PS

Wie hat sich das Ganze dann weiterentwickelt?

CZ

Zu Beginn habe ich viele Workshops gemacht, bei denen Künstler:innen für das Fahrrad unterschiedliche Projekte entwickelt haben. Der erste Workshop war von Hypercycle, das nannte sich „beat se streets“, bei dem wir gemeinsam mit Audioboxen, Sensoren und Led-Lichtern sogenannte Noise und Stroboskop Fahrräder zusammengebaut haben und damit durch die Stadt gefahren sind. Der Treffpunkt war beim Filmmuseum im Augarten. Es war wie ein kleines Festival, mit  DJ Line-up, einer Lesung, gemeinsamen Kochen auf Fahrradtischen, besagte Workshops und am Ende eine kollektive Ausfahrt. Nach und nach haben sich unterschiedliche Projekte mit dem Fahrrad entwickelt und ich habe mich immer mehr mit Sound beschäftigt, weil das Visuelle in der Stadt in Bewegung viel schwieriger zu vermitteln ist als Sound, und beim Fahren die Stadt selbst auf mich wie ein Film wirkt. Im letzten Jahr waren auch immer wieder Laserprojektionen ein spannender Teil von RAD Performance und auch heuer wird es nicht nur Licht und Laser, sondern auch eine Augmented Reality Performance geben. Wir entwickeln gerade gemeinsam mit Litto eine archtiektonische Erweiterung der Brigittenauerbrücke in den digitalen Raum.

PS

Wer fährt mit den Lastenrädern, auf denen die Boxen montiert sind?

CZ

Die Soundbikes werden von Fahrradbot:innen gefahren, vor allem vom Hermes-Radbot:innen-Kollektiv, dem einzigen selbstorganisierten Bot:innenkollektiv in Österreich. Außerdem fahren Leute von Bike Polo Vienna mit oder von den Flinktas, die spezielle Radrennen für Frauen, Lesben, inter* Personen, nicht-binäre Personen, trans und agender Personen veranstalten. Manchmal bekommen wir sogar Unterstützung von Radbot:innen aus Linz, wie den Tempo Radbot:innen. Wir arbeiten immer gemeinsam mit den Fahrradcommunities, egal ob wir in Wien, Linz, Graz oder zuletzt in Temesvár oder Lüneburg sind.

PS

Wie hat sich Euer technisches Equipment in den vergangenen zehn Jahren verändert?

CZ

Extrem! Ich habe mit kleinen Bluetooth-Lautsprechern begonnen, doch die waren schnell zu leise und können vor allem keine Klangqualität bieten, die wir brauchen, wenn wir mit Künstler:innen zusammenarbeiten – egal ob klassisch, experimentell, elektronisch oder Gesang. Wir bauen unsere Lautsprecher mittlerweile selbst, dafür zuständig ist der technische Leiter, Georg Hartl. Er hat nicht nur die Lautsprecher entwickelt, wir haben auch unsere Akkulaufzeiten verbessert und sind über gut 10 Stunden autark unterwegs. Die Industrie hat erst in den letzten Jahren nachgezogen, es gibt mittlerweile Hersteller, die relativ leistungsstarke Akku Lautsprechersysteme anbieten. Einige wenige klingen tatsächlich ganz gut, die meisten sind aber eher auf Lautstärke und nicht auf Klangqualität optimiert. Unser System ist vom Formfaktor auf ein Lastenrad zugeschnitten. Auch die restlichen Komponenten wie Mischpulte, Audio Funk usw. sind professionelles Material, das normalerweise nur beim Rundfunk oder auf größeren Bühnen zu finden ist. Um ein optimales Ergebnis zu erzielen, muss das gesamte System abgestimmt sein. Wir sind stolz, so eine Klangqualität bieten zu können, obwohl wir alles mobil und mit Akku betreiben.

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PS

Eure RAD Performances haben fallweise auch historische Dimensionen, etwa beim Projekt Radreigen. Wie kam es dazu?

CZ

Radreigen war eine Radtanz- und Paradeform, die um 1900 bis in die 1920er Jahre in Wien populär war. Die Historikerin und Autorin Petra Sturm hat in der Nationalbibliothek dieses wunderschöne Buch zum Radreigen entdeckt, in denen die unterschiedlichen Choreografien grafisch notiert zu sehen sind. Wir haben diese historischen Radreigenfiguren dann im Rahmen eines Forschungsprojektes an der mdw, der Universität für Musik und darstellende Kunst, aufgegriffen. Übrigens gab es auch von Johann Strauß Kompositionen für das Fahrrad, wie die bekannte Vélocipède Polka, und es wurden Quadrillen aufgeführt. Davon ausgehend haben wir ein Soundsystem entwickelt mit sechs Fahrrädern, und aus den historischen Choreografien grafische Mutationen entwickelt, für die dann Musiker:innen Stücke komponiert haben. Eine der effektivsten Bewegungen ist übrigens die Spirale: Die erste Person fährt ein und macht einen kleinen Kreis. Die zweite dann einen etwas größeren etc. Bis zur sechsten Person entwickelt sich dann eine Spirale. Daraus entsteht dann ein sehr starker akustischer Effekt. So bin ich letztlich auf die spiralförmigen Brücken gekommen, wo sich das natürlich ideal umsetzten lässt. Der Radreigen ist übrigens eine sehr offene Form. Es wurde damals nicht nach Geschlechtern unterschieden und durch die Quadrille ergeben sich immer wieder neue paarweise Konstellationen – im weitesten Sinne ist das aus heutiger Sicht genderfluide und offen.

PS

Die emanzipatorischen und demokratisierenden Aspekte des Fahrrads sind aus historischer Sicht beachtlich, werden aber in den heutigen hitzigen Verkehrsdiskussionen oftmals vergessen…

CZ

Für mich ist das Fahrrad nicht nur ein Symbol der Frauenbewegung, sondern auch ein antifaschistisches Symbol, denn auch die Partisanen haben teilweise in den Fahrradrahmen Dokumente geschmuggelt. Das Fahrrad ist auch heute noch ein extrem emanzipatorisches Tool oder Medium, das zeigt, dass eine andere Mobilität in der Stadt wichtig ist. Es verbindet ganz viele Aspekte, von feministischer Stadtplanung bis Barrierefreiheit, bei denen die Spiralen übrigens eine wichtige Funktion haben: Sie kosten zwar viel Platz, schaffen aber barrierefreien Zugang. Das Fahrrad spielt ja auch bei Demonstrationen eine enorme Rolle, bei der Aktion Gürtelliebe etwa oder bei Radln for Future oder Take Back the Streets. Wir planen etwa für nächstes Jahr, Workshops speziell für Flinta-Personen zu machen, damit diese für solche Gelegenheiten lernen, wie man ein Soundsystem für ein Bike baut. Die brauchen Verstärkung – auch im Wortsinn.

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PS

Wie kritisch beurteilst Du unsere Stadt, wie sie ist?

CZ

Die heutige Stadt ist ein Modell aus dem vorigen Jahrhundert. Sie ist gebaut für die Stärkeren und für die, die sich’s leisten können. Der öffentliche Raum ist in Bewegung und sollte immer neu gedacht und verhandelt werden. Das kann auf unterschiedliche Art und Weise sein. In Argentinien gab es jetzt die Aktion, wo sich Busfahrer auf Fahrrädern einen Tag lang überholen lassen mussten von Bussen, um am eigenen Leib zu spüren, wie sich das anfühlt, wie sehr man sich als radfahrender Mensch beim Überholtwerden bedroht fühlen kann. Wer im SUV sitzt und somit eine fette Schale um sich hat, spürt das ja nicht. Ich sehe es als Aufgabe der Stadt, sichere Straßen für alle zu gewährleisten und an die Zukunft zu denken. Wie wollen wir in Zukunft leben? Wollen wir auch auf den Straßen Leben haben? Oder nur in unseren Wohnungen und Autos sitzen? Im Moment haben wir sehr viele parkende Autos, die sehr viel Platz einnehmen. Der öffentliche Raum könnte viel mehr Fläche bieten, dazu gibt´s ja Statistiken, wie wenig Autos tatsächlich genützt werden. Diese Platzverteilung ist ungerecht und gehört radikal geändert. Wobei ich das gar nicht radikal nennen würde, sondern nur fair gegenüber der Mehrheit der Wiener:innen, die kein Auto besitzen. Ich hatte übrigens vor kurzem eine RAD Perfomance in Lüneburg. Das war die erste autofreie Stadt in Deutschland Anfang der 90er Jahre. Damals gab es große Furcht, dass die Stadt den Bach runtergeht. Das Gegenteil war der Fall. Lüneburg ist heute eine reiche Stadt, die viele Leute anzieht und die unglaublich lebendig ist. Die Zukunft ist eine Stadt der kurzen Wege und einer nachhaltigen und inklusiven Mobilität.

 

Mehr Info zum nächsten Spiral Bike-Event am 28. Juni 2024 gibt´s hier.

Conny Zenk studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien, sowie an der ELAK (elektronische und experimentelle Musik) an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie verbindet in ihren künstlerischen Werken Performance, Video und Sound im Kontext urbaner Architektur, Feminismus und Stadt. Seit 2015 veranstaltet sie die partizipative Reihe RAD Performance, die sich auf die Verschmelzung von Performance- und Klangkunst mit kollektiven Praktiken wie dem Radfahren konzentriert. Das Fahrrad wird zum Medium und Inspiration für Sound Art im öffentlichen Raum. Mit künstlerischen Arbeiten wie SPIRAL BIKE, Velodrome und Soundrides, arbeitet sie an einem neuen Musikformat im öffentlichen Raum.  https://radperformance.at/ https://connyzenk.com/

Peter Stuiber studierte Geschichte und Germanistik, leitet die Abteilung Publikationen und Digitales Museum im Wien Museum und ist redaktionsverantwortlich für das Wien Museum Magazin.

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