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Repräsentativbauten des Austrofaschismus in Wien
Monumental, funktional, sakral
Nach dem Sturz der österreichischen Republik und der Etablierung einer autoritären Diktatur 1933/34 versuchte das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime die sozialdemokratische Wohnbaupolitik des Roten Wien durch eine Neuordnung der Baupolitik vergessen machen. Das Regime schöpfte dabei aus den städteplanerischen und baulichen Ideen seiner Vorbild- sowie Konkurrenzsysteme, dem faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland. Deren diktatorischer Städtebau wies sowohl eine Nähe zum Absolutismus als auch zu republikanischen Beispielen, etwa dem Umbau Washingtons, auf. Vor allem der Ausbau der Infrastruktur sollte die Modernisierungsfähigkeit der europäischen, autoritären Systeme zeigen. Darunter fiel der Neubau von Bahnhöfen, Postgebäuden, Universitäten, Freizeitanlagen, Parteihäusern und Straßen.
Konform mit dieser städtebaulichen Erneuerung wurde der Umbau des schwarzen Wien zur Verkehrsstadt forciert und der Individualverkehr befördert. In einem Sofortprogramm von Mai 1934 wurden Mittel für die Assanierung sowie verstärkte Straßen- und Brückenbautätigkeit, deren wichtigste infrastrukturelle Projekte die Wientalstraße, Höhenstraße, Reichsbrücke und Rotundenbrücke waren, zur Verfügung gestellt. Im historischen Zentrum Wiens sollten zudem Monumentalbauten für die 1933 gegründete Einheitspartei Vaterländische Front (VF) entstehen. Auch hier waren Italien und Deutschland mit ihren entstehenden Zentren für Sport, Studium und Freizeit, die die Durchsetzung von neuen Gemeinschaften zum Zweck hatten, Vorbild.
Die wichtigsten Projekte im „Schwarzen Wien“ , die weiter unten ausführlicher beschrieben werden, waren der 1935 begonnene Bau eines zentralen Rundfunkgebäudes und die Errichtung zweier Monumentalbauten, die die Vaterländische Front direkt repräsentieren sollten: die Frontführerschule für zukünftige Kader und der Bau eines Fronthauses als zentrales Gebäude der Einheitspartei im Herzen der Stadt, beide 1937 begonnen. Ein letzter Wettbewerb für ein nicht mehr realisiertes Hauptpostamt fand knapp vor dem „Anschluss“ 1938 statt.
Größtes Problem, wie bei allen anderen Unternehmungen und Planungen des Regimes, war die Sicherstellung der Finanzierung im Kontext der umfassenden Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, die auch in Österreich ein Heer von Arbeitslosen und eine leere Staats- sowie Parteikasse zur Folge hatte. Deshalb wurde auch gezielt mit der Errichtung von Schlüsselbauwerken begonnen. Die Mittel zur Errichtung des Fronthauses und der Frontführerschule sollte die österreichische Bevölkerung aufbringen. Damit konnte der Bau, wie in Italien und Deutschland, durch eine scheinbare Massenbasis erfolgen und eine emotionale Bindung hergestellt werden. Erstes Instrument, um bereitgestellte Bundesgelder aufzubessern, war die Form der Spendensammlung, die dem Kirchen- und Denkmalbau entliehen wurde. Firmen mit unbedeutenden Beiträgen und Spendenverweigerer wurden freundlich, aber bestimmt zurechtgewiesen. Ein weiteres Instrument indirekter Finanzierung waren Lotterien, die bei Frontführerschule und Fronthaus durchgeführt wurden.
Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche
Ausgeführt wurden diese Repräsentativbauten unter zentraler Regie, in deren Planung der „Bundeskanzler und Frontführer“ Kurt Schuschnigg auch direkt eingriff, von ausgewählten regimenahen Architekten. Der staatstragende Architekt Clemens Holzmeister hatte mehrere Schlüsselpositionen im „Ständestaat“ inne und war zudem persönlicher Freund von Dollfuß und Schuschnigg. Er plante 1934 mit der Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche im 15. Bezirk ein zentrales Bauwerk des Dollfuß-Gedenkens. Auch der zweite für die Vaterländische Front wichtige Architekt Robert Kramreiter betätigte sich im Kirchenbau, der vom Regime forciert wurde und die starke Verschränkung von Kirche und Staat zeigt. Kirchliche Feiern dienten ebenso zur Mobilisierung der Massen, die die Vaterländische Front nicht ansprechen konnte.
Mit dem repräsentativen Rundfunkgebäude der Österreichischen Radio-Verkehrs AG (RAVAG) in der 4., Argentinierstraße 30-30a wurde 1935 ein erster Monumentalbau begonnen und fast zur Gänze vor dem „Anschluss“ 1938 fertig gestellt. Der schnelle Baubeginn zeigt den hohen Stellenwert des Mediums Radio, der sich für das Regime aus der Bekämpfung der nationalsozialistischen Propagandasender und zur Stärkung der eigenen Österreich-Ideologie ergab. Im Rundfunkgebäude sollte der schnell wachsende und auf mehrere Standorte verstreute Rundfunkbetrieb zentralisiert werden.
Für die Planung des sachlichen Gebäudekomplexes zeichnete eine Arbeitsgemeinschaft von Clemens Holzmeister mit Heinrich Schmid und Hermann Aichinger verantwortlich, die im ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gleichauf gewonnen hatten. Mehrere kubische Baukörper bilden die Anlage, deren monumentalen Mittelpunkt der überhöhte Trakt in der Argentinierstraße darstellt.
1937 wurde mit der Errichtung eines zweiten Monumentalbaus, einer Frontführerschule der Vaterländischen Front im Fasangarten in Hietzing begonnen. Die Planung der Anlage innerhalb des bereits kurz nach der Ermordung Dollfuß’ 1934 gegründeten Dollfuß-National-Denkmal-Komitees, dem die Spitzen der Regierung angehörten, zeigt deren hohen Stellenwert innerhalb des Dollfuß-Gedenkens. Die Huldigung Dollfuß mittels Denkmäler war zentrales Element des autoritären Regimes und reichte von Darstellungen als „Heldenkanzler“ und Märtyrer bis hin zu seiner Stilisierung zum Heiligen Engelbert.
Das Komitee einigte sich auf drei auszuführende Projekte: ein lebendes Denkmal in Form einer Frontführerschule, ein religiöses Denkmal mit der Dollfuß-Kirche auf der Hohen Wand und ein monumentales Denkmal am Ballhausplatz in der Innenstadt. Damit wurde auch die Errichtung eines von Schuschnigg ab 1935 präferierten Dollfuß-Forums, in Anlehnung an das 1928 in Rom begonnenen „Foro Mussolini“ mit Marmorstadion, Bildungseinrichtungen und Sportplätzen für die italienische faschistische Jugendorganisation, verworfen. Das Dollfuß-Forum sollte das Regime durch die Zusammenführung der Elemente des Denkmals, des Sakralbaues und der politischen Kaderschule repräsentieren. Herzstück der Anlage sollte eine Dollfuß-Kapelle sein.
Ein nicht ausgeführter Entwurf von Clemens Holzmeister aus dem Jahr 1936 siedelte das Dollfuß-Forum in direkter Nähe zu seiner Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche beim 15., Märzpark an und orientierte sich unverkennbar am italienischen Vorbild. Ein Stadion sollte nebst dreiflügeligem, u-förmigen Gebäudekomplex einer Frontführerschule entstehen. Das Zentrum der Anlage bildete ein turmartiges, begehbares Dollfuß-Denkmal mit aufgesetztem Kruckenkreuz, für das, unschwer zu erkennen, ein 1932 im Foro Mussolini zu Ehren des „Duce“ errichteter Monolith Pate gestanden hatte.
Lucile Dreidemy verortet die Ablehnung von Holzmeisters Entwurf und die Abkehr von der baulichen Repräsentation durch ein Forum in der Änderung der politischen Lage ab 1936 und einer damit einhergehenden Neuorientierung zur Kaderschule nach deutschem Vorbild.
Der zur Ausführung bestimmte Entwurf Robert Kramreiters für den 13., Fasangarten, in den südlichen Anlagen von Schloss Schönbrunn gelegen, vereinte die anfangs noch nebeneinander stehenden Elemente des Forums innerhalb eines einzelnen Gebäudekomplexes. An der Rückseite seines ebenfalls dreiflügeligen, u-förmigen Gebäudes diente eine Kapelle als Ausgangspunkt für das als Versammlungsort und Sportanlage konzipierte Freitheater, in das eine gigantische Orgel durch die Öffnung einer Bogenwand wirken sollte. Die Kapelle hob sich durch ihre sakrale Formensprache architektonisch vom übrigen Bauwerk ab und sollte als Kulisse für Veranstaltungen dienen. Der dreigeschossige Haupttrakt war als Frontführerschule geplant, die angeschlossenen zweigeschossigen Seitentrakte als Internat. Mit dem Bau wurde 1937 begonnen.
Clemens Holzmeister wurde 1937 direkt von der Vaterländischen Front mit der Planung eines dritten Monumentalbaues beauftragt. Das Fronthaus sollte als Verwaltungs- und Repräsentativgebäude einer Zentralisierung des Generalsekretariates und der Teilorganisationen der Einheitspartei dienen. Holzmeister sah eine harmonische Einbindung in die historische Umgebung vor und lehnte den Bau sowohl in seiner Höhe und seiner Formensprache an das Bundeskanzleramt und die Hofburg an. Einzig der turmartig überhöhte Mittelrisalit sollte als symbolisches Zentrum, geschmückt mit den neun Bundesländerwappen, Doppeladler und Kruckenkreuz, das Bauwerk überragen. Die beiden Seitenschauflächen waren den Symbolen der Stände, als Zeichen einer Neuordnung der Gesellschaft, vorbehalten.
Der Bau des Gebäudes mitsamt Sitzungssaal für bis zu 800 Personen, Repräsentations- und Nebenräumen sowie Wohntrakten war beim sogenannten „Anschluss“ bereits bis zum Keller vorangeschritten. Die Übernahme der Pläne für ein NS-Kreishaus, das später im Parlamentsgebäude entstand, sowie eines Verwaltungsbaus für den Reichsnährstand, wurden aufgrund des Kriegsbeginns aufgegeben. In den 1980er-Jahren wurde dort an der Stelle ein Verwaltungsbau des Innenministeriums errichtet. Am geplanten Standort des nicht ausgeführten monumentalen Dollfuß-Denkmals am 1., Ballhausplatz befindet sich heute das Deserteursdenkmal.
Die drei Projekte des Dollfuß-/Schuschnigg-Regimes konnten mit der Dimensionierung der unter NS-Herrschaft errichteten Anlagen nicht konkurrieren. Beispielsweise wurde die Frontführerschule 1939 großräumig durch die heutige Maria-Theresien-Kaserne (13., Am Fasangarten 2) überbaut. Auch bei der innerstädtischen Einbindung von Funkhaus und Fronthaus ging das Regime, laut Birgit Knauer, genauso behutsam wie das faschistische Italien bei seinen Verwaltungs- und Repräsentativbauten vor. Im nationalsozialistischen Deutschland hingegen wurde bei der Errichtung von Monumentalbauen keinerlei Rücksicht auf die historische Bebauung genommen, beispielsweise bei der Reichskanzlei in Berlin. Der Wiener Ballhausplatz sollte, laut zeitgenössischen Ankündigungen, zwar mit den monumentalen Ausgestaltungen der Zentren von Berlin, Nürnberg, München, Hamburg und Rom mithalten können, der Eingriff in die historische Bausubstanz der Stadt hielt sich jedoch in Grenzen. Korrektive waren hier interessanterweise die Baubehörde der Stadt Wien, sowie eine beginnende Denkmalschutzdebatte.
Trotz der starken Orientierung an Italien und Deutschland wurden Vorbildprojekte für die eigenen Planungen in der eigenen Österreich-Ideologie verortet und auch eigenständige Lösungen hervorgebracht. Das ist insbesondere bei der Frontführerschule durch die Verschmelzung von monumentaler Sakral- und Profanarchitektur für eine politische Einrichtung ersichtlich. Eine vielleicht auch logische Folge der starken Verschränkung von Kirche und Staat, die sich im forcierten und – innerhalb der Spezifika des autoritären Systems österreichischer Prägung - zunehmend versachlichten Kirchenbau, der verstärkten Errichtung von Kapellen in öffentlichen Gebäuden und nicht zuletzt im staatlichen Dollfuß-Gedenken zeigte. Eine einheitliche Staatsarchitektur oder gar erkennbare Architektursprache hat das Regime jedoch, wie Inge Podbrecky konstatiert, bei seinen Repräsentativbauten nicht herausgebildet.
Inwieweit der autoritäre Ständestaat mit diesen und weiteren Verwaltungsbauten, wie etwa dem monumentalen Hauptpostamt, das heutige Wien hätte prägen können, ist nicht mehr zu ermessen. Die Durchführung der Großprojekte wäre bei ausreichenden finanziellen Mitteln und wenn es die Einigungsfähigkeit der Stadtbeamtenschaft erlaubt hätte, sicher forcierter in Angriff genommen worden.
Harald Bodenschatz (Hg.), Städtebau für Mussolini – Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien, Berlin, 2011.
Lucile Dreidemy, Der Dollfuß-Mythos – Eine Biographie des Posthumen, Wien – Köln – Weimar, 2014.
Magistratsabteilung 18, Stadtplanung in Wien, in: Wiener Stadtbauamt (Hg.), Tätigkeit des Wiener Stadtbauamtes, Bd. 1, 1974.
Birgit Knauer, Gesunde Stadt – Die Assanierung der Stadt Wien (1934 – 1938), Basel.
Inge Podbrecky, Unsichtbare Architektur – Bauen im Austrofaschismus: Wien 1933/34-1938, Innsbruck – Wien, 2020.
Andreas Suttner, Das schwarze Wien – Bautätigkeit im Ständestaat 1934-1938, Wien, 2017.
Jan Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur – Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922-1956, Bd. 1, Wien, 1994
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