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Sabine Pollak über Adolf Loos
Ein schneeweißer Horizont
Ab wann haben Sie sich mit Adolf Loos näher auseinandergesetzt?
Während des Studiums in Graz, Wien und Innsbruck habe ich von ihm eigentlich wenig mitbekommen. Als ich dann 1993 in die USA gegangen bin, war dort das Themenfeld Gender und Architektur bereits an verschiedenen Universitäten sehr präsent. Vorreiterinnen wie die Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina spielten dabei eine große Rolle. In Österreich hat dann Irene Nierhaus mit ihren Forschungen Pionierarbeit geleistet. In den USA habe ich jedenfalls gelernt, dass der Blick auf Architektur und Design aus Gender-Perspektive keine trockene Angelegenheit ist, sondern unglaublich Spaß machen kann.
... und in Österreich kommt man da an Adolf Loos nicht vorbei ...
Ich war dann auf der Suche nach den Zimmern der Dame und den Zimmern des Herrn in der Moderne, und da stößt man natürlich sofort auf das berühmte Schlafzimmer, das Loos für seine erste Frau Lina gestaltet hat. Ein Zimmer, das so vollkommen überzogen dargestellt wurde. Und dann habe ich diese Fotografie der beiden vor dem Kamin gesehen: Sein Blick ist in den Kamin gerichtet, sie himmelt ihn an, in Weiß gekleidet, von hinten beleuchtet, eine ätherische Figur, die ideale Jungfrau. Und ich habe mir dabei gedacht: O Gott, das kann nur schiefgehen! Diese arme Frau!
Und wie ist Ihr Blick auf das Zimmer selbst?
Der erste interessante Aspekt daran war für mich, wie hier zwischen öffentlich und privat agiert wird. Die Bilder vom Schlafzimmer wurden ja publiziert, was sehr ungewöhnlich war. Das muss unglaublich kompromittierend für diese junge Frau gewesen sein. Dann natürlich das hohe Bett, auf dem – wie Irene Nierhaus das so schön beschrieben hat – die Jungfrau wie ein Opfer dargebracht wird. Andererseits ist für mich dieser Raum auch sehr abstrakt, durch diesen schneeweißen Horizont, dadurch sehr modern. Es gibt kein Blümchenmuster, es ist gar nicht püppchenhaft. Auf eine gewisse Weise ist ein eigens der Frau gewidmetes Zimmer ja auch sehr würdigend. Man hebt sie empor. Nur dass sie damit zugleich zum Objekt degradiert wird, ist wiederum auch ganz offensichtlich.
Weiche Materialien für die Frau, harte für den Mann: So wird das bei Loos-Bauten oft beschrieben. Ist er in seinen Zuschreibungen damit so klischeehaft oder traditionsverhaftet wie andere Zeitgenossen?
Ich bin keine Architekturhistorikerin, und habe mich in meinen Forschungen nicht weiter mit der Zeit in Wien um 1900 beschäftigt, sondern bin bei Le Corbusier wieder eingestiegen. Ich denke aber, dass man Loos nicht gerecht wird, wenn man ihn als altmodisch abstempeln würde. Er ist an der Kippe zwischen traditionell und radikal, wobei seine Texte viel radikaler waren als seine Bauten. Natürlich sind die Räume für Frauen bei Loos auch entsprechend interpretiert worden: etwa das Boudoir in der Villa Müller in Prag, bei dem man gesagt hat, es gleiche einem Haremsraum, aus dem die Frauen den Männern zuschauen dürfen. Aber andererseits darf man nicht vergessen, dass die Auftraggeber von Loos wohl relativ aufgeschlossene, moderne Menschen gewesen sein dürften. Also sollte man sich vor allzu eindeutigen Zuschreibungen hüten.
Von der Forschung wurde in der jüngeren Vergangenheit Loos` sexueller Missbrauch von Minderjährigen aufgearbeitet. Haben Sie die Debatte verfolgt?
Ja, und ich find's extrem wichtig, dass das ans Tageslicht gekommen ist. Damit ist er ja leider auch nicht allein in Wien, es war ein ganzer Kreis, in dem das mehr oder weniger als normal angesehen wurde. Zugleich schmälert das aber nicht sein Werk, finde ich. Das ist davon getrennt zu betrachten.
Welche Aspekte seines Werks beeindrucken Sie am meisten?
Zum einen wie er Materialien einsetzt. Das ist schon unglaublich faszinierend, wenn etwa Holz oder Stein wie eine Tapete wirkt. Zum anderen sein „Raumplan“, also die Tatsache, dass er unterschiedliche Raumhöhen einsetzt. Damit hat er sich weit von der Tradition abgesetzt. Das ist großartig! Denn es ist ein gutes Mittel, um den Wohnbau interessanter zu machen. Es ist nicht einzusehen, warum alle Räume gleich hoch sein müssen. Aber es gibt leider nur wenige Architektinnen und Architekten, die diesen Anstoß von Loos aufgenommen haben. Werner Neuwirth ist zum Beispiel jemand, der das auch kann.
Beim Raumplan geht es aber nicht nur um Raumökonomie, wie das oft verkürzt dargestellt wird …
Natürlich ist es auch ein Mittel für Inszenierung. Ich bin überzeugt, dass es Kanten und Elemente, sozusagen räumliche Anstöße braucht, damit etwas in der Architektur passiert. Man kann Kommunikation auch bauen. Anders als etwa in Holland, wo eher neutral geplant wurde und wird, hat man hierzulande immer getüftelt. Das trifft sich mit dem Phänomen, das Beatriz Colomina ebenfalls beschrieben hat: Der private Raum wird zur Bühne, zum Theaterraum. In der Theaterstadt Wien ist das vielleicht kein Zufall.
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Kommentare
Nierhaus hin, Nierhaus her, vielleicht könnte es sein, dass der Praktiker Loos die Betthöhe so gewählt hat, weil frau (und man) - es ist ja ein Doppelbett - sich angenehmer niederlegen und aufstehen kann. Ad Jungfrau und Opfer: Ich habe nicht gewusst, dass dieses Zimmer nur einmal in Verwendung war ...