Hauptinhalt
Sebastiano Sing in der Startgalerie
Are you ready for Disco?
Paradoxerweise wird gerade in der Schwulenszene die Kluft zwischen HIV-positiven und HIV-negativen Männern immer tiefer – erstere werden von letzteren regelrecht auf die Anklagebank gesetzt und als „schmutzig“ angesehen. So wird man etwa auf Sex Dating Apps häufig mit der Frage „Are you clean?“ konfrontiert, welche Auskunft über sexuell übertragbare Krankheiten geben soll. Das Wort „clean“ impliziert dabei die Existenz des Gegenteils – nämlich „dirty“ oder „unclean“ – das vor allem Menschen meint, die HIV-positiv sind und damit automatisch eine Stigmatisierung erfahren. Sebastiano Sing möchte diese Denkmuster aufbrechen und beschäftigt sich in seiner Arbeit DISCO DESIRES mit der Frage, wie Intimität zwischen einem „clean body“ und einem „unclean body“ aussehen kann.
Disco – abgekürzt für „discordant couple“ – steht neben dem bekannten Nightlife Szenario ebenso für ein Paar, in dem ein/e PartnerIn HIV-positiv und ein/e PartnerIn HIV-negativ ist. Selber HIV-positiv, stellt Sing dabei zusammen mit seinem Partner Robyn/Hugo Le Brigand die eigene Sinnlichkeit dem Phänomen des HIV-Shamings entgegen: „Es geht dabei um Empowerment: My body is desirable – egal welchen gesundheitlichen Status er hat.“ In einer 25-minütigen Performance spannt der Künstler den Bogen von mit HIV assoziierten, gängigen Clichés wie Drogenabhängigkeit, Homosexualität oder „ungezügeltem“ Sexleben, über Stigmatisierung bis hin zu „Life is beautiful“, trotz dem Leben mit HIV. Ergänzend werden einige „Gadgets“ eingesetzt, wie etwa ein spezielles, sich nach Trocknung verfestigendes Gleitgel als Referenz auf Körperflüssigkeiten und Ekel. Die Ausstellung selbst setzt sich in Folge aus dem performativen Setting, Materialresten der Performance und einer Soundinstallation zusammen.
„Problematisch ist, dass sich die meisten Menschen überhaupt nicht mit dem Thema ‚ansteckende Krankheit‘ befassen. Vor allem Teenager oder junge Leute Anfang 20, die bereits mit dem HIV-Medikament aufgewachsen sind, wollen damit nicht in Berührung kommen“, so der Künstler. Im Gegensatz zu früheren Generationen, die etwa in den 80er-Jahren noch miterlebt haben, dass eine HIV-Infektion ein Todesurteil bedeutete, zeige die jüngste Generation wenig bis gar keine Solidarität mit HIV-Betroffenen. Neben einer durch Social Media und Selfie-Hype bedingten Tendenz zur Homogenisierung, trage zu diesem „Twist“ in der Entwicklung, wie Sing es bezeichnet, auch ein gestörtes Verhältnis zu Sexualität im Allgemeinen bei – was u.a. darauf zurückzuführen sei, dass Pornographie heute für jedermann/frau jeden Alters zugänglich ist. Die Tatsache, dass das Thema Aids aus der Öffentlichkeit so gut wie verschwunden ist, sei ebenfalls wesentlich daran beteiligt. Nicht zuletzt spiele zudem die „Schuldfrage“ unbewusst hier nach wie vor eine Rolle, man sei quasi „selbst schuld“, wenn man sich mit HIV infiziere.
Und wie sind die Reaktionen in der Szene auf Sings Kunst, die sich mit dieser komplexen Problematik befasst? „Sehr unterschiedlich. Wien gibt sich einerseits à la „das haben wir doch alles schon längst gesehen“. Besonders in der Kunstszene haben jedoch viele ein Problem mit der Themenstellung.“ So wurde ihm zum Beispiel gesagt, er sei in der falschen Stadt und solle nach Berlin gehen. „Es ist ein Trugschluss, dass wir in einer aufgeklärten, freien Gesellschaft leben“, ist Sing überzeugt, dem immer wieder ein leichtes Aufflackern von Panik in den Augen von Menschen begegnet, sobald sie von seiner HIV-Infektion erfahren. Vor allem im Job sei der Umgang mit der HIV-Infektion nicht immer leicht. Einige seiner Bekannten, darunter Schauspieler und bildende Künstler, würden durch ein „Outing“ ihrer HIV-Infektion deutlich schwieriger Arbeit bekommen, ist sich Sing sicher. Er selber geht seit einiger Zeit offen mit seiner Erkrankung um: „Ich möchte Veränderung in der Gesellschaft bewirken, einen kleinen Beitrag leisten, den Umgang mit HIV zu normalisieren – daher der Entschluss, das Thema in meiner Kunst zu behandeln. Und auch, um nicht mit der Belastung leben zu müssen, es niemandem sagen zu dürfen.“ Nicht Aufklärungsarbeit, sondern Transformation ist dabei sein Ziel: „Die Rezeption passiert natürlich nur in einem gewissen Kreis – man hofft halt, dass es nach und nach auch außen ankommt.“
Sebastiano Sing, geboren 1988 in Tegernsee, Deutschland; lebt und arbeitet in Wien / 2013-2018 Akademie der bildenden Künste, Performative Kunst bei Carola Dertnig / seit 2014 Performances in London, Lissabon, Belgrad, Venedig, München und Wien / Engagements als Performer u.a. bei der Biennale Teatro di Venezia, (2018), Biennale di Venezia (2015), steirischer herbst (2016), Wiener Festwochen (2017), brut wien (2019).
DISCO DESIRES
Konzept, Performance und Setting: Sebastiano Sing
Performer: Robyn/Hugo Le Brigand, Sebastiano Sing
Choreographische Mitarbeit: Robyn/Hugo Le Brigand
Kostüm: Alma Luise Rothacker
Dramaturgische Beratung: Sara Lanner, Peter Kozek
Mit freundlicher Unterstützung durch Huggy Bears, ImPulsTanz - ATLAS create your dance trails und BAU the space.
www.sebastianosing.com
Kommentar schreiben
Kommentare
Keine Kommentare