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Spitäler und Krankenhäuser im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Spital ist nicht gleich Krankenhaus
Spitäler bzw. Krankenhäuser sind mit dem Ausbruch der Coronaepidemie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Im österreichischen und auch im Schweizer Sprachgebrauch werden heutzutage die Begriffe Spital und Krankenhaus synonym verwendet. In der Schweiz ist umgangssprachlich auch von „der“ Spital die Rede. In Deutschland wird statt der Kurzform „Spital“ eher die Langform „Hospital“ benutzt, diese findet jedoch im aktiven Sprachgebrauch nur mehr wenig Anwendung. Im 18. Jahrhundert wurde in Wien jedoch zwischen der damals schon lange geläufigen Bezeichnung „Spital“ und dem neuen Begriff „Krankenhaus“ unterschiedenen.
Spitäler im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit waren nicht das, was wir heutzutage bei uns unter einem Spital verstehen. Das Wort „(Ho-)Spital“ leitet sich vom lateinischen Wort für „gastfreundlich“ („hospitalis“) ab. Die ersten mittelalterlichen Spitäler waren – so auch in Wien – von Klöstern oder Ordensgemeinschaften betriebene Pilger- und Fremdenherbergen. Ab dem 13. Jahrhundert wurden in unserem Raum in Städten und Märkten die ersten kommunalen Spitäler gegründet, die oftmals die Bezeichnung „Bürgerspital“ trugen. Diese waren meist multifunktionale Armenfürsorgeeinrichtungen und betreuten unterschiedliche Gruppen an Bedürftigen: vor allem alte und beeinträchtigte Menschen, aber auch Kranke und Verletzte, Schwangere und Wöchnerinnen, Findel- und Waisenkinder, Pilgernde und Reisende. Die Bereitstellung einer Unterkunft, einer Verpflegung sowie einer geistlichen Betreuung waren die wichtigsten Fürsorgeleistungen dieser Institutionen, während die medizinische Versorgung in der Regel nicht im Vordergrund stand. In Wien erfolgte die Gründung des Bürgerspitals um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Es lag vor dem Kärntnertor im Bereich des heutigen Karlsplatzes auf der linken Seite des damals dort noch oberirdisch verlaufenden Wienflusses. Gegenüber auf der anderen Seite des Flusses lag das etwas ältere Heiligengeistspital, das kurz nach 1200 der damalige Landesfürst Leopold VI. gemeinsam mit seinem Kaplan und Leibarzt gegründet hatte.
Daneben gab es in Städten und Märkten oftmals noch ein sogenanntes Leprosorium oder Sondersiechenhaus etwas abseits der Siedlung, in dem Menschen mit ansteckenden, vor allem lepraartigen Krankheiten isoliert wurden. In Wien erfolgten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gleich drei solcher Gründungen: St. Hiob zum Klagbaum (4.), St. Lazar bzw. St. Marx (Markus) (3.) und St. Johannes in der Siechenals (9.). In der Folge kamen weitere Fürsorgeeinrichtungen hinzu, darunter etwa das sogenannte Büßerinnenhaus zu St. Hieronymus (1., an der Stelle des heutigen Franziskanerklosters), in dem ehemalige Prostituierte Aufnahme fanden.
Die Erste Osmanische Belagerung von 1529, bei der vor der Stadt gelegene Einrichtungen größtenteils zerstört wurden, stellte für die Wiener Spitallandschaft einen großen Einschnitt dar. Von den rund zehn Einrichtungen überlebten längerfristig nur das Bürgerspital sowie die beiden Siechenhäuser Klagbaum und St. Marx. Das Bürgerspital änderte damals seinen Standort und übersiedelte in die ummauerte Stadt in das verlassene Klarissenkloster, wo es sich bis zu den Reformen Josephs II. in den 1780er Jahren befand. Es beanspruchte ein riesiges Areal mit vielen Höfen, das sich nach heutigen Begriffen zwischen Kärntner Straße, Hotel Sacher, Albertina, Lobkowitzplatz, Gluckgasse und Neuem Markt erstreckte.
Das Wiener Bürgerspital war in der Frühen Neuzeit das mit Abstand größte Bürgerspital auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Anders als viele andere derartige Einrichtungen war es schon früh auch auf die Behandlung Kranker ausgerichtet. Das Wort „krank“ selbst erlebte vom Mittelalter hin zur Frühen Neuzeit eine Bedeutungsverschiebung: Zunächst stand es noch für „schwach“ oder „kraftlos“, während für krank im heutigen Sinn das Wort „siech“ verwendet wurde. Um 1500 hatten die beiden Wörter bereits weitgehend ihre Bedeutung getauscht. Schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war ein Wundarzt, also ein handwerklich ausgebildeter Arzt, im Wiener Bürgerspital tätig. Die dauerhafte Anstellung eines akademisch ausgebildeten Arztes (im 16. Jahrhundert „Doktor“, im 17. Jahrhundert auch „Medikus“ und im 18. Jahrhundert „Physikus“ genannt) begann Anfang des 17. Jahrhunderts. Davor hatten Mitglieder der Medizinischen Fakultät der Universität das Bürgerspital abwechselnd betreut, was aber zwischen dem Spital und der Fakultät immer wieder zu Konflikten führte.
Im Bürgerspital kämpften in den 1660er Jahren, für die erstmals Aufnahmeverzeichnisse vorliegen, über 90 % der aufgenommenen Männer und knapp 70 % der aufgenommenen Frauen mit einer Krankheit. Von den restlichen Frauen wurden fast 30 % wegen einer bevorstehenden oder – in weniger Fällen – knapp zurückliegenden Geburt aufgenommen. Daneben fanden im Bürgerspital auch alte und beeinträchtigte Menschen, Kinder und Pilger/-innen Aufnahme.
Die Wurzeln von Spezialeinrichtungen für die Versorgung Akutkranker liegen neben größeren multifunktionalen Spitälern und den Leprosorien vor allem in den in unserem Raum um 1500 aufkommenden Pest- und Syphilisspitälern. Dies lässt sich auch für Wien beobachten. Nach der Osmanischen Belagerung von 1529 entstand auf den Ruinen des zerstörten Siechenhauses St. Johannes in der Siechenals das Pestlazarett, für das das Bürgerspital zuständig war und das immer nur zu Pestzeiten seine Tore für Pestkranke öffnete. Das Siechenhaus St. Marx wandelte sich um die Zeit der Belagerung in ein Syphilisspital („Blatternhaus“). Diese Veränderungen in Bezug auf die Verwendung der Siechenhäuser stehen mit dem Rückgang an lepraartigen Krankheiten zur damaligen Zeit in Zusammenhang. Einzig das Siechenhaus Klagbaum mit seinen immer nur zwölf Bewohner/-innen verharrte bis in die 1780er Jahre in seinem mittelalterlichen Zustand und wurde bereits im 18. Jahrhundert als etwas aus der Zeit Gefallenes wahrgenommen.
Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts lagerte das Bürgerspital die Kranken zunehmend in Filialen aus, die mit einer Ausnahme vor den Stadtmauern in den weniger dicht besiedelten Vorstädten lagen. Dafür diente zum einen das um die Mitte des 17. Jahrhunderts als Quarantäneeinrichtung erbaute sogenannte Bäckenhäusel in der Währinger Straße gegenüber dem Pestlazarett. Bis zu einer Vergrößerung des Bäckenhäusels 1708/09 wurde als Ausweichquartier für Kranke zeitweise auch das Parzmayerische Haus im Tiefen Graben in der Stadt (1.) genutzt. Neben dem Bäckenhäusel stand für Kranke im 18. Jahrhundert das Spital St. Marx in Verwendung, das gemeinsam mit Klagbaum 1706 dem Bürgerspital eingegliedert wurde.
Für die hauptsächlich der Krankenversorgung dienenden Filialen taucht in den Quellen Anfang des 18. Jahrhunderts erstmals die damals neuartige Bezeichnung „Krankenhaus“ auf. Im Hauptgebäude des Bürgerspitals in der Stadt waren nach den Auslagerungen nur noch alte und beeinträchtigte Menschen sowie eine zunehmende Anzahl an Kindern, vor allem kleine Findelkinder, zu finden.
Im Verlauf der Frühen Neuzeit entstanden in Wien auch abseits des Bürgerspitals andere Einrichtungen, die hauptsächlich oder zumindest zu einem großen Teil der Krankenversorgung dienten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde im Unteren Werd, der heutigen Leopoldstadt (2.), das Spital (später auch Krankenhaus genannt) der Barmherzigen Brüder gegründet, das allein auf die Behandlung Kranker, allerdings nur männlicher, ausgerichtet war. Als weibliches Pendant errichteten die Elisabethinen Anfang des 18. Jahrhunderts eine Niederlassung auf der Landstraße (3.). Der stationären, aber auch ambulanten Versorgung unbemittelter Kranker diente das 1737 durch Kaiser Karl VI. gegründete Dreifaltigkeitsspital am Rennweg (3.). Das Dreifaltigkeitsspital wurde 1753/54 mit dem etwas älteren Spanischen Spital (Gründung 1717/18) an dessen Standort neben dem Bäckenhäusel (9.) zusammengelegt. Das Spanische Spital hatte seinen Namen davon, dass es vor allem für Personen „welscher“, niederländischer und spanischer Herkunft zuständig war.
Die Unterscheidung zwischen Spital und Krankenhaus verdeutlich eine Quelle aus der Zeit um 1720. Damals waren die beiden Krankenhäuser des Bürgerspitals, das Bäckenhäusel und St. Marx, mit vielen Kranken überlastet. Die anderen bestehenden Einrichtungen für Kranke konnten viel weniger Patientinnen und Patienten aufnehmen. Die Bezeichnung „Patient“, die sich vom lateinischen Wort „patiens“ (Partizip Präsens Aktiv von „pati“ = erdulden, leiden) ableitet, kommt im Kontext des Bürgerspitals übrigens erstmals Ende des 17. Jahrhunderts vor. Aufgrund der hohen Auslastungen der Krankenhäuser regte die Niederösterreichische Regierung 1720/21 die Gründung eines neuen „Universalkrankenhauses“ an.
In einer eingeholten Stellungnahme gab das Bürgerspital zu bedenken, dass aufgrund der im Allgemeinen fehlenden Platzkapazitäten wahrscheinlich nicht nur „kurable“ Kranke, sondern auch viele mit langwierigen, „inkurablen“ Krankheiten aufzunehmen und die geplante neue Einrichtung daher „ehender ein spital alß ein krankhenhauß“ sein werde. Ein Spital, worin (unter anderem) Personen mit als nicht bzw. kaum mehr behandelbar eingestuften Krankheiten untergebracht werden, wird hier deutlich von einem Krankenhaus zur Versorgung akut kranker Patientinnen und -patienten geschieden.
Zur Errichtung eines solchen Universalkrankenhauses sollte es in Form des Allgemeinen Krankenhauses jedoch erst rund 60 Jahre später im Rahmen der Reformen Josefs II. kommen. Ziel seiner Neuerungen war es, die bis dahin auf viele verschiedene Einrichtungen verstreuten unterschiedlichen Gruppen an Bedürftigen in Spezialeinrichtungen zu bündeln und bisherige Institutionen aufzulassen oder umzuwidmen. Dazu gründete er 1784 das „Hauptspital“, das aus fünf verschiedenen Teilen bestehen sollte: dem Allgemeinen Krankenhaus, dem Gebärhaus, dem „Tollhaus“ (heute „Narrenturm“), dem Findelhaus und mehreren Siechen- oder Versorgungshäusern. Auch hier zeigt sich eine differenzierte Verwendung der Begriffe „Spital“ und „Krankenhaus“: das „(Haupt-)Spital“ war das Ganze, das Krankenhaus nur ein Teil davon.
In Bezug auf Letzteres ist anfänglich auch vom „Allgemeinen Krankenspital“ die Rede, wobei hier der mehrdeutige Begriff „Spital“ durch die vorangestellte Ergänzung in seiner Bedeutung beschränkt wird. In der Bezeichnung „Siechenhäuser“, in denen alte und beeinträchtigte Menschen Aufnahme fanden, spiegelt sich wiederum die veränderte Bedeutung des Wortes „siech“ wider. Administrativ und auch räumlich zusammengefasst wurden schließlich zumindest anfänglich nur die ersten drei der genannten fünf Teile, für die sich die gemeinsame Bezeichnung „Allgemeines Krankenhaus“ durchsetze.
Das Bürgerspital verlor durch die Reformen den größten Teil seiner Aufgaben und war von da an nur mehr für einen kleinen Teil der bisher betreuten Personen zuständig: alte und beeinträchtigte Bürger mit Bürgerrecht sowie deren Angehörige. Diese wurden im zum Bürgerversorgungshaus umfunktionierten Spital St. Marx untergebracht oder erhielten außerhalb der Einrichtung eine regelmäßige finanzielle Unterstützung. Das frühneuzeitliche Bürgerspital bildet mit seinen Filialen jedoch die wichtigste Vorgängereinrichtung der neuen Spezialeinrichtungen für Kranke, Gebärende, „Narren“ bzw. „Irre“ sowie Findelkinder. Abgesehen vom Allgemeinen Krankenhaus, dem heutigen Universitätscampus bzw. Altem AKH, sowie den heute noch bestehenden Spitälern der Barmherzigen Brüder und der Elisabethinen (Letzteres seit Kurzem Teil des Franziskus Spitals) sind die erwähnten Einrichtungen gegenwärtig im Stadtbild kaum mehr präsent.
Dass es durch die Reformen Josephs II. zu einer Trennung der Armen- von der Krankenfürsorge gekommen sei, wie in der Literatur oft zu lesen ist, trifft den Nagel nicht ganz auf den Kopf. Wie auch das Bürgerspital und seine Filialkrankenhäuser wurde das Allgemeine Krankenhaus größtenteils nur von wenig bis gar nicht bemittelten Kranken aufgesucht. Wer es sich irgendwie leisten konnte, ließ sich weiterhin zuhause versorgen. Die Finanzierungsprobleme des Allgemeinen Krankenhauses in der Anfangszeit beruhten unter anderem darauf, dass viel mehr zahlungskräftige Patientinnen und Patienten erwartet worden waren als schlussendlich kamen.
Es sollte noch bis in das 20. Jahrhundert hinein dauern, bis sich in den Patientinnen und Patienten die allgemeine soziale Struktur der Bevölkerung widerspiegelte. Daher ist es sinnvoller, hinsichtlich der 1780er Jahre davon zu sprechen, dass sich die institutionelle Armenfürsorge durch die Gründung von Spezialeinrichtungen stärker als in der Zeit davor in Einrichtungen mit medizinischer Ausrichtung und in solche mit anderen Schwerpunkten aufspaltete. Heute kann etwa auch in Bezug auf die aus den Siechen- bzw. Versorgungshäusern hervorgegangenen Alten- und Behindertenheime nicht mehr von Armenfürsorgeeinrichtungen gesprochen werden.
Weiterführende Informationen zum Bürgerspital und zu den anderen erwähnten Institutionen und Orten gibt's auf Wien Geschichte Wiki.
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Kommentare
Ein sehr interessanter Bericht ueber den .werdegang von Spitaelern in Wien. Danke!