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Klemens Renoldner, 21.2.2022

Stefan Zweigs Abschied von Europa

„Der Sieg der Gewalt macht mich heimatlos“

Stefan Zweig verließ schon 1933/34 – also einige Jahre vor dem „Anschluss“ – seine Heimat Österreich. Im Exil entstanden bedeutende Werke wie „Die Welt von gestern“ oder „Schachnovelle“. Nach Jahren in London versuchte der Schriftsteller ab 1941 einen Neuanfang in Brasilien. Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 22. Februar auf den 23. Februar 1942, nahm er sich dort, gemeinsam mit seiner Frau Lotte, das Leben.

„Ich habe die stärkste Abneigung, Emigrant zu werden, [...] denn ich weiß, dass alles Emigrantentum gefährlich ist; man macht dadurch die Zurückgebliebenen zu Geiseln und erschwert ihnen das Leben.“

(Stefan Zweig in einem Brief an Frans Masereel, 15. April 1933)

Eine Vortragsreise Anfang des Jahres 1939 in siebzehn nordamerikanische Städte führt Stefan Zweig auch nach Chicago. Hier gibt er der deutschsprachigen Zeitung »Volksfront«, dem offiziellen Organ des deutsch-amerikanischen Kulturverbandes, ein Interview. Stefan Zweig lebt zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre im englischen Exil, seit zehn Monaten existiert Österreich nicht mehr.

Unter welchen Bedingungen Literatur im Exil entstehe, wird der österreichische Schriftsteller in Chicago gefragt. Zweig antwortet, er sei überzeugt, dass sich in einer künftigen Literaturgeschichte nur diejenigen Werke behaupten werden, die eine Bereicherung für die deutsche Sprache darstellen würden. Es werde keine Rolle spielen, an welchem Ort die Bücher geschrieben wurden, im eigenen Land oder in einem anderen. Im Exil, sagt Zweig, könne man den paradoxen Umstand beobachten, dass die künstlerischen Kräfte durch eine äußere Bedrückung manchmal eher gesteigert als vermindert werden. Oft seien es gerade die Werke, die im Exil entstanden sind, welche für die jeweilige Nationalliteratur eine zentrale Bedeutung haben. Als Beispiele nennt er Ovids Briefsammlung „Tristia“ und Dantes „Divina Commedia“, er verweist auf Romane Victor Hugos und, aus seiner unmittelbaren Gegenwart, auf Thomas Mann.

Auch die beiden letzten im Exil entstandenen Werke Stefan Zweigs darf man wohl eine „Bereicherung für die deutsche Sprache“ nennen: seine Erinnerungen „Die Welt von Gestern“ und die „Schachnovelle“. Beide haben bis heute sowohl für die Leser als auch im akademischen Diskurs einen hohen Rang. Bei der Beurteilung seines Vermächtnisses und beim Blick auf das Gesamtwerk stehen sie in der vordersten Reihe. Aber auch die übrigen Werke, die Zweig in den acht Jahren seines Exil geschrieben hat, sind nicht vergessen: die beiden Studien zur Reformationsgeschichte „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ (1934) und „Castellio gegen Calvin, oder: Ein Gewissen gegen die Gewalt“ (1936), in denen Zweig auch die Verantwortung des Intellektuellen in seiner Zeit diskutiert; die Biographie „Maria Stuart“ (1935); der einzige zu Lebzeiten publizierte Roman „Ungeduld des Herzens“ (1939); die biographischen Arbeiten über die Seefahrer Magellan (1938) und Amerigo Vespucci (1942) sowie der Gegenentwurf zur verlorenen „Welt von Gestern“, das Buch „Brasilien – Land der Zukunft“ (1941).

Im Nachlass des Autors fanden sich auch zwei unvollendete Romane („Rausch der Verwandlung“ und „Clarissa“) sowie weitere Manuskripte von biographischen Arbeiten, die ebenfalls Fragment geblieben sind: Zweigs großes Balzac-Projekt in zwei Bänden und seine Studie über Montaigne.

Glücklich in der British Library

Am 19. Februar 1934 steigt Stefan Zweig in Salzburg in einen Zug, der ihn nach Paris bringen sollte. Frankreich war, wie er in der Welt von Gestern bekennt, seine zweite Heimat. Aber der Abschied aus Österreich folgt keineswegs einem spontanen Entschluss. Schon während der Herbstmonate des Jahres 1933 hatte der Autor nicht mehr in Salzburg, sondern in London gelebt. Die während dieser Wochen begonnene Arbeit an einer Biographie der schottischen Königin Maria Stuart erfordert einen weiteren Arbeitsaufenthalt in der britischen Hauptstadt. Wie glücklich ihn das konzentrierte Arbeiten im Kuppelsaal der British Library mache, lässt er Freunden in Briefen wissen.

Dass aus der zweiten Londoner Recherchephase schließlich ein mehr als sechsjähriger Aufenthalt in Großbritannien werden sollte, hat nicht nur, wie oft angenommen wird, mit jener demütigenden Hausdurchsuchung zu tun, die am 18. Februar 1934 in seiner Villa am Salzburger Kapuzinerberg durchgeführt wurde. Die Suche nach Waffen im Haus des weltberühmten Pazifisten Stefan Zweig war lediglich eine Provokation. Tatsächlich hatte der gedemütigte Autor seinen Abschied aus Salzburg schon geplant, die Hausdurchsuchung liefert ihm nun ein letztes Argument.

Erniedrigungen in Österreich

Auch wenn Stefan Zweig, was uns heute manchmal unverständlich erscheint, in politischen Dingen oft ängstlich reagiert, Konfrontationen, die nötig wären, vermeidet und sich gerne auf eine gewissermaßen überpolitische Position zurückzieht, so hat er doch die Verhältnisse jener Jahre genauestens beobachtet und in Briefen an Freunde unverblümt kommentiert. (Wer sich für den „politischen Stefan Zweig“ interessiert, lese etwa die beiden Bände des Briefwechsels mit einem seiner engsten Freunde, dem französischen Schriftsteller Romain Rolland.) Die politischen Umstände betreffen ihn ja auch unmittelbar: Adolf Hitler ist seit 1933 in Deutschland an der Macht – das bedeutet für alle Künstler, die nicht im Sinne der Nationalsozialisten tätig sind, ein Arbeits- und Publikationsverbot. Für jüdische Bürger und für politische Oppositionelle bedeutet es schließlich auch Lebensgefahr. Die Diktatur führt dazu, dass mit einem Mal alle Institutionen des Literatur- und Theaterbetriebs in Deutschland für den äußerst produktiven Autor Zweig versperrt sind. Der angesehene Leipziger „Insel-Verlag“, in dem Zweigs Bücher seit 1906 erschienen, in dem er ungezählte Editionen von Werken europäischer Schriftsteller herausgegeben, übersetzt und angeregt hat, ist für künftige Pläne kein Partner mehr. Anton Kippenberg, der Leiter des Verlags, hat Mühe, wenigstens einige der älteren Titel Zweigs vor dem sofortigen Verschwinden aus den Buchhandlungen zu bewahren.

Das Jahr 1933 bedeutet für Stefan Zweig auch, dass er das deutschsprachige Publikum nicht mehr erreichen kann. Da seine Leserschaft nicht klein war, geht damit auch ein enormer finanzieller Verlust einher. Die deutschen Theater spielen seine Stücke nicht mehr, womit zudem Zweigs Einkünfte aus den Tantiemen entfallen. Von 1934 bis 1938 werden seine Bücher nun in wesentlich kleineren Auflagen im Herbert Reichner-Verlag in Wien erscheinen. Nach dem 12. März 1938 ist der Buchmarkt für Stefan Zweig aber auch in Österreich verschlossen.

Antisemitische Atmosphäre in Salzburg

Wenn man über Zweigs Abschied aus Österreich in den Jahren 1933/34, also schon vier Jahre vor der Okkupation durch die deutsche Wehrmacht, nachdenkt, muss auch vom Antisemitismus die Rede sein. In Salzburg hatten es jüdische Künstler nie leicht, den antisemitischen Spott, der ihnen aus der Bevölkerung und aus Zeitungen und Broschüren entgegenkam, zu ignorieren. Selbst so renommierte Persönlichkeiten der Salzburger Festspiele wie der Regisseur Max Reinhardt, der Schauspieler Alexander Moissi und der Dirigent Bruno Walter blieben von diesen Angriffen nicht verschont. Aus Scham hat man über diese Erniedrigungen meist geschwiegen. Er habe unter der antisemitischen Atmosphäre in Salzburg sehr gelitten, wird Stefan Zweig seinem Freund Romain Rolland anvertrauen. Aber dieser Brief stammt vom 1. Mai 1938 und wurde in London geschrieben. Einen Tag zuvor, am 30. April 1938, fand am Salzburger Residenzplatz eine Bücherverbrennung statt, bei der auch Zweigs Bücher verbrannt wurden. Ein Gymnasiast rief: „Ins Feuer werf ich das Buch des Juden Stefan Zweig, dass es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe. Frei erheb sich, geläutert, der deutsche Geist!“ Zweig ist zutiefst getroffen und verstört, dass dies in „seiner“ Stadt möglich war.

Natürlich hat der Abschied aus Österreich mit den politischen Umständen im »Dritten Reich« zu tun, mit dem deutschnationalen Getue und dem Antisemitismus in Salzburg, mit dem Ende der Demokratie und dem Bürgerkrieg in Österreich. Die Februarkämpfe im Jahr 1934 sind für Zweig ein unmissverständliches Zeichen, dass der Faschismus auch in Österreich die bürgerlichen Freiheiten abschaffen werde. Am 14. Februar 1934 schreibt er an Romain Rolland: „Dies ist das Ende Österreichs, denn es hat sich selber verraten. [...] Mit anzusehen, wie ein Volk, ein Land, das den großen Kampf gegen das Hitlertum fast allein zu bestehen hat, sich selber mordet, indem es Idioten bewaffnet!“

Zweigs Abschied von Salzburg im Februar 1934 hat aber auch private Gründe. Das Zusammenleben mit Ehefrau Friderike und ihren beiden Töchtern aus erster Ehe war, was auch die vielen und ausgedehnten Reisen und Auslandsaufenthalte Zweigs erahnen lassen, schwierig. Schon vor seinem fünfzigsten Geburtstag (1931) schreibt er an Freunde, dass er einen dringlichen Wunsch habe, sich noch einmal neu zu erfinden. Er wolle noch einmal ungebunden wie zu Studentenzeiten leben, die Verpflichtungen des erfolgreichen Autors abschütteln und noch einmal „von vorne“ beginnen. London, eine Stadt, in der er keine Freunde hat, scheint ihm für diesen Neubeginn der ideale Ort. Immerhin: Mit Freunden konnte man sich auch in Frankreich, Italien, in der Schweiz und bis zum März 1938 auch in Österreich verabreden.

„Ersatz-Salzburg“ im englischen Bath

Sechs Jahre lebt Zweig in England. Erst im Herbst 1937 wird das Salzburger Haus verkauft, die Ehe mit Friderike wird 1938 geschieden. Ein Jahr später, im Sommer 1939 kauft er im englischen Kurort Bath erneut ein großes Haus mit Garten, ein „Ersatz-Salzburg“, wie er es nennt. Und Zweig heiratet ein zweites Mal: seine Sekretärin, die aus Frankfurt stammende jüdische Emigrantin Elisabeth Charlotte Altmann, 26 Jahre jünger als er. Beide nehmen sie die britische Staatsbürgerschaft an. Nicht einmal ein Jahr gemeinsamen Lebens ist ihnen in ihrem Haus „Rosemount“ in Bath vergönnt. Nach der Besetzung Frankreichs erwarten die Engländer den Überfall durch Hitlers Armeen. Am 25. Juni 1940 verlassen Stefan und Lotte Zweig auf dem Passagierschiff „Scythia“ den Kontinent. Auf den Abschied aus Österreich folgt der Abschied von Europa.

Am 11. Juli 1940, nach seiner Ankunft in New York, schreibt Stefan Zweig in einem Brief an Richard Beer-Hofmann: „Der Sieg der Gewalt macht mich heimatlos. So bin ich mit meiner kleinen Klugheit (so wie im Februar 1934 aus Österreich) rechtzeitig von England fort, alles hinter mir lassend, was Besitz war, und sogar das halbfertige Manuskript der Balzac-Biographie, an der ich seit Jahren arbeite, und irre jetzt mit einem Transitvisum, hier in den USA eingelassen und fortgetrieben, nach Südamerica zu Vorlesereisen, die ich nicht mag. Werde ich je zurückkehren können? Werde ich es dürfen, werde ich es wollen? Aber ich frage schon nicht mehr, ich lasse mich treiben, nur von einem Gedanken beseelt, nicht diesem braunen Burschen in die Hände zu fallen.“

Die letzten eineinhalb Jahre ihres Exil-Lebens verbringen Lotte und Stefan Zweig abwechselnd in den USA und in Lateinamerika. Die Erwägungen, an welchem Ort man sich niederlassen könnte, wechseln. Immer wieder ist in den Briefen auch die Rede von dem Wunsch, nach Europa zurückzukehren. In der brasilianischen Stadt Petrópolis bezieht das Ehepaar Mitte September 1941 ein neues Quartier. Aber die Entscheidung für das Exilland Brasilien, dessen Sprache das Ehepaar Zweig nicht beherrscht, die Isolation und Hitlers weltumspannende Kriegserfolge, die nun nicht nur die USA, sondern bald auch Brasilien betreffen könnten, führen zu schweren Depressionen. In der Nacht von 22. auf 23. Februar 1942 nehmen Lotte und Stefan Zweig eine Überdosis Veronal. Gegen den im Testament geäußerten Wunsch, in Rio de Janeiro im kleinsten Kreis von Freunden begraben zu werden, wird von der Regierung ein Staatsbegräbnis in Petrópolis verordnet.

Dies ist die gekürzte Version eines Beitrages zum Katalog „Abschied von Europa“ (Herausgegeben von Klemens Renoldner), der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Theatermuseum 2014 erschienen und mittlerweile vergriffen ist. Wir danken dem Autor und dem KHM Museumsverband für die Genehmigung zur Publikation, Frau Tanja Stigler (Theatermuseum) sei besonders gedankt für die unkomplizierte Unterstützung dieses Vorhabens. Dem Stefan Zweig Zentrum in Salzburg danken wir für Fotos zu diesem Beitrag. Das Zentrum zeigt eine Dauerausstellung zu Stefan Zweig in Salzburg und publiziert u.a. die Schriftenreihe zweighefte, die auch als PDF downloadbar ist. Im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ist noch bis 4. September 2022 die Sonderausstellung „Stefan Zweig. Weltautor“ zu sehen. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg und dem Literaturarchiv Salzburg.

Klemens Renoldner, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller; Studium von Literatur und Musik in Salzburg und Wien, Dr. phil. Seit 1980 Engagements als Dramaturg an Theatern in Österreich, Deutschland und der Schweiz, von 1998-2002 Schauspieldirektor und Regisseur an den Städtischen Bühnen von Freiburg im Breisgau. Von 2002 bis 2008 Kurator für Literatur und Wissenschaft am Österreichischen Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin. Lehrtätigkeit an Universitäten in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz, Vortragstätigkeit in mehreren europäischen Ländern, Nord- und Südamerika, Russland und China. Von 2008 bis 2018 Direktor des Stefan Zweig Zentrum der Universität Salzburg. Seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums. Zahlreiche Publikationen zu Stefan Zweig. Mitherausgeber des Stefan-Zweig-Handbuches im de Gruyter-Verlag, Berlin (2018). Gemeinsam mit Werner Michler Herausgeber der neuen Salzburger Stefan Zweig Ausgabe (Edition des erzählerischen Werks in sieben Bänden) im Zsolnay-Verlag Wien.

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