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Street Art am Bauzaun
Die Stadt als Leinwand
Wann habt ihr angefangen, wie habt ihr angefangen und wieso?
Mir ist mit 14 eine Sprühdose in die Hände gefallen, die habe ich entleert und hatte großen Spaß dabei. Dann habe ich langsam in Graffiti hineingefunden und mit 19 eine Ausbildung zum Theatermaler angefangen und das hat dann den Graffitihorizont in die künstlerische Richtung erweitert.
Bei dir kam also zuerst die Sprühdose und danach das Atelier?
Ja, tatsächlich erst lange danach. Aber Kritzeln und Zeichnen ist natürlich die Grundlage von allem.
Ja, und man muss den Reiz, die Lust verspüren auch mal über das Papier drüber zu schmieren… Zum ersten Mal bin ich 2008, als ich zum Studieren nach Wien gezogen bin, am Kanal in Kontakt mit Graffiti gekommen. Der Kanal war bei weitem noch nicht so bemalt wie jetzt, da gab es viele freie Flächen. Ich war fasziniert davon, hatte aber keine Informationen – was, wie, wer und darf man das? Auf der Kunstuni habe ich dann Sprüher kennengelernt und dachte mir, die schnappst du dir jetzt! Dann bin ich ihnen ein paar Monate hinterhergelaufen und war lästig und irgendwann an einem Februartag bei -12 Grad haben sie mich endlich in eine nach Urin stinkende Linzer Unterführung mitgenommen. Und da wusste ich – das ist es! Seither bin ich autodidaktisch unterwegs.
Lange bevor eine künstlerische Malerei- und Grafikambition da war, schon in der Volksschule und Unterstufe, hat mich Graffiti interessiert. Graffiti tauchte an Stellen auf, wo ich mir nicht erklären konnte, wie es da hingeraten ist – ganz abgesehen davon, wie man es dann macht. Für mich war das ein Pubertätsmoment mit rebellischem Beigeschmack. Eine Leidenschaft, die immer intensiver geworden ist. Erst in der Umbruchsphase, da war mein erstes Kunststudium schon vorüber, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass sich die zwei Schienen - das Arbeiten im Atelier und das Arbeiten auf der Straße - auch ästhetisch näher gekommen sind. Wobei ich der festen Überzeugung bin, dass das Hin und Her, die Wechselwirkung zwischen riesigem Format und feingliedriger Grafik, sich gegenseitig anregen und erweitern.
Braucht es Mut, auf öffentlichen, großen Flächen zu malen?
Am Anfang kann einen das auch ängstigen, aber ich sehe es eher als Herausforderung.
Bei der Wandmalerei ist das sich langsame Hochtasten in den Formaten sehr entscheidend. Vom Überwindungsmoment her ist man mit der Zeit geschult. Sobald man mit irreversiblen Zeichenmedien, wie Tusche, Feder, Kugelschreiber arbeitet, oder sich hochwertiges Papier leistet und weiß, da habe ich jetzt nicht 100.000 Blatt, sondern nur vier zur Verfügung, überlegt man auch kleinformatig bei jedem Strich wie man ihn setzt.
Wie es bei der Druckgrafik eine Zeit lang dauert, bis das spiegelverkehrte Denken internalisiert ist, genauso hat zu Beginn bei Wänden das immer wieder ein paar Schritte Abstand nehmen 2/3 meiner Zeit gefressen. Irgendwann hat man es aber intus, dann ist es egal ob die Wand zwei Meter, sechs Meter oder sechzig Meter lang ist.
Es ist ein körperliches Spüren, wenn man vor der Wand steht und arbeitet. Der Körper, die Gestik weiß, was man tut. Das zurück treten machen wir alle trotzdem noch, aber weitaus weniger als am Anfang. Es ist das Muskelgedächtnis – man lernt die Spannweite seiner Arme kennen, welche Ausfallschritte man machen kann und was damit an Bewegung möglich ist.
War der Größe-Aspekt mit eine Motivation das Atelier zu verlassen?
Für mich auch. Ich habe vorher schon angefangen auf 2x3 Meter Leinwänden zu arbeiten, die ich im Atelier ausgebreitet habe. Da habe ich schon gemerkt, eigentlich mag ich es nicht, dass die Leinwand begrenzt ist... Es ist aber auch das Format – es ist nicht immer rechteckig, es gibt Schrägen und Ecken mit denen man umgehen muss, verschiedene Untergründe. Der Kanal z.B. bietet unterschiedliche Formate die man bespielen kann, von Säule bis Brückenpfeiler.
Auch das Surrounding, die Umgebung, die Architektur sind wesentlich.
Welchen Unterschied macht der Öffentlichkeitsaspekt?
Privat und öffentlich ist auf jeden Fall ein Unterschied. Das Grünthema ist bei großflächigen Arbeiten aus vielen Gründen spannend für uns. Auch Farbpsychologisch. Es ist auch etwas, das Städte selten schaffen – einen Ausgleich zwischen Stadt und Natur zu schaffen. Im Atelier macht man natürlich auch völlig andere Sachen, die sich schwer verkaufen ließen. Es passiert viel, das unter Verschluss bleibt. Wir haben zum Beispiel vor zwei Jahren bei einer Wanderung ein paar Hirschleichen in unterschiedlichen Verwesungszuständen gefunden. Dazu haben wir eine kleine Serie gemacht – die aber bis heute kein Mensch gesehen hat. Es war makaber, aber wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt. Man könnte das auch im öffentlichen Raum machen, aber warum? Möchte man das hinterlassen oder lieber eine kleine Oase?
Zu beobachten, dass Werke im öffentlichen Raum wirklich wertgeschätzt und respektiert werden, ist die schönste Belohnung. Es ist die Dankbarkeit des Mediums – bei einer Ausstellung ist man darauf angewiesen, dass Künstlerkolleg*innen kritisches Feedback geben und so etwas ist rar gesät! Im öffentlichen Raum ist es unmittelbar, du kriegst sofort mit ob es den Leuten taugt oder nicht!
Wie wichtig ist euch, dass es den Leuten taugt?
Wenn wir im Öffentlichen Raum arbeiten und wissen eine Wand bleibt länger, versuchen wir etwas – unter Anführungszeichen – Schönes zu hinterlassen. Das ist natürlich Geschmackssache und manche Leute finden bestimmt kitschig, was wir machen. Aber das ist ein Anspruch den wir an uns haben, dass wir einen Ort aufwerten möchten. Und dann macht sie (Video) noch etwas mit Augen dran… Egal ob gute Technik, gute Farben – etwas Abstraktes wird nie so gut ankommen wie ein figürliches Element.
Das ist nicht der Grund für mich das zu machen, aber es hat sich herausgestellt, dass Augen funktionieren. Der Mensch braucht ein Gegenüber.
Du würdest aber nicht sagen, dass der Wunsch, dass die Wand gefällt, deine Arbeit anders beeinflusst?
Am Ende des Tages muss ich zufrieden sein – das ist man eh selten genug, weil man selbst immer der größte Kritiker ist.
Es kommt sehr darauf an, wo man malt. Und ob es eine permanente Fläche ist, oder eine legale Fläche auf der man experimentieren und Dinge ausreizen kann. Was ich unterstellen würde ist auch, dass das Klientel, das den Karlsplatz besucht noch einmal ein anderes ist als zum Beispiel im Karl-Wrba-Hof, einem fast hermetisch abgekapselten Gemeindebau. Da gibt es Leute, die jahrzehntelang die Wohnsiedlung nicht verlassen. Da habe ich das Gefühl, da gibt es andere Ressentiments aber auch andere Aha-Erlebnisse, als am Karlsplatz, in der Nähe vom 1. Bezirk, in Museumsnähe. Am Karlsplatz wiederum macht die Diversität des Publikums einen Reiz aus.
Stichwort Gemeindebau – du arbeitest für die Stadt Wien an Gemeindebauprojekten und erarbeitest in Workshops mit Bewohner*innen Ideen für die Wandgestaltung …
Das Grundprinzip sind Ideenfindungssessions mit Bewohner*innen, die Begriffe, Skizzen oder andere Inputs einbringen und dann später mit Hand anlegen können – der Gemeinschaftsmoment ist wesentlich. Wichtig ist auch, die Kids hier mit an Bord zu kriegen. Die sind es auch, die dann später entweder etwas übersprühen oder das Bild vielleicht sogar verteidigen…
Wie ist das Feedback der Szene? Gibt es Kritik an einem Projekt für die Stadt?
Die Wiener Szene ist in Wirklichkeit überschaubar – natürlich wächst sie laufend, aber man kennt sich. Street Art, Wandmalerei, Graffiti spalten sich in sehr viele Untergruppen. Wenn Leute kategorisch sagen, sie möchten mit Auftragsarbeit nichts zu tun haben, gehe ich davon aus, dass man entsprechendes Feedback unterstellen könnte. Aber ich habe den Eindruck, dass die Wiener Szene inklusiv genug ist, dass man zumindest trotzdem einen gewissen Grundrespekt voreinander hat. Auch wenn man nach anderen ideologischen Prinzipien arbeitet. Und die Tatsache, dass Bilder dann stehen bleiben, gibt mir das Feedback, das ich brauche.
Ihr arbeitet aktuell an der Wand am Karlsplatz und gleichzeitig abends im Atelier an einem gemeinsamen Radierungsprojekt – wie unterscheidet sich die Arbeit, fließen die Themen, Sujets ineinander über?
Von meiner Seite aus fast gar nicht.
Bei mir schon. Ich bin gerade in meinem Wasservögel-Wahnsinn. Und mich interessiert die Überlagerung, die den Bewegungsmoment, die Dynamik der Tiere noch verstärkt. Mir war das zeichnerische Moment auch auf der Wand wichtig, es ist jetzt aber eher eine malerische Version dessen, was ich ursprünglich geplant hatte, geworden. Man lässt sich auf der Wand darauf ein und verfolgt es intuitiv. Das Zeichnerische sehe ich nun auf den Platten gut umgesetzt.
Das überschneidende Moment ist vor allem die Kollaboration – dass man auf das bereits Dargestellte der Kolleg*innen unmittelbar reagiert. Wir alle haben eine eigene Handschrift, die nicht abzulegen ist. Der Anspruch ist nicht, diese nicht mehr zuordnen zu können, sondern ein homogenes Ganzes zu schaffen – wie viel von meiner Position kann ich für eine gemeinsame Harmonie aufgeben. Wieviel kann ich – brutal gesprochen – meinem Gegenüber aufzwängen. Das loten wir nun haargenau auf die gleiche Art aus, wie auf der Wandfläche.
Part I von Urban Natures. Street Art am Bauzaun ist bis 25. Juli 2021 zu sehen.
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