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Video Oner und Sckre, El Jerrino, Karina Karadensky, 16.6.2021

Street Art am Bauzaun

Die Stadt als Leinwand

Anfang Juni haben die Street Art Künstler*innen El Jerrino und Video & Sckre fünf Tage lang an einer gemeinsamen Wand für „Urban Natures. Street Art am Bauzaun“ gearbeitet. Im Interview sprechen sie über große Wände, die Unterschiede zwischen Atelier und Straße und ihre Motivation, den öffentlichen Raum zu ihrer Leinwand zu machen. 

Karina Karadensky

Wann habt ihr angefangen, wie habt ihr angefangen und wieso?

Sckre

Mir ist mit 14 eine Sprühdose in die Hände gefallen, die habe ich entleert und hatte großen Spaß dabei. Dann habe ich langsam in Graffiti hineingefunden und mit 19 eine Ausbildung zum Theatermaler angefangen und das hat dann den Graffitihorizont in die künstlerische Richtung erweitert. 

Karina Karadensky

Bei dir kam also zuerst die Sprühdose und danach das Atelier?

Sckre

Ja, tatsächlich erst lange danach. Aber Kritzeln und Zeichnen ist natürlich die Grundlage von allem.

Video Oner

Ja, und man muss den Reiz, die Lust verspüren auch mal über das Papier drüber zu schmieren… Zum ersten Mal bin ich 2008, als ich zum Studieren nach Wien gezogen bin, am Kanal in Kontakt mit Graffiti gekommen. Der Kanal war bei weitem noch nicht so bemalt wie jetzt, da gab es viele freie Flächen. Ich war fasziniert davon, hatte aber keine Informationen – was, wie, wer und darf man das? Auf der Kunstuni habe ich dann Sprüher kennengelernt und dachte mir, die schnappst du dir jetzt! Dann bin ich ihnen ein paar Monate hinterhergelaufen und war lästig und irgendwann an einem Februartag bei -12 Grad haben sie mich endlich in eine nach Urin stinkende Linzer Unterführung mitgenommen. Und da wusste ich – das ist es! Seither bin ich autodidaktisch unterwegs.

El Jerrino

Lange bevor eine künstlerische Malerei- und Grafikambition da war, schon in der Volksschule und Unterstufe, hat mich Graffiti interessiert. Graffiti tauchte an Stellen auf, wo ich mir nicht erklären konnte, wie es da hingeraten ist – ganz abgesehen davon, wie man es dann macht. Für mich war das ein Pubertätsmoment mit rebellischem Beigeschmack. Eine Leidenschaft, die immer intensiver geworden ist. Erst in der Umbruchsphase, da war mein erstes Kunststudium schon vorüber, hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass sich die zwei Schienen - das Arbeiten im Atelier und das Arbeiten auf der Straße - auch ästhetisch näher gekommen sind. Wobei ich der festen Überzeugung bin, dass das Hin und Her, die Wechselwirkung zwischen riesigem Format und feingliedriger Grafik, sich gegenseitig anregen und erweitern.

Karina Karadensky

Braucht es Mut, auf öffentlichen, großen Flächen zu malen? 

Sckre

Am Anfang kann einen das auch ängstigen, aber ich sehe es eher als Herausforderung.

El Jerrino

Bei der Wandmalerei ist das sich langsame Hochtasten in den Formaten sehr entscheidend. Vom Überwindungsmoment her ist man mit der Zeit geschult. Sobald man mit irreversiblen Zeichenmedien, wie Tusche, Feder, Kugelschreiber arbeitet, oder sich hochwertiges Papier leistet und weiß, da habe ich jetzt nicht 100.000 Blatt, sondern nur vier zur Verfügung, überlegt man auch kleinformatig bei jedem Strich wie man ihn setzt.
Wie es bei der Druckgrafik eine Zeit lang dauert, bis das spiegelverkehrte Denken internalisiert ist, genauso hat zu Beginn bei Wänden das immer wieder ein paar Schritte Abstand nehmen 2/3 meiner Zeit gefressen. Irgendwann hat man es aber intus, dann ist es egal ob die Wand zwei Meter, sechs Meter oder sechzig Meter lang ist.

Video Oner

Es ist ein körperliches Spüren, wenn man vor der Wand steht und arbeitet. Der Körper, die Gestik weiß, was man tut. Das zurück treten machen wir alle trotzdem noch, aber weitaus weniger als am Anfang. Es ist das Muskelgedächtnis – man lernt die Spannweite seiner Arme kennen, welche Ausfallschritte man machen kann und was damit an Bewegung möglich ist.

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Video Oner und Sckre bei der Arbeit für die Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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Bei der Arbeit für die Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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El Jerrino bei der Arbeit für die Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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Karina Karadensky

War der Größe-Aspekt mit eine Motivation das Atelier zu verlassen?

Video Oner

Für mich auch. Ich habe vorher schon angefangen auf 2x3 Meter Leinwänden zu arbeiten, die ich im Atelier ausgebreitet habe. Da habe ich schon gemerkt, eigentlich mag ich es nicht, dass die Leinwand begrenzt ist... Es ist aber auch das Format – es ist nicht immer rechteckig, es gibt Schrägen und Ecken mit denen man umgehen muss, verschiedene Untergründe. Der Kanal z.B. bietet unterschiedliche Formate die man bespielen kann, von Säule bis Brückenpfeiler.

Sckre

Auch das Surrounding, die Umgebung, die Architektur sind wesentlich. 

Karina Karadensky

Welchen Unterschied macht der Öffentlichkeitsaspekt?

Sckre

Privat und öffentlich ist auf jeden Fall ein Unterschied. Das Grünthema ist bei großflächigen Arbeiten aus vielen Gründen spannend für uns. Auch Farbpsychologisch. Es ist auch etwas, das Städte selten schaffen – einen Ausgleich zwischen Stadt und Natur zu schaffen. Im Atelier macht man natürlich auch völlig andere Sachen, die sich schwer verkaufen ließen. Es passiert viel, das unter Verschluss bleibt. Wir haben zum Beispiel vor zwei Jahren bei einer Wanderung ein paar Hirschleichen in unterschiedlichen Verwesungszuständen gefunden. Dazu haben wir eine kleine Serie gemacht – die aber bis heute kein Mensch gesehen hat. Es war makaber, aber wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt. Man könnte das auch im öffentlichen Raum machen, aber warum? Möchte man das hinterlassen oder lieber eine kleine Oase?

El Jerrino

Zu beobachten, dass Werke im öffentlichen Raum wirklich wertgeschätzt und respektiert werden, ist die schönste Belohnung. Es ist die Dankbarkeit des Mediums – bei einer Ausstellung ist man darauf angewiesen, dass Künstlerkolleg*innen kritisches Feedback geben und so etwas ist rar gesät! Im öffentlichen Raum ist es unmittelbar, du kriegst sofort mit ob es den Leuten taugt oder nicht!

Karina Karadensky

Wie wichtig ist euch, dass es den Leuten taugt?

Sckre

Wenn wir im Öffentlichen Raum arbeiten und wissen eine Wand bleibt länger, versuchen wir etwas – unter Anführungszeichen – Schönes zu hinterlassen. Das ist natürlich Geschmackssache und manche Leute finden bestimmt kitschig, was wir machen. Aber das ist ein Anspruch den wir an uns haben, dass wir einen Ort aufwerten möchten. Und dann macht sie (Video) noch etwas mit Augen dran… Egal ob gute Technik, gute Farben – etwas Abstraktes wird nie so gut ankommen wie ein figürliches Element.

Video Oner

Das ist nicht der Grund für mich das zu machen, aber es hat sich herausgestellt, dass Augen funktionieren. Der Mensch braucht ein Gegenüber.

Karina Karadensky

Du würdest aber nicht sagen, dass der Wunsch, dass die Wand gefällt, deine Arbeit anders beeinflusst?

Video Oner

Am Ende des Tages muss ich zufrieden sein – das ist man eh selten genug, weil man selbst immer der größte Kritiker ist.

El Jerrino

Es kommt sehr darauf an, wo man malt. Und ob es eine permanente Fläche ist, oder eine legale Fläche auf der man experimentieren und Dinge ausreizen kann. Was ich unterstellen würde ist auch, dass das Klientel, das den Karlsplatz besucht noch einmal ein anderes ist als zum Beispiel im Karl-Wrba-Hof, einem fast hermetisch abgekapselten Gemeindebau. Da gibt es Leute, die jahrzehntelang die Wohnsiedlung nicht verlassen. Da habe ich das Gefühl, da gibt es andere Ressentiments aber auch andere Aha-Erlebnisse, als am Karlsplatz, in der Nähe vom 1. Bezirk, in Museumsnähe. Am Karlsplatz wiederum macht die Diversität des Publikums einen Reiz aus. 

Karina Karadensky

Stichwort Gemeindebau – du arbeitest für die Stadt Wien an Gemeindebauprojekten und erarbeitest in Workshops mit Bewohner*innen Ideen für die Wandgestaltung … 

El Jerrino

Das Grundprinzip sind Ideenfindungssessions mit Bewohner*innen, die Begriffe, Skizzen oder andere Inputs einbringen und dann später mit Hand anlegen können – der Gemeinschaftsmoment ist wesentlich. Wichtig ist auch, die Kids hier mit an Bord zu kriegen. Die sind es auch, die dann später entweder etwas übersprühen oder das Bild vielleicht sogar verteidigen…

Karina Karadensky

Wie ist das Feedback der Szene? Gibt es Kritik an einem Projekt für die Stadt?

El Jerrino

Die Wiener Szene ist in Wirklichkeit überschaubar – natürlich wächst sie laufend, aber man kennt sich. Street Art, Wandmalerei, Graffiti spalten sich in sehr viele Untergruppen. Wenn Leute kategorisch sagen, sie möchten mit Auftragsarbeit nichts zu tun haben, gehe ich davon aus, dass man entsprechendes Feedback unterstellen könnte. Aber ich habe den Eindruck, dass die Wiener Szene inklusiv genug ist, dass man zumindest trotzdem einen gewissen Grundrespekt voreinander hat. Auch wenn man nach anderen ideologischen Prinzipien arbeitet. Und die Tatsache, dass Bilder dann stehen bleiben, gibt mir das Feedback, das ich brauche.

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Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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Ausstellung „Urban Natures“ am Bauzaun des Wien Museums, Foto: Klaus Pichler

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Karina Karadensky

Ihr arbeitet aktuell an der Wand am Karlsplatz und gleichzeitig abends im Atelier an einem gemeinsamen Radierungsprojekt – wie unterscheidet sich die Arbeit, fließen die Themen, Sujets ineinander über?

Sckre

Von meiner Seite aus fast gar nicht.

Video Oner

Bei mir schon. Ich bin gerade in meinem Wasservögel-Wahnsinn. Und mich interessiert die Überlagerung, die den Bewegungsmoment, die Dynamik der Tiere noch verstärkt. Mir war das zeichnerische Moment auch auf der Wand wichtig, es ist jetzt aber eher eine malerische Version dessen, was ich ursprünglich geplant hatte, geworden. Man lässt sich auf der Wand darauf ein und verfolgt es intuitiv. Das Zeichnerische sehe ich nun auf den Platten gut umgesetzt.

El Jerrino

Das überschneidende Moment ist vor allem die Kollaboration – dass man auf das bereits Dargestellte der Kolleg*innen unmittelbar reagiert. Wir alle haben eine eigene Handschrift, die nicht abzulegen ist. Der Anspruch ist nicht, diese nicht mehr zuordnen zu können, sondern ein homogenes Ganzes zu schaffen – wie viel von meiner Position kann ich für eine gemeinsame Harmonie aufgeben. Wieviel kann ich – brutal gesprochen – meinem Gegenüber aufzwängen. Das loten wir nun haargenau auf die gleiche Art aus, wie auf der Wandfläche.

Part I von Urban Natures. Street Art am Bauzaun ist bis 25. Juli 2021  zu sehen.

Video Oner und Sckre machen den öffentlichen Raum zu ihrem Atelier und Experimentierfeld für Erzählungen. Das Künstlerduo, das eine bereichernde, kreative Partnerschaft verbindet, schöpft seine Inspiration aus der Natur sowie aus gemeinsamen Reisen, Beobachtungen und Erlebnissen.
Sckre kombiniert Impulse aus zwei Welten – dem klassischen Stylewriting auf der einen Seite und seiner Tätigkeit als Bühnenmaler auf der anderen. Während er sich auf reiche Hintergrundszenarien, bestehend aus Landschaften, abstrakten oder urbanen Elementen, konzentriert, beschäftigt sich Video Oner mit figurativen Darstellungen. Ausgehend von einer schnellen, intuitiven Skizze spielt sie mit ineinander verschlungenen Tieren in Bewegung oder Zustandsveränderung. Sckre (Frederic Sontag, *1988 in Ludwigsburg, Deutschland) hat Bühnenbild studiert und arbeitet aktuell an den Münchner Kammerspielen. Video Oner (Julia Heinisch, *1990 in Linz) hat Kunstgeschichte und Philosophie in Wien sowie Bildhauerei und transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz studiert, wo sie lebt und arbeitet.

El Jerrino (Jeremias Altmann *1989 in Wien) studierte Tiefdruck an der Kunstschule Wien und Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Seine künstlerische Auseinandersetzung – im Atelier vornehmlich in den Techniken Malerei und Grafik – ist von einer minutiösen, seriellen Beschäftigung mit unterschiedlichen Thematiken geprägt. In Young Prophecies rekonstruiert und reinterpretiert er beispielsweise Zeichnungen aus seiner eigenen Kindheit, während die Serie Machines sein Interesse an dem immer komplexer werdenden Innenleben technischen Equipments, das sonst im Verborgenen bleibt, zeigt. Seit einigen Jahren arbeitet er im Auftrag der Stadt Wien an der Umsetzung von Kunstprojekten mit und für Bewohner*innen von Gemeindebauten.

Karina Karadensky studierte Kunstgeschichte und English and American Studies und absolvierte 2018 den /ecm-Masterlehrgang für Ausstellungstheorie & Praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien. Seit 2018 ist sie in der Abteilung Ausstellungsproduktion, seit 2019 in den Internen Services des Wien Museums tätig. Bei Wien Museum Neu ist sie als Schnittstelle für die Nutzer*innenabstimmungen zuständig und für die Produktion der Ausstellungen am Bauzaun verantwortlich.

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