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Tiberius in der Modesammlung des Wien Museums
„Unglaublich, was in Wien plötzlich möglich war“
Ohne Helmut Zilk wäre Wien anders geworden. Das Bekenntnis des Bürgermeisters zu Weltoffenheit und Toleranz hat die Stadt in den 90er Jahren wachgerüttelt und jene Atmosphäre geschaffen, die ein Label wie Tiberius erst möglich gemacht hat. Dessen Gründer Karl Ammerer erinnert sich gerne daran: „Es war eine Zeit des Aufbruchs. Die Szene im U4. Die Clubbings im Technischen Museum. Der Life Ball. Es gab eine extreme Offenheit. Unglaublich, was in Wien plötzlich möglich war. Und dabei war der Rückhalt aus der Politik ganz entscheidend. Was die Mode betrifft, schien es, als hätten die Leute darauf gewartet, dass mit dem Thema Erotik endlich auf unkomplizierte Art und Weise umgegangen wird, ohne Hinterhof und schwarz angemalte Fensterscheiben.“
Begonnen hat Ammerer mit T-Shirts der New Yorker Initiative „Act Up“ (zur AIDS-Beratung und Bewusstseinsbildung), die er aus der Schachtel heraus in der Schwulenszene verkaufte. Dann kamen Motorradoutfits dazu und schließlich 1993 das eigene Label und der dazugehörige Shop in der Lindengasse im 7. Bezirk, der 2004 renoviert und vom damals hipsten Architekturbüro BEHF gestaltet wurde.
„Das Projekt war als Rebellion, aber auch als Fun-Geschichte gedacht. Wir haben wenig an Fetischisten verkauft, weil unser Stil zu modisch und verspielt war. Unsere Kunden waren von Beginn an Ausgehleute. Mode für Damen hatten wir damals noch nicht, wurde aber sofort nachgefragt.“ Viele außergewöhnliche Projekte folgten, so etwa die Ausstattung einer Produktion von Orpheus und Eurydike bei den Wiener Festwochen 1995 oder die Outfits der 36 Tänzerinnen und Tänzer zur Life Ball-Eröffnung 2004 mit Nina Hagen. „Damit hatte ich eigentlich meinen Auftrag schon erfüllt“, so Karl Ammerer.
Dann kam es zur Neuausrichtung des Modelabels, als der Designer Marcos Valenzuela 2004 einstieg. Ob man den Namen behalten würde, war da gar nicht sicher. Denn mit dem ausgebildeten Opernsänger Valenzuela wurde der Tiberius-Stil opulenter und weicher. „Ich bin ein Latino und ich komme von der Bühne“, so Valenzuela. „Ich habe immer einen romantischen Zugang.“ Mit der neuen Linie erreichte man auch ein neues Publikum, 2014 erhielt man die Einladung, die Eröffnung des Opernballs ausstatten - ein Highlight, zweifelsohne.
Der Shop in der Lindengasse bot allerdings immer weniger die Möglichkeit, die heutigen Tiberius-Kollektionen ins rechte Licht zu rücken. Dazu kam die nahe U-Bahn-Baustelle, die das Geschäft auch nicht einfacher macht. Kurzum: Seit kurzem ist das Modelabel im Traditionshaus Popp&Kretschmer bei der Oper zuhause. Ein fast logischer Schritt vom einst alternativen Szenebezirk Neubau in die Innenstadt. Und auch eine Reaktion auf die sich verändernden Bedingungen im Einzelhandel, wo die Top-Lagen immer stärker in den Fokus rücken.
Dass nun vier Tiberius-Stücke – ein Life Ball-Ledercape (2006), eine gehäkelte Lederhose (2007), ein Wollmantel mit Pommeln (2014) und ein opulentes Satin-Abendkleid (2017) – in die Modesammlung des Wien Museums als Schenkung gekommen sind, ergab sich ideal aus der aktuellen Situation. „Das Interesse von Seiten des Museums hat mir erst bewusst gemacht, wie sehr die Vision von Tiberius die Wiener Szene geprägt hat“, so Valenzuela. „Es macht mich unglaublich stolz, wenn unsere Arbeiten in dieser Sammlung vertreten sind.“
Die Freude über die Schenkung ist auch bei Regina Karner, der Kuratorin der Modesammlung, groß: „Unsere Sammlung wächst ständig, auch und gerade um Kleidung und Accessoires zeitgenössischer Designerinnen und Designer. Mit den vier neuen Stücken von Tiberius erweitern wir unser Spektrum und verankern uns einmal mehr in der Gegenwart. Ein Label wie Tiberius steht für einen radikal neuen Zugang in der Modeszene Österreichs und verbindet Ästhetik, die von subkulturellen Einflüssen geprägt ist, mit der Qualität von Haute Couture.“
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