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Julia Schuhmacher, 15.1.2025

VALIE EXPORT und ihre Performancekunst

Von der Dekonstruktion des weiblichen Körpers

VALIE EXPORT provozierte mit ihrem Körper und lenkte mit ihrer Kunst den Blick auf die Unterdrückung der Frau. Damit sorgte sie nicht nur im konservativen Wien der 1960er und -70er Jahre für Aufsehen, sondern sie setzte sich auch im Feld der Performancekunst durch, das zuvor gänzlich männlich dominiert gewesen war.

Im Dunklen eines kleinen Münchner Kinosaales im Jahr 1969 erscheint im Schein des Filmprojektors eine Frau. Ihre Hose hat ein Loch – genau im Schritt – sodass ihr Genital entblößt ist. „Was sie normalerweise im Kino auf einer Leinwand sehen, sehen sie jetzt in der Realität. Ein Kino des Wirklichen“, ruft sie ins Publikum und löst regelrechte Panik aus. Während sie durch die erste Reihe läuft, ihr Schritt auf Augenhöhe mit den sitzenden Zuschauer:innen, verlassen die letzten Reihen empört und schockiert den Saal.

Diese Frau ist VALIE EXPORT. Eine vielseitige Künstlerin, die vor allem mit ihrer radikalen und revolutionären Performance und Körperkunst das Wien der 1970er Jahre in Aufruhr versetzte. In ihren Aktionen machte sie immer wieder auf die Sexualisierung des Frauenkörpers aufmerksam und das in einer Zeit, in der die Selbstbestimmung der Frau ein Tabuthema war. 

Das Umfeld, in dem VALIE EXPORT aufwuchs, war ein frauenfeindliches und konservatives. Die gesellschaftliche Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte für eine klare Rollenverteilung: Die Frau sollte – wieder bzw. noch immer – Hausfrau und Mutter sein, der arbeitende Mann war „Familienoberhaupt“. In einem Interview beschreibt Anna Brus, die zu dieser Zeit mit den Wiener Aktionisten gearbeitet hat, wie es sich zu der Zeit als Frau gelebt hat: „Bei uns hat man damals in den 60er Jahren das Gefühl gehabt, die Frauen befinden sich unter einer unsichtbaren Burka.“ Die Befreiung der Frau aus den auferlegten Ketten ist ein zentraler Punkt im Werk von VALIE EXPORT.
 

Geburt einer Rebellin

VALIE EXPORT wurde als Waltraud Lehner 1940 in Linz geboren. Doch bereits mit 20 Jahren zog sie nach Wien, das fortan ihr Lebensmittelpunkt war. Ihren Künstlernamen entwickelte sie 1967. Es war ihr erster Bruch mit dem patriarchalischen System. Sie wollte einen Namen, der sich nicht mehr mit ihrem Vater oder dem ehemaligen Ehemann verband. VALIE ist eine Abkürzung ihres Vornamens. EXPORT ist inspiriert von einer Zigarettenmarke und steht dafür, dass sie ihre Ideen und Gedanken nach außen tragen, exportieren möchte. 

In der Wiener Künstlerszene der 1960er Jahre brodelte es. Die Wiener Aktionisten Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler revolutionierten das damals konservativ geprägte Verständnis von Kunst. Sie sprengten die Grenzen des Konventionellen, indem sie statt einer Leinwand ihren Körper als Medium nutzten, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Das Frauenbild der Wiener Aktionisten entsprach jedoch nicht dem von VALIE EXPORT. „Der wichtigste Unterschied ist die Darstellung der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Der Wiener Aktionismus hat das selbstständige Bewusstsein der Frauen unterdrückt“, erklärt sie im Interview. Bei den Aktionen wurden Frauen oft nur als passive Objekte oder als Instrumente der künstlerischen Provokation dargestellt. Sie dienten den Künstlern nur als Models, ihren Stimmen baten sie keinen Raum. Anna Brus erzählt später, dass es sie lange Zeit geärgert hat, dass sie „in der Öffentlichkeit wie Gegenstände behandelt wurden“. 

VALIE EXPORT wollte einen anderen Weg gehen und prägte als Reaktion den Begriff des feministischen Aktionismus. Aus passiven Objekten aktive Gestalterinnen zu machen, das ist seine Essenz. Die Quelle ist die eigene „weibliche Erfahrung“. Feministischer Aktionismus hinterfragt die traditionelle Darstellung von Frauen und schafft einen zuvor nicht dagewesenen Raum für Repräsentation fernab patriarchaler Zwänge.
 

Direkte Konfrontation

Eine von VALIE EXPORTS bekanntesten Aktionen ist das „Tapp und Tastkino“, das in der Zusammenarbeit mit dem Künstler Peter Weibel entstanden ist. Die Uraufführung fand 1968 anlässlich der „maraisiade“ des „jungen films“ statt. Darauf folgten zwei Aufführungen in München.

Die Künstlerin stellte sich auf die Straße mit einer Box, die ihre Brüste verdeckte und ein Kino darstellte. Durch zwei Vorhänge durften Passant:innen ihre nackten Brüste berühren, zwölf Sekunden lang, während sie VALIE EXPORT in die Augen blickten. In diesem Moment wurde der Zuschauer zum Teilnehmer, stieg von der Passivität in die Aktivität und wurde direkt mit eigenen Verhaltensweisen konfrontiert. Der sonst abstrakte und versteckte Voyeurismus wird plötzlich greifbar und sichtbar. Statt eines Frauenkörpers auf einer Leinwand im Schutz der Dunkelheit im Kinosaal, findet eine Interaktion mit einem echten Körper statt. Die Aktion durchbricht die Hierarchie, die durch das Anschauen und Angeschaut-Werden entsteht und setzt die Teilnehmenden in ein neues Spannungsverhältnis.

Eine weitere Aktion, in der VALIE EXPORT mit Machtverhältnissen spielte und diese umdrehte, war „Aus der Mappe der Hundigkeit“. Sie führte den Künstler Peter Weibel an einer Leine durch Wien. Dieser musste wie ein Hund auf allen Vieren kriechen.

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Der Körper als politisches Instrument

„Die Performances mit meinem Körper haben immer eine politische Bedeutung gehabt“, erklärt VALIE EXPORT. In einem System, in dem „die politische Gesellschaft den Körper, sowohl den weiblichen als auch den männlichen Körper instrumentalisiert", ist es auch anders gar nicht möglich. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft als Mutter, als Gebärende und als Ehefrau wird begründet durch die biologischen Funktionen ihres Körpers. Erst wenn Frauen ihre Identität von ihrem Körper trennen, können sie laut VALIE EXPORT als selbstbestimmte Individuen existieren. 

„Aktionshose: Genitalpanik“, die Performance, bei der sie mit im Schritt ausgeschnittener Hose durch ein Kino lief, war genau so ein Moment, in dem VALIE EXPORT sich die Kontrolle über ihren eigenen Körper erkämpfte. Diese mutige Aktion inspirierte auch die serbische Performance Künstlerin Marina Abramović. Sie führte das Werk 2005 in einem amerikanischen Museum auf. 
 

„Dann ist Schmerz ok“

Eine sehr kontroverse und umstrittene Ausdrucksweise in der Performance Kunst ist die Selbstverstümmelung. Es ist eine Form der Provokation, aber auch des Protests und der sozialen Kritik. Manche Künstler:innen beschreiben es auch als spirituelle Erfahrung, die eine tiefe Verbindung zum eigenen Körper herstellt. In einem Gespräch mit Marina Abramović hat VALIE EXPORT gesagt: „Wenn ich mir selbst Schmerz zufüge und mich das vor der Angst vor Schmerz befreit, dann ist Schmerz ok.“
 

Der Titel der Aktion verbindet die zwei Wörter „eros“ (Begehren) und „erosion“ (Verfall). So präsentiert sie in der Performance ihren nackten Körper und fügt ihm gleichzeitig Wunden zu, um zu zeigen, dass Schmerz erotisch sein kann. Das Werk stellt eine komplexe Idee von Sexualität dar, die Schmerz und körperliches Übermaß als Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung einschließt. 
 

Zeitlose Inspiration

VALIE EXPORTS Werk ist nicht nur eine Erinnerung an vergangene Kämpfe für Gleichberechtigung. Ihre Botschaft ist heute vielleicht sogar relevanter denn je. Die sozialen Medien haben einen enormen Einfluss auf die Darstellung von Frauenkörpern. Oftmals werden sie auf Social-Media-Plattformen idealisiert, retuschiert und sexualisiert, was unrealistische Schönheitsstandards verstärkt. Deswegen bleibt die kritische Reflexion über die Repräsentation des weiblichen Körpers von größter Bedeutung. Es liegt an den jetzigen Generationen, die Lehren aus ihrer Arbeit zu ziehen und aktiv an einer Welt zu arbeiten, in der alle Menschen, unabhängig von Geschlecht oder Identität, frei sind, ihren Körper und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Quellen:

Schriftliches Interview mit VALIE EXPORT

VALIE EXPORT Filmproduktionsgesellschaft m.b.H. https://www.valieexport.at

Rose-Anne Gush: VALIE EXPORT. Image and Body Space, in: Archive of Women Artists, 06.11.2017 https://awarewomenartists.com/en/magazine/valie-export-image-espace-corps

Kunstbanause: VALIE EXPORTs Kunst, 27.03.2022 https://www.youtube.com/watch?v=HfVOD6BZECw

Gerald Matt: Valie Export. Die Pionierin der feministischen Kunst über Exzesse und Provokationen, in call-magazine, 2024 https://www.call-magazine.com/kunst-pionierin-valie-export-video-life

Claudia Müller: Valie Export – Ikone und Rebellin, ORF-Archiv (Ausstrahlung 18.5.2015, ORF 2) https://on.orf.at/video/12446435/Valie-Export-Ikone-und-Rebellin

Johanna Schwanberg: Akteurinnen im Aktionismus. Anna Brus und Carloa Dertnig im Gespräch mit Johanna Schwanberghttps://caroladertnig.at/fileadmin/mediapool/projects/lora_sana/InterviewAnnaLast.pdf

Peter Weibel: Zentrum für Kunst und Medien, https://www.peter-weibel.at/portfolio_page/tapp-und-tastkino-1968

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der FH Joanneum, Studiengang Journalismus und Public Relations. Studierende haben im Frühjahr 2024 die neue Dauerausstellung des Wien Museums besucht und danach – von einzelnen Objekten oder Themen ausgehend – Beiträge für das Wien Museum Magazin konzipiert, recherchiert und geschrieben

Julia Schuhmacher studiert Journalismus und PR an der FH JOANNEUM Graz. Sie interessiert sich für Literatur und Film und möchte nach dem Studium im Bereich Dokumentarfilmregie arbeiten.

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