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Thomas Keplinger, 27.6.2021

Weinkeller in Wien

Toll und voll

Siebenbürgerkeller, Wächterkeller, Fellnerkeller – was heute kaum Assoziationen hervorruft, waren einst florierende Refugien von weintrinkenden Sesselträgern, Knödelessern, Prostituierten, Advokaten und Strizzis. Ein historischer Blick in die Tiefen der Stadt.

Heute sind die Keller von Wien eine eigene kühle Welt, die wie ein dunkles Relikt des Mittelalters und der Neuzeit unter unseren Füßen schlummert. Einst dienten sie zur Lagerung verderblicher Waren, als Stätten gewerblicher Tätigkeiten, als Eiskeller, Kohlenkeller und vor allem: als Weinkeller. Die weinselige Lebensfreude galt als liebster Geisteszustand der Wiener und Wienerinnen. Schon 1450 kritisierte der spätere Papst Pius II. die „Rauflust und die Saufgelage der Männer und – das wenig sittenreine Benehmen der Frauen.“ Bis in das 19. Jahrhundert hinein änderte sich daran relativ wenig, woran die unkomplizierte Verfügbarkeit von Wein nicht ganz unschuldig war: „Alle Bürger Wiens hatten von alter Zeit her das Recht ihre eigenen Weine in den Kellern bei Hause auszuschenken“, schrieb 1853 Franz Tschischka in seiner „Geschichte der Stadt Wien“. Zusätzlich bekam die Stadt im 13. Jahrhundert das Recht, auch von außerhalb stammende Weine in einer Taverne zu kredenzen.

Um 1725 waren die Weinkeller in Wien berühmt und berüchtigt, eine üppige Blüte der unterirdischen Geselligkeit war im Laufe der Zeit aus rebensaftgetränktem Substrat erwachsen. „Toll und voll“, wie es der Schriftsteller und Feuilletonist Friedrich Schlögl nannte, mag es damals in den halbfinsteren Räumen zugegangen sein, und eben nicht christlich-manierlich, sondern eher „Ärgerniß erregend“. 1752 wurde jedenfalls das „Halten der Kellnerinnen in den Weinstuben und Kellern“ verboten, auch das sonntägliche Kegelschieben musste eingestellt werden. Hauptsächlich die Stiftskeller waren davon betroffen. Ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert ist der Brauch überliefert, neu eröffnete Weinkeller durch Ausrufer in der Stadt bekannt zu machen, die dem Publikum bei der Gelegenheit gleich ein Probeschlückchen verabreichten. Vor allem das einfache Volk tendierte dazu, sich nicht in ebenerdigen Schenken zu vergnügen, sondern suchte den Rausch in der Tiefe und entschwand „in billigere Refectorien, also in die Keller“. In seiner Schrift „Wiens gegenwärtiger Zustand unter Josephs Regierung“ notierte Ignaz de Luca 1787 die geltenden Öffnungszeiten der Weinkeller. Sie konnten unter der Woche ab 9 Uhr, an Sonn- und Feiertagen vor 11 Uhr öffnen. Die abendliche Schließung erfolgte im Winter um 21 Uhr und im Sommer eine Stunde später.

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1797 schrieb ein unbekannter Verfasser zum Wesen des Wiener Weinkonsums, der hohe Adel tränke zuhause oder in den Häusern von seinesgleichen, während sich Beamte und Bürger Weine in den Schenken zu 16 und 24 Kreuzern gönnten. Der „gemeine Mann“ jedoch stieg in die unterirdischen Keller und frönte dort Rebensäften um 6 und 8 Kreuzer. Schon damals wurden der Seitzerkeller an den Tuchlauben und der Kaiserkeller am Fleischmarkt namentlich erwähnt. Die besten Weine aber, so wusste der Autor, bekam man in den Kellern der noch nicht aufgelassenen Klöster.

Aus jener Zeit sind zahlreiche Anekdoten überliefert. Natürlich spielte der Teufel eine gewichtige Rolle in diesem finsteren Reich unter der Erde. Am bekanntesten ist hier wohl die Legende vom Schlossergesellen, der im Stock-im-Eisen-Keller über den Durst trank, darauf zu spät zur Messe kam – womit er seine Wette gegen den Teufel verlor – und ihn selbiger daraufhin in Stücke riss. Selbst der diabolische Doktor Faust, bekannt aus Goethes Stück, beehrte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts angeblich Wien und besuchte den Rother-Mandl-Weinkeller an der Freyung. Bei der Gelegenheit verschluckte er einen Lehrbuben, der kurz darauf zitternd durchnässt vor der Türe stand. Ein von Augustin Hirschvogel an die Wand gemalter Teufel sprang etwas später auf Faustens Befehl unter die Leute herab, die panisch das Weite suchten. Wie sagte die Mutter des Wirts? „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen!“

1700 ereignete sich ein dramatischer Vorfall, als ausgehend vom Rauchfangkehrerkeller am Petersplatz die Kanzlei des jüdischen Hoffaktors Samuel Oppenheimer geplündert und verwüstet wurde, wobei mehrere Tote und Verletzte zu beklagen waren. Die Rädelsführer – ein Rauchfangkehrer und ein Schwertfeger – wurden gehenkt. Des bärtigen Bauernführers Andreas Hofer Inkognito-Besuch Anfang 1809 in einem Keller am Lobkowitzplatz, dem damaligen Bürgerspitalplatz, soll dafür gesorgt haben, dass dieser fortan Tirolerkeller hieß. Schon ein Jahr später weilte der Inspirationsgeber nicht mehr unter den Lebenden.

Nach der Phase napoleonischer Unruhe brach etwa ab 1820 die zweite Blüte des geselligen Kellertreibens an und wieder musste gegen sittenloses Verhalten eingeschritten werden. Prostituierte gingen ab Einfall der Dämmerung vor allem in den schummrigen Gewölben ihrem Gewerbe nach. Einige Keller waren sogar für die Anwesenheit bestimmter Damen bekannt, um die sich ein Stammpublikum scharte. „Diese zugkräftigen Keller-Heroinen waren sogar sehr populär und ihre (Spitz-)Namen, wie ihre markantesten Thaten gingen damals in gewissen Kreisen ebenso von Munde zu Munde, wie heute die freche Strophe einer Volkssängerin … Die ‚kleine Hirschwettl‘, die ‚Fraßpepi‘, die ‚Uhlanenresel‘, – lauter Kellerzierden – waren damals viel genannte und gekannte Volks-Figuren.“

Ein Winkeladvokat im Michaelerkeller

Aus den Jahren um 1840 herum wusste man die Anekdote eines umtriebigen Winkeladvokaten zu erzählen. Dieser erbettelte sich vormittags Papier und Büromaterial in diversen Ämtern. Dort mimte er den armen Vater, für dessen kluge Kinder die Sachen bestimmt wären. Die Nachmittage und Abende verbrachte er im Michaelerkeller in der Habsburgergasse, um gegen Bezahlung juristische Tipps und Erledigungen anzubieten – auf dem Papier der Ämter. Gewissenhaftes Arbeiten vorspiegelnd, wies er jedoch viele Anliegen der Bittsteller, nachdem er das Honorar eingehoben hatte, ab.

In den besten Zeiten gab es mehr als sechzig derartige Weinkeller allein in der Inneren Stadt. Ein 1851 angestoßenes Projekt zur Regulierung des Gewerbewesens stellte auf Seite 268 fest, dass „die Kellerschänken schon ihrer Benennung nach in unterirdische Lokalitäten verwiesen [sind] und müssen eben deshalb […] für unzulässig gehalten werden, weil bei einem größeren Zusammenflusse von Gästen aus Mangel des Zuganges einer reinen Luft die menschliche Gesundheit gefährdet erscheint und weil andererseits gerade diese unterirdischen düstern Räume zum Sammelplatze und Schlupfwinkel der entartetsten bedenklichsten Menschenklasse dienen, welche darin der polizeilichen Beaufsichtigung und Überwachung weit weniger als in frei zugängigen ebenerdigen Lokalitäten unterzogen werden kann.“

Bier statt Wein

Bis 1875 reduzierte sich die Anzahl der Weinkeller auf etwa ein Dutzend, die, wie Friedrich Schlögl bedauert, nun sogar Bier ausschenkten, um dem Zeitgeist Rechnung zu zollen. Weinenden Auges beschreibt er, wie die neuen Zeiten „über die alten, nun fast mythischen Stätten der wildesten Reben-(Saft-)Cultur [fuhren], und wo einst schwindelnde Steige in den schaurig-lustigen Orkus führten, da hat die sanfte Hand der Civilisation die letzten Spuren einer wüsten Epoche längst verwischt […]“. Die Zeit der schnöden Kellernachnutzung setzte also in diesen Tagen ein. Magazine wurden eingerichtet, wo jahrzehntelang getrunken wurde, Gewerbe, Handwerk, Greißlereien und Kräuterläden hielten in Form von Werkstätten, Lagern und Verkaufslokalen Einzug in die Keller.

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Im Zweiten Weltkrieg strömten die Leute erneut in die Gewölbe, der Grund war bekanntermaßen dramatisch. Die unterirdischen Räume dienten dem Schutz gegen Bomben alliierter Flugzeuge. Im ersten Bezirk wurde das sogenannte Schutzraumnetz Innere Stadt angelegt, das viele Keller durch Verbindungsgänge miteinander verband. So entstand ein kilometerlanges System aus Räumen und Gängen, das hunderttausenden Personen Schutz bot. Nach dem Krieg wurden die Verbindungen wieder zugemauert.

Heutige Nutzungen sind vor allem modernen Anforderungen geschuldet – Fernwärme, Lüftungs-, Kühlungs- und Heiztechnik sowie Lagerräume oder schlicht Kellerabteile der Hausbewohner stellen die überwiegende Verwendung dar. Besonderheiten wie die Einrichtung eines touristischen Hotspots, an dem Besucher*innen die „Geschichte Österreichs erleben“ können oder von Schauräumen für edle Produkte inklusive römischer Skelette, zählen zu den selteneren Nutzungen.
 

[Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dem folgenden Buch: Friedrich Schlögl, Alte und neue Historien von Wiener Weinkellern, Weinstuben und vom Weine überhaupt, (Wien/Pest/Leipzig 1875)]

Thomas Keplinger hat Geschichte an der Universität Wien studiert. Er betreibt das detailhistorische Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Worte im Dunkel“. Darin widmet er sich in Form eines Blogs Beschriftungen, Graffiti, Schildern, Aushängen, Zeichnungen und Symbolen des Zeitraums zwischen 1932 und 1955, die noch heute dort anzutreffen sind, wo sie einst angebracht oder aufgehängt wurden.

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